Unsere zwei Welten
- Sunrise 1/1966
Die meisten von uns leben in zwei Welten. In unseren täglichen Angelegenheiten kann die Wirklichkeit gewogen und gemessen, mit den Augen beobachtet und logisch bewiesen werden. Hier sind unsere fünf Sinne, und wenn sie auch nicht genau verläßlich sind, so sind sie doch unsere Hauptmittel Informationen zu sammeln, und alles was sie uns berichten, nehmen wir als "Wahrheit" an, die geändert wird, sobald mehr Tatsachen ans Licht kommen. Aber das gleiche Prinzip scheint in der spirituellen Welt des Menschen nicht zu gelten. Wie oft finden wir, daß religiöse Wahrheiten wenig oder keine Beziehung zu bekannten Tatsachen haben? Aber es wird von uns verlangt, sie als absolut hinzunehmen, weil sie eben die Kirche so verkündet. Es ist schwer zu verstehen, warum sonst höchst intelligente Menschen auf ihrer Suche nach Antwort auf das tiefe Mysterium des Phänomens Leben, bereitwillig alle Vernunft in alle Winde zerstreuen.
Jede geschichtliche Periode hatte ihre Erlöser und ihre religiösen Systeme. Die innersten Wünsche der Menschheit bildeten die Quelle, aus der ihre edelsten Aspirationen flossen. Das Christentum macht darin keine Ausnahme. Vor etwa 2000 Jahren war die westliche Welt für eine Veränderung reif: Die alten heidnischen Götter starben mit den Zivilisationen, die sie hervorgebracht hatten. Das dynamische Beispiel von Jesus fesselte die Imagination des Volkes, aber es war nie seine Absicht, eine neue Religion zu gründen. Jesus beanspruchte niemals, etwas anderes zu sein, als der Sohn von Joseph und Maria. Er war ein Reformator, der mit den engherzigen Anschauungen der jüdischen Hierarchie unzufrieden war und sich so ihre Feindschaft zuzog; aber er blieb dem Glauben seiner Väter treu.
Bei den Griechen und Römern und unter der tatkräftigen Führung des Paulus aus Tarsus entwickelte sich das Christentum zu einer neuen Religion. Wie wir alle wissen, bestehen keine schriftlichen Aufzeichnungen über das Wirken des Nazareners. Das wenige, das wir über sein Leben und seine Botschaft wissen, ist durch die Evangelien, die später von seinen Jüngern geschrieben wurden, zu uns gekommen. Im Verlaufe der Jahrhunderte entwickelte sich das Christentum zu einem sorgfältig ausgearbeiteten System von Glaubensbekenntnissen. Der einfache Glaube der Jünger wurde so sehr in Pomp und Zeremonie eingekleidet, daß die wesentliche christliche Philosophie fast vollständig verdeckt wurde.
Mehr und mehr aufgeklärte Denker finden es unmöglich, den von den Theologen entwickelten Supernaturalismus im Christentum anzunehmen. Wenn Jesus göttliche Kräfte besaß, so war es für ihn nicht notwendig, sie durch Wunder, wie sie in den Evangelien berichtet werden, zu beweisen. Die unbefleckte Empfängnis, die Auferstehung und Himmelfahrt tragen auch nichts zu dem sublimen Charakter der christlichen Moral bei. Selbst wenn es noch Jahrhunderte dauern mag, wird unweigerlich der Tag kommen, an dem das Christentum in das Heer der historischen Religionen eingegliedert wird, die jetzt tot sind. Die äußere Schale wird verschwinden und der feste ethische Kern wird übrigbleiben.
Das Christentum, das während einer Zeit entstanden ist, in der unser Globus als Mittelpunkt des Universums betrachtet wurde, ist eine wahrhaft erdgebundene Religion. Jetzt aber wird gezeigt, daß unser Sonnensystem nur eine kleine Gruppe am äußeren Rand der Milchstraße bildet, die selbst eine Ansammlung von etwa zwei Milliarden Sternen darstellt, von denen möglicherweise jeder wie unsere Sonne, seine eigene Planetenfamilie besitzt. In der Unendlichkeit des Raumes sind zahllose Milchstraßen verstreut, die alle wie die unsrige aus Sternensystemen bestehen. Es ist unvorstellbar, daß unter all diesen Himmelskörpern unsere kleine Erde der einzige sein sollte, auf dem Leben möglich ist. Es muß viele andere Planeten geben, die nicht nur von primitiven Formen, sondern von Wesen bewohnt sind, sie auf einer, der unsrigen ähnlichen, oder auf einer noch höheren Stufe der Evolution stehen. Wie egoistisch ist es daher anzunehmen, daß die Dogmen des Christentums für das ganze Universum gelten sollen! Die Funktion Jesu als Erlöser, als der "eingeborene Sohn" von Gott dem Vater, bliebe streng auf die irdischen Sünder begrenzt!
Nein, unser Gott muß größer sein als die anthropomorphische Schöpfung der theologischen Gemüter. Er muß der alle Materie beseelende Geist sein, vom winzigsten Atom bis zum gesamten Kosmos. Er kann nicht wie eine persönliche Gottheit angebetet werden. Unser Gott muß ein Gott der Wirklichkeit sein, so umfassend, daß er den ganzen Raum einschließt und doch nahe genug, um den geringsten unter den Menschen einzuschließen. Verehrung wird lebendig im Einklang mit der Vision von einer Evolution, die ständig aufwärts und vorwärts führt.