Hazen Foggs „verborgene Kräfte“
- Sunrise 2/1959
Das große Unglück für ihn besteht darin, daß er es nicht nötig hat zu arbeiten oder eine Verantwortung, außer der, von einem Bankkonto zu leben, zu tragen. Eine solche Lage könnte für einen, der sich für etwas, was der Mühe wert ist, interessiert, von Segen sein. Wenn er aber, außer jeden Herbst das Laub zusammenzukehren und zu verbrennen, irgendwelche weiteren Interessen oder Talente hat, so sollte er damit lieber im Hintergrunde bleiben. Die meiste Zeit seiner Jahre wurde jedenfalls mit endlosen, verdrehten, ausweichenden, versteckten und in der Luft hängenden Wortfechtereien verbracht - während die Zeit lustig weiter eilte und ihn auslachte.
Sein Interesse flatterte von einem Ding zum anderen. Sein augenblicklicher psychologischer Drang ist "Gedankenlesen" und die Entwicklung seiner "verborgenen und inneren Kräfte". Er nimmt an einem Fernkurs mit, ich weiß nicht wie vielen leichten Lektionen, für einen ermäßigten Preis, von Junkyardi Antrashi, der die innersten Geheimnisse der Mutter Natur mitteilt, teil. Doch ich glaube kaum, daß er ernstliche Fortschritte im Gedankenlesen gemacht hat. Wenn er jedenfalls meine lesen könnte, würde er sich sicherlich nicht so lächerlich machen, noch würde er immer so eigentümliche Fragen stellen.
Nachdem nahezu eine Stunde über so gut wie nichts gesprochen worden war, sagte Hazen plötzlich: "Nun, warum sagen Sie denn nichts? Was denken Sie über die Entwicklung unserer physischen Kräfte und über Gedankenlesen?"
"Wessen Gedanken lesen?"
"Oh, irgend jemandens Gedanken, die Sie lesen möchten. Wäre das nicht wunderbar?"
"Ich würde an dieser Art Gedankenlesen kein Interesse haben," sagte ich. "Ich habe zeitweise genug damit zu tun, meine eigenen zu lesen. Es kommt dem durch das Schlüsselloch gucken, anderer Leute Post zu lesen oder fremde Telefongespräche abzuhören, zu nahe. Ich habe an geistigem Diebstahl kein Interesse."
"Nun gut, Sie sagen, 'diese Art Gedankenlesen'. Gibt es denn noch eine andere Art?"
"Natürlich, es gibt einen rechtmäßigen und ethischen Weg. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht die Gedanken wenigstens einiger großer Geister wie Spinoza, Sokrates, Voltaire, Jefferson, lese."
"Oh, in Büchern! Die Gedanken, die man für wert hielt, daß sie weiterleben, wurden zu Papier gebracht. Wie jedermann hatten auch sie wahrscheinlich noch viele andere Gedanken, die nicht wert waren festgehalten zu werden, oder es waren solche, von denen sie nicht wollten, daß andere sie wußten. Man nahm jedenfalls das Beste."
"Es ist vergebliche Mühe mit Ihnen etwas diskutieren zu wollen," erwiderte er. "Sie wollen nicht bei der Sache bleiben. Sie sprechen von Bücherlesen, von Leuten die tot sind, und ich spreche von der Macht in den Gedanken anderer Leute, was sie denken, hin und wieder zu lesen."
"Daran habe ich nun wieder nicht das geringste Interesse. Wenn Leute wollen, daß ich weiß was sie denken, dann werden sie es mir sagen oder schreiben, auch wenn sie manchmal hinterher bereuen, was sie gesagt oder geschrieben haben. Ich denke, der richtige Weg unsere inneren Kräfte zu entwickeln, wie Sie es nennen, ist, auf unsere eigenen Angelegenheiten, in der uns bestmöglichen Weise zu achten, und nicht in anderer Leute Gedanken einzudringen. Die schlichten und einfachen Aufgaben des täglichen Lebens zu erfüllen und anderen, wo immer es möglich ist beizustehen - dafür sind wir hier.
Ich liebe das Wort 'Kräfte' überhaupt nicht. Warum versuchen wir nicht anstatt 'Kräfte zu entwickeln', die wir wahrscheinlich irgendwie zu selbstischem Vorteil mißbrauchen würden, unser Verständnis für das Leben zu erweitern? Was die Menschheit braucht, ist nicht mehr Macht, sondern mehr Verständnis und Weisheit. Es ist sowieso schon viel zu viel Macht in den Händen Sterblicher. Das ist unser Jammer. Wir machen uns eine kristallisierte Idee wie die Welt nach unserer Vorstellung sein müßte und versuchen sie dann jedermann aufzudrängen, anstatt die Dinge sich natürlich auswirken zu lassen. Wir wollen doch lieber vor unserer eigenen Tür kehren und den Gesetzen der Natur eine Gelegenheit geben."
"Nun schweben Sie schon wieder in den Wolken! Ich glaube es ist besser, wenn ich gehe." Fogg ging zur Tür hinaus, drehte sich aber noch um: "Vielleicht könnten Sie zur Abwechslung wieder einmal auf die Erde herunterkommen, um Ferien oder so etwas zu machen!"
Erstaunlicherweise konnte ich damit übereinstimmen. "Ja, sobald die Arbeit hier beendet ist, gehe ich fischen... aber lassen Sie sich nicht mit einem jener 'machtvollen' Köder fangen, die heutzutage herumschwimmen.