Das Leben muß verdient werden
- Sunrise 6/1961
Als ich noch ein junger Mann war, brachten es die Ereignisse einer turbulenten Zeit mit sich, daß ich schwer verwundet wurde und man tatsächlich eine Zeit lang meinen Tod erwartete. Keine meiner Erwartungen und ehrgeizigen Bestrebungen hatte ich damals erreicht und es war wie ein Schock für mich, daß meine Tage und Jahre zur Vorbereitung für etwas, das nun nie eintreten würde, verbraucht worden waren. Aber wunderbarerweise überlebte ich. Der Grund dafür lag darin, daß ich es einfach nicht ertragen konnte wie eine Zufallserscheinung ausgeschaltet zu sein. Als ich merkte, daß ich eine neue Spanne Leben erhalten hatte, aus einer unpersönlichen und nicht zu beschreibenden, aber wirklichen und mir als Lebewesen verwandten Quelle, dachte ich nicht im geringsten an mich selbst. Meine Zugehörigkeit wurde mir durch eine Erfahrung des Bewußtseins und neue Verpflichtungen zuteil. Mit einer beinahe physischen Intensität spürte ich die Karte sich für mich wandeln. Das neue Leben gehörte seitdem nicht nur mir allein. Ich suchte zu dienen, um das Glück leben zu dürfen zu rechtfertigen.
Eine weitere Erfahrung wurde mir zuteil als die Regierung meines Vaterlandes - Deutschland - mich als "national unzuverläßig" ablehnte und meine Freiheit und sogar mein Leben bedrohte. Ich flüchtete in die Vereinigten Staaten. Dort mußte ich mich in jeder Beziehung umstellen, Sprache, Traditionen, die Art zu leben und zu denken, alles war völlig neu. Das war ebenfalls wie eine bewußte Wiedergeburt. Es bestärkte mich in meiner Überzeugung, daß es der göttliche Ursprung ist, der unser Leben verbindet; mag das irdische Ziel auch für jeden Einzelnen verschieden sein. Im Gegensatz zu dem totalitären Regime, dem ich entronnen war, und dem politischen und naturbedingten Provinzialismus, der mich in Europa so oft unter Druck hielt, fand ich größere Unterschiede und im Zusammenhang damit, eine größere Freiheit in Amerika. Und ich finde sie noch, ungeachtet einiger ominöser Anzeichen von Frömmelei und Chauvinismus und einiger, nur sehr weniger gegenwärtiger Instanzen, die Druck ausüben, anstatt der Verbreitung der Gerechtigkeit und Toleranz zuzustimmen.
So kam es, obgleich ich evangelisch getauft bin, daß ich meine Religion, durch inneres Erkennen, erst als erwachsener Mensch fand. Und obwohl ich im beschränktesten Naturalismus geboren war, erwarb ich mir meinen Patriotismus aus Überzeugung als ein reifer Mann.
Auf diese Weise lernte ich, daß das Leben etwas uns anvertrautes ist, das verdient werden muß. Seine Freuden sind so wunderbar und seine Mühsal so schmerzlich ob sie nun nichts weiter als Zufall sind oder Teile eines bedeutungsvollen Ganzen. Sie sind jedoch nicht mehr länger so unverhältnismäßig wichtig, wenn ich sie auf ihren universellen Ursprung zurückführen kann, und sehe, daß sie mit meinen eigenen Angelegenheiten zusammenfallen, und diesen dann umgekehrt einen grösseren Sinn verleihen. Eine wirkliche Freude, die die Grenzen meiner Natur weitet, eine gute Tat, die mich sicher macht in einer unsicheren Welt und ein vollkommener Gedanke, der mich inmitten der Sorgen heiter stimmt, sind alles Beweise dafür, daß ich mit etwas außer mir liegendem und über mir stehenden ausgestattet bin.
Wenn dieser Glaube das Leben auch weniger furchtbar macht, so vermag er natürlich nicht seine täglichen Anforderungen weniger bedrängend zu gestalten. Er ermöglicht jedoch einen Blick auf die allgemeinen Geschehnisse und eine größere Ergebenheit jenen Pflichten gegenüber, die mir durch die Teilhaftigkeit an dem Mysterium des menschlichen Ursprungs und seiner Bestimmung auferlegt wurden.