Guten Mutes sein
- Sunrise 3/1970
Das Wort Mut stammt von dem lateinischen cor, Herz, und der Instinkt sagt uns, daß der Mut im Innersten unseres Wesens wohnt. Hegen wir nicht große Hochachtung für die Menschen, die ein furchtloses Herz besitzen. Es gibt keine Statistiken darüber; aber in jeder Nation oder Rasse gibt es gewiß nur wenige, die den Mut nicht schätzen, die nicht davor zurückschrecken, als Feigling bezeichnet zu werden. Es gibt zahllose Veranlassungen für die Menschen, im Kampfe mit gutem Grund kleinmütig zu werden - und nach eigenem Eingeständnis sind sie es auch - aber trotzdem nehmen sie sich zusammen und stehen ihren Mann. Es wäre absolut unrichtig anzunehmen, daß nur die Schande, vor ihren Kameraden als Schwächlinge dazustehen, sie anspornen würde. Die Tapferkeit der meisten Menschen entspringt gewiß einer tieferen Quelle, wo die reinen Wasser des Geistes den Menschen von Eigennutz und Selbstsucht läutern und ihn mit unerschrockenem Mut ausstatten. Andererseits ist es aber auch beschämend, Heroismus zu einer bloßen Funktion der Nebennieren herabzuwürdigen. Der plötzliche Überschuß von Zucker im Blutstrom bildet nur einen kleinen Ausschnitt aus einem größeren Ganzen. Der Mensch in seiner Gesamtheit besteht aus weit mehr als aus chemischen Reaktionen und Einflüssen, denn er besitzt Anlagen zu innerer Größe, die uns oft mit Bewunderung erfüllen.
Es ist naheliegend, zunächst an Tapferkeit in ihrer objektiven Erscheinungsform zu denken. An Menschen, die diese Eigenschaft als aktive Kriegsteilnehmer demonstrieren - aber wie steht es mit dem moralischen und geistigen Mut? Wenn sie auch oft nicht leicht erkennbar sind, so können sie doch von so hohem Rang sein, daß sie die größte Anerkennung verdienen. Triumph des Geistes über Widerwärtigkeit und Unglück - wie tief bewegt uns das!
Andererseits haben wir oft mit jenen Menschen, die beständig unter Schwierigkeiten stöhnen, zu wenig Geduld. Unsere anfängliche Anteilnahme wird bald mit Abneigung vermischt, wenn die Menschen im Sumpf der Selbstbemitleidung versinken, wenn sie 'es nicht ertragen können', es sei denn, es ist ihnen sowieso alles gleichgültig. Wir verabscheuen den Feigen, den Kleinmütigen und Verzagten. Wer denkt jedoch daran, daß gerade diese Abneigung sich unbewußt gegen die schwachen, durchlässigen Stellen im Gefüge unseres eigenen Charakters richtet? In uns taucht vielleicht leise die beklommene Frage auf: "Könnte ich eine Beraubung oder einen Verrat, die Einsamkeit oder die Heimatlosigkeit besser ertragen?" - Eine berechtigte Frage, die uns, wenn wir sie an uns richten und ehrlich beantworten, zu tieferem Verständnis und zu größerer Sympathie führt.
Wir alle haben eine Achillesferse. Manche Menschen, die vielleicht wegen einer außergewöhnlichen Haltung im Kriege hohes Ansehen erlangt haben, verzagen allein schon bei dem Gedanken an das Alter. Dann gibt es jene mutigen Verteidiger der Schwachen, die unaufhörlich für Gerechtigkeit und Wohlergehen aller Völker kämpfen, aber bei dem Gedanken, daß sie selbst Not leiden könnten, jämmerlich wehklagen. Wieder andere bewahren bei Feuersbrunst und Überschwemmung, bei einem Taifun, einem Erdbeben und ähnlichen 'Naturereignissen' einen kühlen Kopf und ein starkes Herz, aber sie können kein mutiges Wort zur Verteidigung ungerecht Angeklagter sprechen. Ängstlich und trockenen Mundes schweigen sie, wenn ihre Ansicht allein dasteht oder zur Minderheit zählt. Die Liste derer mit schwachen Achillessehnen ist unglücklicherweise sehr lang. Wir sehen sehr leicht die verwundbaren Stellen anderer, erkennen aber nur schwer unsere eigenen. Wenn wir sie aber erkennen und den Willen und die Absicht haben, uns von solchen Mängeln zu befreien, wie können wir es dann anstellen, zu wahrem Mut zu gelangen?
Nicht indem wir in der ersten Person Einzahl leben und denken, sondern indem wir die Spiegel in unserem Zimmer, in welchen sich nur unsere unwichtige Persönlichkeit widerspiegelt, positiv in Fenster umwandeln, durch die wir die Nöte anderer sehen und fühlen und etwas zu deren Linderung beitragen. Katherine Tingley sagte: "Furcht hat nichts Edles an sich. Sie entsteht einzig im Bereich der Persönlichkeit, der Kleinlichkeit und der Selbstsucht und hat ganz und gar nichts mit dem höheren Selbst zu tun, das der Heros im Menschen ist."
Die Waffen des Geistes bestehen aus den alten fundamentalen Werten: Wahrheit, Ehrlichkeit, Selbstlosigkeit. Durch die Ausübung dieser Tugenden lernen wir guten Mutes zu sein. Gleich Bunyans Christian mögen wir zuweilen 'arg bedrängt werden', aber wir können uns immerfort bemühen - und wer möchte bei seinem eigenen Vorrücken als Pilger ein erbärmlicher Feigling sein? Den Mut um seiner selbst willen zu bewundern und zu verehren, ist ein Schritt, der uns zu dem Heroen werden läßt, der wir im Herzen sind.