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Der göttliche Plan

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Buddha, Konfuzius und auch Laotse stützten ihre Ethik durch Philosophie: sie zeigten den Weg, wie man leben soll und machten klar, warum das der Weg ist. Obgleich sie in ihren Methoden sehr verschieden waren, stimmen ihre Philosophien vollkommen überein, und man könnte leicht Anhänger von allen dreien sein. Die von ihnen gegebenen Gebote waren das natürliche Ergebnis ihrer Lebensauffassung und der Beziehung des Lebens zum Universum.

"Ihr sollt das Rechte tun", erklärte jeder von ihnen. "Weil ihr euch dadurch vom Selbst befreien werdet", lehrte Buddha mit Nachdruck, "und das Selbst ist die Ursache allen Leides." "Wenn ihr das tut, werdet ihr die Harmonie in eurem Innern aufrechterhalten", erklärte Konfuzius, "und folglich der Kraft eurer höheren Natur erlauben, sich bei eurem Umgang mit anderen zu verströmen." "Das ist der Weg der Natur", sagte Laotse; "das ewig Einfache, die unveränderliche Unkompliziertheit der Selbstlosigkeit ist die Wahrheit im Herzen des Daseins." Alle diese Gründe, um das Rechte zu tun, sind überaus wahr und philosophisch und können daher einander nicht widerstreiten.

Nachdem Jesus seine Ethik nach den gleichen überlieferten Grundsätzen lehrte wie seine Vorgänger, sollten wir nicht daraus folgern, daß auch er einen Einblick in die innere Natur der Dinge hatte und wußte, warum recht recht ist, obgleich er sehr wenig darüber sagte? Welche Argumente konnte er seinen Zuhörern anbieten, die sie verstanden hätten? Nur eine unbestimmte Furcht vor den Folgen des Unrechttuns, vor der "darauffolgenden Strafe"; eine verbreitete Ansicht, daß Rechttun dem himmlischen Vater gefällt. Konfuzius wird oft nur deshalb ein Agnostiker genannt, weil er es vorzog, nicht über das Unsichtbare zu sprechen. Er gibt ein Minimum an Metaphysik, aber was er gibt genügt, um zu zeigen, daß er viel mehr hätte mitteilen können, wenn er das für weise gehalten hätte. Er weist auf ein durch Gesetz regiertes Universum hin, auf ein wohlgeordnetes System, in dem nichts willkürlich geschieht. Erwachsene Menschen müssen nach dem Gesetz leben: sie müssen verstehen, daß es ein Gesetz gibt, nach dem man leben muß. Den launenhaften Befehlen der Autoritäten werden sie soweit Folge leisten, als sie müssen. Unglücklicherweise ist das das ganze Motiv für rechtes Handeln, das Jesus öffentlich lehren konnte, - wenigstens haben wir kein Zeugnis, daß er öffentlich darüber mehr sagte - was einer der Gründe sein mag, warum es Legende und Dogma so leicht hatten, sich breit zu machen. Aber, hatte er selbst kein tieferes Wissen?

Heute beginnen die Wissenschaftler, sich hinsichtlich des Menschen nicht nur über seinen Körper den Kopf zu zerbrechen, denn offensichtlich gibt es Gebiete in ihm, deren Erforschung mehrere Leben erfordern. Selbst nach langem Forschen ist unser Wissen über die Physiologie mehr als unvollkommen. Ebenso in der Psychologie; aber jenseits der Psyche ist Nous, jenseits der Seele ist der Wissende - höhere Sphären der Intuition und Imagination, unbekannte Himmel, aus denen der Genius seine Blitze aussendet. Gibt es dort keine Gesetze, Methoden, Reaktionen und Entwicklungswege? Jesus sagte: "Das Himmelreich ist in euch", und dort sind die "Mysterien des himmlischen Königreiches." Sollen wir annehmen, daß diese Aussprüche für ihn nichts weiter bedeuteten? Die Menschen der Neuzeit haben davon nur eine unbedeutende Vorstellung, aber Jesus wußte genau, was er meinte. Wie soll es anders sein, als daß die Mysterien des Königreiches die Gesetze und das Wissen jenes geheimen Teiles von uns sind, der zuweilen in unserem Leben durchbricht - der verborgene Dichter, der unentdeckte Held in jedem Menschen!

Unsere Sinne geben uns Zeugnis von einem physischen Universum; unsere Gedanken wandern durch Zeit und Raum und zeigen uns, daß wir metaphysische Wesen sind. Selbst die materielle Welt ist so kompliziert, daß in jedem Atom ein unbekanntes Universum und in jedem Naturvorgang eine endlose Kette von Wundern enthalten ist. Doch wir haben unsere Sinne, die uns hier führen. Was hat es dann mit dem meta-physischen Universum auf sich? Ein Ingenieur muß die Gesetze der Mechanik kennen, ein Arzt die Gesetze der Gesundheit; und wenn wir das himmlische Königreich kennen möchten, müssen wir mit seinen Gesetzen und Methoden, "den Mysterien", vertraut sein. Es scheint außer Zweifel, daß Jesus solches Wissen besaß.

Man stelle sich eine ungebildete Gemeinschaft vor, in der der Mensch nur so betrachtet wird, wie die Augen ihn sehen: seinen Körper. In jeder Sittenlehre, die auf den beiden Urinstinkten des Körpers gründet - auf Selbsterhaltung und Fortpflanzung - würde die Befriedigung dieser Instinkte als recht, jedes Interesse an der Wohlfahrt anderer als unrecht angesehen werden. In der Tat, eine Gemeinschaft nach diesen Richtlinien wäre unmöglich. Tritt aber der Verstand in Aktion, dann würde der Mensch danach trachten, sicherer und besser zu leben. Selbst in ihren intensivsten selbstsüchtigen Gefühlen drängen die mentalen Fähigkeiten zu irgendeiner Zusammenarbeit, denn die Beziehung zu anderen kann nicht ignoriert werden. Ein Mensch, dessen Verstand vorherrschend ist, kann versuchen, andere zur Dienstleistung zu zwingen, aber er kann nicht wie der Körper abseits stehen und keinen Kontakt haben. Und wenn schon, dann kann die Ethik, die auf dieser Erfahrung basiert, bestenfalls erleuchtete Selbstsucht sein, zweckdienlich, nicht inspirierend.

Wenn wir das eben Ausgeführte mit der Botschaft Jesu vergleichen, erfassen wir sofort, daß der Mensch in seinen Augen mehr ist, als ein Körper mit Verstand. Es gibt noch etwas, das wertvoller ist als die beiden anderen. Viele werden natürlich sagen, das ist die Seele. Das ist eine gute Antwort, vorausgesetzt, daß wir wissen, was wir damit meinen. Das Wort ist abgedroschen und unbestimmt geworden. Von einem Mißtrauen gegen die Metaphysik voreingenommen und völlig vergessend, daß es ein diesbezügliches Wissen gibt, haben die Kirchen die "Seele" als erwiesen angenommen, nicht aber ihre Fähigkeiten untersucht. Die Seele ist jahrhundertelang Gegenstand sehr leidenschaftlicher Rhetorik, aber unbedeutender wissenschaftlicher Forschung gewesen. Hier bezahlen wir wieder die Strafe dafür, daß wir die Lehren durch Legende und Dogma verdunkeln ließen, denn Ethik und Wissenschaft sind nicht getrennt oder weit voneinander entfernt. Die eine ist in die andere eingeschlossen. Aus der Bergpredigt können wir, wenn wir sie mit der nötigen Erkenntnis lesen, ein Verstehen der inneren Welten entnehmen.

Der Verstand sagt: liebe dich selbst; aber damit deine Liebe von Nutzen sein kann, arbeite mit anderen zusammen. Andererseits sagt Jesus: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Nun, um etwas tun zu können, muß man die Fähigkeit oder die Kraft haben, es zu tun. Der Verstand des Menschen kann so wenig seinen Nächsten lieben, wie ein Kohlkopf Imagination ausüben kann, denn die Funktion des Verstandes ist, logisch zu folgern, zu denken; und Liebe ist ein Gefühl oder in diesem Falle eine Wahrnehmung. Wenn deshalb Jesus dieses Gebot aufstellte, setzte er deutlich im Menschen etwas voraus, das fähig ist, andere tatsächlich wie sich selbst zu achten, indem er seine eigene Essenz in allen anderen Wesen erkennt. So sollte es sein, denn genauso wie der Körper durch den Verstand in Gang gehalten werden muß, indem er seine Instinkte durch Vernunft und Erfahrung zügelt, so muß der Verstand durch einen höheren Faktor dirigiert werden, wenn er vollkommen gesund sein soll. Für uns ist es schwierig, in diesem materiellen Zeitalter zu begreifen, daß dieser höhere Faktor so wirklich und wirksam ist wie der Körper und der Verstand. Es kann tatsächlich kein Zweifel bestehen, daß es Jesus mehr in diesem Sinne betrachtete.

"Ihr seid Götter ..., seid deshalb vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Der Mensch, an den sich Jesus wandte, ist augenscheinlich göttlich, von der gleichen Beschaffenheit wie Gott. Das galt nicht dem Körper mit seinen tierischen Instinkten, noch dem Verstand mit seinem Eigennutz, wie glänzend er auch begabt sein mag. Der Mensch ist, wie Jesus sagt, im höchsten und wirklichsten Teil seines Wesens universal und nicht von anderen Menschen getrennt. So sehen wir eine Art Jakobsleiter zwischen der Erde und dem Himmel: das Göttliche verhält sich zur Seele wie die Seele zum Verstand oder der Verstand zum Körper. Die Gesamtheit dieser Philosophie kann in den einfachen Grundsätzen von Jesus wie auch in den Lehren von Buddha, Konfuzius, Laotse und anderen gefunden werden.

In Wirklichkeit können wir nicht sagen, daß Jesus seiner Ethik keinen philosophischen Rückhalt gab. Er gab zumindest einen Hinweis, den Paulus, der etwas davon in den Mysterien gehört hatte, nachdrücklicher wiederholen konnte. Jesus sagte: "Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden." Und Paulus, "Irret euch nicht; Gott läßt sich nicht spotten: denn, was der Mensch säet, das wird er auch ernten." Wenn es keine andere Religion als das Christentum gäbe, würden diese beiden Aussprüche nicht sehr bezeichnend sein, aber zum Glück ist die Idee von Karma so alt wie die Berge Indiens oder die Wüsten Chinas. Buddha hat das fünf- oder sechshundert Jahre vor Jesus sehr ausführlich dargelegt und gezeigt, daß es das Gesetz der Gesetze ist, welches das geoffenbarte Leben regiert. Wir wollen versuchen zu verstehen, was es bedeutet.

Das Universum birgt ein System in sich, das der Ausdruck dessen ist, was wir den Geist oder die Intelligenz der Gottheit nennen könnten. Das beste Gleichnis für diesen universalen Geist ist vielleicht eine musikalische Symphonie, die sich aus einem einfachen Thema Note um Note durch erhabene Variationen, Dissonanzen und Auflösung dieser Dissonanzen bis zu einem Höhepunkt der höchsten Vollendung entfaltet und dann wieder in Stille endet. Das Universum ist der Gedanke eines Gottes, der in Musik denkt, die transzendenter ist, als das Denken. Die Bewegung und der Glanz der Sterne und die Leben von Welten und Menschen sind Motive, die zur ewigen Schönheit all dessen beitragen, zu der Schönheit, die Gott ist.

Jeder Dissonanz muß eine Auflösung folgen. "Aktion und Reaktion", sagt der allgemein anerkannte wissenschaftliche Grundsatz, "sind gleich und entgegengesetzt." Das ist nur eine andere Art zu sagen, "Mit welchem Maß ihr messet, wird euch gemessen werden." Wissenschaft und Ethik sind daher keine verschiedenartigen Dinge. Wenn wir die erhabene Musik, das kosmische Motiv außer acht lassen, verbleibt immer noch der fundamentale Impuls des Universums, der darauf drängt, umgewandelt zu werden. Er ist die Ursache der Evolution, die es letzten Endes schwieriger macht Wachstum zu verhindern, als zu fördern. Und das ist Karma.

So betrachtet werden nicht Sünden bestraft und gute Taten belohnt, sondern Harmonie ist Freude. Jedesmal, wenn wir uns abwenden oder einen Fehler machen, drängt uns der kosmische Wille zur Harmonie. Unser Weg führt zum Höchsten, das wir sein könnten. Das Persönliche und das Universale ist in uns. Wenn wir den persönlichen Begierden folgen, führen sie uns vom Selbst in uns, das Gott ist, hinweg. Und wenn wir von dem Weg abweichen, den die Zeit und die sich entwickelnden Wesen gehen, werden uns die Maßnahmen der Natur, in der wir alle leben, zurückführen und uns wieder eingliedern. Die Wiederanpassung ist anti-persönlich; so erduldet die Persönlichkeit das, was wir Schmerz nennen. Er ist unser Lehrer. Es ist die Barmherzigkeit des Gesetzes, daß wir nicht lange vom Pfade unserer Entwicklung abirren ohne zu leiden.

Hier ist etwas, das unsere Aufmerksamkeit fesselt, Nahrung für höchsten Optimismus. Leid besteht nur, damit wir lernen, und wir erfahren es nur zu diesem Zweck. Das Gesetz engt uns ein, durchkreuzt unsere Pläne, führt uns hierhin und dorthin, bis wir uns umwenden und dem Weg folgen - von der Persönlichkeit zur Unpersönlichkeit, vom Selbstischen zum Universalen. All das ist in den Lehren Jesu inbegriffen, wenn wir sie unsentimental betrachten und zeigt, daß sie etwas mehr sind als Ratschläge, die von Ferne zu bewundern sind. Sie sind wichtige Lehrsätze der Wissenschaft des Lebens. Wenn wir sie befolgen, befreien wir den Nazarener von dem Kreuz, an das seine Anhänger sein Andenken geschlagen haben. Es ist der Göttliche Plan, daß alle Menschen Christusse werden.