Die große Aufgabe
- Sunrise 1/1975
Dem Phönix gleich, hat sich der Mensch wieder und wieder aus der Asche zeitweilig ausweglos erscheinender Situationen erhoben. Nur er selbst kann den goldenen Faden seines unsterblichen Geistes zertrennen, der ihn mit der ewigen Zukunft verbindet.
Wenn wir über die Osterzeit nachdenken, nimmt die Symbolik der Christusgeschichte eine tiefere und universalere Bedeutung an. Durch Gedankenträgheit wurde der Geist einer neuen Zeitepoche gekreuzigt, anstatt ihm in unseren Herzen Raum zu geben. Ein Sündenbock wurde gesucht, um die eigene Schwäche und Unwissenheit zu verdecken. Dabei kann ein Körper gekreuzigt worden sein, aber es muß nicht sein. Doch weit wichtiger ist, daß eine zweitausendjährige Geschichte bewiesen hat, daß der Geist des Menschen weder töten noch getötet werden kann; daß keine Waffe ihn zerstören und keine Fessel ihn binden kann. Zerstöre sein Vehikel und er wird in neuen und stärkeren Behausungen Verkörperung finden.
Wir stehen jetzt vor der großen Aufgabe, dem Geist einer neuen Periode von zweitausend Jahren zur Geburt zu verhelfen, die jener Ära folgt, die durch den simplen, aber dramatischen Vorfall gekennzeichnet war, daß in der Herberge kein Platz war, um das zu empfangen, was geboren werden sollte. Wenn wir die äußere Schale der Verwirrung und Verzagtheit durchdringen, können wir ein dynamisches, hoffnungsvolles Drängen wahrnehmen - ein Suchen nach dem Raum in der Herberge der bestehenden Bequemlichkeit, in welcher dieser neue Geist sich ausbreiten möchte. Sind die Wohnungen, die heute zur Verfügung stehen und aus den Gepflogenheiten und Gewohnheiten der Vergangenheit erbaut wurden, wieder mit Anhängern einer sterbenden Tradition überfüllt?
Eine Tatsache, in der wir mit Oliver Wendell Holmes übereinstimmen, ist die: Die Zivilisation wird ihre bisherige Beschränktheit hinter sich lassen und einer Zukunft entgegengehen, die ihrer würdig ist. Jedesmal, Zeitalter um Zeitalter, wenn die Moral nachläßt und Ungerechtigkeit zunimmt, sucht die Wahrheit nach einer besseren Möglichkeit, in den Herzen der Menschen zum Ausdruck zu kommen. Abgenützte Begriffe werden beiseitegeworfen, und der Mensch kleidet sich in die Gewänder einer neuen Epoche, in der hoffentlich alle in Gerechtigkeit und Freiheit leben können.
Vielleicht weist der Stern, der uns in dieser Zeit leitet, bereits den Weg. Vielleicht ist der neue Geist bereits geboren - geboren in dem mystischen 'Stall', der die Hoffnung der demütigen, aber mutigen Menschen dieser Welt birgt, deren Vertrauen einem unerschütterlichen Glauben an die Zukunft entspringt. Man braucht nur an der Oberfläche des heutigen Lebens zu schaben, um zu erkennen, daß bei ruhiger Überlegung bei den meisten Menschen nicht nur der Wunsch nach konstruktiver Arbeit für das Wohl anderer vorhanden ist, sondern gleichermaßen auch ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß die Bürde des Fortschritts auf den Schultern jedes einzelnen von uns ruht.
Durch die Linse einer erweiterten Perspektive können wir die Entfaltung völlig neuer Werte erkennen, die jedoch noch von widerstreitenden Elementen zurückgehalten werden. Das Zeitalter des Weltraumbewußtseins hat in der Tat die Möglichkeit geschaffen, die gesamte Menschheit auf eine höhere Ebene des Wachstums und der Erfahrung emporzuheben, vorausgesetzt, daß wir den göttlichen Impuls, der dieses Bewußtsein weckte, nicht ignorieren.
Es gibt nichts Endgültiges; keine Grenzen für das Wachstum des menschlichen Bewußtseins; keine Einengung für die geistigen Energien, die zum Menschen fließen können; keine Hindernisse für den Austausch und die Zirkulation zwischen dem kleinsten atomaren Teilchen unseres Universums und dem entferntesten Stern oder der fernsten Sonne. Lassen Sie uns daher mit Weisheit und Mut an die große Aufgabe unserer Zeit herangehen.