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Aus eingegangenen Briefen - Santa Barbara

Santa Barbara, California, 21. November 1967

 

In den letzten Monaten fand ich Zeit, verschiedene Bücher zu lesen, die in einem Fach eines Schreibtisches lagen, der mir offen stand, und mir wurde klar, daß Einstein, Cantor und andere die Priester des neuen Gottes sind, der reiner Geist ist und nach und nach den anthropomorphischen Begriff aus unseren Gemütern verdrängt. Hat nicht Pythagoras die Mathematik als einen der vielen Wege betrachtet, die zu dem "Königreich des Himmels im Innern" führen, das wir vor allem suchen müssen? Ich denke an Professor Michelson von der Universität in Chikago, der erklärte, wir wissen über Gott nur eines gewiß, nämlich, daß er ein Mathematiker ist. Er erwähnte die Tatsache, daß die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne, und die Umlaufbahnen der Elektronen um den Kern eines Atoms, durch dieselbe Gleichung regiert werden. Beim Lesen stieß ich auf eine häufig geäußerte Erklärung des flämischen Mystikers und Theologen des vierzehnten Jahrhunderts, Jan van Ruysbroeck: "Es gibt einen Punkt, an dem jede Vergleichsmöglichkeit aufhört", was, wie ich annehme, einen Punkt jenseits von Symbolen und Formen bedeutet. Teilhard de Chardin sprach von einem Überschreiten des Punktes Omega. Sind sein Punkt und der von Ruysbroeck ein und derselbe?

Andererseits sagte Walt Whitman, die Dichter seien die Priester unserer Zeit. Aber sind das unsere Naturwissenschaftler nicht auch, die die Felder des Raumes wie auch die Geheimnisse des Atoms erforschen? Sind sie vielleicht Reinkarnationen der alten Alchimisten? Heute denken die Wissenschaftler bei ihren Forschungen auf einer Ebene jenseits von Gut und Böse. An Dualität, wie wir sie verstehen, sind sie nicht interessiert. Unsere trägen Laiengemüter (die nur ein Zehntel der Gehirnzellen zu ihrer Tätigkeit brauchen) bewegen sich auf der Basis von Bergsons Wurm, der nur sieht, was wir "kompakt" nennen. Oder soll ich es so ausdrücken: Die meisten von uns Sterblichen gehen den geistigen Weg so langsam, daß wir zuerst das Gute und dann das Böse (oder den Schatten?) sehen, während der erkennende Wissenschaftler - der, wie z. B. George Borges, erreicht hat, was er "den Punkt jenseits der Unendlichkeit" nennt - Gut und Böse nur als die Höhe und Tiefe einer rhythmischen Woge sieht. Gefährlich? Wann war das Bewußtwerden abstrakter Wahrheit nicht reines Feuer?

Wachsendes Verstehen von Symbolen läßt diese wie Sprossen einer Leiter erscheinen, die man benutzt, um hinaufzugreifen und für den gewöhnlichen Geist Gedanken herabzuholen, die unser Bewußtsein in seinem gegenwärtigen Zustand anders nicht begreifen könnte. Könnte der Punkt jenseits der Unendlichkeit, jenseits von Omega, jenseits von Ruysbroecks Vergleichsmöglichkeit das Gebiet sein, in dem Einstein E - mc2 fand - eine Gleichung, an die niemand, der mental erdgebunden ist, ohne ihren Beweis durch die Atombombe glauben würde? Dieser Verstand, der die neun Zehntel des bis jetzt nicht benutzten Gehirns umfaßt, kann absolutes Wissen erfassen. Er kann sehen, daß das Licht kontinuierlich und auch gebrochen ist - ist es Übertreibung zu sagen, es nähert sich der Allwissenheit?

Eine nachträgliche Überlegung: Mathematik, Kernphysik, Relativität, Zeit-Raum etc., haben vielleicht das Geheimnis unseres Atomzeitalters enthüllt, haben ihm Größe verliehen und der Menschheit den Weg eröffnet, mit Hermes aus erster Hand zu erkennen - "Wie oben, so unten." Das hat mich mit unserer aus den Fugen geratenen Zeit versöhnt; es hat auch meinen Glauben gestärkt, daß organisatorische und rassische Gewaltmaßnahmen, um 'die Welt zu retten' ohne die vorher erforderliche individuelle Anstrengung, unser eigenes Bewußtsein "auf das Gedankengebiet des Geistes zu erheben", nutzlos sind. Jeder Mensch sollte seinen eigenen Weg gehen - ob mittels der Mathematik oder der Poesie.