Der Widersacher
- Sunrise 1/1964
Was ist dieser innere Kern in Hinsicht auf die Lehre vom Widersacher? Daß es im Universum Opposition gibt. Dies ist der Grundton, der Bedeutung des hebräischen Wortes Sâtân, der Opponent; oder des griechischen und lateinischen Wortes diabolos, von dem das deutsche Wort Teufel, das französische Diable, das italienische Diavolo und das englische Devil stammt. Diese Variationen der Rechtschreibung und Aussprache waren die Produkte verschiedener Völker, aber der ursprüngliche Ausdruck, von dem sie alle abgeleitet sind, war unzweifelhaft das griechische Wort diabolos, was "der Ankläger" bedeutet, daher "der Widersacher."
Wie sehr wurde diese wunderbare Philosophie und religiöse Idee verdreht, bloß um eine menschenähnliche Verkörperung der Opposition in der Natur zu werden, die in Wahrheit sehr segensreich und hilfreich sein kann und häufig tatsächlich ist oder die andererseits unheilvoll und schlimm sein kann. Weshalb gebrauchten die Alten Worte wie Widersacher und Opponent, wenn es, wie es scheint, kein solch wirkliches kosmisches Wesen gibt, das sich gegen Menschen oder Götter richtet? Weil der wirkliche Ankläger oder Widersacher in der Tat unsere eigenen Schwächen, schlimmen Handlungen, Gedanken und Gefühle sind, die uns eines Tages, früher oder später, auf unserem Pfad entgegentreten, uns betrachten, anklagen und auf uns als die Übeltäter deuten. Es sind unsere eigenen früheren Selbste, die jetzt zu Widersachern des gegenwärtigen Selbstes werden. Die ersten Christen personifizierten dies und sprachen vom diabolos oder Satan, denn für sie war er sehr real.
Wie erstaunlich und wunderbar doch die Wahrheit ist, imstande, uns wundervolle Dinge zu lehren! Wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit, nicht allein, um sie in Zukunft zu vermeiden, sondern, um stärker als sie zu werden. Deshalb wird der Widersacher zum Lehrer; erfahrene und überwundene Mängel erweisen sich als unsere Leiter und Lehrer - mit anderen Worten, frühere Steine des Anstoßes werden, wenn überwunden, zu Stufen.
Eine weitere ähnliche Bedeutung, die die Alten lehrten, war, daß dieser Widersacherlehrer dem Prüfling nicht eher erlauben wird aufwärts zu schreiten, bis er bewiesen, daß er würdig ist, bis er die Losungsworte, die Paßworte gelernt hat, die vor allem Selbstbesiegung bedeuten. Daher wurden die Lehrer der vergangenen Zeiten oft Nâgas oder Schlangen der Weisheit genannt; und so wurde die entgegenstehende Macht in der Natur, ob göttlich oder boshaft, mit einer Schlange verglichen, wie im Garten Eden. Eindringlich heißt uns das Neue Testament die Schlange zu verehren: "Seid daher klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!"
Wir lernen von unseren Schwächen, daß man sich höheren Dingen widmen soll. Unsere Schwächen werden unsere Lehrer; und wenn wir einmal ihre Lektionen gelernt haben, ist es nicht länger notwendig, sich wegen der Belehrung an sie zu wenden. So können wir sagen, daß sie dann schlechte Lehrer werden, weil wir bereits mit ihrer Hilfe über sie hinausgeschritten sind. Und wir verschwenden nicht nur die Zeit, sondern tun unrecht daran, wenn wir den Gedanken, Empfindungen und Gegenströmungen der Vergangenheit anhängen. Es ist unsere Pflicht vorwärts zu gehen, neue Gegner und neue Ankläger herauszufordern. "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an." Die Tür wird aufgetan. Der augenblickliche Widersacher fragt: "Wer bist du?" Wenn du die rechte Antwort gibst, darfst du passieren, und ist es die falsche, dann bleibt die Tür für dich geschlossen; denn so ist es in Wirklichkeit. Du kannst keinen Schritt vorwärts tun, es sei denn, du weißt die Paßworte, die ein Teil von dir sind; mit andern Worten, es sei denn, du hast den Willen und die Intelligenz das Rechte zu tun.
In solchem Fall werden wir selbst zum Widersacher, zum sogenannten Satan. Um höher zu steigen und um etwas Neues zu werden, müssen wir diesen Teil von uns besiegen. Unsere gegenwärtigen Selbste werden eines Tages selbst das Tor passieren, und wir werden dem zukünftigen Selbst begegnen. Auch dieses wird fragen "Wer bist du? Gib das Paßwort." Und jenes Paßwort lautet: Weisheit, Altruismus, die große Schatzkammer längst vergangener Erfahrung. "Seid daher klug wie die Schlangen, aber ohne Falsch wie die Tauben", eine äußerst schöne und tiefe Allegorie. Kein Wunder, daß sie in den verschiedenen Teilen der Welt von Rasse zu Rasse angenommen wurde.
Ein Aspekt des Widersachers ist unser gegenwärtiges Selbst, das, weil es nichts höheres ist, unser Höhersteigen behindert. Wenn wir seine Begrenzungen überwinden, haben wir die Paßworte gegeben und die Pforten der neuen Weisheit betreten. Der Widersacher ist nicht länger ein Tyrann, nicht länger der Initiator, der unsere spirituellen und moralischen Beglaubigungsschreiben prüft. Er wird der göttliche Freund, die Schlange der Weisheit. Einige Dichter der relativ modernen Zeit haben diese Idee erfaßt. Milton, z. B., beschreibt in Übereinstimmung mit der christlichen Theorie den Fall Satans oder Lucifers als 'Fall' eines der höchsten Engel. Es ist dieselbe Idee mit neuem Aspekt oder neuer Wendung des Gedankens. Der Engel klimmt aufwärts, selbsterlöst innerhalb der himmlischen Sphären. Der Hauptwidersacher Gottes oder des Menschen ist das Selbst.
Die Natur ist so mitleidsvoll beschaffen, daß wir aus unseren Fehlern das Bessere kennenlernen, vom Häßlichen gelangen wir zum Schönen, aus unserer Schwäche wird Stärke gewonnen. Was einst Opposition war, als wir sie mutig herausforderten und das Himmelreich mit Gewalt nahmen, wurde zum Erlöser, zum Initiator. Die Überwindung einer Versuchung verleiht uns innerhalb unserer eigenen Selbste mehr Kraft, weil sie durch Übung des Willens, der dadurch gestärkt worden ist, durchgeführt wurde. Die Erfahrung ist es, die uns zum Denken bringt und die in uns brüderliches Mitgefühl erweckt und uns zum Wachstum verhilft. In diesem Sinne ist sie der Widersacher!
Alle Völker haben die Opposition im Universum gelehrt, und die essentielle Idee ist auf der ganzen Erde dieselbe. Wenn wir daher diesen Opponent betrachten, in welcher Gestalt wir ihm auch begegnen mögen, ob von göttlichem Charakter oder bösartig, das Prinzip ist dasselbe. Es wird für uns dämonisch und bösartig, wenn wir unterliegen; wir haben die Aufforderung unserer eigenen Seele vergessen. Wenn wir andererseits unseren Willen gebrauchen und uns beherrschen, haben wir die Gelegenheit stärker und universaler zu werden. Unser Gesichtskreis ist nicht mehr länger beschränkt, sondern hat sich dem Göttlichen entgegen erweitert. Das ist ohne Zweifel der Grund, warum man vom Göttlichen sagt, daß es göttlich, und daß das ungeheuer Beschränkte und Selbstsüchtige böse sei. Weil das Unbedeutende nur an sich denkt und sich der Welt widersetzt, um ein winziges Reich des niederen Selbstes zu gewinnen, setzt es seine Macht dem Universum entgegen und wird dabei so bösartig wie die Brutstätten einer Krankheit im Körper. Sobald dieser störende Same abgestoßen ist, kehren Gesundheit und Frieden zurück. Das ist der Gedanke.
Und noch ein christlicher Gedanke von großer Tiefe und Schönheit soll beleuchtet werden: "Wisset ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid, und der Geist Gottes in euch wohnet?" Wir leben in Gemeinschaft mit dem Göttlichen, wenn wir sie durch innere Stärke gewinnen, denn das Tabernakel des Göttlichen befindet sich hier in uns, im Herzen des Menschen.