Giordano Bruno und das unendliche Universum
- Sunrise 2/1978
Mit Erlaubnis abgedruckt aus dem Griffith Observer, Februar 1975.
Das Jahr sechzehnhundert war ein Jubeljahr. Im Februar wimmelten die breiten Straßen Roms von Pilgern aus ganz Europa. Kardinäle und Priester, Kaufleute und Bettler, hohe Edelleute und arme Studenten vermischten sich auf den überfüllten Plätzen und den großen breiten Straßen der Ewigen Stadt. Jene wenigen unter der Menge, die lesen konnten, haben vielleicht in der improvisierten kleinen römischen Zeitung Avvisi eine Notiz bemerkt, die sich auf "einen Dominikanermönch von Nola, einen hartnäckigen Ketzer, bezog, dem am Mittwoch im Palast von Kardinal Madruccio nachgewiesen worden war, daß von ihm verschiedene schreckliche Ansichten verbreitet worden waren, an denen er halsstarrig festhielt und noch festhält, obwohl ihn täglich Gottesgelehrte besuchen." Fünf Tage nach Erscheinen dieser Notiz wurde der Dominikanermönch Giordano Bruno durch die Inquisition hingerichtet. In ihrer Barmherzigkeit waren die Inquisitoren sorgfältig darauf bedacht, kein Blut zu vergießen. Bruno wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Die Ablaßpilger bemerkten kaum etwas von der Verbrennung des Dominikanermönches. Warum sollten sie auch? Die Inquisition säuberte das Christentum im Verlauf des Jahres von fünfundzwanzig Ketzern. Der Tod dieses einzelnen Andersdenkenden wurde inmitten der heiligen Prozessionen, der gesungenen Litaneien und der erteilten Segen vergessen.
Giordano Bruno hat zur unrechten Zeit gelebt. Sein Tod ereignete sich im letzten Zwielicht der Italienischen Renaissance. Ein Jahrhundert früher hätte eine tolerantere Kirche große, schöpferische Denker wie diesen Dominikanermönch verschont und sogar bewundert. Ein Jahrhundert später wäre sein Denken den europäischen Intellektuellen verständlicher gewesen. Doch im Jahre 1600 war das Christentum seines früheren Humanismus beraubt, große künstlerische Meisterwerke der südlichen Renaissance wurden nicht mehr geschaffen, die protestantische Reformation war nahezu hundert Jahre alt, und die Inquisition entfaltete ihre volle Macht.
In dieser Zeit der Intoleranz verfolgten die verschiedenen Sekten und Konfessionen Europas einander unbarmherzig, und nur sehr Unbesonnene oder sehr Mutige wagten es, anders zu denken, als es die in ihrer Region vorherrschenden religiösen Anschauungen verlangten. Ganz gleich welcher Kirche sie angehörten, alle begingen den gleichen Fehler - weil Christus die zentrale Figur in der Geschichte und unsere Erde der Schauplatz von Christi Tod und Auferstehung war, sollte diese Erde auch der Mittelpunkt des Universums sein. Das hatte zur Folge, daß Gelehrte, die nicht - wenigstens nicht öffentlich - an den Lehren des großen, wenn auch heidnischen Philosophen Aristoteles festhielten, von den Anhängern der Kirche verfolgt wurden.
Der Dominikanermönch, der wegen seiner "schrecklichen Überzeugung" verbrannt wurde, nimmt in der Geschichte der Astronomie einen äußerst wichtigen Platz ein. Er selbst war kein Astronom, nicht einmal ein Wissenschaftler im herkömmlichen Sinne. Er war ein in Süditalien geborener umherziehender Philosoph, der die meiste Zeit seines Lebens in Europa umherwanderte. Er studierte und lehrte mehrere Jahre in England, aber die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er in Rom - in einem Gefängnis der Kirche. Bruno wurde fünf Jahre nach dem Tode von Kopernikus geboren und starb zehn Jahre vor der Veröffentlichung des Sidereus Nuncius, in dem Galilei über seine ersten teleskopischen Entdeckungen berichtet, doch dieser wandernde Dominikaner hatte in gewissem Sinne größere Erkenntnis als Kopernikus oder Galilei.
Um die Ausführungen von Giordano Bruno verstehen zu können, muß man den Stand des astronomischen Wissens im sechzehnten Jahrhundert kennen. Bis zur Zeit von Kopernikus hatte das westliche Europa das ptolemäische Universum akzeptiert. Die Erde war der zentrale Himmelskörper, den sieben leuchtende Globen umkreisten, zu denen der Mond, die Sonne und die fünf mit bloßem Auge sichtbaren Planeten gehörten. In einer achten Sphäre befanden sich die Fixsterne. Es wäre unnütz, bei den malerischen mittelalterlichen Ausarbeitungen dieses Systems zu verweilen, dem noch andere Sphären hinzugefügt waren, die wahrscheinlich die Wohnstätten der im Rang unterschiedlichen Engel und Erzengel enthielten. Wesentlich ist, daß das ptolemäische Universum ein geschlossenes System war, mit der Erde als Mittelpunkt und den Sternen als festen Lichtpunkten an einem ungeheuren Himmelsgewölbe. Die Erde war unbeweglich; Tag und Nacht wurden durch die Umdrehung der himmlischen Sphären verursacht. Alle Umlaufbahnen waren Kreise, denn nach Aristoteles ist der Kreis die vollkommene Form. Aristoteles hatte auch gelehrt, daß die Erde vergänglich sei, während die Regionen jenseits der Sphäre des Mondes vollkommen und deshalb unvergänglich seien.
Die kopernikanische Revolution stellte, wie jedermann weiß, statt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt des Universums. Tag und Nacht kamen durch die Umdrehung der Erde und nicht durch die Umdrehungen des Himmels zustande. Wenn jemand die Lehre von Kopernikus über das Universum annahm, dann mußte der alte Glaube an die Vergänglichkeit der Erde und die himmlische Unvergänglichkeit verschwinden und dem modernen Begriff von einem Universum Platz machen, das essentiell in allem gleich ist.
Bildtext: Giordano Brunos Vorstellung vom Universum.
Trotz dieser bemerkenswerten Erkenntnisse konnte sich Kopernikus weniger von dem mittelalterlichen Universum loslösen, als sich die meisten Menschen vorstellen. Die Kreisläufe der Planeten waren für ihn immer noch Kreise, und das blieben sie, bis Kepler kam. Doch das Wichtigste von allem war, Kopernikus behielt die äußere Sphäre der Fixsterne bei; er gruppierte einfach die Reihenfolge der Planeten um und stellte die Sonne in diesen großen himmlischen Bereich hinein. Kopernikus blieb bei dem geschlossenen System - dem Hutschachteluniversum seiner Vorgänger -, und demzufolge hatte sein System mit der Sonne im Mittelpunkt nur wenig mehr mit dem Universum gemeinsam - das von dem Astronomen des 20. Jahrhunderts angenommen wurde -, als der von Ptolemäus postulierte Aufbau mit der Erde im Mittelpunkt. Es war weder Kopernikus noch Galilei, es war Giordano Bruno, der die große Wahrheit erfaßte, daß die sogenannten Fixsterne tatsächlich große Sonnen sind, wie unsere Sonne. Bruno stellte sich ein Universum vor, das sich nach außen unendlich ausdehnte und unzählige Sonnen enthielt, von denen wahrscheinlich jede mit ihrer Planetenfamilie durch den Raum raste. Verglichen mit den starren, begrenzten Systemen von Ptolemäus und Kopernikus, war Giordano Brunos Kosmos in der Tat eine kühne Vorstellung.
Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts wurden verschiedene wohlüberlegte Argumente vorgebracht, um das heliozentrische System zu widerlegen. Man meinte, wenn sich die Erde bewegen würde, dann würde ein Gegenstand, den man von einem hohen Turm herabfallen ließe, nicht gerade herunterfallen und eine Kanonenkugel, die von Norden nach Süden abgeschossen würde, wiche von ihrer Richtung ab. Die Erde würde sich bei ihrem Umlauf um die Sonne vermutlich unter diesen Gegenständen hinweg bewegt haben. Wenn, wie Bruno erklärt hatte, die Sterne sich in verschiedenen Entfernungen von uns befänden, so wendete man ein, dann würde die vorgebrachte Bewegung der Erde um die Sonne die näheren Fixsterne mit Bezug auf die entfernteren verschoben erscheinen lassen. Doch eine derartige Verschiebung wurde natürlich nicht beobachtet. Heute sind die Astronomen in der Lage, gerade solche Verschiebungen in den Stellungen der näheren Sterne zu messen; aber die Beobachtung dieser Sternparallaxe, wie sie jetzt genannt wird, war mit den einfachen astronomischen Instrumenten des sechzehnten Jahrhunderts gänzlich unmöglich. Bruno löste das Problem richtig. Er erklärte, daß die Sterne so weit entfernt seien, daß ihre anscheinende Verschiebung, die durch das Kreisen der Erde um die Sonne entsteht, nicht nachgewiesen werden könne.
Bildtext: Das Universum von Ptolemäus und den mittelalterlichen Astronomen. (Der Einfachheit wegen wurden Epizykel (Radlinien) weggelassen.)
Kopernikus erfaßte die Tatsache, daß die Erde ein Planet ist, aber weil er die Sonne in den Mittelpunkt eines geschlossenen Systems stellte, machte er die Sonne zu etwas Einmaligem. Bruno riß die äußeren Grenzen des alten Systems nieder und stellte sich etwas vor, das dem modernen Universum bemerkenswert ähnlich war. Für ihn war der Raum grenzenlos und mit zahllosen Sonnensystemen angefüllt: "Es gibt unzählige Sonnen und eine unendliche Anzahl von Planeten, die um ihre Sonnen kreisen wie unsere sieben Planeten um unsere Sonne." "Weil die Entfernung zu groß oder die Masse zu gering ist ...", sehen wir nicht, wie die Planeten um andere Sterne kreisen.
Brunos Universum hatte keinen Mittelpunkt. Er schrieb: "Im Universum gibt es keinen Mittelpunkt und keine Peripherie; der Mittelpunkt ist überall ..." Diesen Punkt behandelte er ausführlich und bemerkte:
Für uns auf der Erde scheint die Erde der Mittelpunkt des Universums zu sein, während für die Bewohner des Mondes der Mond als Mittelpunkt erscheinen wird ... Jede Welt hat ihren Mittelpunkt, ihr Oben und ihr Unten; diese Unterschiede müssen als relativ bezeichnet werden ...
Da heute der Verstand im Relativismus verstrickt ist, sind für ihn derartige Behauptungen ganz annehmbar. Doch der Relativismus beginnt schon mit Bruno. Der Dominikanermönch war von einer großartigen Vision entbrannt. Für ihn waren die Welten in einem Universum, das sich beständig immer weiter nach außen ausdehnte, ohne Zahl. Mit dieser Vorstellung war Bruno auf den Landstraßen Europas gewandert und hat an Höfen und Universitäten vieler Länder Vorträge gehalten und darüber diskutiert.
Bildtext: Das Universum von Kopernikus.
Bruno argumentierte: "So, wie das Universum aus einer unbegrenzten Anzahl von Sternen zusammengesetzt ist, so müssen auch die Sterne selbst und überhaupt die gesamte Materie aus unzählbaren Atomen zusammengesetzt sein." Eine solche Atomtheorie, die einen Anspruch auf Genauigkeit hätte, wurde von Bruno nicht entwickelt. Auch war diese nicht völlig neu. Demokrit, der Philosoph des Altertums, hatte eine ähnliche Theorie aufgestellt. Doch zu Brunos Zeit hatte man davon noch nichts gehört. Seine Erklärung kennzeichnete eine deutliche Trennung von den Überlieferungen des sechzehnten Jahrhunderts.
Brunos Denkweise unterscheidet sich vom modernen astronomischen Wissen hauptsächlich durch seine visionäre Betrachtung. Das heutige astronomische Universum ist auf unglaublich vielem sorgfältigen Forschen, ununterbrochenen Beobachten und auf strenger mathematischer Analyse aufgebaut. Bruno baute seinen Kosmos ohne die Hilfe teleskopischer Beobachtung; ihm fehlten sogar die genauen Beobachtungen mit dem bloßen Auge, wie sie sein Zeitgenosse Tycho Brahe anstellte. Bruno wußte wenig von Mathematik und verwendete sie daher auch nicht in seiner Kosmologie. Er verließ sich mehr auf logische und metaphysische Argumente. Wenn das Universum endlich ist, was liegt dann jenseits des äußersten Randes? Nehmen wir an, jemand stünde an der Grenze des Universums und würde einen Pfeil darüber hinaus schießen. Würde sich das Universum mit dem Pfeil ausdehnen, oder würde der Pfeil das Universum verlassen?
Diese Argumente bestärkten Bruno in seinen kühnen, scharfsichtigen Vorstellungen von der Wirklichkeit. Er war imstande, alte und nutzlose Theorien zu verwerfen und Tatsachen blitzschnell zu erfassen. Er sah, daß in dem heliozentrischen System viel mehr enthalten war, als Kopernikus erfaßt hatte. Wenn sich die Erde bewegt, warum nicht auch die Sonne? Wenn die Erde nicht der Mittelpunkt des Raumes ist, warum sollte dann die Sonne der Mittelpunkt sein? Der Raum hat tatsächlich keinen Mittelpunkt. Wäre die Sonne weit genug entfernt, würde sie wie ein Stern erscheinen, und die sogenannten Fixsterne, die selbst große flammende Sonnen sind und durch den unendlichen Raum wirbeln, sind zu weit entfernt, als daß man nachweisen könnte, daß sie sich bewegen.
Bruno versuchte nicht, die kopernikanische Beschreibung des Sonnensystems zu verbessern. Er erfaßte das Wesentliche dieses Systems und wie einfach und erhaben es gegenüber der alten geozentrischen Lehre war. Er tat wirklich viel für die Verbreitung der kopernikanischen Ideen in ganz Europa. Wenn er auch mit der Vorstellung von der äußeren Sternensphäre aufräumte, so behielt er doch, wie Kopernikus, die Idee von den kreisrunden Planetenbahnen bei. Da jedoch genaue, durch Beobachtung erworbene Unterlagen, die man gegen die Hypothese der kreisförmigen Bahnen verwenden konnte, fehlten, konnte Bruno nur wenig ausrichten. Als Kepler seine Theorie von den elliptischen Bahnen entwickelte, konnte er auf den sorgfältigen Beobachtungen der Planeten durch seinen Vorgänger Tycho Brahe aufbauen. Ob jedoch Bruno, selbst mit so genauen Unterlagen, wie Tycho Brahe sie gesammelt hatte, die allgemeinen Gesetze der Planetenbewegung hätte aufstellen können, wie es Kepler getan hat, ist zweifelhaft. Bruno, der mit seinem Verstand das Unendliche erfassen wollte, hatte weder genügend mathematisches Wissen noch die Geduld zu solcher Arbeit.
Es wurde einwandfrei festgestellt, daß Aristarchos von Samos und andere schon nahezu 2000 Jahre vor Kopernikus die heliozentrische Theorie entwickelten. Bruno hatte also auch seine Vorläufer. Der große römische Wissenschaftler Lukretius vertrat die Auffassung von einem unendlichen Universum, aber die Vorstellung, Sterne seien Sonnen, war ihm fremd. Allgemein gesprochen glaubten die Gelehrten des Mittelalters, daß nur Gott unendlich sein könne, obgleich der Philosoph Nikolas von Cusa im fünfzehnten Jahrhundert versuchte, einen unendlichen Gott mit einem unendlichen Universum in Einklang zu bringen. Während Gott an sich "absolut" unendlich ist, so erklärte Nikolas, ist das Universum "relativ" oder "verhältnismäßig" unendlich. Nachdem so die Dinge geklärt waren, wendete sich Nikolas wieder seiner Metaphysik zu. Im Jahre 1576 schrieb der englische Astronom Thomas Digges, ein Zeitgenosse von Bruno, über "den mit unzähligen Lichtern geschmückten Himmelsbogen, der in sphärische Höhe ohne Ende emporreicht" (kursiv von Digges). Doch selbst in dem unendlichen Universum von Thomas Digges waren die "unzählbaren Lichter" keine Sonnen.
Obgleich Bruno kein Wissenschaftler war, gehörte er zu den ersten, die darauf drängten, mehr Experimental-Methoden anzuwenden. Durch seinen Scharfblick und seine Vorstellungskraft wurde er zu einem Kämpfer für das kopernikanische System, und das in einer Zeit, in der die meisten europäischen Gelehrten darüber spotteten, ja, er besaß sogar den schöpferischen Genius, noch weit über Kopernikus hinauszugehen. Es war Bruno, nicht Kopernikus, der der Welt das unermeßliche Universum der modernen Astronomie mit seinen zahllosen Milliarden Sonnen, die in unermeßlichen Entfernungen leuchten, vorstellte, ein Universum, in welchem beide, Erde und Sonne, zu unbedeutender Größe und zur Nichtigkeit zusammenschrumpfen.
Für diese und andere "verschiedene schreckliche Überzeugungen" wurde Giordano Bruno im Jubeljahr 1600 verbrannt, neun Jahre bevor das Teleskop zum ersten Mal auf den äußeren Raum gerichtet wurde. So kam es, daß ein großer Prophet der modernen Kosmologie durch den alles vernichtenden Fanatismus des Mittelalters getötet wurde.