Individuelle Übermittler
- Sunrise 1/1971
Wohl jeder hat schon einmal das Gefühl völliger, lähmender Verlassenheit empfunden. Manchmal ist es nur eine momentane Empfindung, wie ein böser Traum, den man so schnell wie möglich zu vergessen sucht, aber dieses Gefühl kann uns auch das ganze Leben hindurch verfolgen. Wirkliche Einsamkeit hat nichts damit zu tun, denn das Gefühl der Verlassenheit wird durch die Gegenwart anderer Menschen oft noch unterstrichen. Deshalb muß die Ursache dafür eher in uns selbst liegen als in unseren äußeren Verhältnissen.
Das Leben ist eine einsame Reise, die jeder als Individuum aus eigener Kraft machen muß, doch für gewöhnlich sind wir uns dessen kaum bewußt. Jeder wird allein geboren und stirbt allein, aber zwischen dem Augenblick der Geburt und des Todes leben und lieben wir, und vielleicht lachen wir ein wenig, oder sind verzweifelt - wie alle anderen auch. Die Familie, der wir angehören, gewährt uns Schutz, bis der Zyklus vollendet, und es unsere Aufgabe ist, für die neue Generation zu sorgen. Außerhalb der Familie stehen die Gemeinschaft, die Freunde und Kollegen. Unsere Pflichten bringen uns mit allen möglichen Leuten und Situationen in Berührung und nehmen den größten Teil unserer Zeit und unserer Aufmerksamkeit in Anspruch; trotzdem kann mitten in einem anscheinend erfüllten Leben diese innere Einsamkeit über uns kommen, wo wir uns "inmitten der menschlichen Gesellschaft verlassen" vorkommen.
Die meisten Ereignisse in unserem Leben können ohne weiteres mit anderen besprochen werden, wie sie uns aber innerlich berühren und wie wir darauf reagieren, ist nicht so leicht zum Ausdruck zu bringen. Wir wissen alle, daß keiner die Schmerzen oder auch die Freuden eines anderen wirklich mitfühlen kann. Sympathie mag lindern, aber jeder muß seine Bürde selbst tragen. Fast unmöglich ist es jedoch, was in den Tiefen unseres Wesens vor sich geht, die Regungen unseres innersten Selbstes, in Worten auszudrücken. Wir verstehen selbst oft nicht, was in uns vorgeht, und wenn wir es verstünden, so ginge bei dem Versuch, die abstrakten Andeutungen der Seele konkret zu schildern, der wirkliche Eindruck verloren. Deshalb spielt sich ein großer Teil unseres Innenlebens notwendigerweise im stillen Kämmerlein unseres Herzens ab, was zu einer Isolierung führt, die wir anscheinend nicht durchbrechen können. Wir empfinden uns als Bewußtseinsfragmente, eingesperrt in die unübersteigbaren Mauern der Individualität. Dieses Gefühl des Getrenntseins ist die tragische Konsequenz des Menschseins. Obgleich wir in tierischen Körpern leben, sind wir, im Gegensatz zu den Tieren, mit bewußter Intelligenz ausgestattet, so daß wir uns selbst als Einzelwesen erkennen; aber wir haben uns spirituell noch nicht so weit entwickelt, um unsere innere Einheit mit allem Lebendigen zu erkennen.
Aus der begrenzten Sicht unserer menschlichen Persönlichkeit sind wir verurteilt an Einsamkeit zu leiden, und subjektiv empfinden wir diese Einsamkeit sehr real, weil wir uns fest mit unserer Persönlichkeit identifizieren. Bestehen diese Abgrenzungen aber auch objektiv? Gerade die Gedanken, die wir als Inspirationen bezeichnen, könnten uns einen Hinweis in dieser Richtung geben, wenn wir ihren Ursprung genauer untersuchen. Die meisten unserer Gedanken kommen und gehen so oft, daß wir sie mehr oder weniger als beständiges Inventar, das zu uns gehört, anzusehen pflegen, ohne zwischen ihnen und den Gedanken, die wirklich aus uns selbst kommen, einen Unterschied zu machen. Andere Gedanken wiederum betrachten wir wie seltene Gäste oder gar als vollkommene Fremde - wenn sie negativ sind - wir wundern uns nur, wie sie zu uns kommen konnten. Sind sie jedoch gut, so bezeichnen wir sie als Inspiration! Doch gerade durch ihre 'Fremdartigkeit' erkennen wir, daß sie keine Produkte unserer eigenen Imagination sind. Wir könnten sie sozusagen als 'Wesenheiten' betrachten, die aus einem Gedankenreservoir von uns angezogen werden, in das sie zurückkehren, nachdem sie unser Bewußtseinsfeld durchlaufen haben. Sie sind immer auf der Wanderung, und was im Augenblick durch unseren Kopf geht, kann im nächsten Moment durch das Gemüt eines anderen gleiten, denn wir schöpfen alle aus der gleichen Quelle. Obgleich uns die Insel unserer Individualität begrenzt, sind wir doch alle vom Ozean der Gedankenwelt umgeben, was uns unbegrenzte gegenseitige Verbindungen ermöglicht - selbst wenn wir uns dessen auf der rein persönlichen Ebene nicht bewußt sind.
Zwischen den Schwingungen, die von einem profunden Gedanken, der unser Gehirn durchzieht, erzeugt werden und jenen, die durch Musik hervorgerufen werden, besteht eine Parallele. Ein Kunstkritiker schrieb einmal nach dem Vortrag eines bedeutenden Geigers, daß die Schwingungen dieser erhabenen Musik, obgleich für das menschliche Ohr nicht mehr hörbar, immer weiter und weiter die irdische Atmosphäre durchdringen und die fernsten Sterne erreichen würden. Die Musik kommt als Inspiration zu dem Komponisten. Nachdem er sie in Noten gesetzt hat, kann sie gespielt oder gesungen werden und die Tonschwingungen kehren dann in die Atmosphäre zurück. Wir sind nicht nur neutrale Übermittler unserer Gedanken, denn wenn sie durch uns hindurchgehen, verleihen wir ihnen einen Impuls, wobei ihr Charakter oder ihre Intensität durch unseren augenblicklichen Bewußtseinszustand beeinflußt wird. Wenn wir wirklich selbstlos und auf die dem Kosmos zugrundeliegende Einheit abgestimmt wären, dann würden wir einer guten Inspiration so viel Kraft und solchen Schwung verleihen, daß sie, wie die Schwingungen der Musik, in die Unendlichkeiten des Raumes hinausreichen würden. Auf ihrer Reise würde sie die Qualität der Nächstenliebe und die Empfindung des Eins-Seins, die ihr eingeprägt wurde, mit sich tragen und ihr Licht würde in alle Bereiche strahlen, die sie durchwandert. Der Schlüssel dazu ist Selbstlosigkeit.