Porphyrios und seine Lehren
- Sunrise 4/1976
Porphyrios stand zu Recht in dem Ruf, der fähigste und konsequenteste Verfechter und Repräsentant der Alexandrinischen Schule gewesen zu sein. Er war von semitischer Abkunft und wurde im Jahre 233 in Tyros geboren, als Kaiser Alexander Severus regierte. Er war noch sehr jung, als er Origenes, dem berühmten christlichen Philosophen, anvertraut wurde, der seinerseits ein Schüler von Ammonius Sakkas gewesen war. Danach wurde er ein Schüler von Longinus in Athen, der eine Schule für Rhetorik, Literatur und Philosophie gegründet hatte. Longinus war ebenfalls ein Schüler von Ammonius und wurde als der Gelehrte des Jahrhunderts bezeichnet. Oft wurde er als "lebende Bibliothek" und als "wandelnde Philosophieschule" bezeichnet. Später wurde er Ratgeber der Königin Zenobia von Palmyra, eine Ehre, die ihn schließlich das Leben kosten sollte. Longinus sah den Erfolg seines Schülers voraus und änderte deshalb, wie es damals so üblich war, dessen semitischen Namen Melech (König) in Porphyrios oder Purpurträger um.
In seinem dreißigsten Lebensjahr sagte Porphyrios seinen Lehrern in Griechenland Lebewohl und wurde in Rom ein Schüler in der Schule Plotins. Hier blieb er sechs Jahre. Plotin schätzte ihn sehr und ließ ihn oft die jüngeren Schüler unterrichten und die Fragen von Gegnern beantworten. Bei einer dieser Gelegenheiten - es wurde Platons Geburtstag gefeiert (am siebenten Mai) - trug Porphyrios ein Gedicht vor mit dem Titel Die Heilige Vermählung. Viele der darin enthaltenen Gedanken waren mystisch und okkult, was einen der Anwesenden veranlaßte, ihn für verrückt zu erklären. Plotin war jedoch anderer Meinung und rief entzückt aus: "Du hast dich wahrlich zugleich als Dichter, als Philosoph und als ein Hierophant erwiesen!"
Daß Porphyrios ein Enthusiast war und zu Extremen neigte, war zu erwarten. Er bekam eine Abscheu vor dem Körper mit seinen Begierden und Veranlagungen und erwog schließlich die Absicht, Selbstmord zu begehen. "Das", sagte er, "sah Plotin wunderbarerweise voraus, und als ich allein umherging, stand er vor mir und sagte: 'Deine gegenwärtige Absicht, Porphyrios, ist auf keinen Fall das Gebot eines gesunden Geistes, sondern kommt vielmehr aus einer Seele, die von Melancholie befallen ist.'"
Auf Plotins Ratschlag hin verließ Porphyrios Rom und nahm seinen Wohnsitz in Lilybäum auf Sizilien. Hier erholte er sich bald, und sein Gemüts- und Gesundheitszustand wurden wieder normal. Seinen verehrten Lehrer sah er nicht wieder. Plotin stand jedoch mit ihm in Verbindung, sandte ihm Manuskripte zur Korrektur und Überarbeitung und ermutigte ihn, sich selbst als Schriftsteller zu betätigen.
Nach Plotins Tod kehrte Porphyrios nach Rom zurück und wurde selbst ein Lehrer.
Mit einer aktiveren und praktischeren Veranlagung als Plotin, mit vielseitigeren Fähigkeiten und einem größeren Anpassungsvermögen, mit einer Gelehrsamkeit, die seiner Gewissenhaftigkeit entsprach, untadelig in seinem Lebenswandel, hervorragend in der Erhabenheit und Reinheit seiner Ethik, war er wohl geeignet, alles zu unternehmen, was unternommen werden konnte, um den Lehren, für die er eintrat, Anerkennung und größeren Einfluß zu verschaffen, was für Plotin so unwichtig gewesen war.
- R. A. Vaughan
Sein Ziel bestand darin, den Kult auf ein höheres Ideal auszurichten, abergläubische Vorstellungen abzuschaffen und dem Pantheon, den Riten und den mythologischen Legenden eine spirituelle Auslegung und einen Sinn zu geben. Was gewöhnlich als Götzendienst, Heidentum und Vielgötterei bezeichnet wird, trat in seinen Werken wenig in Erscheinung, es sei denn, sie wurden als solche erläutert. Er machte es wie Plotin, der auf die Frage, warum er nicht in den Tempel gehe und an der Verehrung der Götter teilnehme, antwortete: "Es ist Sache der Götter, zu mir zu kommen."
Zu seinen Lebzeiten faßte die christliche Religion festen Fuß, besonders bei der griechischsprechenden Bevölkerung, wobei ihre Verkünder, anscheinend bis zum äußersten von blindem Eifer beseelt, untolerant waren. Die Ablehnung der alten Bräuche war so offenkundig, daß man am Kaiserlichen Hof starke verräterische Umtriebe vermutete. Ein ähnlicher Verdacht hatte den Römischen Senat veranlaßt, die nächtlichen bacchischen Riten zu verbieten, und auch gegen die abscheulichen Ungeheuerlichkeiten bei der geheimen Verehrung der Venus von Cotytto waren wirksame Maßnahmen ergriffen worden. Den nächtlichen Zusammenkünften der Christen wurde ähnlicher Charakter nachgesagt. Man versuchte daher, das alles energisch zu unterdrücken. Obwohl Porphyrios im allgemeinen sehr vorurteilslos war, lehnte er diese Lehren doch ganz entschieden ab und schrieb fünfzehn Abhandlungen dagegen. Diese wurden später bei der Verbannung durch Theodosius, ohne den Versuch einer Entgegnung, vernichtet.
Gegenüber den theurgischen Lehren und magischen Riten war er in gleichem Maße mißtrauisch. Menschen und Tiere als Opfer und für Weissagungen zu töten wurde von ihm entschieden abgelehnt, da dadurch üble Dämonen angezogen würden. "Eine richtige Auffassung über die Götter und die Dinge selbst ist das beste Opfer", erklärte er.
"Strenggenommen", sagte er, "wird deshalb der Philosoph, der auch ein Priester des Gottes ist, der über allem steht, sich aller tierischen Nahrung enthalten, weil er sich bemüht, nur durch sich selbst dem alleinigen Gott näherzukommen, ohne durch irgend etwas um ihn herum daran gehindert zu werden."
Das war der wahre Kern der neuplatonischen Lehre. "Das", sagt Plotin, "das ist das Leben der Götter und der göttlichen und gesegneten menschlichen Wesen: Freisein von allem Irdischen, ein Leben ohne menschliche Freuden und ein Flug vom Einzeldasein zum Unendlichen."
"Wer ein echter Philosoph ist", fügt Porphyrios hinzu, "ist ein Beobachter und in vielen Dingen erfahren; er versteht das Wirken der Natur, er ist scharfsinnig, enthaltsam und bescheiden und ist in jeder Beziehung der Retter und Erhalter seiner selbst.
Weder die mündliche Sprache noch das innere Mitteilungsvermögen ist passend für den Allerhöchsten Gott, wenn sie durch irgendeine Leidenschaft der Seele besudelt sind; aber wir sollten ihn in der Stille, mit reiner Seele und mit reinen Vorstellungen über ihn verehren.
Es ist nur erforderlich, sich vom Üblen abzuwenden und zu wissen, was in allen Dingen am verehrenswertesten ist, und dann ist alles im Universum gut, freundlich und mit uns verbündet.
Da die Natur selbst eine spirituelle Essenz ist, initiiert sie durch die Höhere Vernunft (nous) jene, die sie verehren."
Obgleich er selbst an Weissagung und an die Verbindung mit spirituellen Wesenheiten glaubte, mißtraute Porphyrios der Bemühung, philosophische Betrachtung mit magischen Künsten oder orgiastischen Bräuchen zu verbinden. Das geht aus seinem Brief an Anebo, den ägyptischen Propheten, hervor, in dem er ausführliche Erläuterungen verlangte über die Künste, Götter und Dämonen zu beschwören, mit Hilfe der Sterne und anderer Mittler zu weissagen, über den ägyptischen Glauben an das Höchste Wesen und über den wahren Pfad zur Seligkeit.
Obgleich wir von keinem formellen Schisma lesen, scheinen doch zwei unterschiedliche Gruppen existiert zu haben - die der Theurgen, vertreten durch Jamblichus, Proklus und ihre Anhänger, und der Schüler des Porphyrios, der Hypathia und anderer Lehrer, die darauf hinwiesen, daß eine intuitive Wahrnehmung bestehe, die in der Seele verankert sei, und daß eine Vereinigung und Kommunion mit der Gottheit durch Ekstase und Ausschaltung des körperlichen Bewußtseins eintreten könne.
Porphyrios sagt:
Durch seine Vorstellungen hatte Plotin mit Hilfe des göttlichen Lichts sich selbst zum Ersten jenseitigen Gott erhoben, und indem er zu diesem Zwecke die Wege benützte, die Plato in seinem Gastmahl erwähnte, erschien ihm die Höchste Gottheit, die weder eine Form hat, noch begriffen werden kann, sondern sich über dem Verstand und jeder spirituellen Wesenheit befindet: von der ich, Porphyrios, also sage, daß ich mich ihr im Alter von achtundsechzig Jahren einmal näherte und mit ihr vereint war. Denn das Ziel und das Bestreben bestand für Plotin darin, sich dem Gott, der über allem ist, zu nähern und mit ihm vereint zu sein. Viermal erreichte er dieses Ziel, während ich bei ihm (in Rom) war, und zwar nicht durch geistige Fähigkeit, sondern auf Grund einer unbeschreiblichen Energie.
Porphyrios lebte bis zur Regierung Diokletians und starb in seinem siebzigsten Lebensjahr. Dem späteren Platonismus hat er eine genau definierte Form gegeben, die jahrhundertelang beibehalten wurde. Selbst nach dem Wechsel der Staatsreligion war die ganze Gewalt der Kaiserlichen Regierung erforderlich, um ihn zu unterdrücken. Selbst als Justinian die Schule in Athen willkürlich schloß und die Lehrer aus Sicherheitsgründen zum König von Persien geflohen waren, gab es immer noch geheime Anhänger der platonischen Philosophie. Später trat sie auch im orientalischen Sufismus und im westlichen Mystizismus in Erscheinung und behielt ihren Einfluß bis zur heutigen Zeit.
Unter den Werken des Porphyrios, die der Vernichtung entgingen, sind seine Abhandlung über Abstinence from Animal Food / Abstinenz von tierischer Nahrung beinahe ganz erhalten; die Cave of the Nymphs / Höhle der Nymphen; Auxiliaries to the Study of Intelligible (Spiritual) Natures / Hilfen zum Studium intelligibler (spiritueller) Naturen; The Five Voices / Die fünf Stimmen; Life of Plotinus / Leben des Plotin; Letter to Anebo / Brief an Anebo; Letter to his Wife Marcella / Brief an seine Frau Marcella; The River Styx / Der Fluß Styx; Homeric Questions / Homerische Fragen; Commentaries on the Harmonies of Ptolemy / Kommentare zu den Harmonien des Ptolemäus. Seine anderen Bücher wurden auf Befehl von Theodosius vernichtet.
Die Cave of the Nymphs / Höhle der Nymphen ist in der Odyssee beschrieben, wonach sie auf der Insel Ithaka liegen soll. Die Bezeichnung ist bildlich und die Geschichte allegorisch zu verstehen. Die Alten wandten viele Gleichnisse an, und der Apostel Paulus hatte keine Bedenken, als er erklärte, daß die Geschichte des Patriarchen Abraham und seiner zwei Söhne allegorisch zu verstehen sei und der Zug der Israeliten durch das Meer und in die Arabische Wüste eine Erzählung sei, die aus Sprachbildern aufgebaut ist. Höhlen symbolisierten das Universum und scheinen in archaischen Zeiten heilige Stätten gewesen zu sein. Es heißt, daß Zoroaster Mithras, dem Schöpfer, eine Höhle geweiht und daß Kronos seine Kinder in einer Höhle verborgen habe. Plato nennt diese Welt eine Höhle und ein Gefängnis. Demeter und ihrer Tochter Persephone wurden in Höhlen Verehrung gezollt. In Norwegen kommen Grotten, die einst als Weihestätten dienten, häufig vor. Mark Twain versichert, daß die "heiligen Stätten" in Palästina von den Katholiken ausfindig gemacht wurden und daß alle Höhlen seien! Die Einweihungsriten wurden in Höhlen vorgenommen oder in einer Reihe von Räumen, die unterirdische Behausungen darstellten, "mit einem schwachen Andachtslicht". Zeus und Bacchus wurden an solchen Orten aufgezogen. Der Mithraskult, der von den Persern übernommen und über die ganze römische Welt verbreitet war, hielt seine Initiationen in Heiligen Höhlen ab.
Die Höhlen hatten zwei Eingänge, einen im Norden für die Sterblichen und einen im Süden für die göttlichen Wesen. Ersterer war für die Seelen, die aus der himmlischen Welt kamen, um als menschliche Wesen geboren zu werden, und der andere für ihr Dahinscheiden von dieser Welt himmelwärts. Ein Olivenbaum, der darüber stand, erklärte das ganze Rätsel. Er versinnbildlichte die himmlische Weisheit und deutete damit an, daß diese Welt kein Produkt des Zufalls ist, sondern die Schöpfung von Weisheit und göttlicher Absicht. Die Nymphen waren ebenfalls Kräfte der gleichen Kategorie. Wer Griechisch kann, wird dies ohne weiteres verstehen. Nymphen hatten die Aufsicht über Bäume und Wasserläufe, die ebenfalls Symbole des Geborenwerdens in diese Welt sind. Numphe bedeutet eine Braut oder ein heiratsfähiges Mädchen; numpheion ist ein Hochzeitsgemach; numpheuma eine Vermählung. Wasser wurde als numphé bezeichnet und bedeutete Zeugung. Kurz, die Höhle der Nymphen mit dem Olivenbaum stellte die Welt dar, mit den Seelen, die aus den himmlischen Regionen herniederstiegen, um hier in einer durch die göttliche Weisheit selbst festgesetzten Ordnung geboren zu werden.
Daraus können wir ersehen, daß die alten Riten und Begriffe, die jetzt als Götzendienst gebrandmarkt werden, nur eidola oder sichtbare Darstellungen geheimer und spiritueller Begriffe waren. Da diese einst mit reiner Verehrung wahrgenommen wurden, geziemt es uns, sie mit Ehrfurcht zu betrachten. Was als heilig angesehen wird, kann nicht ganz und gar unrein sein.
Die Abhandlung über tierische Nahrung umfaßt ein sehr umfangreiches Gebiet, zu dessen Besprechung der Raum nicht ausreicht. Der Kernpunkt ist natürlich, daß ein Philosoph, ein Mensch, der nach höherem Leben und nach höherer Weisheit strebt, einfach und umsichtig leben und sich aus religiösen Gründen enthalten sollte, seinen Brüdern, den Tieren, das Leben für sich als Nahrung zu nehmen. Auch für Opferzwecke Menschen oder Tiere zu töten hält er für abstoßend, dem Wesen der Götter widerstrebend und nur für niedrigere Klassen geistiger Wesen eindrucksvoll.
Er läßt jedoch jene gänzlich aus, die anstrengende Beschäftigungen verrichten. Er erklärt, seine Abhandlung "richtet sich weder an jene, die eine handwerkliche Betätigung ausüben, noch an jene, die sich für athletische Kämpfe verpflichten, oder an Soldaten, Seeleute und Schönredner, auch nicht an Menschen, die ein aktives Leben führen, sondern ich schreibe für den Menschen, der darüber nachdenkt, was er ist, woher er kam und wohin er streben sollte."
Unser Ziel ist, die Betrachtung des Wahren Seins (die Essenz, die wirklich ist) zu erreichen; wobei das erstrebenswerte Ziel ist, soweit es uns möglich ist, eine Vereinigung der betrachtenden Person mit dem Gegenstand der Betrachtung zu erreichen. Der Wiederaufstieg der Seele richtet sich auf nichts anderes als auf das Wahre Sein selbst. Der Geist (nous) ist wirklich existierendes Sein, so daß es das Ziel ist, ein Leben des Geistes zu leben.
Daher werden Reinigung und Glückseligkeit (eudaimonia) nicht durch zahlreiche Diskussionen und Übungen erreicht, noch bestehen sie in literarischen Kenntnissen; andererseits sollten wir uns aber von allem Vergänglichen befreien, das wir angenommen haben, als wir von der ewigen Region in den irdischen Zustand eintraten, und desgleichen auch von der hartnäckigen Neigung, an diesen Dingen festzuhalten. Wir sollten vielmehr unsere Erinnerung an die gesegnete und ewige Essenz, aus der wir hervorgingen, wachrufen und anregen.
Die Abhandlung über intelligible oder spirituelle Naturen ist in Form von Aphorismen geschrieben und bildet den Kern des späteren Platonismus. Wir können daraus nur ein paar Gedanken auswählen. Der Geist als solcher ist ein unteilbares Ganzes. Die Seele ist durch die physischen Leidenschaften an den Körper gebunden und wird befreit, wenn sie leidenschaftslos wird. Die Natur band den Körper an die Seele; aber die Seele bindet sich selbst an den Körper. Daher gibt es zwei Arten des Todes: die eine ist die Trennung von Seele und Körper, und die andere ist die des Philosophen, die Befreiung der Seele vom Körper. Das ist der Tod, den Sokrates in Phaidon beschreibt.
Die Fähigkeiten der Erkenntnis sind Empfindungsvermögen, Imagination und Geist. Das Empfindungsvermögen ist dem Körper und die Imagination ist der Seele zuzuordnen, aber der Geist ist selbstbewußt und wahrnehmungsfähig. Die Seele ist ein Bestandteil ohne Schwere, immateriell, unzerstörbar, sie ist im Leben gegenwärtig und ist aus sich selbst voller Leben.
Die Eigenschaften der Materie sind folgende: sie ist unkörperlich, sie ist ohne Leben, formlos, unendlich, veränderlich und machtlos, sie ist immer im Werden und existent, sie täuscht; sie gleicht einer fliegenden Spottdrossel, die jeder Verfolgung entgeht und sich in Nichts auflöst. Sie scheint voll zu sein und enthält dennoch nichts.
Von jenem Sein, das jenseits des Verstandes ist, werden viele Dinge durch Nachdenken erklärt, aber besser erkannt werden sie durch Einstellen der intellektuellen Tätigkeit. Gleiches wird durch Gleiches erkannt, weil alle Erkenntnis eine Angleichung an den Gegenstand der Erkenntnis ist.
Die Körpersubstanz ist keinerlei Hindernis für das, was essentiell unkörperlich ist; sie kann es nicht daran hindern, zu sein, wo und wie es sein will.
Ein unkörperliches Wesen, eine Seele, ist, wenn sie sich im Körper befindet, nicht darin eingeschlossen wie ein wildes Tier in einem Käfig; sie ist auch nicht darin enthalten wie eine Flüssigkeit in einem Behälter. Ihre Verbindung mit dem Körper kommt durch eine unbeschreibliche Ausdehnung aus der ewigen Region zustande. Sie wird durch den Tod des Körpers nicht befreit, sondern sie befreit sich selbst, indem sie dieses Angekettetsein an den Körper aufgibt.
Gott ist überall gegenwärtig, weil er nirgends ist; und das gilt auch für Geist und Seele. Beide sind überall, weil sie nirgends sind. Da alle Wesen und Nichtwesen von und in Gott sind, deshalb ist er weder Wesen noch Nichtwesen, noch besteht er in ihnen. Denn, wenn er nur überall wäre, könnte er alle Dinge und in allem sein; da er aber gleicherweise nirgends ist, werden alle Dinge durch ihn hervorgebracht und sind in ihm enthalten, weil er überall ist. Sie sind jedoch von ihm verschieden, weil er nirgends ist. Deshalb sind auch Gemüt und Geist überall und nirgends; und das ist auch die Ursache für die Seelen und für die Dinge, die ihnen nachgeordnet sind. Das Gemüt und die der Seele nachgeordneten Dinge sind jedoch nicht die Seele, noch besteht sie in ihnen, weil sie in bezug auf diese nachgeordneten Dinge nicht nur überall, sondern auch nirgends ist. Die Seele ist auch weder Körper noch im Körper, aber sie ist die Ursache des Körpers; weil sie überall ist, ist sie auch in bezug auf den Körper nirgends. Wenn sie aus dem Körper austritt und immer noch mit Geist und Veranlagung - von irdischen Ausdünstungen getrübt - behaftet ist, zieht sie einen Schatten an und wird schwer. Dann lebt sie notwendigerweise auf der Erde. Wenn sie jedoch ernsthaft bemüht ist, sich von diesen Dingen zu trennen, dann wird sie ein strahlender Glanz, ohne einen Schatten und ohne eine Wolke oder einen Nebel.
Es gibt zweierlei Tugenden: gemeinschaftsbezogene und kontemplative. Die ersteren werden gemeinschaftsbezogen oder sozial genannt, weil sie auf eine unschädliche und nützliche Verbindung mit anderen gerichtet sind. Sie bestehen aus Klugheit, Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit. Diese zeichnen den sterblichen Menschen aus und sind die Vorläufer der Reinigung. "Aber die Tugenden desjenigen, der zum kontemplativen Leben strebt, bestehen in der Abkehr von irdischen Belangen. Daher bezeichnet man sie auch als einen Reinigungsprozeß und betrachtet sie so, daß man von körperlicher Tätigkeit Abstand nimmt und übermäßiges Interesse für den Körper vermeidet; denn sie sind die Tugenden der Seele, die sich selbst zum wahren Sein erhebt." Wer die größeren Tugenden besitzt, hat auch die geringeren, aber umgekehrt trifft es nicht zu.
Wenn behauptet wird, daß das unkörperliche Sein ein Teil ist und dann hinzugefügt wird, daß es aber auch alles ist, so bedeutet das, daß es etwas ist, das durch die Sinne nicht erkannt werden kann.
Der Zweck besteht bei den gemeinnützigen Tugenden darin, die Leidenschaften in ihren praktischen, naturbedingten Auswirkungen in Grenzen zu halten. "Wer den praktischen Tugenden entsprechend handelt oder dazu anspornt, ist ein ehrenwerter Mensch; wer den reinigenden Tugenden entsprechend lebt, ist ein engelgleicher Mensch oder ein guter Dämon; wer allein die Tugenden des Geistes befolgt, ist ein Gott; wer die vorbildlichen Tugenden befolgt, ist ein Vater der Götter."
In diesem Leben können wir die reinigenden Tugenden erlangen, die uns vom Körper befreien und uns mit den Himmeln verbinden. Wir sind jedoch den Freuden und Leiden der Empfindungswelt zugetan und besitzen eine Bereitwilligkeit hierfür. Es ist erforderlich, daß wir uns von dieser Neigung frei machen. "Dies wird dadurch erreicht, daß wir die zwangsläufig auf uns zukommenden Freuden und die Empfindungen dabei lediglich als Heilmittel oder als eine Befreiung vom Schmerz betrachten, so daß die höhere Natur in ihrer Tätigkeit nicht behindert wird."
Kurz, die Lehren des Porphyrios, wie die der älteren Philosophen, lehren, daß wir ursprünglich vom Himmel stammen, aber vorübergehend zu Bewohnern der Erde werden, und daß es das Ziel des wahren philosophischen Lebens ist, die irdischen Neigungen abzulegen, damit wir in unseren ursprünglichen Zustand zurückkehren können.