Der langsame, sichere Weg
- Sunrise 8/1968
Die Welt, in der wir leben, ist eine praktische Welt. Warum sollte dann alles außerhalb unseres sichtbaren Planeten unpraktisch, unerkennbar und nur für Mystiker und Phantasten gut sein? Und dennoch versuchen manche von uns ihr Bewußtsein für ein Wissen über die außerirdischen Dinge auf recht unpraktische Art zu erreichen. Wir versuchen die Unendlichkeit gegen Bezahlung kennen zu lernen. Wir wenden uns an sogenannte Gurus und an jene, die sich selbst Initiierte nennen, uns durch Meditationen zu führen, damit wir eine Art erweitertes Bewußtsein erlangen, um damit durch die Räume des Alls wandern zu können. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man es eine kosmische Tragödie nennen, die von ungeduldigen Erdenmenschen in die Wege geleitet wird, die, wie sie selbst zugeben, in ihrer Entwicklung erst soweit fortgeschritten sind, daß sie die von ihnen erreichbare Macht des Gehirnes noch nicht einmal zur Hälfte sich nutzbar machen können.
Wir sind aus verschiedenen Zuständen des Bewußtseins zusammengesetzt, die unsere tagtäglichen Handlungen umgeben, färben und lenken. Dazu haben wir uns selbst in vielen Leben mit großer Anstrengung entwickelt. Ein Studium dieser verschiedenen Ebenen des Bewußtseins ist nicht nur interessant, sondern auch nützlich, wenn wir dabei lernen, wie es in unserem Leben richtig anzuwenden ist. Bewußtsein an sich ist unendlich, aber für jeden von uns ist es durch das Vehikel begrenzt, das wir uns durch die Erweiterung unseres Gemütes und unseres Herzens selbst gestaltet haben. Es wird behauptet, daß Trachten nach Güte, Reinheit und Selbstlosigkeit dazu führen, daß wir mit dem göttlichen Geist in uns eins werden. Je mehr wir uns diesem spirituellen Teil unserer Natur zuwenden, desto mehr wird die Wellenlänge unseres Denkens auf die unseres himmlischen Vaters eingestellt. Das ist nicht nur eine schöngeistige, metaphysische Vorstellung. Wir können die Harmonie in einem Menschen, der sich bemüht, so edel zu leben, als er kann, tatsächlich fühlen. Im Verlaufe der Zeitalter haben einige eine Beschaffenheit des Bewußtseins erlangt, die an Erhabenheit und Edelmut universal ist. Im Osten wird sie Nirvana genannt. Doch immer wieder haben einige dieser Hohen Wesen mit edler Seele auf die Glückseligkeit der Allwissenheit verzichtet und sind zu unserem umwölkten kleinen Planeten zurückgekehrt, um uns zu helfen, den Weg aus unseren Schwierigkeiten und unserem Kummer zu finden. Sie tun dies völlig aktiv, nicht passiv. Wir kennen sie die ganze Geschichte hindurch, als große Lehrer, die uns zeigten, wie unser niederes, erdgebundenes Selbst in ein feineres Instrument umgewandelt werden kann, damit Wissen und Empfindungskraft zum Ausdruck kommen können.
Kann man annehmen, daß wir auf einmal in einem sechswöchigen Kurs, durch eine kurze konzentrierte Anstrengung in sogenannter Meditation, unserem inneren Schauen die Tore des Universums öffnen können? Oder das wir das erreichen, indem wir stille sitzen und mit geschlossenen Augen, wie eine Schallplatte ein Mantram wiederholen? Und kann es möglich sein, es gegen Geld erwerben zu können? Sokrates erhielt nichts für seine Unterweisungen. Bei Laotse gab es kein verschlossenes Tor, an dem ein Pilger ein Honorar bezahlen mußte, ehe er eintreten und seine weisen Worte hören konnte. Wir würden überrascht sein, wie viel Geld Jesus hätte einnehmen können, wenn er seinen Jüngern erlaubt hätte, den Hut in Palästina herumzureichen. Er konnte sich nicht einmal einen Rechtsanwalt leisten, der ihn vor Gericht vertrat! Nein, die Lehren, die aus den Herzen dieser Großen flossen, wurden so freigiebig gegeben, wie der Sonnenschein und der Regen.
Für mich besteht kein Zweifel: für die meisten von uns wird es viele Leben der Arbeit erfordern, um so weit fortzuschreiten, weil wir meist zu sehr in unsere Verlangen, Befürchtungen, Zuneigungen und Abneigungen verstrickt sind. An manchen Tagen sagen uns unsere ganz persönlichen Stimmungen, die Welt sei nur schlecht. Vielleicht überwältigen uns verletzte Gefühle, und wir verlieren durch einen Zornesausbruch unsere Stellung, oder Angst verzehrt uns, was in Zukunft aus uns werden soll. Kurz, wir glauben vielleicht, daß niemand an uns ein Interesse hat und es für uns keinen sicheren Platz auf Erden gibt - und das alles, weil wir unser Bewußtsein nur an unseren physischen Körper oder an die unwichtige Person geheftet haben, die, wie wir meinen, so mißverstanden und so wenig gewürdigt wird.
Wenn wir uns jedoch weniger um das Vehikel kümmern, in welchem wir leben, werden wir von unserem alltäglichen Selbst entrückt, genau so wie beim Erklimmen eines Berggipfels und der Betrachtung eines herrlichen Sonnenaufganges, der geräuschlos die Schatten in Tal und Wald zerstreut, während das leise Zwitschern der Vögel lauter wird und sich in Wellen unternehmungslustiger Freude ausbreitet, um den neuen Tag zu begrüßen. Der Gesang der Vögel wandert weiter und weiter, so weit das Ohr ihn hören kann, und allmählich umfaßt er die ganze Welt, so wie die Nacht zu anderen Ländern kommt. Oder wir können in den Kelch einer lebendigen Blume blicken (nicht in eine Blume, die wir gepflückt haben, und die nun in unseren Händen verwelkt) und können beobachten, wie sich jedes einzelne zarte Blütenblatt langsam, nur ganz langsam, den Strahlen der aufgehenden Sonne öffnet. Wir können auch eine gewisse selbstlose Freude kennen lernen, wenn wir die Tränen eines Kindes trocknen und es in Zutrauen zu uns wieder lächeln sehen. Und manchmal, dann und wann, wenn wir unter unseren Mitmenschen sind, können wir tatsächlich spüren, wie sich ein unbeschreibliches Gefühl der Verwandtschaft in unseren Herzen regt. Selbst auf diese bescheidene Art fügen wir durch unsere Gedanken und unsere Handlungen alle uns zu Gebote stehenden Mittel den Anstrengungen jener bei, die unermüdlich bestrebt sind, den Pilgern auf Erden zu helfen, sich selbst zu helfen. Wenn wir nur ein klein wenig davon erfahren können, mit unseren Füßen auf dem Boden und mit unseren Sinnen bereit und fertig zum Handeln, dann verblaßt die Wichtigkeit des persönlichen Selbstes. Wie durch Magie werden wir auf eine andere Ebene zu dem Heim unseres höheren Bewußtseins emporgetragen und bekommen von diesem günstigen Ausgangspunkt einen klareren Blick für das Leben rund um uns herum. Dann können wir die ungetrübte Schönheit des Wachstums im Menschen, im Tier, Stein oder Planet verstehen und mutig und positiv dem Dämmern des Tages entgegensehen, an dem dieser festgefügte Globus, auf dem wir leben, ein leuchtender Stern unter seinen Geschwistern in unserem Universum sein wird.