Der Ton, das schöpferische Mysterium
- Sunrise 1/1963
"Gern, Herr Professor."
Es war die Gewohnheit Professor Owens das Aufstellen der für die Experimente benötigten Apparate, die jedes Kapitel vorschrieb, demjenigen Studenten anzuvertrauen, der besonders an diesem Zweig der Physik das meiste Interesse hatte. Dieser Student wiederholte natürlich jedes Experiment so lange, bis er imstande war, es richtig vorzuführen. Ich war glücklich darüber, der Auserwählte zu sein. Dies ist gut über fünfzig Jahre her, aber die Erinnerung daran ist noch sehr lebendig.
Es gab die üblichen Tests mit den verschiedenen Hilfsmitteln für die Fortpflanzung des Tones einschließlich des Vakuums. Hier war es das klassische Experiment des Pythagoras mit dem Monochord, auf dessen Ergebnisse unser Musiksystem mit den zwölf Halbtönen, seinen siebentönigen diatonischen Skalen etc. basiert. Aber das Experiment, das mich am meisten begeisterte war die Anwendung einer Orgelpfeife von beweglicher Tonhöhe. Das letzte Stück dieses Gerätes bestand aus einer senkrechten, hölzernen Röhre, etwa 46 cm hoch und 8 cm im Durchmesser, mit einem am Fuß angebrachten Blasebalg. Mit Hilfe eines Taucherkolbens konnte die Tonhöhe nach Belieben verändert werden. Eine dünne Membran, über die feiner Sand dicht verteilt war, war über das offene Ende gespannt.
Wenn ein angeschlagener Ton fortlaufend erklang, fingen die Sandteilchen zuerst an zu tanzen und ordneten sich dann schnell wieder zu einem gewissen Muster - gewöhnlich zu einem Blatt oder zur Form einer Blume oder auch zu einer der einfacheren geometrischen Figuren, wie sie bei Kristallen vorkommen. Jeder Ton hatte sein individuelles charakteristisches, von allen andern unterschiedliches Muster. War der erzeugte Ton unrein (durch unterbrochene, unregelmäßige Schwingungen), so ergab sich kein einwandfreies Muster. Das war eine nette und zum Nachdenken anregende Demonstration. In meiner jugendlichen Begeisterung dachte ich oft darüber nach, ob wohl irgend jemand an eine weitere Verwendung der in dem oben beschriebenen Experiment enthaltenen Prinzipien auf dreidimensionalem Wege gedacht habe. Ich konnte mir verschiedene Methoden vorstellen, mit denen dies geschehen könnte, und ich war überzeugt davon, daß das Resultat dasselbe Muster ergeben würde, nur anstatt in zwei in drei Dimensionen.
Ich besuchte meinen Freund Gustav Strömberg, der mir eine andere Form desselben Experimentes vorführte. Eine quadratische Platte aus dünnem Glas oder Metall, im Mittelpunkt von einem Kloben festgehalten, wurde an der Kante mit einem Violinbogen in Schwingung versetzt. Verstreut man Lykopodiumpuder gleichmäßig über ihre Oberfläche, dann ordnen sich seine Körnchen sogleich zu Mustern, die durch Knotenpunkte und ihre Verbindungslinien gekennzeichnet sind. Wird der Kontaktpunkt mit dem Bogen und auch durch Berührung der Platte mit dem Finger an gewissen Stellen während des Spielens berührt, so kann eine ganze Serie von Tönen, jeder einzelne mit seinem charakteristischen Muster von Knotenlinien, erzeugt werden.
Nach Jahren kamen wir abermals darauf zu sprechen, und er erzählte mir, daß seither ein Experiment in drei Dimensionen, im Zusammenhang mit dem Studium der Struktur des Atoms, durchgeführt worden sei. Eine vorausgegangene mathematische Forschung hatte zur Aufstellung von Ansammlungen hypothetischer Knotenpunkte und Linien innerhalb des Atoms geführt, und weitere Forschungen vermittels einer dreidimensionalen Darlegung zeigten, daß diese Knoten und Knotenlinien wirklich existieren.
Dies alles bestärkte mich in meinem Glauben, daß der Ton, der Schall, der Logos, das Wort - man nenne es, wie man will - die aktive Kraft im gesamten Schöpfungswerk ist. Dr. Strömberg erinnerte mich jedoch auch daran, daß hinter dieser Kraft die Idee liegen muß - und, fügte ich hinzu, hinter der Idee "der Wille". "Hinter dem Willen steht der Wunsch", sagt ein altes östliches Sprichwort. Und steht nicht noch weiter "dahinter" das Eine, was wünscht, was will, was denkt und was das schöpferische Wort ertönen läßt?
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. ...
Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.
- Joh. I, 1, 3
In der Schöpfungsgeschichte der Genesis lesen wir wiederholt: "Und Gott sprach ..." Und außerdem sind solche Ausdrücke wie die "Stimme der Stille", der "Tonlose Ton", das "Schöpferische Wort", der "Ewige Gedanke im Ewigen Gemüt" in allen alten Schriften verbreitet vorzufinden. Ist es nicht eine von selbst einleuchtende Tatsache, daß die Schöpfung, das Erscheinen dessen, was vorher nicht manifestiert war, in physischer Offenbarung durch die Wirkung des Tones vollbracht wurde? Ton ist der Name, den wir den Wirkungen geben, die in unserem Bewußtsein durch eine bestimmte Reihe physikalischer Vibrationen hervorgerufen werden, die später unseren Gehörapparat veranlassen gleich zu schwingen, wodurch unser Gehörnerv in der Weise angeregt wird, daß er uns durch die Reaktion des Gehirns bewußt wird.
Ich glaube, daß die Wurzel dieser schöpferischen Kraft in jenem Bereich liegt, in dem Raum und Zeit, wie wir sie verstehen, nicht existieren. Ebenso glaube ich, daß die Schöpfung weitergeht, solange eine Manifestationsperiode dauert. Die Stimme der Stille ertönt zu allen Zeiten und überall, aber sie selbst verbleibt im Ewigen Jetzt und Hier.
Sind unsere Singvögel und unsere zirpenden und singenden Insekten möglicherweise die unbewußten Agenten dieser kosmischen schöpferischen Kraft? Nichts in der Natur wurde je zwecklos getan, obgleich wir Menschen sehr oft die Notwendigkeit oder den Nutzen ihres Tuns nicht erkennen können. Wir brauchen nur an die große Woge des Vogelliedes zu denken, die, angefangen an unserer atlantischen Meeresküste, im Frühling und Frühsommer bei Tagesanbruch täglich quer über den Kontinent bis zur Pazifikküste und so rund um die Welt vor der Sonne herrollt. Es erinnert uns an die jährliche Wiederkehr des Lebens der Pflanzenwelt mit ihren Myriaden frischer Blätter, und Blumen, Zweigen und Stengeln. Besteht etwa ein Zusammenhang zwischen ihnen?
Ebenso ist es mit der nächtlichen Chormusik der Insekten, die in der Dunkelheit, während der größten Aktivität der Pflanzen und ihres Wachstums ertönt. Erzeugen all diese endlos sich wiederholenden Töne in der unsichtbaren Welt Schwingungen, die dort Muster oder Felder bilden, nach denen die Pflanzen, die Kristalle, etc. ihre neuen Moleküle während des Wachstumsprozesses anordnen? Diese Idee ist vielleicht gar nicht so weit hergeholt oder phantastisch, wie es anfänglich scheinen mag, besonders im Hinblick darauf, was uns jetzt führende Männer der Wissenschaft in bezug auf die Natur der belebten und "unbelebten" Materie sagen.
Ich, z. B. stelle mir gern vor, daß mein Liebling, die Spottdrossel, die Tag und Nacht ihr Lied ertönen läßt, wirklich ein Mitarbeiter des Schöpfers bei der Entwicklung der schönen Welt rund um uns ist, und daß das freundliche Heimchen, das jeden Abend aus dem Garten in mein Zimmer kommt und dort manchmal stundenlang singt, gleichfalls ein Instrument jener großen, schöpferischen und erneuernden Kraft ist, von der es ebenso ein sich entfaltendes, lernendes und wachsendes Kind ist, wie die Spottdrossel.