Das Geheimnis des menschlichen Bewusstseins
- Sunrise 4/1977
Neuere Studien über Eigenart und Beschaffenheit des menschlichen Bewußtseins scheinen sich um die Zentralfrage "Was ist ein menschliches Wesen?" zu drehen, ohne dabei tatsächlich in den Kern der Sache einzudringen. Die Unklarheit, die bei jenen herrscht, die den Begriff 'Bewußtsein' studieren, kann auf die Dürftigkeit unseres Wortschatzes zurückgeführt werden, der nicht ausreicht, um das feinsinnige Denken zu vermitteln, das dafür erforderlich ist. Unsere Sprache ist hauptsächlich pragmatisch und für die Erfordernisse der Technik geeignet, doch nicht subtil genug, um in die Geheimnisse des Seins eindringen zu können.
Ganz offensichtlich besteht zwischen einem menschlichen Wesen und allen anderen Arten auf diesem Planeten ein typischer Unterschied, der sich hauptsächlich daraus ergibt, daß jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, sich seiner selbst als eine besondere Individualität bewußt zu sein. Ebenso bedeutend ist die Fähigkeit, daß wir unser Denken in Raum und Zeit projizieren können, was mit anderen Worten bedeutet, daß wir abstrakt denken können. Außerdem befassen sich die Menschen auch mit dem Wie und Warum des Kosmos und der Menschheit. Gedächtnis und eine Art Vorahnung oder Vorhersehen befähigen uns - ob wir zu Hause oder im Büro sitzen und darüber nachdenken -, uns der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft bewußt zu werden oder uns die Dinge dimensional vorzustellen. Auch unsere Stimmungen liegen auf vielen Ebenen.
Diese Fähigkeiten erscheinen mit der uns angeborenen Anlage, denken zu können - ein Prozeß, der nicht nur die Bestimmung der Eindrücke umfaßt, die durch die fünf Sinne in uns eingehen, sondern auch abstrakte Begriffe oder Verallgemeinerung aus Einzelfällen ableitet; das heißt, daß wir Prinzipien oder Naturgesetze erkennen können, unter denen die Wesen wirken und irdische Ereignisse zur Auswirkung kommen. Unsere Betrachtungen, die in Wirklichkeit formlos sind, sind nicht automatisch das, was unsere Sinne uns sagen, sondern kommen aus einem Aspekt von uns, der nachweisbar jenseits der organisatorischen Fähigkeit der Gehirnzellen liegt. Es ist logischer, sich das Gehirn als ein Instrument vorzustellen, das zu dieser nicht-substantiellen Seite unseres Wesens gehört und mehr wie eine Telefon-Schalttafel eines großen Unternehmens funktioniert, anstatt als Urheber der Dinge, die wir denken, tun oder sagen und die für ein menschliches Wesen charakteristisch sind.
Was ist also Bewußtsein, wenn es etwas anderes ist als nur Bewußtheit? Ist es das, was die Natur umgibt, oder bedeutet es gar, die Einheit in der Natur zu erleben, was bei den Zen-Meistern satori genannt wird? Wahrscheinlich erfassen wir es am besten, wenn wir daran denken, daß es die Essenz eines Lebewesens, einer pulsierenden Kreatur aus Licht und Geist ist. Wir können uns dabei vorstellen, daß es Stadien gibt, in denen sich verborgene Kräfte, die aus dieser Essenz hervorgehen, entfalten, indem sie den innewohnenden Fähigkeiten einen äußeren Ausdruck geben, wobei es sich bei dem gesamten Prozeß mehr um die Evolution des Bewußtseins handelt als um die Formen, die eine aus der anderen hervorgehen. Wenn wir diese Idee noch erweitern, so können wir uns vorstellen, daß Wachstum tatsächlich die Flut des Gezeitenstromes von Wesen durch das gesamte Universum hindurch ist und sich nicht nur auf diesen unseren Planeten beschränkt.
Ohne Zweifel gibt es auf der Erde nur eine gewaltige Lebensenergie und nicht mehrere rivalisierende Energien für den begrenzten vorhandenen Raum. Wäre letzteres wirklich der Fall, dann gäbe es Anzeichen, daß verschiedene Quellen oder entgegengesetzte Strömungen zwischen den Arten vorhanden wären. Wir haben dagegen Beweise, daß eine ineinandergreifende Verwandtschaft aller Erdenwesen besteht. Einige Wissenschaftler haben diese Harmonisierung eine Biosphäre genannt, andere nannten sie ein ökologisches System. Was dem einen geschieht, betrifft das Ganze, und die Verantwortung, die auf uns ruht, ist groß, denn wir haben die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen; wir können frei wählen und haben unsere Willenskraft.
Freiheit der Wahl, Willenskraft, Imagination und Entscheidungen treffen sind keine wahrnehmbaren Fähigkeiten der Substanz an sich, sie gehören vielmehr zur formlosen Region des menschlichen Wesens, zu seinen Anlagen, zu seiner Wesenheit oder zu seinem Bewußtsein. In diesem Sinne sind wir alle Bewußtseinszentren mit unendlichen Möglichkeiten, worauf einige philosophische Systeme auch hingewiesen haben. Denn, wenn Göttlichkeit als Kreis symbolisiert werden kann, dessen Peripherie nirgends ist - weil unendlich -, dessen Zentrum jedoch überall ist, dann sind wir alle Gefäße (Repositorien) dieses Zentrums.