Die Überlegenheit der Ideale
- Sunrise 5/1966
Gold wird im Feuer geläutert,
Starke Menschen durch Unglück.
- SENECA
Von allen Lebensfragen, denen die heutige Jugend gegenübersteht, ist wohl die hervorragendste die, sich für ein lohnendes Ziel zu entscheiden. Aber seltsamerweise ist das Kind der ideellen Leistung oder dem metaphysischen Ziel viel näher, als man vermuten könnte. Die Welt von heute ist im Übergang begriffen, so daß sich alles an einem Scheideweg zu befinden scheint. Der junge Mann oder die junge Frau, die eine besondere Laufbahn ins Auge fassen, sind gezwungen, wirklich und völlig selbständig zu denken. Es liegt eine tiefe Bedeutung in der Tatsache, daß diese jungen Menschen nicht mehr geneigt sind, sich an die ältere Generation zu wenden, um Rat einzuholen - und aus sehr guten Gründen, wie es scheint. Vor allem sind die Alten zu konservativ, haben einen zu begrenzten Gedankenflug und schauen selbst nicht weit genug, um helfen zu können. Es ist ermutigend, daß die nachdenklichen Gemüter der jüngeren Generation einem besseren Verständnis der Ursachen näherkommen, die unseren chaotischen sozialen Verhältnissen zu Grunde liegen. Sie wissen zum Beispiel, daß die gegenwärtige Weltkrise nur den Höhepunkt, das Ergebnis des Strebens früherer Generationen darstellt, die, wie wir es jetzt erkennen, ziemlich eigennützige Ziele zu erreichen suchten. Dieses intuitive Begreifen der Lage ist eines der hoffnungsvollsten Zeichen der Zeit.
Äußerliche Ziele, die um jeden Preis verfochten wurden, standen als volkstümliche Ideale zu lange im Vordergrund, und nur der Himmel konnte den schützen, der einem andern in den Weg lief. Das gab kein schönes Bild. Aber es kann doch als lebendige Illustration dafür dienen, wie unumschränkt Ideen - und Ideale - die Welt regierten und immer regieren werden. Der Grund dafür ist, daß das Gesetz von Ursache und Wirkung in den Angelegenheiten der Menschen nicht beiseite gelegt werden kann. Das gleiche Gesetz beherrscht jeden Bereich des Universums.
Während dieser Jahre war das Trachten nach Vergünstigungen und Vorteilen nicht ausschließlich auf die materiellen Hilfsquellen unseres Planeten beschränkt. Nationen wurden von anderen Nationen ausgenutzt, Klassen von anderen Klassen und Gruppen Einzelner von anderen Gruppen; alle waren gleicherweise Opportunisten, bis heute die Wirkungen überall klar zu Tage treten. Neben Armut, Leid, Krieg und Grausamkeit treffen wir fast überall Ablehnung, Argwohn, Furcht und fieberhafte Unsicherheit an, während ein furchterregendes, drohendes Unglück andeutendes Anzeichen nach dem andern auf die Leinwand unserer Zeit geworfen wird. Auch ist des Menschen Gefühlsnatur von einer gleicherweise intensiven Ausbeutung nicht verschont geblieben. Religiöse und politische Scharlatane, große und kleine, sind auf diesen Gebieten in zunehmendem Maße tätig gewesen.
Nach welchem beweiskräftigeren Zeugnis könnte man für die überragende Überlegenheit der Ideale in den menschlichen Angelegenheiten verlangen, als dem, das aus den Dingen um uns herum ersichtlich wird? Aber es gibt so etwas wie das, was der Chemiker bei jeder quantitativen Analyse einen "Schlußpunkt" nennt. Im Verlauf des gegenwärtigen Prozesses muß die Natur selbst die verschiedenen, jetzt in der Durchführung begriffenen Reaktionen in ihrem ungeheuren Laboratorium überwachen. Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß Gold durch Feuer geläutert werden muß. Das allzu schmerzhaft Sichtbare bei unserer gegenwärtigen Prüfung ist nur die während des Prozesses an die Oberfläche getriebene Schlacke. "Erwarte das Blühen der Blume in der Stille nach Sturmesgetöse - nicht früher. Wohl wird sie keimen, sprießen, wachsen, wird Blatt und Zweig und Knospe bilden, noch während der Sturm wütet und der Kampf andauert."