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Über Unsterblichkeit und Gerechtigkeit

Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele ist mehr als nur wissenschaftliches Interesse geworden, und viele fragen danach, wo dieser Glaube in den alten Schriften gelehrt wurde. Obwohl die Philosophie keine bestimmte festgesetzte Lehre ist, bieten seine Dialoge genügend Beweise dafür, daß er in der archaischen Lehre, wonach der Zeitabschnitt eines menschlichen Lebens "doch im Vergleich zur Ewigkeit nur eine kleine Spanne bedeutet", gut Bescheid wußte.

Der folgende Auszug ist dem Buch X der Republic (Übersetzung von Jowett), entnommen. Hier läßt Plato Sokrates, durch seine Schilderung der Vision Ers, die absolute Gerechtigkeit enthüllen, die der zurückkehrenden Seele - nicht durch die drei Parzen, oder Spinnerinnen des Schicksals zugemessen wird, sondern durch jeden einzelnen, indem er selbst sein zukünftiges Los wählt.

- Der Herausgeber

 

 

 

SOKRATES: Ich will euch eine Geschichte erzählen. Nicht eine der Geschichten, die Odysseus dem Helden Alcinous erzählte, obwohl es auch eine Erzählung von einem Helden ist, von Er, dem Sohn des Armenius. Er wurde in der Schlacht erschlagen und zehn Tage später, als die Körper der Toten bereits in einem Zustand der Zersetzung weggebracht wurden, fand man seinen Körper vom Verfall unberührt und trug ihn heim, um ihn zu beerdigen. Doch am zwölften Tage, als er auf dem Scheiterhaufen lag, kehrte er ins Leben zurück und erzählte ihnen, was er in der anderen Welt gesehen hatte. Er sagte, daß, als seine Seele den Körper verließ, er mit einer großen Gesellschaft auf eine Reise ging und daß sie zu einem geheimnisvollen Ort kamen, an dem zwei Öffnungen in die Erde gingen; sie waren dicht beieinander, und ihnen gerade gegenüber waren zwei weitere Öffnungen, die zu dem darüber liegenden Himmel führten. Im Zwischenraum saßen Richter, die, nachdem sie ihr Urteil über sie abgegeben hatten, und ihren Urteilsspruch an ihrer Vorderseite befestigt hatten, den Gerechten befahlen, durch den himmlischen Weg auf der rechten Seite aufzusteigen; und ebenso befahlen sie den Ungerechten durch den unteren Weg auf der linken Seite hinabzusteigen; auch diese trugen die Symbole ihrer Taten, doch waren diese auf ihren Rücken befestigt. Als Er näher trat, sagten sie zu ihm, daß er der Bote sein sollte, der den Bericht über die andere Welt zu den Menschen tragen würde, und sie baten ihn, alles anzuhören und anzusehen, was an diesem Ort zu hören und zu sehen war.

Dann blickte er umher und sah auf der einen Seite die Seelen nach dem ihnen gegebenen Urteilsspruch zu der einen oder anderen Öffnung des Himmels und der Erde weggehen; und bei den zwei anderen Öffnungen andere Seelen, die staubig und ermattet von der Reise von der Erde emporstiegen und wieder andere, die rein und glänzend vom Himmel herabstiegen. Und während sie immerzu näher kamen, schien es als kämen sie von einer langen Reise. Sie gingen freudig auf die Wiese, wo sie sich wie zu einem Fest niederließen, und jene, die sich kannten, umarmten und unterhielten sich. Die Seelen, die von der Erde kamen, erkundigten sich neugierig nach den Dingen oben, und die Seelen, die vom Himmel kamen, nach den Dingen unten. Und sie unterhielten sich darüber, was alles geschehen war, die von unten weinend und kummervoll bei der Erinnerung an die Dinge, die sie während ihrer langen Reise auf Erden ertragen und gesehen hatten (damals dauerte die Reise eintausend Jahre), während jene von oben himmlische Freuden und Visionen von unbegreiflicher Schönheit beschrieben.

Es würde zu lange dauern, die Geschichte zu erzählen, Glaukon, doch der Inhalt war folgender: Er sagte, daß für jedes Unrecht, das sie einem anderen getan hatten, sie zehnfach zu leiden hatten, oder einmal in hundert Jahren - so wurde die Länge eines menschlichen Lebens berechnet - und die Strafe dadurch zehn mal in tausend Jahren bezahlt wird. Wenn jemand, z. B. den Tod vieler verursacht, oder Städte oder Armeen verraten oder versklavt hatte, oder anderer böser Taten schuldig war, so erhielten sie für jedes und alle ihre Verbrechen mehr als zehnmal die Strafe, und im selben Verhältnis standen die Belohnungen für Wohltat und Gerechtigkeit und Frömmigkeit. ...

Nachdem nun die Geister, die auf der Wiese waren, sieben Tage dort verweilt hatten, mußten sie am achten Tag ihre Reise fortsetzen und am vierten Tag danach, so sagte er, kamen sie an einen Ort, wo sie von oben einen Lichtstrahl erblicken konnten, der so gerade wie eine Säule sich über den ganzen Himmel und über die Erde erstreckte, und dessen Farbe dem Regenbogen glich, nur glänzender und reiner. An einem anderen Tage brachte sie die Reise an einen Ort, von dem aus sie, inmitten des Lichts, die Enden der Ketten des Himmels sahen, die von oben nach unten herabgelassen wurden: denn dieses Licht ist der Gürtel des Himmels, der den Kreis des Universums zusammenhält. Von diesen Enden ging die Spindel der Notwendigkeit aus, auf der sich alle Umläufe drehen. ...

Die ganze Spindel macht die gleiche Bewegung; aber da sich das Ganze in einer Richtung dreht, bewegen sich die sieben inneren Kreise langsam nach der anderen Richtung. ... Die Spindel dreht sich auf den Knien der Notwendigkeit, und auf der höheren Oberfläche jedes Kreises ist eine Sirene, die sich mit ihm dreht, wobei sie mit einem einzigen Ton, oder einer Note lobsingt. Die acht zusammen bilden eine Harmonie; und rund herum, in gleichmäßigen Zwischenräumen gibt es einen anderen Bund, drei an der Zahl, jede sitzt auf ihrem Thron. Das sind die Nornen, die Töchter der Notwendigkeit. Sie sind in weiße Gewänder gehüllt und tragen Kränze auf ihren Häuptern; es sind Lachesis, Clotho und Atropos, die mit ihren Stimmen die Harmonie der Sirenen begleiten. Lachesis singt von der Vergangenheit, Clotho von der Gegenwart und Atropos von der Zukunft. Clotho unterstützt von Zeit zu Zeit durch eine Berührung ihrer rechten Hand die Umdrehung des äußeren Kreises der Winde oder Spindel, und Atropos berührt und leitet mit ihrer linken Hand die inneren, während Lachesis abwechselnd jeden ergreift, zuerst mit der einen Hand und dann mit der anderen.

Als Er und die Geister ankamen, war es ihre Pflicht sofort zu Lachesis zu gehen; doch zuerst kam ein Prophet, der sie ordnungsgemäß einteilte, dann nahm er von Lachesis Knien Lose und Muster des Lebens, und, nachdem er eine hohe Kanzel erstiegen hatte, sprach er folgendes:

Hört die Worte der Lachesis, der Tochter der Notwendigkeit. Sterbliche Seelen, betrachtet einen neuen Zyklus des Lebens und der Sterblichkeit. Euer Genius wird Euch nicht zugeteilt werden, sondern Ihr werdet Euren Genius wählen, laßt ihm, der das erste Los zieht, die erste Wahl, und das Leben, das er wählt, wird sein Schicksal sein. Die Tugend ist frei, und so wie ein Mensch sie ehrt oder entehrt, wird er mehr oder weniger von ihr haben; die Verantwortlichkeit ist bei dem Wähler - Theos ist gerechtfertigt.

Nachdem der Sprecher das gesagt hatte, verteilte er unparteiisch Lose unter sie alle, und jeder von ihnen nahm das Los, das ihm zufiel, alle außer Er (dem es nicht erlaubt war), und jeder sah, als er sein Los nahm, die Nummer, die er erhalten hatte. Dann breitete der Sprecher vor ihnen auf dem Boden die Muster des Lebens aus, und viel mehr Leben waren vorhanden als anwesende Seelen, und alle waren verschieden. ... Es waren Tyranneien darunter, einige hielten das ganze Leben des Tyrannen hindurch an, andere brachen in der Mitte auseinander und führten zu einem Ende in Armut, zu Exil und Bettelei. Es gab Leben berühmter Männer, einige, die sowohl wegen ihrer Gestalt und Schönheit als auch wegen ihrer Stärke und ihrem Erfolg bei Spielen berühmt waren; wieder andere wegen ihrer Geburt und den Verdiensten ihrer Vorfahren; und einige, die es ihrer entgegengesetzten Eigenschaften wegen waren. ... Es gab jedmögliche Eigenschaft, und alle vermischten sich untereinander und auch mit den Elementen des Wohlstandes und der Armut, mit Krankheit und Gesundheit. Zwischenzustände gab es auch.

Und hier, mein lieber Glaukon, ist die höchste Gefahr unseres menschlichen Zustandes, und deshalb sollte äußerste Achtsamkeit geübt werden. Würde doch jeder von uns jedwede Art der Erkenntnis verlassen und nur ein Ding suchen und ihm nachfolgen, wenn er vielleicht imstande wäre zu lernen, und jemanden finden könnte, der ihn anleiten würde zum Lernen und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, und so überall das bessere Leben zu wählen. Er sollte das Ergebnis all dieser Dinge, die besonders und vor allen Dingen über die Tugend gesagt wurden, in Betracht ziehen. Er sollte wissen, welche Wirkung die Schönheit in Verbindung mit Armut oder in Verbindung mit Wohlstand auf eine einzelne Seele ausübt. Wie die guten und schlechten Folgen einer vornehmen und einer niedrigen Geburt sind, die Wirkung einer zurückgezogenen, oder einer öffentlichen Stellung, wie Stärke oder Schwachheit, Tüchtigkeit und Stumpfheit und all die natürlichen und errungenen Gaben der Seele sind, wenn sie miteinander verbunden sind. Er wird dann auf die Natur der Seele blicken und durch die Betrachtung all dieser Eigenschaften wird er imstande sein, zu entscheiden, welches die besseren und welches die schlechteren sind. Und so wird er wählen und das Leben als böse bezeichnen, das seine Seele ungerechter machen wird, und das Leben als gut, das seine Seele gerechter machen wird; alles andere wird er gering schätzen. Denn wir haben es gesehen und wissen, daß das die beste Wahl ist im Leben und nach dem Tod. Nach unten in die Welt muß ein Mensch einen diamantharten Glauben an das Wahre und Gute mitnehmen, damit er auch dort durch den Wunsch nach Reichtum oder anderer Versuchungen des Bösen ungeblendet bleiben kann, um nicht auf Tyrannei oder andere Niederträchtigkeiten zu verfallen und anderen unheilbares Unrecht zufügt und dennoch selbst schlimmer leidet. Er soll aber wissen, wie der Mittelweg zu wählen ist und wie die Extreme auf beiden Seiten so weit als möglich zu vermeiden sind, nicht nur in diesem Leben, sondern in allem, was kommen wird. Denn das ist der Weg zum Glück.

Und mit dem Bericht des Boten aus der anderen Welt übereinstimmend sagte der Prophet zur gleichen Zeit:

Selbst für den, der zuletzt kommt, ist, wenn er weise wählt und sorgfältig leben wird, ein glückliches und nicht unerwünschtes Dasein bestimmt. Laßt den, der zuerst wählt, nicht nachlässig sein und den letzten nicht verzweifeln.

Und nachdem er gesprochen hatte, kam der, der die erste Wahl hatte, heran und wählte sofort die größte Tyrannei; da sein Gemüt durch Torheit und Sinnlichkeit verdunkelt war, hatte er nicht alles durchdacht, bevor er wählte und konnte nicht auf den ersten Blick bemerken, daß er, unter anderen Übeln, dazu bestimmt war, seine eigenen Kinder zu vernichten. Doch als er Zeit hatte zu überlegen und sah was sein Los war, vergaß er den Aufruf des Propheten und begann gegen seine Brust zu schlagen und über seine Wahl zu jammern: denn anstatt die Schuld seines Mißgeschickes sich selbst zuzuschreiben, klagte er den Zufall und die Götter und alles andere mehr an als sich selbst. ... seine Tugend war nur eine Gewohnheitssache, und er hatte keine Philosophie....

bild_sunrise_41961_s143_1Höchst merkwürdig, war der Anblick, sagte er - traurig und lächerlich und befremdend; denn die Wahl der Seelen war in den meisten Fällen auf ihre Erfahrung eines vorangegangenen Lebens gegründet... Auch die Seele des Odysseus kam, die noch eine Wahl zu treffen hatte, und es geschah, daß sein Los das letzte war. Die Rückerinnerung an frühere Mühseligkeiten hatten ihm jeden Ehrgeiz genommen, und er verwendete beträchtlich viel Zeit für die Suche nach einem zurückgezogenen Leben ohne Sorgen; er hatte einige Schwierigkeit es zu finden. Es lag, von allen anderen übersehen, da, und als er es sah, sagte er, daß er das gleiche getan hätte, wenn sein Los das erste anstatt das letzte gewesen wäre, und daß er froh sei, es zu haben....

Bildtext: Socrates.

Alle Seelen hatten jetzt ihre Leben gewählt und gingen mit ihrer Wahl zu Lachesis (die Vergangenheit), die ihnen den Genius gab, den einige erwählt hatten, damit er der Hüter ihrer Leben und der Vollbringer ihrer Wahl sei: dieser Genius führte die Seelen zuerst zu Clotho (die Gegenwart) und zog sie in den Wirbel der Spindel hinein, die sie mit ihrer Hand antrieb, womit sie das Schicksal eines jeden bekräftigte; und nachdem sie daran festgebunden waren, trug er sie zu Atropos (die Zukunft), die die Fäden spann und unwiderruflich machte, von wo sie ohne weiteren Aufenthalt zum Thron der Notwendigkeit hinunter gingen. Und als sie alle vorüber waren, marschierten sie in brennender Hitze zur Ebene der Vergessenheit, die eine unfruchtbare Einöde war, ohne Bäume und jegliche Pflanzenwelt; und dann gegen Abend lagerten sie am Fluß der Vergessenheit, von dessen Wasser kein Schiff getragen werden kann; von diesem mußten sie alle eine bestimmte Menge trinken, und jene, die nicht mit Weisheit gesegnet waren, tranken mehr als nötig war, und jeder vergaß alles während sie tranken.

Nachdem sie dann zur Ruhe gegangen waren, erhob sich um Mitternacht ein Gewitter und ein Erdbeben, und dann wurden sie augenblicklich irgendwie, wie Sternschnuppen, zu ihrer Geburt nach oben getrieben. Nur Er wurde vom Wassertrinken abgehalten. Aber auf welche Art, oder durch welche Mittel er in seinen Körper zurückkehrte, konnte er nicht sagen; er fand sich nur, als er am Morgen plötzlich erwachte, auf dem Scheiterhaufen liegen.

Und so, Glaukon, wurde die Erzählung gerettet und ist nicht untergegangen. Sie wird uns zum Segen sein, wenn wir dem, was gesagt wurde, folgen. Den Fluß der Vergessenheit werden wir wohlbehalten überschreiten, und unsere Seele wird nicht beschmutzt werden. Daher ist mein Rat, daß wir immer standhaft am himmlischen Weg festhalten und beständig der Gerechtigkeit und Tugend folgen sollten, in Anbetracht dessen, daß die Seele unsterblich ist und imstande, alles Gute und alles Böse zu ertragen.

So werden wir wahrend unseres Hierseins untereinander und den Göttern gegenüber in Wertschätzung leben, und wie die Sieger in den Spielen, die herumlaufen, um Gaben zu sammeln, unsere Belohnung erhalten. Und es wird mit uns in diesem Leben und während der Pilgerschaft, die uns geschildert wurde, in Tausenden von Jahren, wohl bestellt sein.