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Der Held im Menschen

AE (GEORGE W. RUSSELL) - das "Universalgenie" von Irland, der mit anderen hervorragenden Zeitgenossen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bei der irischen literarischen Erneuerung bahnbrechend gewesen ist, war nicht nur Künstler, Philosoph, Dichter und Volkswirtschaftler, sondern auch ein Mystiker, dessen Vision über das Ewige sein ganzes Lebenswerk färbte.

In diesem 1897 für The Internationalist geschriebenen Artikel, erzählt AE wieder die alte Geschichte des Menschen: Das heroische Mitleid des "einsamen Titanen" - Prometheus, der "Prophet" - und daß der Barrabas oder der Ausgestoßene im Menschen eines Tages den inneren Christus entfalten könnte.

 

 

 

Zuweilen überkommt uns eine Stimmung seltsamer Ehrerbietung für Menschen und Dinge, die wir in weniger nachdenklichen Stunden für unwürdig halten. In solchen Augenblicken mögen wir den Kopf eines Christus und den eines Ausgestoßenen nebeneinander stellen und jeder hat den gleichen Strahlenkranz um sich, der aus dem dunkleren Gesicht einen Schatten hervorbringt und rund um das Lichthaupt selbst einen Schatten bildet. Wir fühlen in diesem Falle eine grundsätzliche Übereinstimmung des Zweckes ihres Auftretens und möchten sowohl dem einen, der gefallen ist als auch dem, der ein Meister des Lebens geworden ist, bereitwillig Verehrung zollen. Ich kenne die seit undenklicher Zeit geltende Regel, daß der Lorbeer und die Krone nur dem Sieger gegeben werden, aber in diesen Momenten, von denen ich spreche, wandelt eine tiefe Eingebung die Regel und setzt die Strahlenkrone beiden auf.

Wir fühlen für den Gefallenen ein so tiefes Mitleid, daß unbedingt Gerechtigkeit darin liegen muß, denn diese göttlicheren Gefühle sind in sich selbst weise und kommen nicht so von ungefähr. Sie sind Erleuchtungen, die vom Vater kommen. Im höchsten Mitleid und Vergeben liegt Gerechtigkeit, sogar wenn es uns scheint, daß uns das größte Unrecht geschehen ist; oder wie kommt es, daß das Erwachen von Groll oder Haß solch schnelle Zerknirschung bringt? Wir verdammen uns immer selbst; und der in uns auftretende rachebrütende, dunkle Gedanke zieht sich in sich selbst zurück und verbirgt sich entsetzt in Reue, wenn er plötzlich von Licht getroffen wird. Wenn ich mich frage, wie es kommt, daß die Geringsten vor unserer Verurteilung sicher sind, wenn wir auf dem wahren Richterstuhl im Herzen sitzen, dann scheint es mir, daß ihr Schutz das Gefühl des versteckten Edelmutes ist, der in ihnen unter der Decke unedler Dinge verborgen liegt. Mir scheint, daß ihre gegenwärtige Verdunkelung das Resultat irgendeiner zu schweren heldischen Aufgabe ist, die vor langen Zeiten von dem menschlichen Geist unternommen wurde; daß es die Weihe des früheren Zweckes ist, die solch zartes Licht über ihre ruinierten Leben wirft. Das ist umso ergreifender, weil dieser Edelmut dem Gefallenen selbst absolut unbekannt ist und weil die heldische Ursache für soviel Schmerz im Gefängnis des Lebens vergessen wurde.

Während ich die Hilfe der von Menschen formulierten großen ethischen Ideale für uns fühle, meine ich, daß die Idee der Gerechtigkeit dazu neigt, eine gewisse Herzenshärte zu erzeugen, wenn sie nur intellektuell erfaßt wird. Es ist wahr, daß die Menschen unrecht getan haben - daher ihr Leid; aber hinter all dem steht etwas unendlich Begütigendes, ein Licht, das nicht verletzt, das keine rauhen Dinge sagt, selbst wenn sich die dunkelsten Geister in ihrem Todeskampf dahin wenden, denn der dunkelste der menschlichen Geister hat immer noch diesen uranfänglichen Glanz um sich, der von einem tieferen Wissen in ihm ausgeht, dessen Geschichte als die Legende vom Helden im Menschen bezeichnet werden kann.

Unter den vielen Unsterblichen, mit denen die alte Mythe die spirituelle Sphäre der Menschheit bevölkerte, sind manche Gestalten, denen mehr Zuneigung entgegengebracht wird als den übrigen. Weder die sich aus dem märchenhaften Schaum der morgendlichen See in Schönheit erhebende Aphrodite noch Apollo mit dem lieblichsten Gesang, fröhlich und jung, oder der Beherrscher des Blitzes vermochten die Verehrung zu erwecken, die dem einsamen, an die Bergkette geschmiedeten Titanen oder der von der Bürde der Sünden der Welt niedergedrückten Gestalt entgegengebracht wird; denn die glorreicheren Gottheiten hatten keinen Anteil am Ringen des Menschen, keine so enge Beziehung zum Zweck seines Daseins, das so voller Kampf ist. Diese leuchtenderen Gestalten sind für ihn Prophezeihungen im Hinblick auf seine Bestimmung. Doch der Titan und der Christus sind eine Offenbarung seines mehr augenblicklichen Zustandes; ihr ungeheures Leid bildet ein Gegenstück zu seinem eigenen und beim Betrachten desselben erweckt er das Edelste in seiner eigenen Natur; oder mit anderen Worten, indem er deren göttlichen Heroismus versteht, versteht er sich selbst. In Wahrheit scheint es mir folgendes zu bedeuten: Alles Wissen ist eine Offenbarung des Selbstes für das Selbst, und unser tiefstes Begreifen des scheinbar getrennten Göttlichen ist auch unser größter Fortschritt zur Selbsterkenntnis hin. Prometheus und Christus sind in jedem Herzen, die Geschichte des einen ist die Geschichte aller. Der Titan und der Gekreuzigte sind die Menschheit.

Wenn wir sie daher so betrachten, daß sie den menschlichen Geist darstellen und so den Sinn der Mythen entwirren, werden wir feststellen, daß jedem Menschenwesen Ehrerbietung gezollt werden muß, ganz gleich welche Verehrung auch immer jener heroischen Liebe zukommt, die zur Befreiung einer niederen Natur vom Himmel herabstieg. Die Engel sahen auf Erden einen vernunftlosen, blinden, wirren Haufen mit elementaren Leidenschaften, der mit disharmonischem Geschrei fortwährend Krieg führte, ein Geschrei, das bis in die Welt der göttlichen Schönheit einbrach. Damit nun das Leid verschwinden möchte, rebellierten sie in des Meisters Frieden, und indem sie nach abwärts fielen, wurden die engelhaften Lichter im Menschen gekreuzigt. Sie hinterließen auf diese Art strahlende Welten, solch strahlende Schönheit, indem sie mit Tränen in das graue Zwielicht der Erde herabsanken, damit durch dieses urgewaltige Leben die von ihnen gebrachte Sternenmusik schwingen könnte. Wenn "Prophet" ein rechtmäßiger Name für den Titanen ist, dann folgt daraus, daß in den Heerscharen, die er vertritt, ein Licht war, das all die dunklen Pfade seiner Reise im voraus kannte, das den bitteren Kampf mit einer feindlichen Natur voraussah, aber vielleicht auch einen Sieg, einen entfernten Glanz über den Hügeln des Kummers, und das Chaos, göttlich und umgewandelt, wurde nur durch den sanften Atem der Christus-Seele des Universums erleuchtet. Es liegt eine transformierende Macht in dem Gedanken: Wir können die Gefallenen nicht länger verdammen, jene, die die Throne der alten Macht, ihre geistige Größe und Schönheit für eine solche Aufgabe hingaben. Vielleicht sind jene, die am tiefsten gesunken sind, so tief gesunken, weil sie eine größere Bürde auf sich nahmen und von diesen am tiefsten Gefallenen mag in der Stunde ihrer Auferstehung gesagt werden: "Die Letzten werden die Ersten sein."

Indem wir auf diese Art den Kopf des Ausgestoßenen neben den des Christus stellen, haben sie die gleiche Schönheit - einen für die Befreiungsarbeit in vergangenen Zeitaltern vom Vater verliehenen leuchtenden Glanz. Was sollen wir über seine gegenwärtige Dunkelheit sagen? "Er ist vollkommen in Sünde versunken?" Nein, verzeiht vielmehr mit Nachsicht und denkt, daß der voraussehende Geist seinen eigenen schwierigen Pfad zur Meisterschaft eingeschlagen hat, daß das, was den Kummer voraussah, auch eine größere Freude und ein mächtigeres Dasein voraussah, wenn er wieder in einem neuen Gewande erstanden sein wird, das aus dem in den Tiefen seines Innern verborgenen Schatz gewoben ist, und daß er schließlich wie die Sterne am Morgen triumphierend unter den Söhnen Gottes leuchtet.