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Okkultismus und psychische Phänomene

Aus Studies in Occult Philosophy.

 

 

Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Wohin gehen wir? Was ist das Universum, das uns umgibt, in dem wir leben, uns bewegen und unser Sein haben und von dem wir alle wesentliche und völlig untrennbare Teile sind? In den Antworten auf diese Fragen liegt der eigentliche Kern des wahren Okkultismus, des einzigen Okkultismus, der diesen Namen verdient. Der echte Okkultismus der archaischen Zeitalter hat nichts mit übernatürlichen und unheimlichen Dingen zu tun, wie das allgemein und irrtümlich angenommen wird - er hat damit überhaupt nichts zu tun, er hat diese Dinge nur zu prüfen und sie bestenfalls als psychische Randerscheinungen und schlimmstenfalls als psychische und sittliche Abnormitäten oder Wahrheitsentstellungen abzulehnen. Wahrer Okkultismus befaßt sich ausschließlich mit den Geheimnissen des universalen Seins, und je mehr man sich dem großen schlagenden Herzen des Universums nähert, desto tiefer erfaßt man den inneren Sinn und das Wesen des wahren Okkultismus.

Die sogenannten okkulten Künste oder okkulten Praktiken, die die soi-disant (angeblichen) Magier aller Zeiten und Länder der Erde ausübten, teils mit relativ geringem Erfolg, teils erfolglos, liegen nur am Rande der großen Wahrheiten des universalen Seins. Diese sogenannten psychischen Praktiken und Phänomene - was sind sie wirklich? Sie sind lediglich das Wirken gewisser wenig verstandener und völlig untergeordneter Kräfte des Menschen, die in und durch seine Konstitution wirken, und das ist alles. Sie sind alles andere als erstrebenswerte Dinge oder Ziele; sie sind nicht der Mühe wert und ziehen - was viel schlimmer ist - die Aufmerksamkeit von den großen Realitäten ab, anstatt das Denken zu erweitern und das Herz in rhythmischer Harmonie mit dem großen Herzen des Weltalls schlagen zu lassen.

Psychische Praktiken und die daraus entstehenden Phänomene und Folgen engen, selbst bei bescheidenem Erfolg, die ätherischen und psychischen Hüllen des Bewußtseins ein, die den verkörperten Strahl des Geistes umgeben. Sie begrenzen daher unseren Gesichtskreis, schließen uns in einen eng begrenzten Bewußtseinshorizont ein und wirken daher auf und in uns genau entgegengesetzt zu dem, was der wahre Schüler des archaischen Okkultismus beabsichtigt, denn dieser strebt ja danach, das persönliche oder menschliche Selbst zu erweitern, um seinem eigentlichen Wesenskern, seinem 'Vater im Himmel', gleich zu werden - nicht nur ihm gleich zu werden, sondern im Bewußtsein immer mehr eins zu sein mit dem Selbst des galaktischen Universums. Wahrlich, es ist so, wie die alten vedischen Weisen Hindustans so großartig lehrten, tat twam asi: JENES, das Grenzenlose und Du sind eins!

So ist der Pfad. Er ist ein Sichöffnen oder Erweitern des inneren Wesens, des Bewußtseins, und eine Verfeinerung der Hüllen, die dieses Bewußtsein umschließen; er ist ein Entwickeln, ein Erweitern, ein immer Größerwerden. Dieser Pfad ist tatsächlich eine Methode und eine Schulung, die eine enorm beschleunigte spirituelle, intellektuelle und psychische Entwicklung der menschlichen Konstitution bewirkt. Er weicht dabei in keiner Weise vom Universum ab, sondern befindet sich immer mehr und mehr in Übereinstimmung mit ihm und geht darin auf. Doch, wenn diese Entwicklung ein sicherer, vernünftiger und wirklicher Weg sein soll, führt sie dahin, wo wahre innere Größe zu finden ist, auf dem Pfad der inneren Entwicklung und des inneren Wachstums.

Die Sucht nach psychischen Übungen und Phänomenen und die Energie und die Kraft, die dafür eingesetzt werden, sind wahrhaftig eine bedauernswerte Verschwendung kostbarer Zeit. Werden die Fähigkeiten auf diese Dinge konzentriert, so schaltet sich sozusagen der innere Motor des Bewußtseins um, der psychische Motor wird in den Rückwärtsgang geschaltet, und man geht rückwärts anstatt vorwärts. Die okkulten Künste sind leicht auszuüben, sobald man erst ihr Geheimnis kennt, und diese Geheimnisse sind leicht zu entdecken. Die Ursachen psychischer Phänomene können sogar noch leichter entdeckt werden - Phänomene wie das beschränkte Hellsehen, das trügerische und oft irreführende Hellhören, das belanglose Gedankenlesen. Derartige Dinge sind psychische Resultate, die lediglich unserer mittleren menschlichen Bewußtseinsschicht angehören - und das Schlimmste daran ist, daß es gerade diese Dinge sind, die heute die Gemüter der Menschen anscheinend faszinieren. Die Leute laufen ihnen nach und verlieren bei dieser Jagd oft die Richtung, wenn nicht sogar ihr inneres Gleichgewicht, und am Ende dieses wahnsinnigen Laufes lauert das Irrenhaus oder, was vielleicht viel schlimmer ist, es öffnet sich das Grab des Selbstmörders. Zählt, wenn ihr wollt und könnt, die gebrochenen Herzen und die zerrütteten Gemüter am Wege. Diese Praktiken enthalten nichts, was spirituell und intellektuell inspiriert, nichts, das mit der heiligen Flamme unpersönlicher Ergebenheit die abstrakte Wahrheit offenbart - nichts. Vergleicht dagegen diese Dinge mit der einfachen Größe der Lehren alter Weiser und Seher, der Meister des wahren Okkultismus vergangener Zeiten: Mensch, erkenne Dich selbst, denn in Dir liegen alle Geheimnisse des Universums, und seine Bestimmung ist die Deine, und Deine Bestimmung ist die seine.

Das göttliche, spirituelle Selbst in uns ist der Pfad, dem wir folgen müssen, wenn wir zum Herzen des Universums streben. Lerne verstehen, Mensch, daß Deine Mitmenschen und Du im Wesenskern gleich seid, daß Du und das ganze Universum im Grunde eins seid. Das ist Okkultismus: Die Lehren, die die Geheimnisse der verborgenen Dinge enthalten, die Wissenschaft der geheimen Dinge.

Die Worte 'Okkultismus' und 'okkult' sind nicht neu; historisch stammen sie aus dem Mittelalter der europäischen Völker. Petrus Peregrinus schreibt, daß man im zwölften und dreizehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mit "Okkultismus" nur das "Studium der Natur" bezeichnete; heute wird es als Experimentalwissenschaft bezeichnet und bedeutet das Studium der Dinge, die früher verborgen, unbekannt, geheim waren. Erst später wandte sich das Denken der abendländischen Menschen infolge des Zusammentreffens einer Reihe karmischer Schicksalslinien in eine mehr oder weniger streng theologische Richtung, und die Neubelebung der experimentellen Erforschung der Natur, ihrer Erscheinungen und Geheimnisse verzögerte sich bis zu einem Zeitpunkt, der relativ kurz vor der französischen Revolution lag.

Die heutigen Wissenschaftler, Chemiker, Biologen, Astronomen, Physiker sind daher 'Okkultisten' im ethymologischen Sinne des Wortes; und wenn sie die bekannten Grenzen auch nur geringfügig überschreiten, und wenn sie auch nur ganz wenig hinter den Schleier des Sichtbaren dringen, so sind sie doch experimentelle 'Okkultisten', d. h. Erforscher des Unsichtbaren, Entdecker des Unbekannten, Sucher nach neuer Wahrheit - indem sie das Verborgene entdecken und das Geheime offen darlegen. Es ist natürlich klar, daß die mehr ethymologische Bedeutung des Wortes, obgleich sie sehr interessant ist, nicht die erhabene Bedeutung des archaischen und auch nicht des modernen Okkultismus enthält: Die Brahma-vidyâ, die göttliche Wissenschaft.

Der echte Okkultist ist allerdings auch ein experimenteller Wissenschaftler, weil auch er ein Entdecker verborgener Dinge ist, und weil auch er in die tiefen Abgründe des innersten Wesens der Natur eintaucht. Jedoch, anstatt seine Arbeit und seine Entdeckungen auf die materielle Ebene zu begrenzen, weiß er, daß Mutter Natur eine gewaltige organische Wesenheit ist, von der unsere äußere, physische Sphäre nur die äußere Schale, die äußere Hülle oder der Körper ist, und daß es die unsichtbaren Welten sind, die die kausalen Elemente des Seins und aller Wesen enthalten, die in unserer äußeren Sphäre alles hervorbringen, was um uns herum sichtbar ist.

Wenn wir unseren Gedanken etwas weiter verfolgen, sehen wir daher, daß Okkultismus die Erforschung der inneren und unsichtbaren Welten des Seins bedeutet und das Kennenlernen dessen, was sich dort befindet, einschließlich der Heerscharen von Wesen, die diese unsichtbaren Welten bewohnen. Man kann kein wahrer Okkultist sein, ehe man nicht, wie H. P. Blavatsky betont, ein unpersönlicher Diener der Welt wird, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man dem Pfad nicht folgen kann, weil man bei solch erhabener Entdeckung keinen Erfolg haben kann, bevor man nicht durch und durch unpersönlich ist, dem großen Dienst für alles Seiende bis zum letzten Atom völlig ergeben ist, und ehe nicht das Herz mit einer unpersönlichen Liebe erfüllt ist, die keine Grenzen und Einschränkungen für Zeit und Raum kennt. Man kann nicht in die inneren Welten schauen, wenn die Gedanken sich ständig in einem irren Tanz der Gefühle oder in geistiger Erregung befinden, in einem wahren danse macabre mit tollen Kapriolen kleiner Gedanken um kleine Dinge, eingeengt und umgeben von dem begrenzten persönlichen menschlichen Bewußtsein des Menschen, dessen Gedanken auf sich selbst und nicht auf die Welt gerichtet sind. Selbstvergessen, ein mutiger Sprung in das Unbekannte, mit dem flammenden Feuer des Geistes, das den Pfad vor den Füßen beleuchtet, und vollkommenes und absolutes Vertrauen in den inneren Gott kennzeichnen den echten Okkultisten.

Die Ursachen psychischer Phänomene, die zu allen Zeiten von intelligenten Beobachtern festgestellt wurden, entstehen aus der unregelmäßigen Funktion der Prinzipien in der Konstitution von Männern und Frauen, bei denen diese Prinzipien mehr oder weniger lose miteinander verbunden sind und dadurch oft ungleichmäßig und unvollkommen funktionieren. In solchen Menschen wirken die Prinzipien der Konstitution ungeregelt und rufen seltsame und ungewöhnliche Wirkungen im menschlichen Gehirn hervor, woraus sich ungewöhnliche und merkwürdige Zustände und Erscheinungen - 'Phänomene' - ergeben.

Aus diesem Grunde gehört das Studium der psychischen Praktiken und Phänomene zum Studium der niederen Schichten des menschlichen Bewußtseins. Durch dieses Studium erfährt man weder große Wahrheiten über die Natur, noch bringt es für den einzelnen oder für das Menschengeschlecht irgendeinen bleibenden Nutzen. Diese Künste oder Praktiken und ihre Begleiterscheinungen sagen uns nichts über die großen Wahrheiten des Universums; sie enthüllen nichts über den Ursprung der Dinge, auch nicht über das Wesen der Welt, ihren Charakter, ihre Struktur, ihr Wirken und ihre Gesetze. Wie aber kann ein Mensch etwas über das Geschick der unsterblichen Göttlichkeit, die in ihm leuchtet, erfahren, wenn er in einen verdunkelten oder in einen hell erleuchteten Raum eintritt, darin nach Phänomenen sucht, oder wenn er seinen individuellen Willen und seinen Verstand den völlig unverantwortlichen und meist üblen Bewohnern der Astralwelt unterwirft? Diese Künste und Phänomene existieren natürlich; ihre Existenz ist unbestritten. Doch worin liegt ihr Wert? Bieten sie einen unwiderleglichen Beweis für das Fortbestehen des Bewußtseins nach der physischen Auflösung? Überhaupt nicht; sie geben keinen wirklichen Beweis!

Und was das Wort 'psychisch' oder genauer die Psyche betrifft, was ist das? Es ist ein griechisches Wort und bedeutet den mittleren Teil der menschlichen Konstitution, d. h. die niedere menschliche Seele. Der christliche Apostel Jakobus sagt in seinem Brief (3:15): "Das ist nicht die Weisheit, die von obenherab kommt, sondern irdisch, menschlich, teuflisch." Das Wort, das hier mit 'menschlich' übersetzt wird, lautet im Griechischen 'psychisch'. Aber die Weisheit, die von oben kommt, die der Mensch im spirituellen Herzen seines Wesens bereits besitzt, ist die Weisheit unpersönlicher Hingabe, ist Liebe zu seinen Mitmenschen, ist in der Tat Liebe, die keine Grenzen kennt, die in ihren weiten Bereich nicht nur alle Menschen, sondern auch die Tiere und Pflanzen und Steine einschließt, ja, die selbst bis zu den Sternen am Himmel reicht.

Das ist die Weisheit von oben, barmherzig, gütig, friedfertig, rein und heilig. Sie führt uns in den großen Frieden, den Frieden, der alle Sinne zum Schweigen bringt, so daß die innere Stimme immer mehr vernommen werden kann. Es ist die Weisheit, die den Menschen intuitiv mit den tiefsten und größten Geheimnissen der kosmischen Natur bekannt und vertraut macht. Es ist die Weisheit der selbstlosen Hingabe von allem, was man ist, für den kooperativen Dienst mit allem Lebenden.

Daher ist Okkultismus das Studium und die Erforschung der geheimen, verborgenen Dinge; wir müssen das Studium jedoch richtig betreiben, mit reinem Herzen und unpersönlichen Motiven, denn sonst ist es sehr wohl möglich, daß wir auf Seitenwege gezogen werden, zur niederen Weisheit, und unsere Zeit bestenfalls mit psychischen Praktiken und Experimenten vergeuden und schlimmstenfalls in reiner Zauberei enden. Wahrscheinlich werden viele diese Behauptung bezweifeln, und dennoch sind Zauberei oder Teufelskult Tatsachen. Man kann heute Männer und Frauen finden, die andere durch üble Magie in Form von Worten, durch Suggestion, durch Vorführungen, durch Unterweisung, durch Irreführung und falsche Belehrung beeinflussen, wodurch menschliche Seelen absichtlich verderbt werden, und ich weiß nicht, ob es eine schlimmere Zauberei gibt als diese. Der Okkultist muß eine reine Seele und einen unbeugsamen Willen haben, um im Erreichen seines Zieles erfolgreich zu sein, und er muß ein Herz haben, in dem Mitleid und sein anderes Ich, die Liebe, vorherrschen; eine Seele, die von allen persönlichen Wünschen reingewaschen ist. Dann ist er sicher geschützt und, was noch wichtiger ist, seine Mitmenschen sind auch geschützt und können ihm vertrauen.