Das Gesetz des Herzens
- Sunrise 6/1964
Was meinen Glauben anbetrifft, so bin ich endlich zu einem recht einfachen Ergebnis gekommen. Ich glaube an das, was ich "das Gesetz des Herzens" nenne. In der Medizin versteht man unter dem Ausdruck "das Gesetz des Herzens" die große Entdeckung, die Professor Ernest Henry Starling gemacht hat. Es ist die präzise Methode, nach der das Herz seinen Schlag durch den Herzmuskel beschleunigt oder verlangsamt, wie auch die Art, auf die es den lebenswichtigen doppelten Austausch von Flüssigkeiten zwischen dem Blutstrom und dem Körpergewebe vornimmt.
Nach meiner Lebensanschauung ist ein kräftiger, gegenseitiger Austausch der Herzensdinge zwischen den Menschen ebenfalls von höchster Wichtigkeit. Ohne ihn ist der menschliche Geist und sein Verhältnis zur Mentalität anderer farblos und gefährlich. Die Abhängigkeit der Verstandeseigenschaften ist mechanisch und inhaltlos, geradeso wie wir festgestellt haben, daß kleine Kinder ohne Mutterliebe nicht gedeihen, selbst wenn ihre Betreuung durch Pflegerinnen technisch noch so vollkommen ist.
Das Gesetz des Herzens bedeutet daher meiner Ansicht nach, daß ich die beste körperliche und mentale Gesundheit erlangen und die besten Beziehungen zum Leben und zu meinen Mitmenschen haben kann, wenn mein herangereiftes Gefühls-Ich Herr über meine Motive und mein Handeln ist. Wenn nach gebührender Beratung mit meinem Verstand das wahre Herz spricht, so kommt dabei das trefflichste und reifste Urteil zustande, dessen ich als Mensch fähig bin. Der Mensch ist meiner Ansicht nach ein unteilbares Wesen. Er bildet eine Ganzheit aus Gemüt, Geist und Körper - aber mit nur einer einzigen echten und maßgebenden Stimme - der Stimme des Herzens.
Es liegt meiner Meinung nach eine sehr aufschlußreiche Symbolik in der Art und Weise, auf welche das Gesetz des Herzens wirke. Wir wissen, daß der Mensch seinen Mitmenschen, die schwächer oder weniger glückbegünstigt sind, eine Übertragung seines Blutes als Beweis für sein Gemeinschaftsempfinden geben muß. Wir wissen auch, daß Herzen und Arterien, die hart und unnachgiebig wurden, plötzlichen Tod bringen können. Wir wissen, daß ein Herz, das im Einklang mit den Problemen, Schmerzen, mit der Not und dem Elend seiner Mitmenschen schlägt, jene himmlische Musik kennen lernt, die andere, die diesen Einklang nicht hergestellt haben, niemals zu hören bekommen. Wir wissen, daß ein Herz, das beim Anblick von Schönheit und Größe, von Mut und Opfer, Liebe und Zärtlichkeit, beim Anblick eines Kindes oder eines Sonnenunterganges höher schlägt, ein intensiveres Leben erlangt - ein Klingen im Herzen -, das anderen unbekannt bleibt. Wir wissen, daß der Mensch, der die natürlichen Impulse seines Herzens erstickt, sich gar oft eine Herzkranzthrombose durch unterdrückte Gefühle zuzieht, die zu einer Lähmung führen kann.
Das erste Gesetz des Herzens, dessen bin ich sicher, heißt pulsieren, heißt, in Liebe schlagen. Ein Aussetzen dieses liebenden Herzschlages bedeutet raschen und sicheren spirituellen Tod. Viel zu viele von uns scheinen von ihrem Ich besessen zu sein, unfähig oder auch nicht gewillt zu lieben. Das zweite Gesetz des Herzens heißt, glaube ich, geben und vergeben, opfern. Das Herz ist der große Versorger und Spender für jedes noch so ferne Atom des menschlichen Körpers. Der Herzmuskel ist der stärkste Muskel des ganzen Körpers.
Dies alles weiß ich und glaube ich, und es gibt mir die Grundlage dafür, was ich meine humanistische Lebensphilosophie nenne. Sie hat sich bei mir bewährt. Durch sie fühle ich mich eng mit der Erde verbunden und habe den Blick doch nach oben gerichtet. Mein Herz ist der ewigen Wirklichkeit näher, obgleich ich mir durchaus bewußt bin, daß ich in meiner Unerfahrenheit nicht Gefühlswallungen für echte Herzensregungen ansehen darf und daß das unreife Herz ernstliche Fehler begehen kann. Ein geschultes und gereiftes Herz ist meiner Ansicht nach nicht nur das edelste, was der Mensch besitzt, sondern ist auch die große Hoffnung für die Welt.