Des Menschen edle Vorfahren
- Sunrise 1/1962
Die Archäologie hat jetzt umfassendes Material gesammelt, um die Schwierigkeiten dieser und vieler anderer Probleme anscheinend nicht dazugehöriger Überreste einer großen und außerordentlich verschleierten Vergangenheit zu lösen. Ist jedoch unter den Archäologen ein Genius erschienen, fähig und genug erleuchtet, um diese Menge verschiedenartigen Materials zu einem zusammenhängenden Ganzen zusammen zu weben? Wurde von irgendeinem anerkannten Fachmann eine überzeugende Zusammenstellung geschaffen, die die Sache so klärt, daß jede neue Entdeckung auf den für sie vorgesehenen Platz paßt, um die Theorie in der Weise zu bestätigen, wie die astronomischen Entdeckungen die Theorie des Kopernikus? Wo ist der Einstein, der Darvin, oder der Mendelejew der Archäologie?
In Wirklichkeit ist bisher keine vollständige Synthese der Archäologie versucht worden, die die Archäologie auf ihrem Gebiete als Teil eines erweiterten Studiums der menschlichen Natur und der menschlichen Geschichte einschließt. Eifrige Forscher, die ihr Gehirn nach Wissen zermartern, um einen Schlüssel für diese Geheimnisse zu finden, indem sie sich bemühen, mit unendlichen Schwierigkeiten die unregelmäßigen Bruchstücke prähistorischen Altertums zusammen zu stellen, sind durch verschiedene materialistische und theologische Vorurteile behindert. Bedeutsam ist es jedoch, zu beobachten, wieviele Gedankenrichtungen gerade jetzt gleichzeitig zusammenlaufen. Beide, Wissenschaft und Theologie erweitern ihre Grenzen. Die erstere zeigt eine starke Tendenz zu einer mehr metaphysischen Auffassung vom Universum als bisher, und die letztere durchbricht an vielen Stellen die einengenden Schranken der altmodischen Glaubensbekenntnisse.
Von welcher Seite wir auch den Gegenstand betrachten wollen, eine unvoreingenommene Beobachtung scheint den Ausspruch zu bestätigen, daß sich die Geschichte wiederholt; daß die Lebenszyklen in Wogen ähnlicher Verhältnisse zurückkehren - wenn natürlich auch mit deutlichen Unterschieden, so daß der menschliche Fortschritt nicht in einer geraden Linie, sondern als eine spiralförmig verlaufende Reise vor sich geht. Zuweilen scheint es sogar als hätten Nationen oder Rassen von Menschen sich selbst dazu bestimmt die notwendigen Lektionen dadurch zu lernen, daß sie solange auf einer niederen Stufe wandern bis es ihnen wieder möglich ist aufzusteigen, um dann ein höheres Niveau zu erreichen als zuvor. Darin liegt der Grund, daß man Spuren hoher Kulturen der Vergangenheit Seite an Seite mit den sogenannten primitiven, wie sie heute noch existieren, findet. Gleichzeitig können wir aber auch nicht erwarten, daß wir ohne Schwierigkeit genügend Überreste aus der Zeit der "Dämmerung" der Menschheit finden werden, denn die Kontinente, auf denen der Mensch seinen Ursprung hatte, können schon vor Millionen von Jahren fast gänzlich verschwunden sein, und die frühesten Überreste sind entweder gänzlich zerstört oder unerreichbar geworden.
Sehr alte hohe Zivilisationen sind vergangen, aber der daran Interessierte gibt im allgemeinen auf Grund der gegenwärtigen Evolutionstheorien nicht gern die Echtheit einer Kultur zu, die älter ist als einige tausend Jahre. Es wäre ja möglich, daß es anstatt des allgemein angenommenen Fortschrittes vom Steinzeitalter, zu Anfang der menschlichen Existenz, durch das Bronzezeitalter, das eiserne Zeitalter, das mesopotanische, chinesische, indische, ägyptische und prähistorisch amerikanische Zeitalter hindurch bis zu unserem eigenen, in noch weiter zurückliegenden Zeiten, in denen die meisten der gegenwärtigen Länder entweder wüste Wildnisse oder von den Meeren überflutet waren, es noch mächtigere und größere Zivilisationen gab. Die Geologie beweist, daß die Pole einst warme und blühende Länder waren, denn sowohl die Erforscher der Arktis wie der Antarktis haben in sehr hohen Breitengraden Fossilien von subtropischen Pflanzen gefunden. Gab es zu jenen Zeiten dort Menschen? Wenn ja, wie und wo?
Selbst die Geschichte der entferntesten Vergangenheit ging nicht gänzlich verloren, sondern wurde uns durch mündliche und schriftliche Traditionen erhalten. Durch irregeleiteten Missionseifer sind viele alte Manuskripte, Bildwerke und Bauwerke zerstört worden, doch sind genug der Zerstörung entgangen, um die wirkliche Größe der Vergangenheit des Menschen anzudeuten und die Umrisse der universal verbreiteten Religion der prähistorischen Welt zu enthüllen. Außerdem ist es ziemlich unverkennbar, daß die Führer der frühen Menschheit ihr Wissen über die Natur und über die Bestimmung des Menschen in Symbolen und Gleichnissen niedergelegt haben, von denen eine beträchtliche Anzahl die nachfolgenden Zeitalter des Aufruhrs und der Verdunkelung hindurch erhalten geblieben sind.
Seltsame Exemplare, die zum Nachdenken anregen, sind in den malerischen schlangenförmigen Hügeln in Ohio und in Schottland gefunden worden. Sie sind alle gleich: gut angelegte Grashügel aus Erde und Steinen in der Gestalt einer ein Ei verschlingenden Schlange. Die amerikanischen sind etwa 300 m lang, die schottischen nicht ganz die Hälfte. Dieses Schlangenemblem ist überall auf der Erde zu finden, und es kommt unter anderem in den griechischen, ägyptischen, indischen und chinesischen Mythologien vor. Eine seiner Bedeutungen ist die der Zeit, wie sie im rhythmisch erfolgenden zyklischen Fortschreiten von der Ewigkeit verschluckt wird. Eine andere deutet die Rückkehr aller Formen des Lebens, einschließlich des Menschen, in das verkörperte Dasein an. Doch muß es viele Auslegungen dieses Emblems gegeben haben.
Es gibt aus den verschiedensten Teilen der Welt zahlreiche andere Ähnlichkeiten zwischen Symbolen, deren Bedeutung nicht richtig verstanden wird. So zeigt zum Beispiel eine bekannte Statue des mexikanischen Erlösers Quetzalcoatl genau dieselbe Körperstellung, wie sie die Statuen und Gemälde Buddhas in einer der Meditationsstellungen zeigen. Ausserdem gleicht der mexikanische Kalender dem ägyptischen in vielen bestimmten Einzelheiten. Im alten Amerika wurden die Toten wie in Ägypten einbalsamiert, und die Eingeweide wurden genau wie in Ägypten in vier Kanopen (ägyptische Totenurnen) aufbewahrt. Eine ganze Menge solcher aufschlußreichen Parallelen können angeführt werden, die andeuten, daß selbst in den frühesten Zeiten die Menschen über weite Strecken miteinander in Verbindung standen, und daß ein gewisses, heute fast gänzlich verloren gegangenes geheimes Wissen in allen zivilisierten Gebieten verbreitet war.
Bildtext: Quetzalcoatl in der Gestalt einer Schlange.
In Europa finden wir in den so weit voneinander entfernten Gebieten wie Griechenland, Irland und Schweden außerordentliche Gleichartigkeiten der prähistorischen Bauten, was ungewöhnliche, ja sogar unerklärliche Ähnlichkeiten wären, wenn nicht unter den Weisen der verschiedenen Länder ein gemeinsames Wissen über die tieferen Mysterien der Natur bestanden hätte. Das zyklopische Bauwerk zu Mykenä in Griechenland, die Schatzkammer oder das Grab des Atreus genannt, kann, wenn auch künstlerischer ausgeführt, im Entwurf mit den großen irischen prähistorischen Hügeln oder 'Pyramiden' zu New Grange und Dowth in der Nähe von Drogheda verglichen werden. Sie alle weisen die gleichen charakteristischen Bildhauerarbeiten auf, das Zickzackfries, die Raute und allem voran die Spirale; während das eigentliche Mauerwerk, das Deckengewölbe der inneren Kammer der Bauwerke zu New Grange und Mykenä gleich sind.
Die Erbauung der großen Pyramide in Ägypten liegt zeitlich so weit zurück, daß sie unsere heutige Einbildung ziemlich töricht erscheinen läßt. Man ist der Meinung, daß die Ägypter wahrscheinlich nur wenige der sinnreichen, die Handarbeit ersetzenden Werkzeuge und Maschinen von heute hatten. Wenn dem so ist, dann ist das Wunder, daß sie mit so einfachen Hilfsmitteln solch wunderbare Arbeit leisten konnten, um so größer! Doch das ist nur eine Vermutung, wenn auch das Leben zu jener Zeit tatsächlich nicht so voller Hast war. Das Behauen und Zusammenfügen der Steine in den Gängen und Kammern ist mehr eine Juwelierarbeit als die Arbeit eines Maurers, und Professor Pertie hat festgestellt, daß die Steinreihen, aus denen die Große Pyramide aufgebaut ist, so exakt sind, daß es selbst mit Hilfe der feinsten modernen Ausrüstung unmöglich ist, irgendwelche Mängel festzustellen. Er sagte, daß die Instrumente zu seiner Zeit nicht genau genug waren, um die Fehlerlosigkeit des Werkes zu prüfen, denn der mögliche Irrtum in der Planierung wäre geringer als die bei den Instrumenten auftretende Abweichung. Man bedenke, was das bedeutet! Die Große Pyramide, allein mit ihren wunderbaren Zahlenverhältnissen, die ohne Zweifel eine Anzahl geheimnisvoller astronomischer Berechnungen in sich schließen, widerlegt ein für allemal den unreifen, aus Eitelkeit geborenen Begriff, daß die moderne Zivilisation den Gipfelpunkt aller Zeitalter darstellt und wir uns auf der Spitze jemals erlangten menschlichen Wissens befinden.
Gerade hinsichtlich dieses Punktes schrieb Professor Max Müller einst:
Viele Dinge sind für uns noch unverständlich; doch mehr und mehr erhebt sich vor uns das Bild des Menschen, edel und rein von seinem Ursprung an, wo wir ihm auch begegnen mögen. Soweit wir die Spuren des Menschen zurückverfolgen können, finden wir ihn selbst in den untersten Stufen der Geschichte von Anfang an mit der göttlichen Gabe eines gesunden und vernünftigen Intellektes ausgestattet, und die Idee von einer Menschheit, die aus den Tiefen einer tierischen Unvernunft emportaucht, kann in keinem Falle aufrechterhalten werden.
Beispiele hierfür können noch und noch gebracht werden, doch es ist genug gesagt worden, um die Aufmerksamkeit auf die Existenz dieser weit verstreuten Berichte über unsere vergangene Geschichte zu lenken, die untereinander überraschend gut übereinstimmen, wenn man die Verdrehungen und absichtlichen allegorischen Einkleidungen bedenkt, die sie erfuhren. Das deutet darauf hin, daß sich die der Nachwelt aus unberechenbar weit zurückliegenden Zeiten überlieferten Legenden und graphischen Symbole nicht auf primitive Phantasie, sondern auf Tatsachen gründen. Es ist jedoch notwendig sie zu verstehen, ehe wir sie richtig klassifizieren, an ihren richtigen Platz stellen und benützen können, um die wirkliche Geschichte der langen Reise des Menschen durch das irdische Leben zu erläutern.
Wenn alte Überreste der Architektur und Skulpturen in diesem mehr universalen Licht mit Manuskripten und Überlieferungen verglichen werden, so kann ein unvoreingenommener Beobachter bald die bedeutsame Tatsache wahrnehmen, daß das Menschengeschlecht nie ohne Führung war; daß die Wasser des Lebens dem Durstigen immer freigebig dargeboten wurden und die Lehren von Jesus dem Christus eine zur gegebenen Zeit dargebotene erneute Darstellung des großen und universalen Evangeliums waren, wovon die Welt immer ein Zeugnis besaß.
Von dieser Seite aus beleuchtet nimmt die Archäologie ein neues Gesicht an. Statt eine stumpfe Wissenschaft zu sein, die auf unwichtigen Nebenwegen in Ruinen herumstöbert, finden wir, daß ihre Entdeckungen zu sehr praktischen Resultaten führen: je klarer wir immer erkennen, daß die Lehren des Altertums und die heutigen identisch sind, desto mehr geht uns ein Licht von der Einheit der ganzen Menschenfamilie auf. Ein Bild von der ewigen Pilgerschaft allen Lebens nach aufwärts und vorwärts ersteht vor uns, das an uns appelliert, an die Existenz der Seele und an eine erhabene Bestimmung des Menschen zu glauben.
In Manuskripten, auf Palmblättern oder Papyrusrollen aufgezeichnet, oder in dauerhaftem Granit eingemeisselt, sind die ewigen Wahrheiten über die Unsterblichkeit des Menschen, über seine Verantwortlichkeit für seine Handlungen und schließlich seine Vervollkommnung, sie sind in Symbolen, Allegorien und Mythen aufbewahrt - eine mächtige und unvergängliche Erklärung der Tatsache, daß auf der Erde eine göttliche Ordnung herrscht und Baumeister den Weg entlang ihre Insignien zurückgelassen haben.