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Gespräche am runden Tisch: Über die Bhagavad-Gîtâ: Die Verzagtheit des Arjuna

Vorsitzender: Vor zwei Wochen hatten wir unsere erste Diskussion über die Bhagavad-Gîtâ. Dabei streiften wir ihre Beziehung zum Mahâbhârata, dem großen Epos Indiens. Wir lernten Krishna, den göttlichen Wagenlenker Arjunas, kennen, der in Wirklichkeit uns selbst darstellt und erkannten, daß die im ersten Kapitel so deutlich geschilderte Verzagtheit eine ganz allgemeine Erfahrung darstellt, da jeder einzelne immer wieder den Kampf mit sich selbst ausfechten muß.

Es ist natürlich nicht unsere Absicht, in jedem Kapitel jeden Abschnitt erschöpfend zu studieren. Wir beabsichtigen vielmehr, zu versuchen, die wesentliche Botschaft der Gîtâ herauszuziehen und zu ergründen, inwiefern ihre philosophischen Werte in unserem täglichen Leben Anwendung finden können.

Heute Abend, dachte ich, könnten wir mit dem zweiten Kapitel beginnen und dann der Diskussion ungehindert ihren Lauf lassen. Doch ehe wir anfangen zu lesen, möchte ich gerne noch einmal die das letzte Mal kurz erwähnte Tatsache betonen, daß wir in all diesen alten Schriften, ob östlichen oder westlichen Ursprungs, zumindest zwei Gedankengänge beachten müssen, nämlich die zeitweilige und materielle Fassung, welche der besonderen Gedankenatmosphäre des Volkes zu jener Zeit entspricht; und die grundlegenden spirituellen Prinzipien, die unzerstörbar und daher auf jedes Volk und jeden Zeitabschnitt in der Geschichte anwendbar sind. Wenn wir diesen Unterschied festhalten können, so müßte es einfach sein, zu erkennen, was bloße anschauliche Darstellung und bildlicher Ausdruck ist und was jene dauernden Werte sind, die in allen Zeitaltern und für alle Menschen gelten.

Sie erinnern sich, daß das erste Kapitel mit Sanjaya, dem Wagenlenker Dhritarâshtras, Zeugen und Aufzeichner der Ereignisse, endet, welcher darlegt, daß Arjuna, nachdem er gesprochen hatte, Bogen und Pfeile beiseite legte und sich "von Verzweiflung überwältigt" in seinem Wagen niedersetzte. Das zweite Kapitel beginnt damit, daß Krishna Arjuna drängt, seine "Niedergeschlagenheit angesichts von Schwierigkeiten" als seiner unwürdig und "seiner Pflicht zuwider" abzuwerfen. Doch Arjuna kämpft einen schweren Kampf mit sich selbst und sagt, er würde sich lieber sein Brot überall erbetteln, als der Mörder seiner Lehrer zu sein, und er fühle, daß, "wenn er solche Freunde vernichten würde, er an Besitztum, Freude und Reichtum teilnehme, an welchen deren Blut klebt." Auf der einen Seite bittet nun Krishna um Belehrung und auf der anderen erklärt er rundweg, daß er nicht zu leben wünscht, wenn er seine Verwandten töten muß.

"Deshalb frage ich dich, was das Bessere ist. Sage es mir offen! Ich bin dein Schüler; deshalb unterrichte mich über meine Pflicht, der ich Zuflucht bei dir suche; denn mein Verstand ist verwirrt durch die Diktate meiner Pflicht und ich sehe kein Mittel, meine Betrübnis zu heilen, die alle meine Fähigkeiten zu vernichten droht; selbst nicht in einer unbestrittenen Herrschaft über die Erde oder in dem Regiment über die Scharen des Himmels kann ich es erblicken."

Und unmittelbar anschließend erklärte Arjuna Krishna gegenüber: "Ich werde nicht kämpfen!"

"Gütig lächelnd" erwiderte Krishna:

"Du trauerst um jene, welche nicht betrauert werden sollen, und deine Gedanken sind die der Verteidiger der Buchstaben des Gesetzes. Wer in spirituellen Dingen weise ist, trauert weder um die Toten noch um die Lebenden. Niemals war ich nicht, noch du, noch all diese Fürsten der Erde; auch werden wir niemals aufhören zu sein. Der Herr dieses sterblichen Körpers erfährt darin Kindheit, Jugend und Alter, und so wird es auch in künftigen Inkarnationen sein. Der in diesem Glauben gefestigte wird durch nichts erschüttert."

Krishna erklärte dann, daß Hitze und Kälte, Vergnügen und Schmerz, kommen und gehen, daß aber die Weisen, die allen solchen Gegensätzen gegenüber gleichmütig sind, fähig sind, "die Wahrheit zu sehen und die Prinzipien der Dinge zu durchschauen" und sowohl das Ewige als auch dessen äußere Hülle zu erkennen.

"Lerne, daß Er, durch den alle Dinge geschaffen wurden, unvergänglich ist, und daß niemand die Vernichtung des Es, welches unerschöpflich ist, bewirken kann. Von diesen begrenzten Körpern, welche die darin wohnenden Seelen umhüllen, wird gesagt, daß sie zum Ihm, dem ewigen, unzerstörbaren, unbeweisbaren Geist gehören, der im Körper ist; deshalb o Arjuna, entschließe dich zum Kampf.

Der Mensch, der glaubt, daß es dieser Geist sei, der tötet, befindet sich ebenso im Irrtum wie derjenige, der glaubt, daß dieser Geist vernichtet werden kann, denn der Geist tötet nicht und wird nicht getötet. ... denn er kennt weder Geburt noch Tod. Er ist alt, beständig und ewig und vergeht nicht, wenn seine sterbliche Hülle zerstört wird. Wie kann ein Mensch, welcher glaubt, daß er unvergänglich, ewig, unerschöpflich und ohne Geburt ist, denken, daß er töten oder verursachen kann getötet zu werden?

So wie ein Mensch seine abgetragenen Kleider ablegt und neue anzieht, so tritt auch der Bewohner des Körpers, nachdem er die alten, sterblichen Hüllen verlassen hat, in andere neue Körper ein. Die Waffen zerteilen ihn nicht, das Feuer verbrennt ihn nicht, das Wasser verdirbt ihn nicht und der Wind trocknet ihn nicht auf. Denn er ist unteilbar, unverzehrbar, unverderbbar und kann nicht vertrocknet werden; er ist ewig, universal, permanent, unbeweglich, unsichtbar, unbegreifbar und unveränderlich. Wenn du dieses nun, erkennst, so solltest du nicht länger trauern. Aber ob du nun glaubst, daß er von ewiger Geburt und Dauer sei, oder daß er mit dem Körper sterbe, so hast du trotzdem keine Ursache zum Klagen.

Der Tod ist allen Dingen, welche geboren sind, gewiss und ebenso auch die Wiedergeburt für alle Sterblichen; deshalb ziemt es sich nicht über das Unvermeidliche zu klagen. Der vorgeburtliche Zustand aller Wesen ist unbekannt, der mittlere Zustand ist sichtbar und der Zustand nach dem Tode ist nicht zu ergründen. Was gibt es darüber zu klagen?"

 

Dick: Das ist eine wunderbare Stelle, die Sie eben vorgelesen haben. Krishna scheint nun das Schlachtfeld verlassen zu haben und Lehrer und Philosoph geworden zu sein. Er vermittelt zweifellos eine wunderbare Vision von der Unzerstörbarkeit des Göttlichen und zeigt gleichzeitig so deutlich, daß Tod und Geburt unvermeidliche, notwendige Prozesse in der Natur sind und deshalb keine Ursache für Furcht besteht. Das hilft uns, die vielen Veränderungen im Leben zu verstehen.

Vorsitzender: Diese wenigen Abschnitte enthalten in der Tat einen Reichtum an tiefer Philosophie, und ich habe schon oft gedacht, daß, selbst wenn uns nur dieses eine Kapitel überliefert worden wäre, die Gîtâ trotzdem zu den spirituellen Klassikern der Welt zählen würde. Und dennoch will ich das nicht sagen, denn wenn ich an die späteren Kapitel denke, bin ich froh, daß dieses kleine Buch der Ergebenheit ganz erhalten geblieben ist.

Doch wir wollen zu Krishnas Antwort zurückkehren. Arjuna hat Krishna um Belehrung gebeten und hat sie empfangen, aber auf eine Weise, die er am wenigsten erwartet hatte. Beachten Sie, wie geschickt Krishna den einleuchtenden Einwand unbeachtet läßt und sich direkt an Arjunas höheres Selbst wendet. Indem er auf die unzerstörbare Essenz des Göttlichen hinweist, das sich im Innersten jeder Lebensform befindet, reißt er Arjuna direkt aus seiner kleinlichen Sorge seines eigenen Dilemmas in den klaren Äther einer kosmischen Perspektive: er weist auf die Runde von Geburt und Tod, von Zyklen der Tätigkeit und der Ruhe hin, der alle empfindenden Wesen unterworfen sind. Aber innerhalb und hinter allem besteht jener angestammte Funke der Göttlichen Intelligenz, den das Feuer nicht verbrennen, der Wind nicht auftrocknen und das Wasser nicht verderben kann.

Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet deutet Krishna für jedes menschliche Wesen auf die ununterbrochene Fortdauer der Erfahrung durch Wiedergeburt hin: genau wie ein Mensch seine abgetragenen Kleider ablegt und neue anzieht, so nimmt die Seele im Verlauf ihrer evolutionären Reise durch die Zeitalter Körper um Körper an. Wie der Tod allen Wesen gewiß ist, so ist auch die Wiedergeburt in menschlicher Form sicher. Warum sich also wegen des Verlustes der äußeren, materiellen, zeitweiligen Hüllen, welche kommen und gehen, grämen, wenn sich im Innern aller Dinge - des Steines, der Pflanze, des Menschen und des Sternes - das befindet, was weder töten noch getötet werden kann.

Dadurch, daß er sein Bewußtsein von ihm selbst weg auf dieses ausgedehnte und geheimnisvolle Wirken des Kosmos lenkt, wird Arjuna genötigt, seine Vision zu klären und mit einem neuen Verständnis an seine eigenen Schwierigkeiten heranzutreten.

Wollten Sie etwas sagen, Ray?

 

Ray: Ja. Während Sie Krishnas Antwort vorlasen, dachte ich dauernd daran, wie ähnlich wir Arjuna sind. Hier bittet Arjuna Krishna, seinen Führer, dringend, ihm zu sagen, was er tun soll, denn er ist sein Schüler und wünscht, seiner Unterweisung zu folgen. Doch ehe Krishna auch nur ein Wort sagen kann, erklärt Arjuna, daß er nicht kämpfen wird. Zuerst hatte ich das Gefühl, daß Krishna nicht auf Arjuna einging, denn er schien Arjunas sehr natürliche Verwirrung gar nicht zu beachten. Seine Erwiderung erschien mir in ihrer Unpersönlichkeit tatsächlich fast abstossend. Aber nach dem, was Sie eben sagten, kann ich ersehen, wie Arjuna genau das bekam, was er brauchte, nämlich sozusagen eine Erschütterung seiner Persönlichkeit, die ihn aus seiner Selbstbemitleidung herausrüttelte. Indem ihm Krishna gleichzeitig diese erhabenen Ideen vermittelt, über die er nachdenken soll, zeigt Krishna eine bemerkenswerte Geduld, die man bewundern muß. Ich weiß, ich habe unter verschiedenen Umständen manchmal genau wie Arjuna gehandelt.

Vorsitzender: Natürlich haben Sie das getan. Das taten wir alle, wie verhüllt die verschiedenen Formen der Selbstbemitleidung und selbst reiner Selbstsucht auch waren. Die Probleme Arjunas sind unsere Probleme und die Antworten Krishnas stellen unschätzbare Schlüssel zum Verstehen der wirklichen Lage dar, der jeder von uns gegenübertreten muß, wenn sie auch manchmal in Hinblick auf unsere besondere Not schwer verständlich und nicht anwendbar erscheinen.

Augenscheinlich ist das mindeste, was wir tun sollten, wenn wir die Hilfe und Führung unseres höheren Selbstes - in diesem Falle Krishnas - suchen, die Eingebungen zu beachten, die uns aus dieser Quelle zufliessen. Die Antwort lautet vielleicht nicht so, wie wir es gerne hätten, noch ist sie in klaren Richtlinien niedergelegt, die genau besagen, was wir tun und lassen sollen. Sie kann zweideutig sein, wie die Orakel von Delphi und anderer alten Zentren. Aber wenn unser Appell echt und unser Sehnen rein ist, werden wir geführt werden. Wie oft denken wir, daß wir Hilfe bräuchten, fürchten uns aber nur, die Wahrheit, so wie sie ist, anzunehmen, oder wir sind zu ungeduldig, der Zeit zu gestatten, ihre eigene magische Klärung herbeizuführen. Ehe wir es bemerken, haben wir wieder einmal dem führenden Impuls das Tor zu unserem Bewußtsein verschlossen und nur wir selbst können dieses Tor öffnen. Wenn das Licht einmal sichtbar wird, bleibt es uns überlassen, den Mut und das Vertrauen aufzubringen, ihm zu folgen, wohin es uns auch führen mag.

 

Dan: Ich kann wohl einsehen, daß Krishna versuchte, Arjuna von seinem schrecklichen Zweifel zu befreien, aber trotzdem bleibt ein Problem übrig: wenn er die, die er liebte, seine früheren Lehrer und Freunde tötet, wie kann er das mit seinem Gefühl des Mitleids für sie in Einklang bringen? Wie kann er sich damit abfinden, bloß weil ihm gesagt wird, daß alle Wesen und Dinge unzerstörbar und göttlich sind?

Vorsitzender: Wenn wir innehalten, um unsere eigene Erfahrung zu prüfen, werden wir sehen, wie oft uns dieselbe Art Verzweiflung zu überfallen sucht. Hier ist Arjuna, der alle jene Charaktereigenschaften und Denkgewohnheiten sieht, die ihm so teuer waren, weil sie so natürlich und gebräuchlich waren, und die er bis jetzt sogar als einen Teil seines Wesens betrachtete. Jetzt durch...

 

Dan: Sie meinen, wir sollten uns diese "Lehrer und Freunde" nicht als wirkliche Menschen, sondern als Eigenschaften in Arjunas (oder auch in unserem eigenen) Charakter vorstellen, von denen wir uns befreien müssen. Wenn Sie die Sache so betrachten, dann ergibt das ein ganz anderes Bild. Mit anderen Worten, auch wir könnten bei unserem Fortschritt jeden Augenblick an den Punkt gelangen, den Arjuna hier erreicht hat, an dem wir diese Neigungen, die uns herabziehen, töten müssen, oder wir unterliegen.

Vorsitzender: Ja, das ist es, wonach Arjuna suchte - nicht in Worten, sondern durch seine glühende Entschlossenheit, sich selbst die Stirn zu bieten und sich zu besiegen. Wenn wir erkennen, daß das wirkliche Schlachtfeld Arjunas seine Seele ist, liefert die Inszenierung des ersten Kapitels auf dem "Schlachtfeld" - dem Feld von Dharma oder der Pflicht - die Bühne. Hier ist die "gegnerische Armee", die aus früheren Gefährten in Denken und Tradition besteht und gegen ihn aufmarschiert. Es fliegen bereits die Pfeile und Arjuna erkennt, daß er den Kampf aufnahm - beinahe ehe er wußte, was ihn erwartete. Ein Teil von ihm möchte sich zurückziehen und er richtet einen dringenden Appell an Krishna ihn zu retten, wobei er Mitleid und Opfer für sein Verlangen ins Feld führt. Er steht an dem Punkt, an dem es keine Umkehr gibt und Krishna weiß, daß auch Arjuna tief in seinem Herzen erkennt, daß er sich nicht zurückziehen darf, sondern sich "erheben und kämpfen" muß! Arjuna steht auf Grund seiner eigenen Wahl der ganzen Armee seiner früheren Gedanken, Gefühle und Gemütsbewegungen in der Verkleidung von Verwandten und Freunden gegenüber. Er steht jetzt der ganzen Tiefe der Verantwortlichkeit gegenüber, die sich mit dem Sehnen einstellt, das unedle Metall seiner niederen Natur durch Selbstbesiegung in Gold umzuwandeln. Seine Verzweiflung und seine geistige Niedergeschlagenheit bilden nur eine der notwendigen Stufen im Wachstum der Seele, einen der Prozesse, in dem das Wertlose im Feuer der seelischen Pein verzehrt werden muß - das ist das Ringen der Seele. Dadurch lernt er die tiefere Bedeutung des Gesetzes in der Natur kennen, daß "das Niedere durch das Höhere erhoben werden muß", das Materielle muß für das Spirituelle durchlässig gemacht werden.

 

Mabel: Dann bedeutet dieser Widerstreit, in dem sich Arjuna befindet, nicht notwendigerweise, daß er in bezug auf seine Ideale rückwärts gegangen sei, sondern es könnte andeuten, daß das menschliche Element in ihm (und ebenso in uns) sozusagen aus einem traumhaft subjektiven Bewußtseinszustand herausgerissen und geradewegs in das Kampfgetümmel hineingestellt würde? Mit anderen Worten, könnte es nicht eher eine notwendige Stufe in der Evolution der Seele darstellen, als eben nur "Herzensschwäche"?

Vorsitzender: Das ist bestimmt so, und die bloße Tatsache, daß die Gîtâ einer der esoterischsten Teile des Mahâbhârata ist, weist darauf hin, daß sie gewisse grundlegende Prinzipien enthält, die auf den evolutionären Fortschritt der Menschheit und selbst des Sonnensystems anwendbar sind und nicht einzig auf das Wachstum oder auf das Versagen eines einzelnen Menschen begrenzt werden brauchen. Während Arjuna tatsächlich für den einzelnen Menschen steht, ist er ebenso das Symbol für die Menschheit als Ganzes, sowie auch für alle Lebenswogen menschlicher Seelen, die unzählige Zeitalter lang inkarnierten und exkarnierten und die fortfahren werden, während des schicksalsmäßigen Verlaufes der Zyklen in das irdische Dasein einzuströmen und es wieder zu verlassen.

Warum sich also darüber grämen, wenn selbst die Gesetze der universalen Natur Geburt und Tod für alle lebenden Dinge in sich schließen und gleichzeitig deren Unsterblichkeit im Göttlichen verbürgen?

Von Arjuna wird nicht verlangt, das Unzerstörbare zu erreichen, sondern einfach die Illusionen zu durchbrechen, die sein Denken einschließen; die Herrschaft des Drachens der Selbstsucht über seine Seele für immer zu vernichten, der gleich dem hydraköpfigen Ungeheuer in früheren Zeiten immer und immer wiederkehrt, um uns zu versuchen und zu verschlingen.

Wir wollen sehen, was Krishna noch zu sagen hat. Die meisten von Ihnen haben die Gîtâ mitgebracht. Ich werde nun Tom bitten, dort weiterzufahren, wo wir unterbrochen haben und entweder das Folgende kurz zusammenzufassen, oder jene Abschnitte vorzulesen, die ihn ansprechen. Wenn jemand beim Weiterfahren wünscht, daß über eine Stelle diskutiert wird, dann zögern Sie nicht, zu unterbrechen.

 

Tom: Krishna fährt fort zu betonen, daß der "innewohnende Geist" nicht zerstört werden kann und es deshalb für Arjuna unwürdig ist, wegen der sterblichen Hülle betrübt und niedergeschlagen zu sein. Er schärft Arjuna ein, den Blick auf die Pflichten seines eigenen Stammes zu richten, denn wenn er diese zu erfüllen vermag, braucht er nichts zu befürchten.

"Ein Krieger vom Kshatriya-Stamm hat keine höhere Pflicht als gesetzmäßigen Kampf, und deinem Wunsche entsprechend findest du diesen gerechten, dir die Himmelstore öffnenden Kampf, welcher nur glücklichen Kriegern zu Teil wird. Wenn du die Pflicht deines Standes aber nicht erfüllen und den Kampf nicht aufnehmen willst, so wirst du dadurch deine natürliche Pflicht und deine Ehre verscherzen und dich eines Verbrechens schuldig machen."

Louise: Bitte, darf ich unterbrechen? Was meint Krishna, wenn er sagt, für den Kshatriya-Stamm gibt es keine höhere Pflicht als "gesetzmäßigen Kampf"? Ich kann wohl verstehen, daß das für Arjuna gilt, da er zur Kshatriya- oder Kriegerkaste gehörte. Aber wie steht es in dieser Hinsicht mit den anderen Kasten, wie den Brahnanen und den Sûdras? Würde das vielleicht in einer anderen Weise für sie auch gelten, oder ist es auf sie überhaupt nicht anwendbar?

Vorsitzender: Zu der Zeit, als das Kastensystem, auf das von Krishna hier hingewiesen wird, in seiner Reinheit bestand und eine natürliche Teilung der verschiedenartigen menschlichen Charaktertypen darstellte, würde sich für einen Brahmanen oder für einen Sûdra keine Gelegenheit geboten haben, in den Krieg zu ziehen, weil alle "gesetzmäßigen Kämpfe" von der Kshatriya-Kaste, die sich aus den Fürsten und Regenten und aus den Soldaten zusammensetzte, als Teil ihrer Verantwortung ausgefochten wurden. Im Westen gibt es kein Kastensystem, aber in Indien sind die Formen durch die Überlieferung noch klar genug zu sehen.

Meiner Auffassung nach liegt die Betonung von Krishnas Ausführungen in den Worten "natürliche Pflicht". Wir dürfen nicht einen Ausdruck, wie zum Beispiel "gesetzmäßiger Kampf", herausnehmen und dabei das größere Bild, in dem er enthalten ist, vernachlässigen. Hier erinnert Krishna Arjuna daran, daß er der Kshatriya-Kaste angehört und ein Prinz und gleichzeitig Soldat ist. Er kann also nicht seine "natürliche Pflicht" im Stiche lassen, sondern muß die volle Verantwortlichkeit seiner Stellung auf sich nehmen, sonst macht er sich tatsächlich eines Verbrechens schuldig.

Sie fragen, ob das auch für andere Kasten oder Stämme gelten würde, wie die Brahmanen oder die Sûdras, wie sie genannt werden. Wenn wir den Ausdruck "gesetzmäßiger Kampf" buchstäblich nehmen, dann sicherlich nicht. Wenn zum Beispiel ein Brahmane oder Priester in den Krieg ziehen würde, würde er nicht nur seine "natürliche Pflicht" aufgeben, sondern er würde einen weiteren Fehler begehen: er würde die rechtsmäßig einem anderen zugehörige Pflicht tun und darin liegt jene bestimmte "Gefahr", vor der Krishna wiederholt warnt.

 

Frank: Im Sanskrit ist der Ausdruck für "natürliche Pflicht" Swa-Dharma - "seine eigene Pflicht". Mit anderen Worten, jeder von uns hat sein eigenes besonderes Dharma zu erfüllen. Die Ausdrücke "Pflicht, Gesetz und Verantwortlichkeit", sind ein recht dürftiger Ersatz für das Wort Dharma, das manchmal sogar mit "Religion" übersetzt wurde, denn es umfaßt begriffsmäßig mehr als unser Wort Pflicht ausdrückt. Dessen ungeachtet möchte es scheinen, als ob der Gebrauch des Wortes Swa-Dharma die Wichtigkeit betont, daß jeder von uns herausfindet, was eigentlich sein eigenes Dharma oder seine natürliche Pflicht ist.

Martha: Das ist gut, denn es schien mir immer, was Arjuna betrifft, nicht so sehr eine Frage des "gesetzmäßigen Kampfes" zu sein, sondern, daß Krishna wünschte, er solle sich "erheben und kämpfen" und nicht sein Swa-Dharma oder seine "natürliche Pflicht" versäumen. Wenn er das täte, würde er rückwärts schreiten und einen schrecklichen Fehler begehen.

Hazel: Wenn ich die Sache symbolisch betrachte, scheint mir, daß wir alle zur Kshatriya- oder Kriegerkaste gehören und deshalb aufgerufen sind, als unsere "natürliche Pflicht" unsere Schwächen zu bekämpfen. Ich betrachte es vom objektiven Standpunkt aus und begreife natürlich, daß es unsere Pflicht ist, den Gesetzen unseres Landes zu gehorchen und wir uns, wenn wir den Militärdienst verweigern, gegen Gesetz und Ordnung stellen und insofern ein Anhänger der Anarchie werden. In diesem Sinne verstanden, kann ich die praktische Beziehung sehen, die Krishnas Gebot an Arjuna dahingehend hat, daß wir unsere gesetzmäßige Pflicht tun sollten; und zwar, indem wir nicht nur den Forderungen unserer "natürlichen" Pflicht, sondern auch der unserer Nation gegenüber nachkommen.

Vorsitzender: Das ist gut ausgedrückt. Alle diese Punkte lassen viele Auslegungen zu und wir wollen daher in unserem Denken nicht starr sein. Dick, ich glaube, Sie wollten etwas sagen.

 

Dick: Es gefiel mir, was Hazel darüber sagte, daß ein Teil unserer Natur dem Kshatriyastamm angehört. Aber würde das nicht ebenso gut für die anderen Kasten gelten? Sind wir in unserem Innenleben nicht ebenso auch Landwirte und Kaufleute wie Brahmanen?

Vorsitzender: Ich finde, der Gedanke hat viel für sich. Ursprünglich hatte das Kastensystem eine wahrhaft spirituelle Grundlage und die natürliche Einteilung in Klassen bot viel Schutz. Zu jener Zeit konnte ein Kind Brahmane werden, selbst wenn seine Eltern Sûdras waren, wenn es die erforderlichen Charaktereigenschaften zeigte, die für ein Leben angestrengten, konzentrierten Studiums und der Disziplin notwendig sind. In ähnlicher Weise konnte man sich als für irgend eine der anderen Kasten geeignet erweisen - aber mehr durch innere Eigenschaften, als durch die in einer bestimmten Familie erfolgten Geburt. Unglücklicherweise trat in dieser Hinsicht bald Entartung ein. Es folgten strenge Richtlinien der Abgrenzung, so daß sich viel Mißbrauch und Ungerechtigkeit einschlichen.

Obgleich es im Westen keine unumstößlichen Abgrenzungen gibt, besteht selbst heute eine natürliche Einteilung der Verantwortlichkeit: es gibt die 'Brahmanen' oder Geistlichen und Priester, deren "natürliche Pflicht" es ist, den spirituellen Inhalt unserer heiligen Überlieferungen lebendig zu erhalten. Dann kommen die 'Kshatriyas', die Krieger oder die regierende Klasse, deren Pflicht nicht nur darin besteht, zu 'regieren', sondern auch das Land in Krieg und Frieden zu beschützen. Die dritte, oder die 'Vaisya'-Kaste, umfaßt die Geschäftsleute, Kaufleute und Landwirte, deren Angelegenheit es ist, Handel und den allgemeinen Austausch der Güter und Waren nicht nur im eigenen Land, sondern auch mit anderen Ländern zu betreiben. Und schließlich die vierte, die Klasse der 'Sûdras', die mit den Händen arbeiten und durch ihre 'Arbeitsleistung' die Räder unseres verwickelten Lebens reibungslos in Gang halten.

Wie Dick richtig sagte, sind alle diese vier grundlegenden Eigenschaften in unserer Natur vorhanden und es ist unsere Aufgabe, mit Hilfe unseres höheren Selbstes, oder Krishnas, wenn Sie wollen, zu entdecken, was in diesem Leben unser Swa-Dharma, oder unsere "natürliche Pflicht" ist.

 

George: Sie erwähnten, daß es die "natürliche Pflicht" der Geistlichen und Priester ist, die spirituellen Werte unserer heiligen Überlieferungen lebendig zu erhalten. Ich kann das zwar verstehen, habe aber doch das starke Gefühl, daß jeder von uns sein Schicksal selbst weben muß.

Vorsitzender: Das ist der einzige Weg, George.

 

George: Das, dachte ich, ist es, was Sie meinten. Wenn nun Krishna von "vom Glück begünstigten Soldaten" spricht, so hatte ich immer das Gefühl, daß dieser "glorreiche ungesuchte Kampf", der ihnen dargeboten wird, in Wirklichkeit von Arjuna verdient war. Das heißt, daß niemand einem anderen eine solche Verantwortlichkeit übertragen könnte, geradeso wie auch kein Priester das Recht hat, unser Schicksal zu steuern. Wenn wir uns eines Tages den Reihen dieser begünstigten Kämpfer anschließen werden, dann müssen wir uns durch selbstgeleitete Entwicklung dazu vorbereiten und es nicht einem Geistlichen oder Lehrer, oder selbst jemandem wie Krishna überlassen, das für uns zu tun.

Vorsitzender: Ich stimme vollständig mit Ihnen überein. Soweit wahres Wachstum in Betracht kommt, kann es keinen Mittler zwischen Ihnen und Ihrem höheren Selbst, zwischen dem Göttlichen in mir und mir selbst geben. Es mag Berater geben, die uns auf unserem Weg von Karma geschickt werden, aber keinen willkürlich bestimmten, äußeren Vermittler, der über die Lenkung Ihres, meines, oder irgend jemandes Schicksals bestimmen kann. Niemand kann etwas für einen anderen vollbringen, außer insoweit, als wir durch unsere eigenen Aspirationen auf natürliche Weise und im Verlauf der Erfüllung unserer eigenen Pflicht, oder unseres Swa-Dharma, die Voraussetzung dazu geschaffen haben.

Die Zeit ist sehr fortgeschritten und wir haben die Stellen, die wir lasen, noch nicht einmal oberflächlich gestreift. Vielleicht nehmen wir das nächste Mal diesen letzten Teil unserer Diskussion wieder auf und sprechen über die Folgerungen, die dieser "ungesuchte Kampf" in sich schließt, auf den George hinwies. Jedenfalls können wir ihn nicht als eine Schlacht auf dem physischen Schlachtfeld betrachten. Trotzdem sind wir alle potentielle Krieger, deren Karma die Gelegenheit bietet, Welten zu erobern - keine materiellen Welten - sondern Welten der Erleuchtung, des Verstehens und vielleicht sogar ein wenig Weisheit.