Altruismus mit Verantwortung
- Sunrise 3/1974
Mein Kontakt mit der jüngeren Generation nimmt ständig zu. Das ist jedesmal eine kleine Herausforderung, weil wir aus der Vergangenheit zu der Zukunft sprechen. Vor nicht langer Zeit kam ein junger Mann kurz auf Besuch, um zu plaudern. Er ist Student mit Leib und Seele und erwähnte Ouspensky, Gurdjieff, Aldous Huxley und andere. Überrascht war er, deren Bücher in meinen Regalen zu finden. Als er Zen erwähnte, waren auch Dr. Suzukis Bücher gleich zur Hand. Das sind Bücher, die nach vielen Jahren wieder sehr gern gelesen werden; es ist, als sei ein Zyklus zurückgekehrt. Doch diesmal kommen noch andere Bücher hinzu - jene, die Drogen empfehlen und deren Gebrauch befürworten.
Kürzlich brachte mir ein junger Freund ein Buch von Alan Watts. Es beschreibt in allen Einzelheiten genau die Erfahrungen, die durch die Drogen hervorgerufen werden, die Menge und Art der Droge, die verwendet werden muß, um das zu erzeugen, was er ein schönes spirituelles Erlebnis nennt, wobei er erklärt, daß es sich dabei nicht um Halluzinationen handelt. In jungen Jahren war der Autor im Zen unterrichtet worden. Heute denkt er mit Verachtung an die schwierige Schulung zur Erlangung einer Erfahrung, die, wie er meint, so leicht durch den Gebrauch von Drogen erwirkt werden kann. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß beide Erfahrungen völlig verschieden sind. Der wirkliche Zen-Lehrer ist meiner Meinung nach daran interessiert, den Schüler selbständig zu machen und ihn nicht mit dem Löffel zu füttern, als wäre er ein kleines Kind. Letzten Endes muß doch jeder seinen eigenen Weg finden. Jeder Roshi nimmt selbstverständlich an, daß, wer Belehrung sucht, nur kommt, wenn er willens ist, die Schulung auf sich zu nehmen, um seinen eigenen spirituellen Willen zu entwickeln. Halbherzige Bemühungen führen niemals zum Erfolg. Der Wert jeder Errungenschaft liegt in der Erfahrung, die dazu geführt hat. Ich bin überzeugt, daß die Aussicht von einem Berggipfel durch die Schwierigkeit des Emporkletterns noch reizvoller wird.
Unter meinen vielen Zen-Freunden ist mir keiner bekannt, der sofort klipp und klar eine Beschreibung des Satori hätte abgeben können - wie jene, die eine 'Vision' erleben, die durch Drogen hervorgerufen wurde. Satori (intuitive Innenschau) ist unter gar keinen Umständen mit "Erleuchtung" oder "Aufklärung" gleichzusetzen. Vielleicht ist es so, daß der Schleier der Illusion für einen Augenblick ein klein wenig gelüftet wird, aber das geschieht nur, nachdem der mentale Prozeß in ein intuitives Bewußtsein übergegangen ist. Der ganze lebende Mensch ist betroffen, und das ist bei Hypnose und bei Drogen nicht möglich. Zu einer echten Erfahrung kann man nur auf realistische Weise gelangen, jedenfalls auf dieser gegenwärtigen Entwicklungsstufe.
Ich kann es verstehen, daß mein junger Freund, der im Zeitalter der Automatik aufgewachsen ist und daher erwartet, daß jeder Wunsch sogleich erfüllt wird, glaubt, daß die Verwendung von Drogen doch eine einwandfreie Methode für Bewußtseinserweiterung ist, trotz des Beweises über deren schädigende Einflüsse. Wie kann man aber dieser Generation erklären, daß man sich nur durch bewußte Zielstrebigkeit, nur durch eigene Anstrengung in eine andere Dimension erheben kann. Wir werden nur inspiriert, wenn das mentale und das spirituelle Wachstum sich mit dem physischen Handeln vereinen. Nur in dieser disziplinierten Weise können wir vorwärts schreiten. Das erreicht man nicht auf Seitenwegen. Wachsamer muß man werden und seinen Weg durch die Ereignisse des Tages und der Stunde finden und dabei die gelernten Lektionen unmittelbar in Handlungen umsetzen. Wir leben in physischen Körpern in einer physischen Welt. Wenn wir das noch nicht einmal mit verantwortungsvollem Altruismus vollbringen, wie können wir dann einem höheren spirituellen Status zustreben, ganz gleich, welche Mittel verwendet werden?
Warum aber gerade Theosophie, fragen meine jungen Besucher, wenn sie meine übrigen Bücher sehen. Darauf kann ich nur antworten, daß ich die anderen Bücher wohl gelesen habe und auch andere Theorien studierte, dann aber das angenommen habe, was für mich Wahrheit ist. In ihrer Sprache ist das "mein Ding." Doch ich versichere ihnen, daß dieser Weg ganz verschieden ist von ihren mühelosen, unwürdigen Methoden, mit Rauschgift und Hypnose oder irgendwelchen anderen äußeren Mitteln "Erleuchtung" hervorzurufen. Es ist wie mit Christoph Kolumbus, der, nachdem er ein paar kleine Inseln im Karibischen Meer entdeckt hatte, heimsegelte, um zu berichten: "Seht, wir haben die westliche Hemisphäre entdeckt" - dabei hatte er aber das gewaltige Gebiet von Nord- und Südamerika übersehen, von dem er nichts wissen konnte, solange ihm die Idee, daß es vorhanden sein könnte, gar nicht kam.
Die Schwierigkeit besteht darin, die zwei Arten der Erfahrung zu erklären. Für den Unwissenden, der darüber nicht informiert ist, scheinen sie fast gleich zu sein. Von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, stellen sie aber in Wirklichkeit zwei ganz entgegengesetzte Pole dar. Das große Interesse an Spiritismus, Yoga, Zauberei, Hexerei, Wahrsagen - all das erinnert sehr an frühere Zeiten. Wenn ich auf diese Kulte und Methoden stoße, so empfinde ich sie gewissermaßen als derb und plump. "Wird hier nicht Spiritismus mit der Entwicklung des Geistes durch eigene Anstrengung verwechselt?" "Ist das Motiv für den Wunsch nach Macht über andere überprüft worden?" Ich glaube, wir sollten keine Kompromisse schließen - ich stelle nur diese Fragen und dann warte ich und lasse die Antworten von innen kommen.
Meine Anteilnahme und mein Interesse für die heutige Generation junger Leute läßt mich an die ersten Jahre dieses Jahrhunderts zurückdenken. Wir waren an allem so unheimlich interessiert; wir experimentierten - nicht mit Drogen und Hypnotismus, sondern mit Ideen. Ich brauche nur die mit Randbemerkungen versehenen Bücher in meiner Bibliothek zu betrachten und weiß, wo ich stand, was ich suchte und was mich dazu führte, gewisse grundlegende Wahrheiten anzunehmen. Das Verständnis dafür wächst unaufhörlich, so daß das Ende des Wissens immer in weiter Ferne liegt.