Krieg – ein Krebsgeschwür
- Sunrise 4/1959
Diese Erfahrung war eine ganz einfache, nämlich die Erkenntnis, daß es außer dem nebensächlichen Hindernis der Sprachverschiedenheit keine nennenswerte Differenz zwischen den Menschen in Europa und den Menschen in den Vereinigten Staaten gibt. Das mag manchem so vorkommen, als hätte er den atlantischen Ozean entdeckt. Aber die Hauptsache dabei ist, daß es zwar vorher bekannt war, daß es nur eine Welt gibt, diese Erkenntnis aber nur in einer theoretischen, intellektuellen Weise erworben wurde. Ich fühlte die Gleichartigkeit der Menschheit in Europa erst, als es mir möglich war, diese Gleichheit wirklich zu erleben. Denn mir war ja bekannt, daß, abgesehen von Nebensächlichkeiten, sich z. B. ein Spanier und ein Amerikaner nicht mehr voneinander unterscheiden, als etwa ein New Yorker von einem Chikagoer.
Wie viele Leute glauben das und zwar nicht aus intellektueller Überlegung, sondern aus einem tiefen instinktiven Glauben? Es sind sicher sehr wenige, weil ja die Mehrzahl der Menschen annimmt, daß Kriege nicht nötig sind. Wir kämpfen, weil wir uns fürchten und Furcht kann zwischen Völkern nur entstehen, wenn diese davon überzeugt sind, daß der Gegner ein sonderbares, unmenschliches Ding sei. Wenn wir erkennen, daß der "Feind" in Wirklichkeit das gleiche menschliche Wesen ist wie wir mit denselben Zweifeln, derselben Furcht, denselben Hoffnungen und Sorgen so dürfte es keine Furcht vor ihm und mithin keinen Krieg geben. Ein zweiter Grund, aus dem ein Krieg begonnen wird ist die öffentlich oder stillschweigend vertretene Ansicht, daß ein Volk verglichen mit einem anderen moralisch höher stehe und daher das Recht oder sogar die Verpflichtung zu haben glaubt, über das andere zu herrschen. Diese Ansicht könnte nicht weiter Wurzel fassen und Furcht hervorrufen, wenn eine wirkliche Überzeugung von der Bruderschaft aller Menschen aufkäme. Bestünde wirklich der Glaube, daß dies eine Welt und eine Menschheit ist, so würde fast die ganze Menschheit unfähig sein, einen solchen brudermörderischen Krieg zu führen.
Unsere Aufgabe ist es also, der Welt zu helfen, die Bruderschaft der Menschheit zu verwirklichen. Das ist aber nur möglich, wenn wir wirklich und aufrichtig an uns selbst glauben. So laßt uns denn an unsere Arbeit gehen, unseren Nachbarn und unsere Landsleute erkennen und verstehen zu lernen; Landsleute aber in dem Sinne, wie es Tom Paine verstanden hat wenn er sagt: "Mein Vaterland ist die Welt."