Gespräche am runden Tisch: Unsere ungesuchten Gelegenheiten
- Sunrise 2/1960
George: Ich möchte auch gerne einiges über jene "begünstigten Soldaten" hören, die diesen ungesuchten Kampf aufnehmen. Das scheint dem Denken einen ausgedehnten Spielraum zu öffnen.
Vorsitzender: Bevor wir über diese besonderen Punkte sprechen, wäre es vielleicht besser, die in Frage kommende Stelle noch einmal zu lesen:
Ein Krieger vom Kshatriya-Stamm hat keine höhere Pflicht als gesetzmäßigen Kampf, und deinem Wunsche entsprechend findest du diesen gerechten, dir die Himmelstore öffnenden Kampf, der nur glückbegünstigten Kriegern zuteil wird. Wenn du die Pflicht deines Standes aber nicht erfüllen und den Kampf nicht aufnehmen willst, so wirst du dadurch deine natürliche Pflicht und deine Ehre verscherzen und dich eines Vergehens schuldig machen.
Krishna sagt sodann Arjuna, daß wenn er es jetzt unterläßt zu kämpfen, seine Schande unermesslich sein wird, da seine Feinde und selbst die Generäle der Armee denken werden, daß er den Kampf aus Furcht meide und was ist für einen Mann schreckliche als das? Wenn er im Kampfe fällt, wird er den Himmel erlangen; wenn er siegt, ist die Erde sein Lohn.
Deshalb erhebe dich, o Sohn von Kuntî, und entschließe dich zum Kampfe. Laß dir Annehmlichkeit und Schmerz, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage einerlei sein, und dann halte dich für den Kampf bereit, denn nur dadurch wirst du rein von Sünde bleiben.
Was meint Krishna mit diesem "ungesuchten Kampf", den nur jene vom Glück begünstigten erlangen können? Eine buchstäbliche Wiedergabe kann uns vielleicht dabei helfen: "gesegnet sind die Krieger, denen sich ein solcher Kampf von selbst (ungesucht) als ein offenes Tor zum Himmel darbietet." Haben wir nicht gefunden, daß jene Probleme und Umstände, die von selbst auf uns zukommen, ohne daß wir uns besonders anstrengen unsere niederen Neigungen "zu bekämpfen", unsere größten Gelegenheiten zum Wachsen sind? Wir sollten sie nie bedauern, ganz gleich in welcher Form sie auftreten mögen, denn wenn wir dem vollen Ansturm Karmas, so wie es kommt, wie unerwartet und schmerzhaft der Ansturm auch sein mag, gegenübertreten können, können wir die niederdrückendsten Widerwärtigkeiten in die größten Siege verwandeln.
Die unvermutet auftretenden Elemente unseres alltäglichen Karmas sind es, die die wichtigsten Hinweise unseres Höheren Selbstes bilden, das bestrebt ist, unser gewöhnliches menschliches Selbst gerade auf die Wege der Erfahrung zu führen, auf denen es Stärke und Verstehen finden wird. Das Paradoxe ist: wenn wir uns bewußt oder vorsätzlich mit Hilfe unseres persönlichen Willens bemühen nach diesen Hinweisen zu suchen, werden wir sie niemals finden; oder wenn wir denken, wir haben sie gefunden, können sie uns in Sackgassen unnütz vergeudeter Anstrengung führen, weil sie nicht ein Teil unserer "natürlichen Pflicht" sein werden.
Können wir daher sagen, daß der ganze Kampf des Lebens ungesucht ist? Ja und nein. Von der rein persönlichen Seite unserer Natur aus betrachtet, die nur einen Teil des Umrisses eines einzigen kurzen Lebens sieht, können die Kämpfe und Probleme ungesucht und unverdient erscheinen; und, wie uns Arjunas tiefe Verzweiflung zeigt, können sie sogar unerwünscht sein, weil wir uns Entscheidungen und Verwicklungen gegenüber gestellt sehen, die uns nicht behagen und von denen wir auch überzeugt sind, daß wir sie nicht selbst verursacht haben. Wenn wir aber alle Dinge vom überlegenen Standpunkt unseres Höheren Selbstes aus betrachten, wissen wir, daß wir unsere eigene Gottheit nicht nur gesucht, sondern aufgefordert haben, uns an jenen Punkt unseres Wachstums zu führen, an dem wir uns "mit auf den Kampf gerichteter Entschlossenheit" erheben müssen.
Ellen: Mich hat der Ausdruck "gesetzmäßiger Kampf" verwirrt, besonders wenn Krishna zu Arjuna sagt, daß es für einen Soldaten keine höhere Pflicht gibt. Wir sollten das natürlich nicht wörtlich auslegen. Könnten wir dann nicht sagen, daß wir eher einen dem Gesetz oder dem Willen der Natur als dem menschlichen Gesetz entsprechenden Kampf führen?
Vorsitzender: Wir wollen diese ganze Frage aus dem Bereich der Kriegführung auf der physischen Ebene dorthin verlegen, wo die Ebene der Kurus nicht mehr als Schlachtfeld erscheint, sondern zu jener inneren Sphäre des Denkens und Handelns wird, auf der Sie und ich und alle Arjunas der Welt sich jeden Tag unseres Lebens befinden. Während wir zwischen den gegnerischen Armeen unserer früheren Gedanken, Gefühle und Neigungen des Charakters stehen, ist eines klar: wir stehen diesem ungesuchten Kampf weder durch die Gunst Gottes, noch auf Grund der Laune des Schicksals gegenüber, sondern weil uns als Kämpfer für das Rechte die in vergangenen Zeiten angesammelte Stärke unseres Emporstrebens jetzt diese herrliche Gelegenheit gebracht hat, jenen Kräften, die unseren Fortschritt hemmen würden, entgegen zu treten und sie zu überwinden.
Ellen: Mit anderen Worten, es ist in Wirklichkeit ein Krieg zwischen Licht und Finsternis, und zwar nicht nur in uns selbst, sondern in der ganzen Natur.
Vorsitzender: Sehr richtig, denn Arjunas Kampf bildet nur einen Aspekt des größeren karmischen Kampfes, der in jedem Teil des Kosmos stattfindet. Sobald das Universum seine Trillionen atomistischer Leben, welche seine aus vielen Schichten bestehende Konstitution bilden, "ausatmet", tritt sofort Bipolarität in Erscheinung und Geist und Materie spielen auf jeder Stufe der gewaltigen Hierarchie, die die Natur darstellt, ihre entsprechenden Rollen. Dieselbe bipolare Ausdrucksweise ist im Menschen im Bereich seiner Seele dynamisch verankert, wo alle die unentwickelten Elemente seiner Natur die Herrschaft beanspruchen, während er, für den Willen seines Höheren Selbstes immer empfänglicher werdend, gleichzeitig den starken Eindruck des Göttlichen fühlt.
Dan: Es scheint mir ziemlich sonderbar, daß Krishna dem Arjuna sozusagen eine Prämie anbietet, wenn er ihm sagt, wenn er fällt, wird er den Himmel erlangen, oder wenn er siegt, kann er die Welt haben. Das scheint nicht der selbstlosen Einstellung, mit der wir an die Gîtâ oder an andere Schriften dieser Art herantreten, zu entsprechen.
Vorsitzender: Wir dürfen wiederum nicht vergessen, daß alle die alten Schriften den Stempel der Überlieferungen und der ritualistischen Gebräuche der Völker tragen, unter denen sie geschrieben wurden; und die Bhagavad-Gîtâ bildet darin keine Ausnahme. Hier ist der mystische und der geschichtliche Hintergrund hinduistisch und der Gebrauch von "Himmel" oder swarga bezeichnet den Lohn höchster Glückseligkeit, der jenen zuerkannt werden konnte, die im Kampfe fielen. Das ist, nebenbei gesagt, der altnordischen Überlieferung ähnlich, nach welcher die in der Schlacht gefallenen Helden von den Walküren direkt nach Walhalla gebracht wurden. Ferner ist Arjuna in der Mahâbhârata, der die Gîtâ entnommen ist, von Geburt ein Prinz und so ist es als Mitglied der Krieger- oder Kshatriyakaste seine "natürliche Pflicht", das Reich, wenn nötig, durch "gesetzmäßigen Kampf" zu schützen. Was das Anbieten der Welt anbetrifft, wenn Arjuna siegen sollte, so ist das ohne Zweifel wieder eine symbolische Art zu sagen, daß er, wenn er sich in diesem entscheidenden Augenblick selbst besiegt, die Welt erobern wird, denn die Erkenntnis des Selbstes schließt in den alten Überlieferungen immer die Erkenntnis kosmischer Dinge ein.
Wir wollen nicht vergessen, daß wir die Gîtâ als einen Bericht über spirituelle Belehrung lesen und nicht als einen historischen Bericht über einen Kampf auf dem physischen Schlachtfeld. Sie mag sehr mit traditionellen und zeremoniellen Riten verwoben sein, die für uns vielleicht wenig bedeuten, aber wir sollten deren wesentliche Werte achten, nach denen sie von Millionen Hindus heilig gehalten wurden und was noch mehr bedeutet, die meisten von ihnen haben eine Bedeutung, wenn wir ihren ursprünglichen Zweck verstehen. Wenn wir uns Krishna sowohl als den Repräsentanten der höchsten göttlichen Energie im Universum als auch als das Höhere Selbst im Menschen vorstellen können, und Arjuna als Vertreter von Ihnen und von mir und jedem einzelnen Menschen, der Führung und Selbstüberwindung sucht, dann werden wir unseren Weg durch die Gîtâ ohne Schwierigkeit finden.
Tom: Was Sie eben sagten erscheint mir höchst wichtig es im Hintergrund unseres Denkens festzuhalten, wenn wir irgendeines der Weltepen lesen. Im Falle der Iliade von Homer fand zum Beispiel, geschichtlich gesprochen, tatsächlich eine Zerstörung Trojas statt, aber die Hauptidee der Iliade hat wenig, wenn überhaupt etwas, mit Troja zu tun. Aus diesem Grunde ist ihre Ähnlichkeit mit einigen der Hindugeschichten, wie sie in der Mahâbhârata zu finden sind, so bezeichnend, daß viele unserer westlichen Gelehrten das letztere die Iliade des Ostens nannten. Was ich feststellen möchte ist, daß sehr wohl ein tatsächlicher Kampf zwischen zwei Völkern auf der physischen Ebene stattgefunden haben kann, auf den die Gîtâ anspielt. Aber ob nun ein solcher Krieg stattfand oder nicht, es ist, wie Sie sagten, ziemlich klar, daß ihn der Autor nur als eine Stütze oder als Kulisse gebraucht, um gewisse spirituelle Prinzipien mitzuteilen.
Vorsitzender: Prinzipien, welche universal und deshalb heute genau so anwendbar sind, wie sie es immer waren, ob Homer in seinen unsterblichen Gedichten von ihnen singt, oder der Weise Vyasa, von dem man sagt, daß er seine göttliche Botschaft durch den Avatara Krishna verkündete. Es ist immer dieselbe alte Geschichte: Niemand weiß, wer oder was Vyasa war und wann er gelebt hat; so wenig wie wir je wissen werden, wer oder was Homer war und in welcher archaischen Periode er über die Hügel Griechenlands wanderte. Das Wertvolle sind die wichtigen spirituellen Wahrheiten, die nicht nur in den heiligen Schriften und Epen der Welt, sondern auch in der universalen Sprache des Symbols, der Legende und der Mythe erhalten wurden.
Harry: Liegt nicht eine Gefahr in dem Gefühl, daß wir diesen Kampf gewinnen und uns dann von jenen absondern oder trennen können, die wir bekämpfen? Sind jene niederen Elemente nicht auch ein Teil von uns und müssen sie nicht auch aus diesem Zweikampf etwas lernen?
Vorsitzender: Wir können uns niemals von irgendeinem Teil des Universums absondern oder trennen. Alles ist ein Teil des göttlichen Haushalts und die materiellen Elemente unserer Natur sind für den Gesamtplan der Natur ohne Zweifel genau so wichtig, wie die spirituellen. Wie könnte es uns möglich sein, die gegnerischen Kräfte auf der Ebene der Kurus, jene Charaktereigenschaften, die jetzt unter unserer Würde stehen, zu "töten", ohne sie gleichzeitig emporzuheben?
Bei dem Bemühen, in all unseren Erfahrungen das Gute und die Wahrheit herauszufinden, haben wir bei jedem Schritt auf diesem Weg Gelegenheit, die unentwickelten Elemente in unserer Natur umzuwandeln. Wenn wir auch nur in geringem Grade beim Abstoßen unserer niederen Begierden Erfolg haben, dann "töten" wir im gleichen Maße die äußere Schale oder stossen sie ab, in die sie eingeschlossen sind und insoweit befreien wir den Geist, der sie beseelt. Erinnern Sie sich nicht mehr was Krishna im ersten Teil dieses Kapitels Arjuna über die unzerstörbare Essenz des Göttlichen sagte, die jedes Atom im Universum belebt und daß, ganz gleich wer oder was "getötet" wird, oder was sich mit der sterblichen Hülle ereignet, die Einheit des göttlichen Bewußtseins immer unsterblich und ewig ist?
Frank: Das ist ein wunderbarer Begriff und Emerson muß diesen besonderen Teil der Gîtâ im Sinn gehabt haben, als er sein "Brahma" betiteltes Gedicht schrieb. Ich kann nicht alle Verse auswendig, aber die zwei ersten lauten dem Sinne nach etwa:
Wenn der rote Schlächter denkt er tötet,
Oder wenn der Erschlagene denkt, er sei getötet,
Kennen beide nicht die feinen Wege,
Die ich einhalte und gehe und auf denen ich zurückkehre.
Fern oder Vergessen ist für mich nah;
Schatten und Sonnenlicht bedeuten das gleiche;
Die verschwundenen Götter erscheinen mir;
Schande und Ruhm sind für mich eins.
Der Gedanke, daß Schande und Ruhm, Licht und Finsternis für Brahma oder Krishna in der Essenz das gleiche sind, ist eine Quelle unermesslicher Ermutigung. Man begreift, daß es nicht so wichtig ist, wenn man keinen Erfolg hat, sondern, wie Krishna es ausdrückt besteht die wirkliche "Sünde" darin, wenn man es unterläßt, sich zu erheben und zu kämpfen.
Vorsitzender: Es freut mich, daß Sie sagten, "in der Essenz", denn falsches Handeln ist niemals rechtes Handeln. Aber wie Emerson vollkommen verstanden hat, ist es wahr, daß Licht und Schatten in der Essenz eins sind, denn sowohl in der Materie wie im Geist wohnt dasselbe Feuer göttlicher Intelligenz. Um auf Harrys Frage zurückzukommen: Als Arjunas hoben wir gegenüber der "gegnerischen Armee" unserer früheren Gedanken und Taten, die zuweilen eine dämonische Form anzunehmen scheinen, um uns zu versuchen und herabzuziehen, eine schwerwiegende Verantwortung. Aber jedesmal, wenn wir ihnen auf ihrem eigenen Felde in der rechten Weise begegnen, schwingen wir uns nicht nur selbst empor, sondern erheben im gleichen Verhältnis zu unserem eigenen Wachstum auch die gewaltige Armee von Lebewesen, die die materiellen Elemente der Natur aufbauen - die der menschlichen und der kosmischen Natur.
Begreifen Sie, daß jedes einzelne Atom unserer Konstitution nicht nur innerhalb und durch alle Schichten materieller und spiritueller Substanz, die den Menschen zusammensetzen, kreist, sondern auch ebenso einen Kreislauf innerhalb des ganzen Sonnensystems und darüber hinaus verfolgen wird? Außerdem wird sich jedes unserer Millionen Atome bei seinen Wanderungen zur Sonne und wieder zurück mit zahllosen anderen Atomen vermischen, die nicht nur dem menschlichen, sondern allen Reichen der Natur angehören. Wir haben in der Tat eine große Verantwortung.
Es kann also nicht die Rede davon sein, daß wir "gewinnen" oder den "Himmel" erlangen und uns dann von unserer eigenen gegnerischen Armee absondern. Alle Elemente und Kräfte, die durch uns spielen, sind gleich lebensnotwendig und für unser Wachstum wesentlich. Alle müssen in ihrer eigenen Sphäre der Erfahrung leben und sich bewegen. Wir können jedoch versichert sein, daß so, wie wir auf der Stufenleiter des Fortschritts emporsteigen, auch sie fortschreiten werden. Das ist etwas Wunderbares: Alle für einen und einer für alle. Wenn tatsächlich jede einzelne monadische Einheit, die weniger entwickelt ist als wir, auf dem Weg ist ein Mensch zu werden - mit anderen Worten, daß das menschliche Reich in Wahrheit in der Mitte zwischen den höchsten Göttern und den niedersten Elementalwesen steht - dann besteht wirklich die ganze Stufenleiter der Evolution aufwärts und abwärts eine ununterbrochene Verantwortung. Was kann dann unseren eigenen Gottesfunken hindern, in weit entfernten, zukünftigen Zeitaltern seine "natürliche Pflicht" in einem oder durch einen Sternenorganismus zu finden, wobei unsere ganze Konstitution in vollkommener Harmonie mit dem kosmischen Plane der Natur entwickelt ist und funktioniert? Während wir diesen Gedanken gar nicht weit genug ausmalen können, weist er darauf hin, daß wir immer die volle Last der Verantwortung dafür tragen, jeden Teil unserer Natur mehr in spiritueller als in materieller Richtung zu entwickeln.
Martha: Darf ich hierzu etwas sagen? Da wir die zwei Seiten, die materielle und die spirituelle immer haben werden, wird dann der Kampf nicht immer fortdauern, fast so, als wären zwei Kobolde in uns, von denen jeder zu gewinnen sucht? Das scheint Krishna sogar anzunehmen, da er Arjuna eine Art Ermutigungsansprache hält. Er appelliert an seinen Stolz und verspricht ihm gleichzeitig eine Belohnung: entweder den Himmel oder ein Reich auf Erden. Doch im gleichen Atemzug deutet er auf tiefe Wahrheiten hin.
Vorsitzender: Ganz gleich wie viele Siege wir erringen, der Kampf um mehr Licht wird immer fortdauern. Wenn wir aber durch die göttliche Macht, die uns mit Hilfe unseres eigenen Krishna oder durch unser Höheres Selbst zu führen sucht, unsere eigene Gedankenkraft und unsere Gewohnheiten dadurch, daß wir ihre Macht über uns "zerbrechen", umwandeln können, werden wir mit der Zeit "das Tor des Himmels" weit offen vor uns sehen. Was aber ist dieser Himmel, von dem Krishna spricht? Nichts anderes, als eine Ausdehnung des Bewußtseins. Wenn wir diesen erweiterten Begriff einmal erfassen und begreifen, daß wir niemals der Notwendigkeit im voraus gewappnet zu sein enthoben sein werden, werden wir beginnen, unseren Weg mit größerem Vertrauen zu gehen. Die wirkliche Aufgabe besteht in der Transmutation oder der alchimistischen Umwandlung unseres eigenen Bewußtseins. Wollten Sie etwas sagen, Hazel?
Hazel: Ja, während Sie sprachen, dachte ich an die alten Mythen, in denen gewöhnlich ein Prinz als Held vorkommt, der seine Tapferkeit durch erfolgreich ausgeführte Heldentaten und schließlich durch das Töten eines Drachens oder eines anderen schrecklichen Ungeheuers beweisen muß, und ich habe mir überlegt, daß er, nachdem er seine Unüberwindlichkeit im Kampfe gegen den Drachen und verschiedene Formen der Versuchung bewiesen hat, ein Reich bekommt, das er zusammen mit einer lieblichen Prinzessin regiert. Oft werden dann gerade die Geschöpfe, die Widerstand leisteten, in treue und ergebene Helfer umgewandelt.
Vorsitzender: Mit anderen Worten, seine Braut und die Welt vor sich, scheint das Tor des Himmels tatsächlich weit offen zu stehen und seine gegnerische Armee der jetzt besiegten niederen Neigungen ist zu seiner Kraft und Stärke geworden. Das ist ein ausgezeichneter Beitrag, denn er weist auf die universale Grundlage dieser mythologischen Erzählungen hin, die wir in allen Epen und alten Legenden finden. Der Himmel der Gîtâ ist gewiß keine Örtlichkeit oder ein fester Platz, so etwas wie die Insel der Seligen, oder ein Engelsparadies, sondern ist augenscheinlich jenes klare Wahrnehmen, das sich mit jedem Sieg einstellt.
Trudy: Könnte man also sagen, daß unsere Opponenten in dem Sinne unsere Verbündeten werden, daß jene Qualitäten jetzt für uns arbeiten?
Vorsitzender: Statt uns von unserem wahren Ziel abzuziehen? Warum nicht. Vielleicht werden sie nicht unsere Verbündeten, außer insofern, als sie ihre vitale Essenz stärken und sie dem unsterblichen Element in uns beifügen.
Mabel: Aber ist der Sieg jemals vollkommen, da gerade die Feinde, die wir überwinden, immer eine andere und feinere Form anzunehmen scheinen? Ich dachte immer, daß Krishnas nachdrückliche Mahnung an Arjuna sich "Annehmlichkeit und Schmerz, Sieg oder Niederlage" einerlei sein zu lassen, ehe er den Kampf beginnt, an sich einen Schutz bilden kann, indem sie beitragen würde, uns davor zu bewahren, wegen eines etwa errungenen spirituellen Sieges irgendwelcher Art stolz zu werden. Der Sieg scheint bei alledem so oft ein falscher Sieg zu sein, als wir finden, daß die alten Feinde immer noch leben und uns belästigen.
Vorsitzender: Wir können nicht erwarten, die Herrschaft über Nacht zu erlangen. Den Endsieg erringen nicht die Voreiligen, sondern jene, die sich standhaft weigern, sich geschlagen zu geben. Was hat es zu sagen, wenn die Feinde in dieser oder jener Form immer wiederkehren? Die bloße Tatsache, daß wir sie als solche erkennen, ist ein Zeichen des Fortschritts. Es ist unverkennbar, je feiner sie sind, um so gefährlicher sind sie; aber sie würden diese feinere Form nicht annehmen, wenn wir sie nicht auf der materiellen Ebene bereits besiegt hätten und das ist an sich ein Sieg.
Laßt uns jedoch den Kampf nicht suchen, noch uns übermäßig ängstigen, ob das Endresultat Sieg oder Niederlage sein wird. Es kann kein wirkliches Mißlingen geben, wenn wir den Kampf niemals aufgeben.
Das alles löst sich in die einfachste Regel auf: Laßt uns die Pflicht tun, die Karma und unser Höheres Selbst uns als die unsrige zeigten und wir werden finden, daß wir einer der "vom Glück begünstigten Soldaten" sind. Da wir stärker und gegen die gegnerische Armee unserer unentwickelten Natur widerstandsfähiger werden, ist es möglich, daß die "fliegenden Pfeile" zahlreicher werden und sich unsere Verzagtheit zuweilen vertieft. Aber wir können immer von neuem Mut fassen und uns "auf den Kampf vorbereiten". In dem Maße, wie wir dem Kämpfer in unserem Innern erlauben das Kommando zu übernehmen, bis zu diesem Grade werden wir nicht nur in einer Erweiterung der richtigen Erkenntnis das "offene Tor zum Himmel" gewinnen, sondern werden eine weit größere Klarheit hinsichtlich unserer eigenen "natürlichen Pflicht" auf dem Felde unseres täglichen Karmas erlangt haben.
Wir können jetzt anfangen, zu verstehen, warum so viele sagten, daß die ersten zwei Kapitel der Gîtâ die Wurzel und den Samen philosophischer Weisheit enthalten!