Salzsäule
- Sunrise 2/1967
Presse und Fernsehen konfrontieren uns regelmäßig mit den Scheußlichkeiten des Zweiten Weltkriegs. Manchmal werden bei dem Rückblick Greueltaten gezeigt, die auf allen Gebieten begangen wurden, ein andermal sehen wir Filme, die von Todeslagern oder Sammelpunkten handeln, die die Unglücklichen passieren mußten, wenn sie einem ungewissen Ende entgegengingen. Diese negativen Gedanken werden fortwährend hervorgezerrt und deuten unwillkürlich und unmerklich mit anschuldigendem Finger auf die beteiligten Länder hin. Fast immer ist der Kommentar ganz subtil, aber ausreichend so gehalten, daß er unter den Lesern oder Zuhörern Gefühle des Abscheus und des Getrenntseins gegen die Menschen jener Länder entfacht, mit denen wir heute zusammen leben und arbeiten müssen. Ich habe mich wiederholt gefragt: "Warum diese Betonung? Ist dies wirklich heute noch notwendig?"
Was wollen wir damit erreichen? Können wir so die Einheit der Welt fördern? - Eine Einheit, die, trotz so mancher Kurzsichtigkeit, augenblicklich in vielen und verschiedenen Zweigen und Branchen der Gesellschaft und auch in unserem eigenen erwachenden Bewußtsein als Ergebnis des spirituellen Bemühens zur Bildung einer besseren Welt entwickelt wird? Ohne viel Aufhebens hat überall eine wirkliche Zusammenarbeit begonnen. Der Tourismus hat z. B. hundertfach zugenommen, und sogar dem oberflächlichsten Besucher der Sehenswürdigkeiten ein oder zwei Kontakte oder Ideen geschenkt, um seinen Blick zu erweitern. Austauschstudenten und Lehrer reisen überall hin, und Arbeiter aus dem Ausland - ob sie als Helfer zu ihrem Gastland kommen, als zeitweilige Besucher, um die Sprache zu lernen, oder als Arbeiter, die bessere Bezahlung suchen - mischen sich freizügig mit den einheimischen Arbeitskräften in vielen Ländern. Warum sehen wir nicht die Gegenwart mit ihren Problemen und Möglichkeiten, anstatt die Vergangenheit mit ihrer zerstörenden Atmosphäre wieder zu beleben?
Ein Grund für dieses immer wieder Hervorzerren des Krieges ist, daß unsere Jugend von Zeit zu Zeit wieder gewarnt werden soll, damit sie ähnliche Katastrophen in Zukunft vermeiden kann. Natürlich stimmen wir alle damit überein, aber ist dies die richtige Art, die Dinge anzugehen? Mir erscheint es zweifelhaft, wenn nicht unmöglich. Ein einfaches Beispiel hierfür: wir warnen unser Kind, einen brennenden Ofen oder ein heißes Gerät zu berühren. Hilft dies? Allgemein nicht. Das Kind greift danach und berührt es irgendwie, verletzt sich und gewinnt dadurch eine Erfahrung, die es nicht mehr vergißt. Es ist die eigene Erfahrung jedes Menschen, die lehrt, nicht die eines anderen. Könnte man diesen Grundsatz nicht auf zahllose innere und äußere Situationen anwenden? Wir müssen unser Verständnis über Recht und Unrecht durch individuelle Erfahrung erwerben; wir können es nicht wie ein Vermächtnis des Willens und als Testament für die nächste Generation weiterreichen.
Was wir und andere in jenem Krieg erlitten und erduldeten, hat für die Jugend von heute keine große Bedeutung. Wir werden ihrem Maß an Einsicht und Weisheit vertrauen müssen - hoffentlich ist es größer und umfassender als unseres - so daß diese und andere Katastrophen vermieden werden können. Wir können uns nur bemühen, sie zu führen, indem wir mit unserem Leben das richtige Beispiel geben, indem wir ihnen spirituelle Werte geben und Mitleid zeigen, denn sicher wird ein Blick zurück in die Vergangenheit - unsere Vergangenheit, nicht ihre - den Jüngeren, die nach uns kommen, nicht ein bißchen helfen.
Wir können uns leicht prüfen. Jeder von uns hatte schmerzvolle und schlimme Erfahrungen. Wie überlebten wir sie, wie gewannen wir unsere Kämpfe? Hielten wir an der Vergangenheit fest und wichen der Gegenwart aus, oder verjagten wir die Erinnerung an Schwieriges oder Trauriges, als Schatten der Vergangenheit, nachdem wir daraus gelernt hatten, was wir lernen konnten und richteten dann unsere Augen auf die Pflichten des Alltags und die unmittelbare Zukunft? Wählen wir den ersten Weg, so werden wir unweigerlich in den engen, hemmenden "Ich-Kreis" eingefangen und drehen uns endlos darin herum. Wenn wir dem zweiten Weg folgen und versuchen den Resultaten nicht allzuviel Aufmerksamkeit zu schenken, dann werden wir feststellen, daß allmählich alles leichter zu ertragen ist. Arbeiten wir in einer positiven Weise mit der Natur, dann helfen wir tatsächlich mit, für uns neue Möglichkeiten zu schaffen - Möglichkeiten, die sonst wohl für lange Zeit außerhalb unseres Bereiches geblieben wären.
In unseren Herzen lebt jener "kleine, stille Zwerg", der uns immer drängt, vorwärts zu gehen und nicht mit einem Gefühl des Getrenntseins auf unseren Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite oder jenseits der Landesgrenze zurück zu blicken. Langsam werden wir lernen, daß die Menschheit ein großer Körper im gesamten Bewußtsein ist, und daß wir zusammen vorwärts schreiten müssen, indem wir versuchen andere mitzunehmen und ihnen zu helfen, sich selbst zu helfen. Dies bedeutet Vergessen und Vergeben in der Gegenwart! Wir werden an das Schicksal von Lots Weib erinnert, die sich umdrehte, um einen letzten Blick auf Sodom und Gomorrah zu tun. Es soll für uns eine eindringliche Warnung sein.