Ein paar Gedanken für den Vikar
- Sunrise 5/1971
Sie fragen mich, Herr Vikar, warum ich nicht mit dem Glauben meiner Väter übereinstimme und mich nicht der Gemeinschaft der Kirche anschließe. Ich will Ihnen offen, jedoch ohne Groll, antworten.
Es ist mir unmöglich, allem, was man im Gottesdienst bekennen muß, zuzustimmen. Ich weiß, daß ich nicht allein bin, wenn ich in manchen Dingen Vorbehalte habe und bei anderen mir wiederum meine eigenen Auslegungen vorbehalte. Ich glaube, daß auch manche Geistliche mit den neununddreißig Artikeln Schwierigkeiten haben. Nun, ich bin nicht gerechter als mein Nachbar, noch fühle ich mich dem Chorhemd überlegen; aber mir liegt es nicht, etwas anderes zu sagen als ich meine. Die Religion gehört für mich zu den Idealen, und wenn mein Leben diesen Idealen auch bei weitem nicht gerecht wird, so wird es auch keinesfalls besser, wenn man sie verwässert.
Ich möchte Ihnen dafür nur ein oder zwei Beispiele nennen, die mir gerade in den Sinn kommen: Das Glaubensbekenntnis verlangt von mir zu erklären, daß ich "an die Vergebung der Sünden und an die Auferstehung des Leibes" glaube, ich glaube aber nicht daran!
Wenn die "Vergebung der Sünden" bedeutet, daß sie damit ausgelöscht sind, dann kann ich nicht verstehen, wie die Folgen einer Handlung, die doch begangen wurde, verhindert werden können. Es kann ihnen vielleicht eine neue Richtung gegeben werden, sie können in einen neuen Kanal geleitet, oder sie können vielleicht sogar abgemildert werden, aber aus der Welt schaffen kann man sie nicht. Ich weiß, daß die Zeit alle Leiden heilt, und daß selbst Sünden überwunden werden können, aber sie werden graue Haare auf unserem Kopf und Falten in unserem Gesicht hinterlassen. Selbst der dünne Rauchfaden aus dem Schornstein einer Hütte, der sich in der Luft auflöst, wird irgendwo seine Spur hinterlassen.
Wenn aber die Kirche meint, durch ihre Macht Fürsprache einlegen zu können, um für ihre Mitglieder göttliche Vergebung zu erlangen: verzeihen Sie, Herr Vikar, aber diese Vorstellung erinnert mich an weltliche "Protektion", die durch Geschäftemacher direkt oder indirekt angepriesen wird.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich trete in unseren menschlichen Beziehungen keinesfalls für einen Standpunkt ein, der die unerbittliche Forderung "Auge um Auge, Zahn um Zahn" vertritt. Vielmehr glaube ich, daß sich die Natur selbst, oder, wenn Sie wollen, daß Gott diesem Aspekt die Richtung gibt: "Was immer du säest, das wirst du auch ernten." Das Leben selbst kann schon ohne das Mitwirken des Menschen hart und in Naturkatastrophen sogar grausam erscheinen. Ich lasse auch die Bereitwilligkeit nicht unberücksichtigt, mit der ein Mensch vielleicht die Schläge und Püffe des Ärgsten, das ihm passieren kann, auf sich nimmt und auf diese Weise sozusagen Zuflucht im göttlichen Schutz sucht, um vor der Übermacht eines schlimmen Schicksals sicher zu sein. Doch das alles ist für mich keine Vergebung der Sünden oder deren Folgen.
Was die Auferstehung des Leibes betrifft, so finde ich das etwas abstoßend. Wenn man alle Krankheiten und körperlichen Schäden betrachtet, die wir haben, wenn wir sterben, dann werden sicherlich die meisten Menschen nicht das Kreuz ihres verbrauchten physischen Körpers wieder auf sich nehmen wollen, auch nicht auf den lautesten Trompetenstoß der Engel hin. Vielleicht habe ich auch eine falsche Vorstellung von dem, was die Kirche mit dieser Lehre eigentlich sagen will. Paulus spricht jedenfalls im 1. Korinther 15, 40 von verschiedenen "Körpern": "Und es sind himmlische Körper und irdische Körper." Aber lehrt die Kirche wirklich die paulinische Auslegung dieses Teiles des Glaubensbekenntnisses? Mich dünkt, für den Durchschnitts-Kirchengänger bedeutet "Auferstehung des Leibes" genau das, was es aussagt: Auferstehung des Körpers und nichts anderes.
Vielleicht hat aber die Kirche selbst Schwierigkeiten mit dem Bericht des Apostels, wenn sie die Version von Paulus über die Auferstehung Jesu, gelten läßt, denn es hieß, daß sein Körper noch alle Wunden und Merkmale der Kreuzigung trug und der ungläubige Thomas mußte um des Beweises willen seine Hand in die Seite Jesu legen.
Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob die Berichte der Evangelien Mythen sind oder auf Tatsachen beruhen, doch damit möchte ich mich nicht ausführlich befassen. Ich möchte lieber allgemein über die Erzählungen der Bibel sprechen. Aus den Verdrehungen der Tatsachen ist manchmal viel Kapital geschlagen worden. Was ich dabei "beanstande", ist, daß die Kirche wenig tut, um diese Verdrehungen aufzuklären. Um Klarheit über die Bedeutung der biblischen Geschichten zu bekommen, muß man sich an andere Quellen halten. Nehmen wir zum Beispiel Noah und seine Arche. Welcher gewaltige Unterschied besteht gegenüber unserem kindlichen Bild von den Tieren, wie sie paarweise in die Arche gehen, wenn wir lesen:
"Die Arche Noah, in der die Keime aller lebenden Dinge aufbewahrt werden, die notwendig sind, um die Erde wieder zu bevölkern, stellt das Überdauern der Lebenskraft und die Souveränität des Geistes über die Materie, im Widerstreit der gegensätzlichen Kräfte der Natur dar."
Wenn wir dazu noch feststellen können, daß fast alle Völker der alten Welt ihre eigenen Überlieferungen von einer Sintflut hatten, so können wir besser verstehen, warum die Arche - oder irgendein anderes schwimmendes Fahrzeug für sie als Symbol der ununterbrochenen Fortdauer und Erneuerung der Lebenskraft und schließlich als Sieg des Spirituellen über das Irdische heilig war. In Kleinasien war zum Beispiel die Arche oder Argha "ein längliches Schiff, das von den Hohepriestern bei der Anbetung der Isis, der Astarte und Venus-Aphrodite als Opferkelch benutzt wurde. Alle waren Göttinnen der Zeugungskraft der Natur oder der Materie und symbolisierten daher die Arche, die die Keime alles Lebenden enthält." (Isis entschleiert, Bd. II, S. 444)
Wir können aber unsere Aufmerksamkeit auch auf das seltsame Erlebnis von Jonas und dem Walfisch lenken, das man als biblisches Märchen bezeichnen könnte, wenn es überhaupt ein solches gibt. Dieses scheinbare Wunder erscheint ganz anders, wenn man erfährt, daß in den frühen Zeitaltern der Evolution der Erde, als "Gott große Walfische schuf" (Genesis Bd. 8, S. 21), der Hindu-Gott Vishnu in seiner ersten Manifestation die Weisheit "durch den Mund eines Fisches" lehrte.
Meiner Ansicht nach kann man die Geschichte von Jonas auf verschiedene Weise auslegen. Man kann sie auch als Sonnenmythe betrachten. Es betrifft den Zeitabschnitt, in dem die Sonne zur Wintersonnenwende still zu stehen scheint, ehe sie aus ihrer niedrigsten Stellung empor steigt, um wieder einmal nach Norden zu wandern. Es gibt aber auch die Überlieferungen der Griechen, der Hindus und der Chaldäer. Jede hat ihren Heros oder Sonnengott, der drei Tage und drei Nächte in der Finsternis untertaucht, wonach er dann siegreich aus dem Meer oder aus dem Maul des Fisches auftaucht, um seine irdische Reise als Wohltäter der Menschheit wieder aufzunehmen. Eine weitere Legende schildert Jonas als abtrünnigen Priester, der den Götzendienst abschaffen wollte, aber von den Anbetern Dagons, des babylonischen Fischgottes, gefangen und in den Bauch ihres Götzenbildes eingesperrt wurde. Dieses Götzenbild ist eine Tempelfigur, deren Kopf und Rumpf die eines Menschen waren, deren unterer Teil aber fisch-ähnliche Gestalt hatte! Außerdem ist Jonas aber auch der hebräische Name für 'Taube'. In dieser Hinsicht bestehen interessante Verknüpfungen mit der Legende von Noah, auf die verschiedentlich hingewiesen wird.
Ob diese vielen Überlieferungen und Legenden der alten Völker Varianten eines Mythos sind oder nicht, ist schwer zu sagen. Aber von den heutigen Vertretern der Kirchen kann man keine definitive Auslegung erhalten, obwohl ihre Erzbischöfe als akademisch gebildete Repräsentanten bei der Ausübung ihrer Riten als geistliche Lehrer unter den Menschen ihre fischköpfigen Mitren aufsetzen, um die Form von Vishnu, Dagon und Jonas anzunehmen.
Es gibt manche Christen, die anstatt nach diesen Übereinstimmungen in den verschiedenen Religionen zu suchen, die Unterschiede betonen, um damit auf die Einzigartigkeit des Christentums hinzuweisen. Mit ihnen kann ich nicht übereinstimmen. Die Wahrheit muß wahr sein, wo immer man sie findet, und ich bin sicher, daß sie am ehesten bei den Berührungspunkten der verschiedenen Glaubensbekenntnisse der ganzen Welt zu finden ist.
Derartige Gedanken hindern mich, ein orthodoxer Christ zu sein. Ich glaube, die Ethik des Christentums ist mit eine der reinsten der Welt, und ich denke, daß ein wahrer Christ zu den Edlen der Natur gehört. Zu solchen Menschen, meine Eltern eingeschlossen, blicke ich auf und achte ihre Lebensanschauung; aber wenn man mir kirchliche Glaubensbekenntnisse und Dogmen vorlegt, die ich unterschreiben soll, dann ist mir das unmöglich.
Vielleicht bin ich ein Einzelgänger, was ich aber nicht recht glaube. Es scheint auch Geistliche zu geben, die unorthodoxe Anschauungen vertreten, und man kann nur hoffen, daß sie, wie Bischof Robinson von London und andere, den Mut haben, einige dieser Geschichten neu zu überarbeiten. Von ihnen möchte man fast meinen, daß sie der Kirche entwachsen sind. Das Glaubensbekenntnis von Nizäa und die Dogmen, die seine Artikel erstarren ließen, wurden jedenfalls, und das ist geschichtlich bewiesen, von Menschen geschaffen und zur Zeit Kaiser Konstantins von nicht besonders spirituell eingestellten Menschen verbreitet. Ich würde jedenfalls eine Kirchenlehre, die auf der von Jesus verkündeten Ethik begründet, und von Paulus ausgelegt worden ist, eher respektieren als manche Erlasse der Kirchenväter jener frühen Jahrhunderte.