Wo ist der Himmel?
- Sunrise 7/1968
Bei einem vor kurzem stattgefundenen Familienessen wechselte die Unterhaltung über unsere Kaffeetassen hinweg zu den augenblicklichen Ereignissen und dann zu einer Diskussion über verschiedene Religionen, wobei die unterschiedlichen Vorstellungen vom Himmel eingeschlossen waren. Einer aus der Gesellschaft sagte, er stelle sich den Himmel als wundervollen Garten vor, in dem er sitzen könne, ohne etwas zu tun, während die Springbrunnen in der Sonne sprudeln, die Vögel singen und wundervolle Mädchen zur Hand sind, um jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Seine Frau antwortete, daß er sich in solch einem Himmel innerhalb von zwei Wochen zu Tode langweilen würde, genau so, wie er immer drei Tage früher nach Hause will, ehe die jährlichen Ferien vorbei sind. Nach allgemeinem Gelächter wurde dieser Freund ernster und gab zu, daß ein langer Aufenthalt an einem solchen Platze eintönig werden könne, er fügte aber hinzu, daß der Aufenthalt erfreulicher wäre, wenn er dort etwas zu tun hätte. Wir stimmten überein, daß Nichtstun auf die Dauer eintönig wird. Wir müßten irgendeine Betätigung im Himmel haben, nicht immer dieselbe, aber etwas, das dazu beiträgt, die Verhältnisse zu verbessern. Also kamen wir zu der Erkenntnis, daß damit gewisse Unvollkommenheiten vorausgesetzt sind und Verbesserungen in unserem Himmel notwendig wären.
Meine Schwester, die eine wundervolle Mutter ist, sagte, sie liebe ihre kleinen Kinder, aber sie möchte nicht, daß sie immer klein blieben. Sie müssen wachsen, sowohl geistig als auch körperlich. Auch im Himmel muß daher gelernt werden und wo gelernt wird, da müssen Mängel an Kenntnissen oder Unwissenheit vorhanden sein. Und wer möchte schon, daß immer nur die Sonne scheint? Wir lieben den Wechsel der Jahreszeiten, die Erneuerung des Lebens im Frühling, die Fülle des Sommers, die vibrierenden Farben des Herbstes und die wundervolle Winterwelt unter der Schneedecke. All dies hängt von den Wetterveränderungen mit Donner und Blitz, Wind, Hagel, Wolkenbruch und den sie begleitenden Gefahren und Unannehmlichkeiten ab.
So ging es über eine Stunde. Jedesmal, wenn einer von uns einige wünschenswerte Eigenschaften erwähnte, die unser Idealhimmel haben sollte, fanden wir, daß wir die entgegengesetzten Eigenschaften gleichfalls brauchten. Schließlich sagte meine Mutter, die ruhig dabei gesessen und nur zugehört hatte, bei einem besonders lebhaften Wortwechsel: "Wahrhaftig, es scheint mir, daß Ihr alle über die Ordnung des Diesseits sprecht!" Das beendete unsere Abenddiskussion.
Seitdem habe ich über die Frage nachgedacht und zweifellos die anderen auch: Was und wo ist der Himmel? Er scheint keine bestimmte Zeit zu dauern und kein spezieller Platz zu sein. Wahrscheinlich finden wir ihn in unserem individuellen Bewußtsein - in jener inneren Ruhe, die wir erlangen, wenn wir das "Richtige hier und jetzt" mutig angehen, so wie es unserer besten Einsicht in die Prinzipien entspricht, die von allen großen spirituellen Lehrern gelehrt worden sind und wenn wir der Gerechtigkeit des göttlichen Gesetzes, das unsere Geschicke lenkt, volles Vertrauen entgegenbringen. Ich bin gespannt, ob jemand eine bessere Antwort weiß?