An ihren Früchten...
- Sunrise 1/1964
Verzweiflung ist eine durch Krankheit des Kopfes oder des Herzens hervorgerufene spirituelle Lähmung. Wenn wir uns jedoch die erhabenen Gedanken und Empfindungen, die hervorragende Menschen zum Ausdruck bringen, vor Augen führen, statt bei den dunklen Taten einiger weniger zu verweilen, wie könnten wir da wirklich den Mut verlieren? Unser starkes Verlangen nach einem guten Bild 'unserer Zeit' deutet auf unsere wahre Bestimmung hin. Thomas Traherne vertritt diesen Gedanken wunderbar, wenn er in seinen Centuries fragt: "Fühlst du dich nicht von der Hoffnung auf irgendwelche großen Dinge angezogen?" Obwohl Traherne vor dreihundert Jahren lebte, zeigt er, daß schon viele Menschen vor uns dunklen Stunden entgegengegangen sind, aus denen sie schließlich im Vertrauen auf ihre sichere Überzeugung, daß der Mensch in Wirklichkeit gut ist und Erhabenheit sein Ziel ist, wieder hervorgegangen sind. Er schreibt:
Raub, Habsucht, Neid, Unterdrückung, Luxus, Ehrgeiz, Stolz... erfüllen die Welt mit Disteln und Dornen, mit Elend, Kriegen, Beschwerden und Streit..., aber unter den Menschen verbreitete universale Nächstenliebe würde all das hinwegblasen, wie der Wind Spreu und Halme verweht.
Er hatte recht, ebenso James, wenn er sagte: "Denn wo Mißgunst und Streit ist, da ist Verwirrung und böse Tat", und er fügt hinzu: "Und die Frucht der Rechtschaffenheit wird von dem Frieden gesät, der den Frieden schafft."
Selbst wenn sich Menschen wie Traherne, James und Paul getäuscht hätten, sollten wir fähig sein, eine klarere Einschätzung der Gegenwart dadurch zu erreichen, indem wir die Beschwerden und die Methoden der Heilung der Vergangenheit untersuchen. Eine große Schwierigkeit besteht darin, daß wir nicht genügend erkennen, daß die allgemeine Lage nicht plötzlich über Nacht wie Pilze aus der Erde geschossen ist. Wir verlangen nach 'Frieden in unserer Zeit', nach einer unmittelbaren Besserung der Weltlage, aber wir sehen nicht, wie unentwirrbar die heutigen Ereignisse in den gesamten menschlichen Taten der Vergangenheit begründet sind. Der moderne Zustand mit all seinem Guten, seiner Schlechtigkeit oder Gleichgültigkeit stellt in seiner Art und Weise genau die Frucht unserer vergangenen diesbezüglichen Handlungen dar. Unsere Vorstellung beschränkt sich darauf, zu glauben, daß die gegenwärtigen Verhältnisse scheinbar plötzlich von irgendwoher kämen. Aber jedes Ereignis muß in früheren Handlungen oder Ursachen seinen Anfang genommen haben, die sich jetzt auf unserem Globus als reine Wirkungen projizieren. Die Flecken des Scharlachfiebers erscheinen, weil zuvor die Keime im Körper wucherten; und die Zeit, die zwischen den früheren Ursachen und zwischen dem liegt, was wir jetzt auf dem Bildschirm der Welt erblicken, stellt eine Art Inkubationszeit dar, die darauf wartet, bis die Zeit zu ihrer Offenbarung gekommen ist.
Oder es kann wie beim Wachstum der Blumen geschehen. Wie dürftig wir als Gärtner auch sein mögen, so wissen wir doch, daß, ehe sich eine Pflanze entwickeln kann, sie zuvor die Samenhülle sprengen muß; die Wurzeln müssen sich in die Erde bohren, und dann kommt die Anstrengung, um die Schößlinge zu Licht und Regen nach oben zu treiben. Wir sind sicher, daß die Pflanze ihrer Art entsprechend aufgehen wird. Wir können weder erwarten, daß eine Eichel etwas anderes als eine Eiche hervorbringen wird noch würde es uns sehr gefallen, wenn es anders wäre. Wir erwarten ein geordnetes Universum. Während wir die Tatsache, daß unsere Apfelbäume Äpfel und keine Zapfen tragen, und daß Weizenkörner nicht als Disteln keimen, als etwas alltägliches betrachten, geben wir nicht so willig zu, daß dasselbe Prinzip für die menschliche Handlung gilt! Wenn wir die lange Geschichte des Menschen betrachten, in der er die Selbstsucht 'pflanzte', wie können wir wirklich erwarten, in unseren Tagen Frieden zu ernten und Zeugen eines Himmels auf Erden zu sein, anstelle dessen, was wir tatsächlich vorfinden?
Jesus sagte: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", eine Botschaft, die heute ebenso passend ist, wie damals. Weder an den Worten oder Versprechungen noch am Glauben oder an den Glaubensbekenntnissen, sondern an der Tat sollen wir unsere Mitmenschen erkennen und diese uns. Wir können weder Böses säen und Gutes ernten noch Edles säen und eine Menge Niedrigkeit einsammeln. Das unpersönliche und gerechte Gesetz wird es nicht zulassen. Wäre es anders, so würde die Welt in der Tat ein Chaos sein, und wir hätten Ursache, daran zu zweifeln, daß die Samen die Pflanzen ihrer Gattung hervorbringen. Wir wären nicht einmal sicher, ob die Sonne jeden Tag 'aufgeht', um uns Licht und Leben zu spenden. Wir vertrauen ernsthaft auf die unveränderliche Natur des universalen Gesetzes, weshalb sollte uns seine Anwendbarkeit im erweiterten Sinne mit Schrecken erfüllen?
Wenn wir einst begreifen, wie umfassend sein Bereich ist und wie gütig sein Segen für alles, so können wir nichts Besseres tun, als Stärke gewinnen, um dem von uns selbst vorbereiteten Schicksal ins Auge zu sehen und mit klarer Einsicht die Frucht unserer eigenen früheren Handlungen zu erwarten.
Wenn Mitleid und Verständnis für alle Menschen zur Wurzel werden, die wir tief in den Boden der menschlichen Beziehungen versenken, dann werden die Früchte des Friedens und des Glückes heranreifen. "Friede auf Erden" wird dann als Ernte des guten Willens eines jeden Menschen, seinen Mitmenschen gegenüber, natürlich und unvermeidlich aufgehen.