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Der Goldene Hort

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Eine alte Geschichte erzählt, daß der Mongolenfürst Dschingis-Khan im 13. Jahrhundert zusammen mit einem unermeßlichen Reichtum an Juwelen und Goldbarren begraben wurde, der Kriegsbeute seiner in Asien und bis an die Tore Europas wütenden Armeen. Manche glauben, daß dieser ungeheure Reichtum der legendäre "Goldene Hort" ist, und Glücksjäger haben seitdem Energie, Zeit und Geld darauf verwendet, ihn zu finden. Eine andere noch spannendere Geschichte deutet den Goldenen Hort als das östliche Mutterland der europäischen Volksstämme, wo sie wohnten, ehe sie in aufeinanderfolgenden Wogen westwärts strömten, Ereignisse, deren man sich nur noch in Mythen erinnert.

Im vergangenen Jahrhundert fand der Forscher, General N. M. Prjevalsky, in der Gobi, der Großen Wüste Asiens, Spuren alter Städte. Es waren keine Überreste kleiner Gemeinden oder Dörfer, sondern einst großer Städte mit fortschrittlichen technischen Einrichtungen wie Kanalisation. Unter den Trümmern lagen Glasscherben und sorgfältig gearbeitete goldene Tafelgeschirre. Doch bis jetzt kennen wir noch nicht die Namen dieser Völker oder wissen, wie lange es zurückliegt, daß in ihren Städten Leben und Tätigkeit pulsierte. War die Gobi damals ein Meer oder ein ungeheurer Binnensee mit vielen Inseln? Niemand kann es sagen, denn alles, was wir besitzen, sind die Überlieferungen, die sich durch die Jahrhunderte hindurch erhalten haben und die von dem einst reich bevölkerten Karakorum und anderen Gebieten und von einem Goldenen Zeitalter erzählen, in dem die Menschen viel wußten und sich mit den Göttern unterhielten.

Noch heute können wir eine gewisse Erregung verspüren, wenn wir über die große Wanderung der Menschen alter und ermüdeter Nationen nachdenken, die durch einen aufkommenden Drang vorwärtsgetrieben wurden einen neuen Ort zu finden, um dort die Samen einer anderen Kultur zu säen und zu hegen. Man könnte sich den Goldenen Hort auch als eine Anzahl Städte vorstellen, aus denen viele emigrierten, um sich an neuen Orten, ungehindert durch die Bürde alter Überlieferungen und veralteten Lebens- und Denkgewohnheiten, zu entfalten. Durch ihre Arbeit, ihren Mut und ihren Weitblick blühten die neuen Länder auf. In den Legenden im Altai-Himalaya kommt eine Art Heimweh zum Ausdruck, das dem der Griechen gleicht, die in ihrem Abendrot sich nach ihrem Goldenen Zeitalter zurücksehnten. All das deutet darauf hin, daß es inmitten des Goldenen Hortes vielleicht ein Zentrum der Wahrheit und der Schönheit gab, von dem ein Einfluß ausging, der schließlich dazu führte, neue Wohnstätten zu suchen und neue Rassen zu schaffen. Aber die Menschen wachsen und weder beständiger wolkenloser Sonnenschein noch die sorgenfreie Kinderwelt genügen den Erwachsenen: sie brauchen Veränderung und Herausforderung.

Der Archäologe Professor Flinders Petrie stellte vor vielen Jahren in einer Doktorarbeit die Behauptung auf, daß annähernd alle 250 Jahre ein im Fernen Osten entspringender Impuls zu einer neuen Kultur führt. Dieser Impuls bewegt sich wie eine große Woge des Ozeans langsam westwärts, und wo immer diese Woge Verbindung aufnahm, gab es zivilisatorischen Aufstieg. Zweifellos können wir die sonderbare Tatsache beobachten, daß, während die aufeinanderfolgenden Shang und Chou Perioden im alten China verlöschten, es entlang der Route nach Europa schöpferische Epochen des menschlichen Geistes gab.

Wenn Dr. Petries Idee richtig ist, dann beeinflußte die schöpferische Tätigkeit der Shang und der Chou Dynastie die jetzt als homerisch bezeichnete griechische Periode, wenn es auch sein kann, daß in der Iliade und der Odyssee die Saaten von Mythen aus viel früherer Zeit enthalten sind, die auf die Ereignisse des Trojanischen Krieges übertragen wurden. Professor Petrie ging nicht soweit zurück und begann mit der Han Periode, aber seine bis zur sogenannten wissenschaftlichen Revolution in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aufgeführten Beispiele scheinen seine Idee zu bestätigen.

Csoma de Körös war von der Idee durchdrungen, daß seine, den anderen Ungarn so unähnlichen magyarischen Volksgenossen aus dem fernen Tibet nach Mitteleuropa kamen. Er bekräftigte seine Behauptung durch die Entdeckung der großen Ähnlichkeit zwischen der tibetanischen Sprache und seiner eigenen. Diese befähigte ihn, das erste Wörterbuch zu schreiben, in dem tibetanische Wörter mit der europäischen Ausdrucksweise verglichen werden.

Der Gedanke an eine 'wellenförmige Völkerwanderung' ist nicht so phantastisch, wie er im ersten Augenblick erscheinen mag, und ein kürzlich erschienener Film über die Pioniertätigkeit in den Vereinigten Staaten hatte als Thema diesen Menschenstrom: How the West was Won (Das war der Wilde Westen) zeigt, wie wir uns das Wesen derjenigen vorstellen können, die einen treibenden Impuls verspürten nach dem Westen zu gehen, dort unerforschtes Gebiet zu erschließen und zu bebauen und die reichlichen Gelegenheiten wahrzunehmen, die solchen Bemühungen folgen.

Das sind jedoch äußerliche Angelegenheiten, die Wirkungen am Werk befindlicher innerer Kräfte. Zivilisation und Kultur haben ihren Ursprung im Menschen: er ist ihre Quelle und ihr Erzeuger. Die materiellen Aspekte des Lebens neigen beständig dazu, den Prozeß mit der Zeit aufzuhalten, denn sie verdicken und verhärten in den früher elastischen Kanälen der ursprünglichen Schöpfer. Wenn diese Durchgangswege ihre Funktion fruchtbare Kräfte zu übermitteln nicht mehr erfüllen, müssen sie aufgegeben werden. Griechische Kunst und sumerische religiöse Symbole sind nur zwei Beispiele von vielen Zeugnissen des Geistes im Menschen, dessen treibende Kraft und schöpferische Vision solche Werke hervorbringen. Der Geist, der die Quelle bildete, ist nicht verschwunden. Er zog sich zurück, um anderswo in neuer Verkleidung zu erscheinen.

Es gibt eine Menge Anzeichen, daß wir in einer Zeit leben, in der unsere durch Jahrzehnte, ja selbst Jahrhunderte in starre Farmen eingezwängte und eingeschlossene Zivilisation zusammenbricht und eine neue erscheint. Anzeichen dafür können wir sowohl in vielen Künsten als auch in den Wissenschaften und Philosophien und in überstürzten neuen Glaubensbekenntnissen sehen. Jene, die es beklagen, daß die heutige Jugend nicht den überlieferten Vorbildern folgt, sollten das Tagebuch des ägyptischen Gesandten Wenamon lesen, der vor über viertausend Jahren in ähnlicher Weise klagte, daß die Jugend ihre Rituale und religiösen Vorschriften vernachlässigte und sich an den Straßenecken zusammenscharte, um aufreizenden Rednern zuzuhören. Und Wenamon stand nicht allein. Andere machten ähnliche Beobachtungen und konnten den Zug der Zeit nicht verstehen. Sie war betrübt, weil das Alte zerfiel. Sie fühlten sich unsicher, weil die ihnen bekannte Welt ein neues Gesicht annahm und fürchteten, was die neue wohl bringen würde.

Obgleich vom Goldenen Hort viele Menschenwogen gekommen sein mögen und sich an fremden Ufern festsetzten, wie die aus dem Norden gekommenen vorhomerischen Griechen und Pelasger, die Sumerer und Babylonier und Dutzende anderer Völkerstämme, ihre Verschiedenheit sorgte nur für Veränderungen innerhalb des Hauptthemas: das zum Ausdruck bringen besonderer Eigenschaften, die das Bild der Menschheit reichhaltiger machen. Die alten Radschputen behaupteten, daß sie generell gesehen schon im Besitz eines Kernes von Lehren über die Natur des Menschen, seine Bestimmung und seine Verwandtschaft mit dem Universum waren, als sie nach Indien kamen. Auch die Griechen behaupteten, ihre Mysterien stammen aus dem grauen Altertum und trotz der Hunderten von Büchern, die über Eleusis geschrieben wurden, konnten die Gelehrten den sie verhüllenden Schleier nicht lüften.

Professor Arnold Toynbees Annahme, daß neue Religionen und Kulturen als Antwort auf einen spirituellen Antrieb irgendeines Menschen oder einer Gruppe von Menschen entstehen, hat etwas für sich. Wenn wir die Geschichte betrachten, könnten wir uns fragen, "Worin hatten die Wogen wandernder Völker ihren Ursprung?" Antworten wir "in großen Menschen", dann werden manche dem nicht zustimmen und statt dessen sagen, es seien Forderungen des Klassenkampfes und andere Umstände gewesen, einschließlich Unterdrückung, Entbehrungen, Ehrgeiz und Fanatismus jeder Art. Wir kehren jedoch zu dem Gedanken zurück, daß alle wirklich zivilisierenden Kräfte in der Vergangenheit tatsächlich der Menschenseele entsprangen. Sehr oft war ein außergewöhnlicher Mensch imstande, eine Art Brennpunkt, ein Gefäß oder ein Zentrum zu werden, durch das der Geist seiner Zeit ungehindert fließen konnte. Wenn nur die äußeren Aspekte der Dinge notwendig wären, dann wären Menschen wie Buddha, Plato und Konfuzius nicht so selten!

Der Goldene Hort gehört der Dämmerung unserer Zivilisation an und wir brauchen nicht zu den alten Schalen der Vergangenheit zurückzukehren. Wenn wir von dem durch alte Beschränkungen geschaffenen Geleise abgehen, können wir dem Zug der heutigen Zeit folgen und in neue Gebiete der Kultur und der Charakterentfaltung hineinwachsen.