Ein Stern vor langer Zeit
- Sunrise 10/1968
An einem frischen, klaren Winterabend gehen wir hinaus, um die in ihrem Glanz funkelnden Sterne und Planeten zu betrachten. Unter all dieser Herrlichkeit suchen unsere Augen den einen herauszufinden, dem zu Weihnachten die Weisen aus dem Morgenlande folgten, als sie das Christuskind suchten. War es ein besonderes Gestirn am Himmel, das sie führte, oder leuchtete in ihnen selbst etwas, das den gleichen Ursprung hatte wie die Sterne - oder war es beides?
Wir können nicht mit Gewißheit sagen, welches Wissen die Weisen aus dem "von Glanz erfüllten und geheimnisvollen Morgenland" mitbrachten, aber wir wissen, daß sie glaubten, daß niemand einen Stern sehen kann, solange nicht irgend etwas von uns zu ihm hinausgeht und nicht nur die Erscheinungsform, sondern die wirkliche Essenz zurückbringt, woraus sich schliessen läßt, daß die gleiche Substanz wie im Stern auch in uns vorhanden ist.
Die Weisen hätten uns wahrscheinlich auch sagen können, daß die Sterne in ihrer Art lebende Wesen von ungeheurem Alter sind. Manche von ihnen sind jetzt große Sonnen, die Licht und Substanz an zahllose jüngere Wesenheiten, die zu ihren Planetenfamilien gehören, hinaussenden. Sie sind lebende Wesen, die in der weit zurückliegenden evolutionären Vergangenheit das Leben in einem menschlichen Reich erlebten, so wie wir jetzt. Wäre es möglich, daß wir eines Tages ebenfalls Sonnen werden und geringeren Wesen, die nach uns kommen und sich abmühen, Leben und das zum leben Notwendige geben? Ein wunderbarer Gedanke. Doch, da wir uns Epiphania nähern, der Zeit, von der angenommen wird, daß die "drei Könige" ihre Geschenke brachten, warum sollte sich da unsere Imagination nicht auch mit kühnen, schöpferischen Ideen beschäftigen? Denn, haben wir nicht alle manchmal Augenblicke, wo wir im innersten Herzen danach verlangen, unseren Mitmenschen nützlich zu sein, uns mit Hilfe und Ermutigung jenen zu widmen, die mehr in Bedrängnis sind als wir?
Hier unter dem winterlichen Himmel, wo "der Frost die Stille entstehen ließ", blicken altbekannte Freunde mit unglaublichem Glanz auf uns herab: Sirius, Aldebaran, Capella und die Zwillinge, der rotglühende Beteigeuze in der rechten Schulter des Orion, der Sternhaufen der Plejaden und eine Menge andere. Das Ganze ist ein Festspiel in Licht und Farbe, wie in der Magischen Kammer des Rath von Angus, von der die irischen Dichter erzählen, daß das "Licht eine Stimme hatte und die Musik glänzend in der Luft hing", denn das Licht der zahllosen gleichzeitig strahlenden Sterne ist wie erhabene Musik, die den Mißklang unseres gewöhnlichen Lebens harmonisch gestalten. Die alten Pythagoräer sprachen ganz allgemein von der Musik der Sphären und glaubten, daß die sich in kristallklaren Sphären bewegenden Planeten musikalische Töne von unaussprechlicher Harmonie hervorbringen. Das gilt für alle Himmelskörper, wie Shakespeare in seinem Der Kaufmann von Venedig andeutet:
Sieh, wie die Himmelsflur
Ist eingelegt mit Scheiben lichten Goldes!
Auch nicht das kleinste Gestirn, das du da siehst,
Das nicht im Schwunge wie ein Engel singt,
Zum Chor der hellgeaugten Cherubim.
So voller Harmonie sind ew'ge Geister,
Nur wir, weil dies hinfäll'ge Kleid von Staub
Ihn grob umhüllt, wir können sie nicht hören.
Das alles müssen diese weisen Männer gesehen, erfühlt und gehört haben, als sie in jener Nacht vor langer, langer Zeit dem Stern folgten.