Wie soll die Wahrheit gefunden werden?
- Sunrise 1/1967
Wir fühlen, daß es irgendwo eine Richtung im Denken gibt, die wir alle einschlagen können, um das wirklich Grundlegende und Schöne im Leben zu finden, und die uns Schritt um Schritt zu einem Verstehen der treibenden spirituellen Kraft bringt, die unser Leben beschleunigt und uns gegenseitig anzieht.
Wenn wir zum Verständnis dessen gelangen, daß nichts ohne Ursache geschieht, schauen wir nach dem Ursprung und den Vorgängen, die für unsere Feststellungen verantwortlich sind. Wissenschaftliche Forschungen liefern Antworten auf verwirrende Erscheinungen in der physischen Welt. Auf gleiche Weise befassen sich Psychiater mit dem verborgenen Verhalten des Unterbewußten im menschlichen Gemüt und versuchen, Probleme geistiger und emotioneller Störung zu klären, um bei dem Einzelnen ausgeglichenere und nützlichere Einstellungen hervorzurufen. Es gibt Zeiten, zu denen die Seele innerhalb ihres eigenen Gedankenkäfigs festgehalten und gefangen ist und nach Licht und Hilfe ruft. Wenn wir erst einmal damit anfangen die Ursachen ausfindig zu machen, haben wir eine echte Chance, den Einfluß ihrer Auswirkungen auf uns zu beherrschen.
Die Natur ist mit einem Buch verglichen worden und wie ein Buch besitzt sie Kapitel. Das Ende eines Kapitels kann irrtümlich für das Ende des ganzen Bandes gehalten werden, aber sowie wir die Seiten umblättern, stellen wir fest, daß wir lediglich einen zeitweiligen Abschluß erreicht haben und eine Fortsetzung der Erzählung erwarten. Wir lieben es, mit den Zeiten Schritt zu halten, indem wir auf neu enthüllte Tatsachen und Theorien in der Forschung eingehen, die, wie verschleiert sie auch sein mögen, Aufklärung versprechen. So müssen unsere Gemüter anpassungsfähig und hinreichend beweglich sein, um weitere Erkenntnis aufzunehmen. "Alles fließt", sagt der griechische Philosoph Heraklit, und wir müssen auch weiterschreiten oder unsere eigenen Meinungen begründet beibehalten.
In seiner Gedankenatmosphäre weist unser Zeitalter eine starke Ähnlichkeit mit dem Griechenland des Altertums auf, dessen viele Zentren des Lernens glänzende und interessante Formen intelligenter Charakterzüge aufwiesen. Die Stoiker und Spartaner bemühten sich besonders um geistige und körperliche Tauglichkeit, und es gab Verehrer des Apollo, die wir heutzutage Sonnenanbeter nennen würden. Die Rede floß ungezwungen, und die Zeit war für jeden Gelehrten günstig. Kunstschulen brachten Arbeiten von derart beflügelter und überirdischer Qualität hervor, daß diese uns noch immer mit ihrer dichterischen Darstellung inspiriert und uns über Schönheit und Geheimnisse nachdenken läßt. Jene, welche die Lehren der Philosophen wie Pythagoras, Plato, Sokrates und anderer aufnehmen konnten, fühlten sich geehrt, in einem Zeitalter der Größe geboren zu sein und hinterließen Aufzeichnungen ihres Lernens und ihrer Weisheit.
Unter all diesen nach Wahrheit Suchenden gab es kleine Gruppen, die die Gesetze, welche das Universum regieren, zu verstehen suchten, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, Evolution, Wiedergeburt und die konstitutionelle Struktur des Menschen und des Universums. Durch ein näheres Studium dieser Gesetze konnte eine reichhaltigere und umfassendere Wahrnehmung der Kräfte erhalten werden, die dem Menschen und der Welt, in der er lebt, innewohnen: physisch, mental, spirituell und, darüber hinaus, das Unbekannte. Jede Gruppe, Schule oder jedes Kolleg arbeitete unter dem eigenen Namen, wobei die Wahl ein Zeichen für die Gedankenrichtung war, in der die Studien geführt wurden, und der Student wußte, wozu er sich verpflichtete und welche Richtung er einschlug. Auf diese Weise ließen viele Denker ihr Licht der Erkenntnis auf ein reiches und mannigfaltiges Feld des Lernens leuchten, das Fragende aus anderen Ländern und über die Meere hinweg anzog.
Aber wie Plato sagte: "alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende." So machte im Lauf der Jahrhunderte der Zyklus der spirituellen Blüte einer Periode der Unfruchtbarkeit Platz, wobei die einst geheiligten Wahrheiten nicht mehr länger Anspruch auf die Verehrung durch Menschen hatten. Statt dessen war intensive verstandesmäßige Tätigkeit an der Tagesordnung. Und als der Apostel Paulus nach Athen kam und dort einen Altar für den "Unbekannten Gott" vorfand, gefiel ihm das nicht. Nun war Paulus sich bewußt, was die Mysterien in ihrer Reinheit darstellten. Das Suchen nach Erkenntnis ist empfehlenswert und kann zur Aufklärung führen; doch er konnte feststellen, daß "Die Athener und die Fremden, die sich dort befanden, ihre Zeit mit nichts anderem verbrachten, als entweder zu erzählen oder etwas Neues zu hören." Diese Diskussionen und Verehrungen konnte er übergehen, indem er wußte, daß die Leute im Grunde genommen darauf bedacht waren, sich zu bessern und zuhören wollten, Aber da er einen Einblick in die Natur des göttlichen Gesetzes hatte, fühlte er sich verpflichtet zu protestieren, als er sah, wie sie sich der abgöttischen Verehrung des "Unbekannten" widmeten, und er rief aus:
Nun verkündige ich euch denselben, dem ihr unwissend Gottesdienst tut.
Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der ein Herr ist Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht;
sein wird auch nicht von Menschenhänden gepflegt, als der jemands bedürfe, so er selber jedermann Leben und Odem allenthalben gibt.
Und er hat gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen. ...
Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: "Wir sind seines Geschlechts."
So wir denn göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.
- Apostelgeschichte 17: 21-29
Wenn wir die Ausströmungen studieren, die im Unbekannten entspringen und sich durch alle Bereiche nach unten ausbreiten, stellen wir fest, daß die Aktivität zuerst in den spirituellen Welten auftritt, indem sie sich als Energien aus Ursachen, die in der göttlichen oder unbekannten Substanz des reinen Wesens liegen oder latent sind, manifestieren. Diese spirituellen Kräfte erzeugen dann ihre eigenen Ursachen, die als weitere Energien in den mentalen, psychischen und physischen Welten erscheinen, wobei jede gemäß ihrer Natur arbeitet. So haben wir das Gesetz von Ursache und Wirkung, unpersönlich, gerecht und natürlich. Aber wenn wir auf persönliche Art dem "Unbekannten Gott" Gebete darbringen, versuchen wir damit, mit unseren sterblichen Gemütern Ursachen zu binden, die in ihrem Wesen unsterblich sind, und dies führt nur zu Komplikationen. Wegen ihrer größeren Auffassungsgabe 'erwarten' die weisen Menschen nichts und sträuben sich, ihre Vorstellungen zu forcieren. Sie ziehen es vor, die Probleme durch die Zeit und die Umstände klären zu lassen, vielleicht etwas langsamer, aber mit einer besseren Möglichkeit harmonische Ergebnisse zu erzielen.
Was Paulus den Athenern sagte, könnte ebenso auf unsere Zeit zutreffen: "Ihr Männer von Athen, ich stelle fest, daß ihr in allen Dingen zu abergläubisch seid." Wir kennen die Art von Ergebnissen, die dem unmittelbaren Bemühen folgen und wir suchen nach ihnen. Jedoch dieses oder jenes von unbekannten Quellen zu erwarten, besonders von der Quelle allen Seins, steht im Widerspruch mit dem natürlichen Gesetz und mag schreckliche Folgen haben. Wie er sagt, ist es viel besser, die Tugenden auszuüben und Weisheit und Wahrheit zu suchen, denn das ist die Art zu leben, die zur endgültigen Erkenntnis führt.
In diesen Tagen suchen wir nach Gründen für unseren Glauben und erforschen die Schritte, die andere in der Vergangenheit unternommen haben. In den Worten des Apostels liegt viel Wahrheit: "Glaube, Hoffnung, Nächstenliebe, diese drei, aber die Größte von ihnen ist die Nächstenliebe." Denn in reiner Liebe mächtig und bindet uns in einer Gemeinschaft des Geistes. Paulus arbeitete in schwierigen Zeiten, aber er formte ein Schwert der Wahrheit, das seine Gegner entwaffnen konnte, indem es jenen eine neue Freiheit gab, die in Zweifel oder Dunkelheit des Gemüts lebten, geknechtet durch ihre eigenen Gedanken.
Wie in jenen Tagen, haben wir den Glauben an uns verloren und sind von Zweifeln und Ängsten umdrängt. Nur versuchsweise schauen wir vorwärts in die Zukunft, dennoch winkt sie uns mit Versprechungen und zeigt uns die unbetretenen Felder des kommenden Zyklus. Jene, die am mutigsten sind, kommen durch den neuen Geist in Bewegung und schreiten vorwärts mit gesteigerter Hoffnung. So wie sie im Dienst an der Menschheit zusammenkommen, machen sie Licht aus ihren Kreuzen und schauen empor zum Himmel, welcher ein Teil unserer Gottheit, unserer Erkenntnis und unserer Kraft ist.