Der phänomenale Lotse
- Sunrise 2/1976
Vierzig Jahre lang konnten die heimtückischen Strömungen, Felsenriffe und Krümmungen der französischen Meerenge im Inselreich von D'Urville unweit der Neuseeländischen Küste durch das Mitwirken und die Unterstützung eines ungewöhnlichen Tümmlers sicher durchfahren werden.
Alles begann, als im Jahre 1871 der Schoner Brindle von Boston nach Sidney unterwegs war und sich behutsam seinen Weg durch diese Passage suchte. Die Besatzung bemerkte zuerst das riesige blau-graue Ungetüm, das vor dem Bug spielerisch hochsprang. Es war ein regnerischer, nebliger Tag mit schlechter Sicht, doch als die Brindle dem Tümmler folgte, stellte man fest, daß sie auf der gefährlichen Durchfahrt immer tiefes Wasser unter sich hatte. Das war der Anfang einer unglaublichen Karriere.
In den nächsten vier Jahrzehnten begleitete "Pelorus Jack", wie er genannt wurde, die Schiffe und brachte sie sicher durch die Meerenge. Sein Ruhm verbreitete sich, und er wurde den Seeleuten der sieben Weltmeere, die Ausschau nach einer gefahrlosen Durchfahrt und dem Geleit dieses außergewöhnlichen Lotsen hielten, bestens bekannt. Passagiere und Mannschaften hielten gleichermaßen nach ihm Ausschau und freuten sich, wenn er im Pelorus-Sund erschien. Nun würde er längsseits des Schiffes Meile für Meile an der Fahrt teilnehmen; zuerst an der einen Seite, dann an der anderen wie ein Hund, der Schafe oder Kühe hütet, bis das Schiff die schaumgepeitschten Wasser des französischen Kanals erreicht. Dann wird er plötzlich vorauseilen, sich in Sichtweite des Steuermanns halten und den Weg durch tiefes Wasser zeigen, bis die Gefahr vorüber ist.
Nur einen Zwischenfall gab es in der Laufbahn dieses ungewöhnlichen Lotsen. Es war im Jahre 1903 auf einem Schiff namens Penguin. Ein Passagier, der aussah, als hätte er sich zu lange an der Schiffsbar aufgehalten, erschreckte "Pelorus Jack" mit einem Pistolenschuß. Die Schiffsmannschaft war so wütend, daß sie gewaltsam daran gehindert werden mußte, den Betrunkenen auf der Stelle zu lynchen. Zwei Wochen blieb Jack aus und unterließ es, sich zum Dienst zu melden. Als er endlich wieder erschien, erließ die Regierung von Wellington, Neuseeland, eine Anordnung, die ihn vor Belästigungen schützen sollte; ein Gesetz, dem alle Seeleute freudig Geltung verschafften. "Pelorus Jack" traf die Penguin nie wieder, die Seeleute weigerten sich, auf ihr anzuheuern, weil sie glaubten, das Schiff bringe Unglück, und schließlich lief sie auf ein Felsenriff auf und sank, wobei beträchtlicher Verlust an Menschenleben zu beklagen war.
Dieser berühmte Delphin lotste von 1871 bis zum April 1912 Hunderte von Schiffen durch diese trügerischen Gewässer ohne einen einzigen Schaden. Danach wurde er niemals wiedergesehen. Wahrscheinlich war er zu alt oder ist das Opfer seiner natürlichen Feinde geworden. Die Lücke, die er hinterließ, wurde nie wieder geschlossen. Noch immer wird von ihm gesprochen, sowohl bei den Seeleuten und den Wissenschaftlern, die ihn beobachtet hatten, als auch bei den Passagieren und anderen Leuten, die über diesen unermüdlichen, unentgeltlichen Lotsen erstaunt waren und sich über ihn gefreut hatten. Sein Rekord in der Lebensrettung ist in den Annalen der Seefahrt unübertroffen und wurde in ein prächtiges Standbild, das seine vielen dankbaren Freunde an der Küste von Neuseeland von ihm errichteten, eingraviert.
Im Englischen übernommen aus The Ensign, Februar 1962