Inmitten der Ewigkeit
- Sunrise 3/1972
Obgleich alle religiösen Vorstellungen über Gott voneinander abweichen, bleibt das Göttliche dennoch unwandelbar, unberührt von den menschlichen Auslegungen. Wer will daher behaupten, die einzig wahre Vorstellung von Gott zu haben? Anstatt die Unterschiedlichkeit der Auffassungen hervorzuheben, sollten wir versuchen, Mittel zu finden, um einander besser verstehen zu können; wir sollten unsere Wellenlängen mehr aufeinander abstimmen.
Kürzlich erfuhr ich von einem Pfarrer, daß, seiner Meinung nach, der persönliche Gott der Kirche in Wirklichkeit gar nicht so persönlich aufgefaßt wird, wie ich angenommen hatte, sondern daß er für sie genauso allgegenwärtig im Universum ist, wie auch ich es mir vorstelle. Meine Betrachtung geht nur von einem anderen Standpunkt aus. Für mich ist Gott unendlich und kann nicht begriffen werden. Er hat weder Name noch Gestalt. Doch um sich offenbaren zu können, kleidete er sich sozusagen in sichtbare Gewänder. Dadurch dringt göttliche Energie in jede Wesenheit im grenzenlosen Raum, sei es die Milchstraße, die tatsächlich nur ein Molekül einer noch größeren Wesenheit ist, oder ein unendlich kleines Atom unserer Erde. Alle sind lebende Wesen und jedes entwickelt sich auf seine eigene Weise, indem es den göttlichen Impulsen seines innersten Herzens folgt.
Auch wir Menschen können das Wirken des Göttlichen in uns wahrnehmen. Was bildet aus einer Eizelle durch Teilung einige Milliarden Zellen, die sich anscheinend nach einem vorbereiteten Modell zu einem physischen Körper zusammentun? Was hält das Herz in Gang? Ist es ein persönlicher Gott, der irgendwo im unendlichen Raum existiert, oder ist es mehr ein Funke jener Göttlichkeit, die in der gleichen Weise die Sonne beseelt? Wäre es nicht möglich, daß uns die spirituelle Sonne gleichermaßen bei unserem inneren Wachstum hilft, so wie uns die physische Sonne Wärme spendet und damit unser Wachstum fördert? Die Antworten könnten gewiß viel leichter gefunden werden, wenn wir uns von dem Gedanken befreien könnten, uns Gott als Form vorzustellen.
"Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde." Damit ist ohne Zweifel nicht unser physischer Körper gemeint, sondern der Geist der Gottheit, den wir widerspiegeln. Meiner Meinung nach ist es nun die Aufgabe des Menschen, dieses Ebenbild immer vollkommener zum Ausdruck zu bringen.
Wenn wir aber das Gefühl haben, "Gott" persönlich "erleben" zu können, könnte es dann nicht auch sein, daß unser ursprünglicher Lebensfunke mit den göttlichen Energien im Herzen der Sonne verbunden ist, die ihrerseits wiederum aus ihrem Urquell, der Galaxis, Impulse empfängt?
Wenn wir unser menschliches Bewußtsein mit jenem größeren Bewußtsein verbinden, und das in unpersönlicher Weise tun, dann werden wir Hilfe bekommen - vielleicht nicht so, wie erwartet, oder vielleicht erkennen wir sie nicht als solche.
Ein Traum, ein Traum ist unser
Leben auf Erden hier
Wie Schatten auf den Wogen
schweben und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
nach Raum und Zeit;
Und sind - wir wissen's nicht -
inmitten der Ewigkeit.
- Johann Gottfried Herder
Das Pulsieren der göttlichen Essenz in uns drängt uns zum Wachstum. Dadurch wird unser Gemüt für die uns umgebende Welt geöffnet und unsere Seele fähig, ihren Platz "inmitten der Ewigkeit" zu sehen.