Zwei große Lichtbringer
- Sunrise 2/1973
Religiöse Debatten sind meist ohne jeglichen Wert, denn gewöhnlich mangelt es dabei an Wissen, oder das Ganze wird von einem begrenzten Gesichtspunkt aus betrachtet. Vor wenigen Jahren hatten die Wissenschaftler eine heftige Auseinandersetzung wegen der Begriffe heiß und kalt. Sie teilten sich dabei in zwei Lager. Die einen waren für heiß und die anderen für kalt, wobei jede Partei den Standpunkt der anderen verächtlich machte. Und wo sind diese Argumente heute? Sie wurden begraben durch neue Erkenntnisse - durch die Tatsache, daß heiß und kalt genau abgemessene molekulare Schwingungsgrade darstellen, wodurch zwei verschiedene Wahrnehmungen vereinigt werden. Die Begriffe heiß und kalt gelten noch, aber sie sind nicht richtig, wenn man sie von der Wahrheit als Ganzes isoliert betrachtet.
Analog verhält sich das religiöse Denken oft genauso. Wie rar sind jene Menschen, die den Gipfel erreicht und dadurch einen Überblick von der spirituellen Höhe aus hatten. Wir, die übrigen kleinen Lichter, können mit unserem begrenzten Wissen die Ekstasen dieser Mystiker nur zum Teil erklären. Wir sehen alles nur von einer Stelle irgendwo am Berghang, von wo aus wir nur einen Teil erkennen und trotzdem versuchen, das Ganze zu erklären. Ich glaube, die meisten, die vergleichendes Religionsstudium betreiben, sind sich darüber einig, daß sich Christus und Buddha in ihrer Einstellung gegenseitig ergänzen. Ich glaube, daß wir im Verlauf der Zeit, wenn die Dogmen der Kirche von ihren Verdrehungen gesäubert worden sind, finden werden, daß Jesus und Buddha zwar von verschiedenen Gesichtspunkten aus, aber über die gleichen Dinge sprechen. Doch, wie in der Debatte über heiß und kalt, legt jeder von ihnen eine besondere Seite der Wahrheit als deren wichtigsten Aspekt zugrunde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Buddhismus und christlicher Glaube unvereinbar sind.
Ich glaube eher, daß Christus und Buddha die zwei Hauptlichtbringer waren, - wobei wir nicht vergessen dürfen, daß es auch noch einige von weniger großer Bedeutung gegeben hat - die uns durch mehr als eine dunkle Periode geführt haben. Buddha lehrt uns über die technischen Begriffe des inneren und äußeren Seins, und Christus über die der inneren und äußeren transzendenten Liebe. Das war eine Zeit des Reifens, des Ringens und der Veredelung des menschlichen Bewußtseins, mit dem Ziel, diesen Lichtbringern gleich zu werden. Die Verwirrung und die Unruhe der heutigen Generationen sind nur die Geburtswehen eines neuen Zeitalters. Wir brauchen eine neue Offenbarung, um den jahrhundertealten Traum der Menschheit von einer Zeit, in der Harmonie und Erleuchtung herrschen, Wirklichkeit werden zu lassen. Wird im Wassermannzeitalter ein neuer Avatara kommen, wie die jungen Dichter meinen? Wird es das Zeitalter des sechsten Sinnes sein? Christus zeigte, wie dieser sechste Sinn im Dienste für andere angewendet werden sollte. Wenn der Mensch nicht auf ein höheres Niveau der Erleuchtung und der Ethik hinzielt, dann könnte es sein, daß die Anwendung seines sechsten Sinnes unheilvolle Folgen hat. Im Mittelalter waren die schwarzmagischen Künste weit verbreitet - diese Gabe wurde in grotesker Weise angewendet. Wenn der sechste Sinn allgemein angewendet wird, wie soll dann das innerste Denken geheimgehalten werden können?
Yoga und die Samadhizustände lehren, daß alle Menschen, die willens sind, sich der Selbstdisziplin zu unterziehen, die das Gemüt beruhigt, diesen Sinn erwecken können; zweifellos kann dieser Bewußtseinszustand wirklich erreicht werden. Die Wissenschaft demonstriert bereits den Trancezustand und zeigt, daß es möglich ist, ihn durch Elektro-Enzephalographie (alpha) zu kontrollieren und zu beeinflussen. Obgleich im Mittelalter schwarze (und weiße) Magie ausgeübt wurde, war die Anwendung nur sporadisch und auf wenige Praktiker begrenzt. Wenn aber diese Kraft nun der Menschheit frei zur Verfügung steht, bevor sie einen höheren Grad der Moral erreicht hat, so kann ich mir die Folgen gar nicht vorstellen!
In vergangenen Zeitaltern war eine Einweihung erforderlich, wobei der Betreffende eine Zeitlang seine moralische Verläßlichkeit beweisen konnte. Der Guru oder Meister lehrte gleichzeitig die Geheimnisse der Natur und die moralischen Grundsätze. Um dieser neuen Krise entgegentreten zu können, werden die kommenden Generationen die Erkenntnis und die moralische Kraft eines neuen Avatara brauchen. Nur wenige haben bisher über die Folgen von A. S. W. nachgedacht, wie es sein wird, wenn diese Fähigkeit der anomalen Sinneswahrnehmung eine von selbstsüchtigen Menschen beherrschte Erscheinung wird. Wir werden dann nicht nur auf der physischen Ebene, sondern auch im Astralen wirklich Krieg haben.
Das mag wie ein utopischer Roman der inneren Sphäre klingen; aber wenn ich die Zeichen richtig lese, ist es eine verborgene Wahrheit. In der Tat ist es einer der Gründe, warum ich meine, daß die Zeit für das Erscheinen eines neuen Avatara reif ist, denn ein Avatara belebt immer das Bewußtsein des Menschen und erhebt es auf ein höheres Niveau. Gerade jetzt wissen wir nicht ein noch aus und brauchen dringend eine neue Erleuchtung, um die alten Ideen zusammenzufassen und in moralischer Hinsicht damit eine neue Richtung zu geben. Ich glaube, ein solcher Avatara wird erwartet ... aber wie soll man ihn unter all den Scharlatanen erkennen, die umhergehen und sich selbst als Avatara und was nicht noch alles bezeichnen. Ich glaube, ich würde ihn in einer bescheidenen Umgebung suchen und dort nach einer selbstlosen Persönlichkeit Ausschau halten, und wenn die Zeit gekommen ist, dann werden wir ihn - und davon bin ich fest überzeugt - erkennen, denn er wird die richtigen Worte finden.