Der Geist einer Idee
- Sunrise 3/1968
Was ist jenes ungreifbare Etwas, das der Ursprung aller Gedankentätigkeit ist - und wo befindet es sich? Beschwören wir es nach unserem Willen herauf? Hat es mehr oder weniger Wert für unsere mentalen Prozesse als die Gewänder, in die Begriffe notwendigerweise gekleidet werden müssen?
Wir sind alle Händler auf dem Marktplatz der Ideen, wo manche der Güter mit Gefühl lebhaft gefärbt, ungenau bezeichnet, aber mit lauten Liebesausdrücken geschmückt sind. Es gibt auch Ballen um Ballen von Stoff, die mit Myriaden Worten und Phrasen bedruckt sind, deren wahrer Inhalt das von persönlichem Verlangen getäuschte egoistische menschliche Gemüt widerspiegelt. Manche Angebote tragen deutlich erkennbare und ausgeprägte Auszeichnungen, andere weisen auf eine entgegengesetzte Bemühung hin. Sie stellen synthetische Muster dar, die ineinander verschlungen sind.
Halten wir je einmal inne, um zu erwägen, woher alle diese Ideen stammen? Schüler der Philosophie und der Religion finden sich oft in verschiedene Diskussionsgruppen verwickelt. Einige unter den Teilnehmern mögen einer Opposition gegen ihren persönlichen Glauben mit so erhitzten Gefühlen begegnen, daß sie die Versammlung verlassen. Andererseits, wenn Themen über Parapsychologie, psychische Erscheinungen, Karma, wer oder was Gott ist, etc. vorgebracht werden, werden dogmatische Behauptungen aufgestellt. Das kann zu plötzlichen Ausbrüchen von Gereiztheit führen, die wir bald darauf bedauern - sogar eine Freundschaft kann dabei in die Brüche gehen. Warum ist es notwendig, so viele verschiedene Gesichtspunkte in Erwägung zu ziehen?
Möglicherweise ist das alles eine Prüfung des Unterscheidungsvermögens. Wenn wir uns das Ende solcher Gruppengespräche unter Fremden ins Gedächtnis zurückrufen, wieviele von uns haben da beachtet, ob die vorgeschlagenen Theorien universal angewendet werden können? Es würde noch schwerer sein, zu unterscheiden, wieviel von dem Gedankenaustausch nur individuelle Auslegungen waren, die einem aus der Vergangenheit bedingten Glauben entsprangen.
Zu bestimmen lernen, ob eine Idee sozusagen aus einer vertikalen oder einer horizontalen Quelle fließt, erfordert viel von unserem Unterscheidungsvermögen. Stammt sie aus einer Gruppe ursprünglicher Ideen, die lange vor dem Bewußtwerden unseres konkreten Denkens einer Gottheit entsprossen? Die Hauptursache für dieses oder jenes Muster des Denkens kann ursprünglich durch eine Art göttliche Einsicht ausgelöst worden sein, die durch das menschliche Gemüt als Instrument empfangen wurde und später jedoch in einer falschen Anwendung des Prinzips falsch zum Ausdruck gebracht wird, weil sie von persönlichen Wünschen nach einem besonderen Resultat motiviert war.
Der nachdenkende Mensch muß in diesen Zeiten der Verwirrung in seinem Forschen nach einer Philosophie oder nach einem System, das die vereinigenden Grundlagen der zeitalterlosen Weisheit verkörpert, viele spekulative Betrachtungen aussieben und beiseite legen. Er kann es sich nicht erlauben, die Organisationen, die er vielleicht verläßt, zu genau zu untersuchen und zu kritisieren. Statt dessen muß er versuchen, sich über die Ausdrucksmittel zu erheben, in die die religiöse Wahrheit gekleidet war. Dabei wird er für freiere und umfassendere Begriffe jenseits des Bereichs des bloßen Intellekts empfänglicher werden. Bei dieser Anstrengung, die tägliches Nachdenken erfordert, läßt sich der aufrichtige Sucher von seiner Intuition führen und ist so besser imstande, die Wahrheit, ganz gleich in welcher Form, zu erkennen. Dabei schult er sich, sich mit Leichtigkeit unter den kaleidoskopischen Meinungen der Menschen zu bewegen und wird mit der Zeit vielleicht ein Gesandter des Friedens und der Harmonie in einer Umgebung, in der vorher Zwietracht und Zweifel herrschten.
Der Geist einer Idee enthält mehr Macht als durch Worte oder durch irgendeine formell organisierte Anstrengung übermittelt werden kann - und an jenen reinen Geist wenden wir uns um vollkommeneres Verstehen und um Erleuchtung.