Mit den Sternen gekrönt
- Sunrise 3/1965
Zuerst waren Himmel und Erde und Wasser, die leuchtende Bahn des Mondes und die riesigen Sterne (Sonnen). Das Geistige in ihnen hielt sie zusammen, und göttlicher Verstand, die Glieder durchdringend, beherrschte die ganze Masse und vermischte sich mit ihren Formen. - Virgil
Im Jahr 1957/1958, das als "Internationales Geophysikalisches Jahr" allgemein bekannt ist, fanden sich die Gelehrten aller zivilisierten Länder zu einer geplanten Erforschung und zum Studium von Meer, Land und Himmel zusammen. Man hoffte, das Wissen des Menschen nach vielen Richtungen hin zu erweitern, und zwar nicht allein in bezug auf unsere Erde, sondern auch hinsichtlich der Beschaffenheit des Raumes.
Es gibt jedoch eine tiefere Seite der Natur als die äußere Erscheinung, und glücklicherweise macht sich dieser innere Aspekt auch in der Tagesliteratur bemerkbar. Alte Bücher, wahre Schätze der Vergangenheit, werden neugedruckt, neue Bücher mit einem intuitiveren Verständnis der Natur werden geschrieben, und viele weitblickende Denker bringen die dringende Notwendigkeit für eine spirituellere Art des Denkens in diesem Zeitalter der Technik, der mathematischen Formeln und der Atombomben zum Ausdruck.
Besonders begrüßt wird der Neudruck von Henry Beston's Das entlegenste Haus (The Outermost House). 1928 zum ersten Mal veröffentlicht, hat dieses Buch elf Auflagen erfahren, und es ist seit über zwanzig Jahren zu einem anerkannt klassischen Buch unter den Naturfreunden geworden. Beston schreibt darin über einen Jahresaufenthalt in der äußerst ungeschützten Lage von Cape Cod Beach, und anders als die meisten Schriftsteller legt er in seinen Bericht ein Gefühl von Universalität und Größe hinein. Was immer er beschreibt, sei es der Rhythmus der Gezeiten, sei es die Reise der Zugvögel oder die Musik des Windes in den Gräsern, jedes Ereignis wird mit einem kosmischen Ganzen in Verbindung gebracht.
In seiner Einleitung zu dieser letzten Auflage sagt der Autor:
Wieder einmal schrieb ich das Innerste nieder von dem, was ich beharrlich glaube. Die Natur ist ein Teil unserer Menschheit und ohne Erkenntnis und einige Erfahrung von jenem göttlichen Mysterium hört der Mensch auf, ein Mensch zu sein. Wenn die Plejaden und der Wind in den Grashalmen nicht mehr ein Teil des menschlichen Geistes, ein Teil von echtem Fleisch und Bein sind, wird der Mensch gleichsam zu einem Geächteten des Kosmos, der weder die Vollkommenheit und Vollständigkeit des Tieres besitzt noch das Geburtsrecht einer wahren Menschheit.
Wir erinnern uns, daß vor 300 Jahren Thomas Traherne schrieb: "Ihr werdet niemals an der Welt wirklich Freude haben, bis das Meer selbst in euren Adern fließt und ihr mit den Himmeln bekleidet und mit den Sternen gekrönt seid."
Das Cape Cod Gebiet, wo Mr. Beston's Hütte stand, lag weit draußen auf einer Sanddüne, von der aus man den Ozean weit überschauen konnte. Die Halbinsel selbst breitet sich einige dreißig Meilen östlich des Festlandes aus und krümmt sich nördlich zu einem langen Arm, der von einer Bucht begrenzt ist. Geologisch ist das Kap der letzte Rest eines früher überschwemmten Gebietes und ist den gewaltigen Stürmen des Nordatlantiks ausgesetzt.
Im Grenzgebiet der Erde, des Meeres und des Himmels lebend und von einer Fülle wilden Lebens umgeben, hatte der Autor das Gefühl, als sei er in eine Atmosphäre versenkt, die er die Lebenskraft nannte. Zuweilen, besonders während der Brandung des Lebens im Frühling, erschien ihm diese vitale Atmosphäre so echt wie die Wärme der Sonnenstrahlen. Oft hatte er die Empfindung, als schöpfe er aus dieser Quelle Lebenskraft, so wie es das ihn umgebende Leben tat.
Viele haben angesichts der Weite des Meeres einen tieferen Sinn empfunden und sind dahin gekommen, mit Ehrerbietung und Ehrfurcht auf die Wasser zu blicken. In der alten Mythologie war Ozeanus das älteste aller Wesen, Vater der Götter und der Menschen. "Ozean" waren die unermeßlichen Bereiche des Raumes, war die bildliche Vorstellung und das Symbol, von dem die Salzwasser der Erde herstammten. Aber selten wurde das Geheimnis und die Bedeutung des Meeres so einfach und doch so mystisch zum Ausdruck gebracht, wie bei Henry Beston:
Die Meere sind das Herzblut der Erde. Emporgehoben und geknetet von Sonne und Mond, bilden Ebbe und Flut die Zusammenziehung und Ausdehnung der Blutgefäße der Erde.
Der Rhythmus der Wogen schlägt in der See wie der Puls im lebendigen Fleisch. Es ist reine Kraft, die sich immerwährend in einer Reihenfolge wässeriger Gestalten verkörpert, die bei ihrem Hinscheiden vergeht.
Das Entlegenste Haus enthält viele Beschreibungen von Vögeln, und da die Vögel geheimen Zyklen des traditionellen Nestbaues und des Vogelfluges folgen, lenken ihre Gewohnheiten die Aufmerksamkeit des Menschen auf zyklische Erscheinungen, von denen wir sonst nichts erfahren würden.
Die Ökologisten sprechen von einem Wald oder einem ähnlichen Gemeinwesen als von einem "Biome"oder einem "Ganzen", das die Summe alles darin enthaltenen Lebens darstellt. Es umfaßt das Klima, die Bodenbakterien, die Pflanzen, die Insekten, die Tier- und Vogelwelt. So als ein Organismus betrachtet, kann man sich jede individuelle Einheit als eine Zelle im Körper des Ganzen vorstellen, die den Geist des Ganzen zurückstrahlt. Um überdies ein bestehendes Gemeinwesen zu verstehen, müssen wir auch seine geologische Vergangenheit, die Ursache der Gegenwart betrachten. Die Gegenwart steht daher in der Mitte zwischen Vergangenheit und Zukunft in ständig zyklischem Wechsel.
Was Mr. Beston's Beschreibungen auszeichnet, ist seine Anerkennung einer spirituellen Überseele in der Natur und sein wiederholtes Eintreten für ein tieferes Verständnis der geringeren Kinder der Natur:
Wir sollten eine andere, eine weisere und vielleicht eine etwas mystischere Vorstellung von den Tieren haben. ... Sie sind weder Brüder noch Untergeordnete; sie sind andere Nationen, Mitgefangene im Netz des Lebens und der Zeit, Mitgefangene des Glanzes wie der Mühsal der Erde.
Eine seiner Entdeckungen, die er während des Jahres seiner Isolierung gemacht hat, war die der Nacht. Es handelte sich nicht um die Abwesenheit des Sonnenlichtes allein, sondern um eine eigene Welt mit ihren Geschöpfen, ihren Lauten und ihren Düften.
Wenn sich primitive Menschen zur Nacht um ein Feuer scharten, um sich zu wärmen und zu schützen, so verstanden sie die Botschaft von des Tages dunklerer Hälfte besser als die Menschen von heute. Sie hatten ein Empfinden für die nächtliche Ruhe und Poesie und wenn sie mit Ehrfurcht und Ehrerbietung zu den Sternen aufblickten, erfaßten sie etwas von dem Mysterium des unendlichen Raumes.
Als er nachts an der Bucht spazieren ging, wurde er mit einer Seite der Natur bekannt, die selten gesehen wird. Tiere kamen fröhlich zur Bucht herabgestiegen, um unter dem Treibholz nach Nahrung zu suchen. Zur gleichen Zeit besuchten oft Seetiere die Bucht. Im Ozean war das Wasser mit einer seltsamen Phosphoreszenz erfüllt, und jede Fußspur erglühte in mildem Licht.
Vielleicht am wichtigsten war das Aufgehen eines neuen Tores zum Mysterium des Seins und das Verhältnis des Menschen zum Universum:
Lerne die Nacht zu verehren und bemühe dich, die allgemeine Furcht vor ihr abzulegen; denn mit der Verbannung der Nacht aus der Erfahrung des Menschen verschwindet sowohl ein religiöses Empfinden als auch eine poetische Stimmung, welche dem Abenteuer der Menschheit Tiefe verleihen.
Die ganze Zeit des Jahres hindurch, frei von der Raserei und dem Trubel des Stadtlebens und mit wacher Intuition leben zu können, muß einer Erfahrung gleichgekommen sein. Das Jahr mit seinen vier Abschnitten - Frühling, Sommer, Herbst und Winter - ist in der Tat eine Symphonie, denn es ist eine Wiederholung kosmischer und spiritueller Ereignisse im Kleinen. Für die Wissenden ist es eine Initiation. Das gilt nicht nur für diejenigen, die Zeit und Geld haben, um in einsamer Zurückgezogenheit zu leben, sondern für alle, die den Himmel, die Sterne und die Vögel sehen wollen, die je nach der Jahreszeit vor den Toren erscheinen.