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Die Untrennbarkeit von Religion, Wissenschaft und Philosophie

Licht für das Gemüt, Liebe für das Herz, Verstehen für den Intellekt: alle drei müssen befriedigt sein, bevor der Mensch wirklichen Frieden finden kann.

- G. de Purucker

 

 

 

Religion, Wissenschaft und Philosophie stellen im Suchen des Menschen nach einem richtigen Verhältnis zum Universum, von dem er ein Teil ist, drei verschiedene sich ergänzende Aspekte dar. Die Religion ist ein Ausdruck der Sehnsucht des Endlichen nach dem Unendlichen. Sie wird zum großen Teil als Gemütsbewegung, Fühlen, Emporstreben und Sehnsucht empfunden, und sie befaßt sich nicht nur mit der Verehrung und Ergebenheit einer Idee der Vollkommenheit, sondern auch mit dem Problem von Gut und Böse, der Aufstellung von Richtlinien für rechtes Handeln und für die Motive des Handelns. Kurz, ihr Inhalt ist das ethische und ergebene Leben der Menschheit.

Die Religion ist also vor allem Sache des Herzens, die Philosophie hingegen liegt im Bereich des Intellekts. Sie beschäftigt sich zwar mit vielen Problemen der Religion, so wie etwa mit dem Ursprung und der Bestimmung des Universums, den Grundlagen der Erkenntnis, dem Unterschied zwischen Recht und Unrecht, von Gut und Böse und mit der Quelle der im Kosmos geoffenbarten Intelligenz, sie tritt an diese Dinge aber ganz anders heran. Sie gebraucht den Verstand. Sie denkt über diese Dinge nach: sie sucht immer alle Faktoren der menschlichen Erfahrung zu analysieren, zu definieren, zu beschreiben und zu klassifizieren.

Die Methoden der Wissenschaft sind Beobachtung und Experiment. Sie untersucht wie die Natur arbeitet und sie versucht die Gesetze, die alle Erscheinungen beherrschen, zu ergründen, damit diese Erscheinungen der Kontrolle des Menschen unterworfen werden können.

Diese drei Annäherungsweisen an die Wirklichkeit sind so eng miteinander verwandt und ergänzen sich gegenseitig derartig, daß es in früheren Zeiten niemandem eingefallen wäre, sie zu trennen. Die großen Tempel der Religion zum Beispiel waren im Altertum gleichzeitig die geheiligten Stätten der Ergebenheit, die Akademien der Philosophie und die Forschungsstätten der Wissenschaft, und die Initiierten unter den Priestern, welche die Wächter dieser Tempel waren, besassen selbst das höchste Wissen in allen diesen drei Fächern des Lernens. In der Literatur des alten Indien, Ägypten und Persien sind diese drei Zweige so verschmolzen, daß die oberflächliche Gelehrsamkeit späterer Zeiten verwirrt wird. Da der Hauptgrundsatz ihrer Philosophie die unlösbare Einheit der Natur und des Menschen als einen Teil derselben vertraten, war es für sie klar, daß der Mensch gleichzeitig ein ethisch-ergebenes, intellektuelles und praktisches Wesen ist, und sie konnten daher kaum daran gedacht haben, seine vielseitige Natur in so vielseitige Kategorien aufzuspalten, die miteinander in keiner Beziehung stehen.

Mit dem Fortschritt der Zyklen und der Vermehrung der von einander abweichenden Bestrebungen aber ging die herrliche Einheit, nach der in den archaischen Zeiten gestrebt wurde, verloren, und es kamen Zeiten, in denen die eine oder andere dieser Annäherungsweisen vorherrschend wurde. Das erfolgte oft zum Nachteil einer der beiden anderen, aber auch zum Nachteil der Wohlfahrt des Menschen als ein Ganzes.

Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele dafür: In Griechenland war um das vierte, fünfte und sechste Jahrhundert vor Chr. die philosophische Haltung vorherrschend. Namen wie Pythagoras, Thales, Heraklit, Demokrit, Sokrates, Plato und Aristoteles bedürfen keiner weiteren Erklärung. Sie haben aus den zwei griechischen Wurzeln Liebe und Weisheit das Wort Philosophie geschaffen und diese auch in den beiden Bedeutungen Liebe zur Weisheit und Weisheit, die aus Liebe entspringt, interpretiert. Ihre bedeutenden philosophischen Errungenschaften sind ein glänzendes Licht für alle nachfolgenden Zeiten. Der Verfall des religiösen Glaubens unter ihren Zeitgenossen aber und die Vernachlässigung der physikalischen Wissenschaften führten dazu, daß die Zivilisation in einen Zyklus hineinglitt, der nach abwärts führte, und aus dem sie wohl bis heute noch nicht vollkommen wiederaufgetaucht ist.

Das mittelalterliche Europa bildete etwa vom sechsten bis zum dreizehnten Jahrhundert ein Beispiel für die Vorherrschaft der Religion auf Kosten der anderen Gebiete menschlicher Tätigkeit. Viele Verteidiger dieser Periode haben zwar gegen die Bezeichnung "Das dunkle Zeitalter" - wie diese Zeit gewöhnlich genannt wird - Einwendungen erhoben. Man wird sich aber darüber klar, daß dieser Ausdruck richtig ist, wenn man an die weitverbreitete Unwissenheit, den erniedrigenden Aberglauben, den abstoßenden Schmutz, an die Rohheit und den wahnsinnigen Fanatismus denkt, welche das Leben dieser Zeit charakterisieren. Glücklicherweise gab es auch einige wenige edle Ausnahmen, die dann in der sie umgebenden Dunkelheit wie vereinzelte Leuchtfeuer schienen.

Heute ist die Welt ein Beispiel für eine Zivilisation, die unter relativ starkem Zurücktreten von Religion und Philosophie von den physikalischen Wissenschaften beherrscht wird. Die Folgen davon sind offenkundig: Gebrauch von Naturkräften für Vernichtung, anstatt nur für aufbauende Zwecke, das Versagen, das vorhandene Wissen beständig zur Förderung des Allgemeinwohls anzuwenden und das Fehlen irgendwelcher klar erkannter ethischer Richtlinien als bestimmende Faktoren beim Bilden menschlicher Beziehungen, muß jedem in die Augen springen. Die Wissenschaft hat ein Ungeheuer geschaffen, das seinen Schöpfer zu vernichten droht. Die Religion richtet die schwachen Augen mit trauriger Sehnsucht auf die veralteten Aberglauben der Vergangenheit, während sich die Philosophie damit zufrieden gibt, lediglich das zu beschreiben und vernunftgemäß zu erklären, was verschlossen ist, ohne daß ernsthafte Anstrengungen gemacht wurden, die Führerschaft zu übernehmen oder zu versuchen, die Schlüssel zu entdecken, die uns aus diesem unglücklichen Labyrinth, in dem wir umherwandern, herausführen könnten.

Welche Hoffnung oder Ermutigung kann nun in diesem dunklen Bild der Verzweiflung gefunden werden? Ich glaube fest daran, daß die auseinandergehenden Stimmen in unserer zerrissenen Welt nur durch eine Rückkehr zu der archaischen Anschauung von der Einheit des Menschen mit dem ihn umgebenden Universum in eine Harmonie aufgelöst werden können, und daß diese Annäherung an die Wahrheit durch die natürliche Synthese von Religion, Wissenschaft und Philosophie erfolgen muß.

Wie können wir hoffen, eine solche Synthese zustande zu bringen? Erstens, indem wir zeigen, daß das Universum in seiner ganzen scheinbaren Vielfältigkeit und Verschiedenheit ein Ausdruck des Einen Lebens ist, und daß das, was wir Materie und Geist nennen, nur verschiedene Seiten der einen Wirklichkeit sind. Zweitens, indem wir erkennen, daß die verschiedenen Bezirke der menschlichen Natur, der ethische und der ästhetische, der intellektuelle und der auf Erfahrung begründete, nur Facetten desselben Wesens sind, und daß der Mensch keinesfalls eine vollständige Wesenheit ist, wenn einer von diesen Bezirken übersehen oder zu sehr hervorgehoben wird.

So betrachtet sind der Mensch und das Universum im wesentlichen eins und die materiellen und spirituellen Stadien beider sind im Grunde dieselben. Auf diese Weise wird das Universum nicht als gewaltige, leblose Maschine betrachtet, die durch Zufall und durch rein mechanische Gesetze regiert wird. Ebensowenig ist die Gottheit etwas, das außerhalb des Universums existiert und von diesem getrennt ist. So schrieb Alexander Pope:

Alle sind nur Teile eines wunderbaren Ganzen, dessen Körper die Natur und dessen Seele Gott ist.

Die 'Natur' wird hier als spirituell und materiell in sich sichtbare und unsichtbare Welten offenbarend aufgefaßt; Gott als ein Aspekt der Ursachlosen Ursache, der sowohl im winzigsten Atom, wie in den Welten und Weltsystemen Ausdruck findet. Der Mensch ist in diesem System ein zu dem Ganzen erforderlichen Teil des Kosmos, er hat gleicherweise am Geist und an der Materie Teil, und die Quelle seines Wesens ist dieselbe göttliche Energie, wie die Energie im Herzen des Universums. Er bringt durch die Vehikel seiner vielseitigen Konstitution dieselben Facetten jener Gottheit zum Ausdruck, die in der Universalnatur gefunden werden.