Theosophische Perspektiven
- Sunrise 3/1976
Fragen und Kommentare zu theosophischen Aspekten und deren Einfluß auf die menschliche Erfahrung sind willkommen.
In den folgenden Zeilen, die uns ein Freund geschrieben hat, sind einige grundlegende Fragen über das Universum und die Menschen und besonders über das Wesen der Gedanken enthalten:
Die Vorstellung, daß ein Atom einem Sonnensystem gleicht, ließ mich an Einstein denken, der unsere Milchstraße mit einem Molekül in der Fingerspitze eines Riesen verglich. Obwohl ich glaube, daß er das sicher nicht wörtlich meinte, halte ich es doch für möglich. Vielleicht sind wir nur der Gedanke eines anderen gigantischen Wesens. Irgend jemand tagträumt uns ins Dasein; jemand mit so ungeheurer Intelligenz, daß sie unser Begriffsvermögen übersteigt.
Spielt Zeit dabei eine Rolle? Ein Elektron wirbelt in einem Sekundenbruchteil um seinen Kern. Könnte das nicht zwangsläufig für den Zeitbegriff des Elektrons ein Jahr sein? Und könnte unser eigenes Jahr dementsprechend nicht ein Sekundenbruchteil für den Geschwindigkeitsbegriff eines Riesen sein, so wie es die Elektronenbahn für uns ist?
"Jedes Lebewesen, welches Betätigungsfeld es auch haben mag, muß als ein Bewußtseinsstrom über nachfolgende Leben hinweg fortdauern." Hat dieser Bewußtseinsstrom ein Gedächtnis? Die Berichte in Büchern wie "Glaubt es, oder glaubt es nicht", die von Personen handeln, die sich an eine andere Zeit, an ein anderes Leben, an fremde Sprachen, an Gewohnheiten, Orte, Namen und Gesichter erinnern - sind diese Erinnerungen ein Teil jenes Stromes? Ist dieser Bewußtseinsstrom zusammenhängend? Oder ist es wahrscheinlicher, daß die einzelnen Atome oder etwas, das noch unendlich kleiner ist, in dem Strom umhergewirbelt und vermengt werden, wie es bei weitaus den meisten Menschen der Fall ist, die sich an ein anderes Leben nicht erinnern? Haben die einzelnen Atome eine Erinnerung? Das könnte die eigenartigen Erlebnisse erklären, die 'déja-vu' genannt werden - das Gefühl, daß man Orte schon früher einmal gesehen oder Ereignisse erlebt hat, bevor diese eingetreten sind.
Die Relativität zwischen Mikrokosmos - Mensch - und Makrokosmos - das ganze Universum - war ein Grundbegriff der Philosophie des Altertums. Unsere Zusammensetzung leitet sich in allen Teilen aus der kosmischen Quelle des Lebens ab, und zwar beide Aspekte, sowohl in bezug auf das Bewußtsein als auch auf die stoffliche Seite unseres Seins. Wenn das Atom als Miniatursonnensystem angesehen wird, dann folgt daraus, daß die Umlaufbahn des Elektrons um seine Protonensonne den Umkreisungen der Erde um ihren zentralen Magneten entsprechen würde. Da aber unser Beobachtungsbereich weit größer ist als der eines hypothetischen Bewohners des atomaren 'Planeten', ist seine Zeitspanne für uns eben nur ein Sekundenblitz. Wir stellen es uns wenigstens so vor, d. h. wir können uns auf diese Weise über den wahrscheinlichen Ablauf einer derartigen Situation ein Bild machen. Doch wir können die Zeitspanne nicht registrieren, während sie abläuft, weil der subatomare Bereich selbst durch unsere stärksten Mikroskope nicht erfaßt werden kann.
Die Möglichkeit, daß unser innerstes Wesen der 'Gedanke' einer riesigen universalen Wesenheit sein könnte, ist eine weitere Anregung für unsere kreative Vorstellungskraft. Wenn wir uns vorstellen können, daß wir ein Wirbel ständig schwingender und sich verändernder Kräfte sind, der selbst vom leichtesten Hauch der Gedanken und Gefühle beeinflußt wird, ergeben sich daraus interessante Vorstellungen. Zuerst wollen wir uns aber fragen: "Was sind 'Gedanken'?"
Bestimmte Untersuchungen in den letzten Jahren lassen vermuten, daß sie durch Zeit oder Raum nicht gebunden sind, denn ein Gedanke kann gleichzeitig mehreren Personen einfallen. Anscheinend erzeugen wir auch nicht neue Gedanken, die lediglich ein Produkt vibrierender Gehirnzellen sind. Unser Gehirn registriert vielmehr etwas, das im Verlauf der Denkprozesse durch es hindurchgeht und Gedanken sein können. Das heißt, man müßte eigentlich sagen, die menschliche Seele schwimmt in einem Gedankenmeer und das verbindende Glied ist ein Aspekt von uns. Je mehr wir über die Gedanken und ihre Entstehung nachdenken und sie auf individuelles Leben überprüfen, desto mehr erscheinen sie uns wie wirkliche Wesen.
Das Universum ist räumlich und zeitlich in seiner Beschaffenheit, Abstufung und Ausdehnung unendlich, so daß der Evolutionsprozeß ebenfalls unendlich sein muß, vom unmeßbar Kleinen bis zum ebenso nicht meßbar Großen. Alles Lebende ist in Familien zusammengeschlossen, die wir Hierarchien nennen können. Sie reichen vom Höchstentwickelten bis zum 'Anfänger', der gerade beginnt, die unterscheidenden Eigenschaften zu entwickeln, die zu der betreffenden Gemeinschaft gehören. Diese Auffassung können wir in der folgenden Überlieferung finden.
Es heißt, daß in einer weit zurückliegenden Zeitperiode, lange bevor unsere gegenwärtige Erde ins Dasein getreten war, Wesenheiten, die sich damals in einer dem menschlichen Zustand entsprechenden Entwicklungsphase befanden, Gedanken dachten, d. h. sie ins Dasein brachten oder ihre Kanäle wurden. Unsere Essenz, die damals die elementale Phase unserer Evolution durchlief, verschmolz sich mit ihnen auf geheimnisvolle Weise. Die einzige Möglichkeit, diesen Vorgang zu verewigen, waren die alten Mythen. Seit dieser Zeit haben wir unsere individuellen Eigenschaften in ihren verschiedenen Aspekten entwickelt oder entfaltet.
Einstein sagte, daß er überall im Universum Anzeichen der Tätigkeit einer gewaltigen Intelligenz hinter - oder in - den Naturerscheinungen sehe. Die Unendlichkeit muß mit großen und kleinen Intelligenzen angefüllt sein. Es ist die Fülle der anscheinenden Leere, wie es die orientalischen Denker ausdrückten. Für sie bestand die anscheinend solide Materie unseres vertrauten Daseins ebenfalls nur aus Löchern, als 'Leere' - eine Auffassung, die durch unsere neuesten Forschungen mittels Elektronenmikroskopen und anderen Apparaturen bestätigt wird.
Wenn wir die Unendlichkeit betrachten, stehen wir in der Mitte - denn sie ist, wo wir auch stehen mögen, von jedem Ort aus unendlich. Und wir befinden uns alle gemeinsam in ihr und setzen uns aus denselben kleineren Lebewesen der Moleküle und Atome zusammen. Tatsächlich sind alle die Scharen von Teilchen und Energien Bewußtseinszentren, die sich auf verschiedenen Stufen der Selbstwerdung befinden. Wir schulden einander die freiwillig akzeptierte Verantwortung, uns in diesem Lebensprozeß zu helfen, denn es kann tatsächlich niemand wachsen, ohne seine Mitgefährten zum Guten oder Schlechten zu beeinflussen; zum Guten, wenn er wirklich hilft; zum Schlechten, wenn er eine aggressive Haltung einnimmt oder subjektiv voreingenommen ist. Unsere eigene Pflicht sollte dabei klar sein.
Nun zum Gedächtnis: Wir wissen, daß die Computer arbeiten, indem sie einen 'Eindruck' von und auf magnetisierte Teilchen erhalten. Die Daten werden in die Apparate so 'eingegeben', daß die Informationen auf Wunsch durch die richtige Schaltung oder Methode wieder 'zurückgerufen' werden können. Auch wir sind im physischen Teil unserer Natur elektrisch geladen. Der Körper ist der äußerste Bereich dieses Magnetfeldes, das der Mensch, wissenschaftlich betrachtet, ist.
Der wirkliche Mensch ist das Zentrum, aus dem der Magnetismus durch alle Bereiche seines Wesens fließt und seine Qualität dem ganzen Wesen - vom Allerfeinsten oder Höhergeistigen bis zu dem Dichtesten und für unsere Sinneswahrnehmung Faßbarsten - aufprägt. So erscheint es logisch, daß alle Eindrücke, die wir in unserem gesamten Kosmos erzeugt haben, auch wieder zurückgerufen werden können. Aber - wozu diese Erinnerung?
Der Eindruck vergangener Erfahrungen wird bestimmt in der zentralen magnetischen Fadenseele gespeichert, die sie wie auf einem Band festhält und ein für allemal aufbewahrt. Das ergibt noch einen weiteren Grund, weshalb wir unsere Gedanken gut hüten sollten, denn es geht nichts verloren, es wird nichts begraben oder völlig vergessen. Oder, um die bildliche Darstellung des Stromes zu verwenden: Wir alle fließen in dem großen Lebensfluß dahin als individuelle Tropfen, die mit der Freiheit der Wahl begabt sind, welche in vergangenen Zeitaltern errungen wurde und jetzt nur soweit begrenzt ist, wie wir uns spirituell aus unserem verborgenen Herzen entwickelt haben. Die Quelle des Flusses, der mittlere Abschnitt und der Eintritt in das Meer des unendlichen Bewußtseins - alles ist eins, alles ist ein Strom.