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Etwas über Vertrauen

Selbstvertrauen ist die Essenz des Heldentums. - R. W. Emerson

 

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Diese Jahreszeit ist dazu angetan, einmal etwas über jene universalen, immerfort bestehenden Dinge nachzudenken, die unsere Menschenfamilie verbinden. Besonders hervorzuheben wäre dabei meiner Ansicht nach das Vertrauen, denn es ist für das Wohlergehen und das Glück der Menschen unentbehrlich; ein starkes, beständiges Vertrauen zu uns selbst, untereinander und zum Göttlichen in uns, durch das wir eins sind mit allem, was da lebt. Ein auf Rechtschaffenheit gegründetes gegenseitiges Vertrauen ist eines der edelsten Dinge und ein Grundstein in unseren Beziehungen untereinander, ohne den es nichts Zuverlässiges und Bedeutsames gibt, worauf ein Leben aufgebaut werden kann. Ganz offensichtlich ist jedoch, daß der Einfluß dieses Prinzips, zumindest in unserer westlichen Zivilisation, durch die Einwirkungen einer materialistischen Wissenschaft und durch sich widersprechende religiöse Standpunkte, die bisher unser Denken beherrscht haben, immer mehr abgeschwächt wurde. Dadurch wiederum ist ein Gefühl der Isoliertheit entstanden, die den Menschen immer mehr von seiner Verbundenheit mit der Natur abspenstig macht, ihn vom Glauben an sich selbst als verantwortliches Wesen abbringt und dem selbstlosen Zweck der Religion, der im Gegensatz zu der egozentrischen Tendenz des kristallisierten Glaubens steht, entfremdet.

Gegenwärtig wird unser Denken völlig umgekrempelt. Es weht ein frischer Wind. Die Kontroverse "Gott ist tot", das Sichlossagen von leeren Ritualen und äußerlichen Konformitäten, zeigt den Umschwung, der stattfindet. Aus der zentralen Orientierung des blinden Glaubens an ein personifiziertes Wesen, oder aus dem Unglauben überhaupt, wird ein wachsendes selbstbewußtes Vertrauen, die Autorität der Kirche wird zur Autorität des Einzelwesens, der Materialismus zum Humanismus.

Dieser Wechsel der Auffassung von Gott als einer Kraft, die sich außerhalb von uns befindet, zu einem "Gott ist in uns"-Gedanken, ist an sich eine gewaltige Umstellung von den jahrhundertelangen Unterweisungen nach dogmatischen Grundsätzen. Dadurch entsteht natürlicherweise eine starke Kluft zwischen den bestehenden Überlieferungen alter begrenzter Ansichten - religiös, wissenschaftlich und pädagogisch - und dem dynamischen geistigen Impuls dieses aufgeschlossenen Zeitalters, die in den weitreichenden Gedankenperspektiven zum Ausdruck kommt und ein größeres Verständnis zwischen den Menschen und eine Vervollständigung der Erkenntnis mit sich bringt. Einige halten in diesem Prozeß zäh am Alten fest, andere sind bereit das Neue aufzunehmen, und die meisten Menschen sind unentschlossen, ohne eine bestimmte Richtlinie.

Das Licht der Vernunft hat nur die Widersprüche in unserem, aus Bruchstücken bestehenden Wissen über den Menschen und über das Weltall gezeigt und läßt eine tiefe Unsicherheit darüber zurück, was man glauben darf und wem man vertrauen kann. Viele von der jüngeren Generation suchen ernsthaft und fragen: "Was heißt, wahrhaftig zu sein, menschlich zu sein?" "Wohin führt das, wenn sich jemand für ein anderes menschliches Wesen verantwortlich fühlt?" Immer mehr Menschen nehmen intuitiv wahr, daß man am besten die Harmonie der Welt stärken kann, wenn man dem Gebote des Johannes folgt, wie es in der Bibel steht: "Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht." (Joh. 3, 21) Sie suchen nach einem Lebensweg, wo es jedem möglich ist, nach seiner eigenen Vorstellung zu leben, seinen eigenen Wert zu erkennen und seine eigenen Besonderheiten zu haben. Ein Zeitalter größerer geistiger Reife, größerer Selbstsicherheit steigt empor.

Viele junge Leute von heute leiden jedoch unter vollständiger Desillusion. Das kommt daher, weil jegliche Anregung fehlt, moralische und ethische Normen nicht beachtet werden, und das Syndrom besteht: "Vertraue niemandem über dreißig!" Widersprüche zwischen dem, was in der Schule und dem, was zu Hause gelehrt wurde, haben zu Unsicherheit geführt und trugen bei zu der Kluft zwischen den Generationen und zu einem ernst zu nehmenden Einfluß auf die Gesellschaft. John D. Verdery, Episkopatsgeistlicher, Rektor einer Knabenschule und Vater von drei Söhnen, hat diese Probleme betrachtet und einige erfrischende Ansichten im Parent's Magazine (Eltern-Zeitschrift) vom August 1967 gebracht:

Ich hatte mich plötzlich entschlossen, diese Jugendlichen zu beachten. Wie widerlich ihr Anblick einigen Erwachsenen auch immer sein mag, die meisten von uns schenken ihrem Äußeren und ihrer Auflehnung zu viel Aufmerksamkeit und schauen zu wenig darauf, was sie wirklich wollen.

Nicht das Haar ist wichtig, sondern das, was sich darunter befindet... Ihre Haare fallen uns auf und stören uns mehr als sie selbst. Dieser Stil ist eine Modetorheit und wird vorübergehen. Inzwischen sollten wir, ihre Väter, Mütter und Lehrer, erkennen, daß, wenn etwas notwendig ist, was diese Jungen alle zusammen brauchen, dann ist es das, daß man an ihnen Anteil nehmen sollte, und zwar so, wie sie sind und nicht wie wir sie uns wünschen.

Er glaubt, daß im Jünglingsalter Freundschaft das Unentbehrlichste in der "Beziehung zwischen Eltern und ihren Pflegebefohlenen ist ... anhaltende, lebenslängliche Freundschaft - besonders zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern." Er empfiehlt, lieber die Persönlichkeit zu fördern, anstatt ein künstliches Klima der 'Gemeinsamkeit' zu schaffen; echte Bescheidenheit zu pflegen - die als Nebenprodukt mit sich bringt, daß wir imstande sind, über uns selbst lachen zu können - und zu vertrauen. Das alles ist notwendig, um die Familiengemeinschaft zu stärken. Seine Ausführungen über Vertrauen zwischen Vater und Sohn sind treffend:

Ich glaube, wir vertrauen unseren Söhnen zu wenig, und allzuoft haben wir eine falsche Vorstellung vom Vertrauen überhaupt. Wir verleihen unser Vertrauen so wie Banken Geld ausleihen, und zwar nur dann, wenn die Kreditwürdigkeit unserer Söhne vollkommen sicher und ohne Risiko ist. Wahres Vertrauen sollte jedoch bereitwillig angeboten werden, bevor es erworben werden konnte; manchmal sogar obwohl man weiß, daß es unverdient ist. Ein Vater, der "nein" zu seinem Sohne sagt, weil ihm "nicht zu trauen ist", ist ein Polizist. Ein Vater, der, nachdem sein Vertrauen enttäuscht worden ist, seinen Arm um seinen Sohn legt und ihm vergibt, ist in Freund.

Vertrauen ist schließlich kein Vorhaben zur Kontrolle, sondern ein Nährboden, reich genug für Wachstum.

Das Wörterbuch definiert Vertrauen folgendermaßen: "Etwas, das bereitwillig angeboten wird", genauso, wie es Reverend Verdery ausgedrückt hat. In dieser Bedeutung besteht ein Unterschied zwischen Vertrauen und Glauben. Wenn man auch oft meint, beide Worte wechselseitig verwenden zu können, so wie es in der Bibel getan wird, so habe ich dennoch vorsätzlich das Wort Vertrauen ausgewählt, weil es zu dieser neuen Zeit gehört und nicht mit den einschränkenden Vorstellungen der Religionen so fest verbunden ist. Vertrauen bedeutet "Rückhaltlosen Verlaß auf Rechtschaffenheit ohne Vorbehalt." Manchmal schließt es ein "intuitives Urteil über die Zuverlässigkeit einer Person oder eines Dinges ein." Glaube wiederum kommt mehr von der Gemütsebene her und wird oftmals angewandt, wenn "die Person oder das Ding, an das jemand glaubt, noch fraglich ist."

Echtes Vertrauen ist demnach eine Art geistiger Wagemut, weil es ein intuitives Wahrnehmungsvermögen erfordert, das die Gewißheit des gewöhnlichen Gehirnverstandes übersteigt. Zweifel oder Mißtrauen dürfen nicht vorhanden sein. Das bedeutet nicht Blindheit oder Leichtgläubigkeit, sondern wohlbedachtes Zutrauen in die positiven Elemente einer Persönlichkeit oder einer Situation. Es ist die Fähigkeit, sowohl über den Bereich der Ideen als auch über die Schwächen in uns und in anderen hinauszublicken. Wir kommen zu der Erkenntnis, daß das Vertrauen in die Zukunft der Menschen mit einer starken inneren Ausrichtung beginnen muß und mit einem Glauben an die vereinende Kraft der Grundprinzipien, die in sich unveränderlich sind. Diese unveränderlichen Werte stammen aus den verborgenen Gesetzen der Natur, die gerecht für alle wirken und ein wesentlicher Teil der Würde, des hohen Zieles, der Verantwortlichkeit und der geistigen Verheißung des menschlichen Standes sind.

Redensarten, die Teil einer aus der Erfahrung angesammelten Volksweisheit sind, enthalten oftmals wichtige philosophische Gedanken. Zwei von ihnen treffen in ihrem Widerspruch den Kern dieses Themas in seinen positiven und negativen Aspekten und werfen zusätzliches Licht darauf. "Vertrauen erweckt Vertrauen", weist darauf hin wie bedeutsam es ist, dem inneren Guten gegenseitig eine Chance zu geben, indem man bereit ist, mit extra zehn oder zwanzig Prozent, oder mit dem ganz an der Grenze des Vertrauens liegenden einen Prozent über die "sichere Kreditwürdigkeit" hinauszugehen. Wie ein Magnet Eisenspäne anzieht, so können auch wir aus anderen das hervorholen, was wir durch unsere Gedanken und durch unser Empfinden ihnen geben. Die Wahrheit der anderen Redensart: "Vertraue niemandem", ist dann gültig, wenn wir einander kritisch gegenüber stehen. Die Gewohnheit, zu kritisieren, ist negativ und zerstörend. Sie entspringt oftmals Gefühlen der Überlegenheit oder Unsicherheit, obwohl wir uns dessen möglicherweise gar nicht bewußt sind.

Andere Charaktereigenschaften, die zum Vertrauen in Beziehung stehen, sind Ehrlichkeit, Treue und Versöhnlichkeit. Diese drei Prinzipien sind gleich wichtig: Ehrlichkeit - nicht nur jenen gegenüber, die sich in einflußreichen Stellungen befinden, sei es national oder international, sondern gegen jedermann; einem Freund die Treue halten, auch in Krisenzeiten, selbst auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen, und Treue zu einem Prinzip, selbst wenn dies bedeuten würde allein dazustehen. Und dann kommt noch das Verzeihen können! Wenn jene, auf die wir uns verlassen, anscheinend zaudern, dann sind wir beleidigt. Wie oft jedoch haben wir andere im Stich gelassen und uns dabei selbst die Treue gebrochen? Wir müssen unseren Stolz zurückstecken, verständnisvoll sein. Wir müssen die Ereignisse in der richtigen Perspektive sehen und wahrhaft vergeben. So manche unserer Probleme in den menschlichen Beziehungen kommen aus der Unfähigkeit, dieses zu tun. Wenn wir glauben können, daß alle jene Charaktereigenschaften, die wir wirklich hochachten, auch bei anderen vorhanden sind, dann wird sich das Übrige ergeben. Bauen wir unser Vertrauen auf den äußeren Schein, so werden wir jedes Mal getäuscht werden. Wieviel leichter ist es zu kritisieren als zu verstehen, wieviel leichter sich zu rächen als zu vergeben, zu zweifeln als zu vertrauen.

Die tiefsitzenden Vorurteile entstehen schon früh im Leben. Es sollte uns zu denken geben, wenn wir sehen, daß Kinder von Natur aus vertrauensvoll und voller Freude über den Zauber des Lebens sind. Nach und nach gelingt es uns dann, ihre jugendliche Natürlichkeit durch unser despotisches Vorbild zu zerstören. Durch Belehrungen und Vorschriften tragen wir dazu bei, den menschlichen Geist zu versklaven, anstatt daß wir mithelfen, ihn zu befreien. Unsere Bemühungen, sie dazu zu bringen, so zu denken wie wir, erstickt oft eine innere Weisheit und verhindert ihre Entfaltung und ihr Blühen. Kinder handeln immer gefühlsmäßig. Sie besitzen ein eingebautes Radarsystem, das sofort Täuschung, Unaufrichtigkeit und Grausamkeit anzeigt. Schönheit, Häßlichkeit, Mißgestaltung, Hautfarbe, gute Manieren - all diese Erscheinungen werden von ihnen nur halb so kritisch beurteilt wie die innere Atmosphäre eines Menschen oder einer Situation. Ich werde nie den sechs Jahre alten Jungen vergessen, der gleich am ersten Schultag ganz verstört nach Hause kam und von seiner hübschen Lehrerin sagte: "Ich mag meine Lehrerin nicht; schon aus ihrer Stimme merke ich, daß sie nicht gütig ist."

Viele Gefahren entstehen bei dem schwierigen Übergang vom unschuldigen Vertrauen der Kindheit zum Unterscheidungsvermögen im reiferen Alter. Meist werden sie von den Leuten hervorgerufen, die für die Führung eines Kindes verantwortlich sind. Das Alter der Unschuld geht sehr schnell vorüber, dann kommt das rauhe Erwachen - manche Menschen halten ihr Wort nicht, und nicht alle haben wirklich inneres Interesse an uns. Natürlich ist das allmähliche Erkennen, daß das Leben so ist wie es ist, und nicht so, wie wir es gern hätten, ein Teil des Wachstumsprozesses. Jugendliche Ideale und Begeisterung werden im Laufe der Zeit ganz von selbst durch weitere trübe Erfahrungen und durch die Erkenntnis dessen, was notwendig ist, um mit dem Dualismus fertig zu werden, richtig gemischt. Doch allzuoft wird dabei der Idealismus irgendwo zerstört und keinerlei Werte werden aufgestellt, die dieser Desillusion Widerstand leisten könnten.

Stärken und Schwächen, die sich in jungen Jahren zeigen, können größtenteils dem angeborenen Charakter zugeschrieben werden. Doch die später überwiegenden Neigungen hängen außerdem noch davon ab, inwieweit in der Kindheit zu Hause und in der Schule Begeisterung und Vertrauen gefördert oder mißbraucht worden sind. In den Fällen, in denen ein Kind nicht schon in jungen Jahren etwas von seinem wahren Wert spüren konnte, wird manches, was sich später ereignet, ihm erscheinen, als würde Salz auf eine Wunde gestreut. Besteht jedoch echte Kameradschaft und gestattet man dem Kind, ganz es selbst zu sein, dann werden die Auswirkungen vieler Fehler, die bei der Erziehung gemacht wurden, unbedeutend sein.

Vergeben, wenn es schwer fällt zu vergeben, vertrauen, wenn es Überwindung und Verständnis erfordert zu vertrauen, gehört zum Leben und zur Entwicklung und läßt unsere edleren Aspekte zum Vorschein kommen. Diese Anwendung des Willens formt den Charakter, der im Feuer der Erfahrung erprobt wird. Würden wir nicht immer und immer wieder herausgefordert, so wären diese Eigenschaften nicht so wertvolle Errungenschaften. Die Umstände des Lebens sagen nicht nur einmal, sondern wiederholt: "Beweise es!", bis jede Phase unserer Natur völlig zuverlässig wird. Was wir im tiefsten Innern sind, nur das ist unser Schwert, mit dem wir uns unseren Weg durch den Dschungel der Täuschungen schlagen können, unsere einzige Waffe, die es uns ermöglicht, dem Wechsel der Ereignisse zu widerstehen.

Die Verlassenheit beim Finden des eigenen Weges, ohne irgendwelche von außen kommenden Stützen, wie zum Beispiel "der Wille Gottes" oder das Schicksal, auf die man die Verantwortung abwälzen, oder auf die man die Bürde legen kann: wir selbst zu sein, gerade wenn wir allein gehen, schöpferisch für die ganze Menschheit zu empfinden - das sind Teile des Wunders, des Mysteriums, und sie verlangen in der Tat die Rolle eines ganzen Menschen. Mehr denn je ist es notwendig, zum einfachen, geordneten Leben zurückzukehren und die Weisheit in ihrer Ausgeglichenheit in sich aufzunehmen.

In dieser erweiterten Sicht, mit der wir die neue Zeit betrachten, können wir auch Weihnachten sehen. Wir gehen dann weit über die Sakramente der Religion hinaus, zum Zentrum der spirituellen Sonne, die alles Leben erhellt. Es ist eine Zeit, in der wir alle unsere persönlichen Konflikte und gegensätzlichen Vorstellungen vergessen und unsere Verpflichtung gegenüber der Menschheit tief empfinden sollten. Der Geist des Mitleids, der "einer der himmlischsten Einkehrer im Tempel des menschlichen Herzens ist", veranlaßt die Großen, wie Jesus und Gautama, auf den Ruf der Not der Menschheit zu antworten:

"Kann es Seeligkeit geben, wenn alles was lebt, leiden muß? Sollst Du gerettet sein und dabei den Schrei der ganzen Welt vernehmen?"