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Der Ruf der Schriftrollen vom Toten Meer

Im Frühling 1947 wanderte Muhamed der Wolf und ein anderer Beduinenjunge in der pfadlosen Wüste, die das Tote Meer umgibt, umher und ob sie nun die über den Jordan geschmuggelten Waren verstecken wollten, oder einfach den Ziegen nachjagten, aus irgendeinem Grunde betraten sie jedenfalls eine der zahlreichen Höhlen, die in dieser Gegend liegen. Zu ihrer Freude, denn jeder Beduine ist in seinem Herzen ein Händler, entdeckten sie mit einigen Tonkrügen zusammen mehrere in Stoff gewickelte Schriftrollen, die sie an sich nahmen in der Hoffnung, damit ein lohnendes Geschäft zu machen. Nachdem sie den Markt von Bethlehem erreicht hatten, boten sie den Fund einem mohamedanischen Scheich an, aber nachdem dieser bemerkt hatte, daß die Schrift nicht arabisch war, und er sie irrtümlicherweise für eine syrische hielt, schlug er ihnen vor, sich an einen Kaufmann zu wenden, der der syrisch orthodoxen Gemeinde angehörte. Wie man nun aber heute weiß, war die Schrift weder arabisch noch syrisch, sondern hebräisch.

Die Einzelheiten der Odyssee dieser Schriftrollen stellen die fesselndsten Sensationsromane in den Schatten, denn diese Schriftrollen gingen nach der typischen Art des Ostens, wo Kauf und Wiederverkauf zum Beruf gehört, von Hand zu Hand, aber die meisten der in Betracht kommenden Individuen wußten äußerst wenig über deren erstaunliche Bedeutung. Hinzu kommt noch, daß ein Teil der Verhandlungen über den Ankauf zu einer Zeit und an einem Ort stattfand, wo die arabisch-jüdische Gegnerschaft in offene Feindseligkeit ausartete, als nämlich über die Teilung Palästinas entschieden wurde! Eine lange und mehr als gefährliche Geschichte in Kürze: Ein Teil der Rollen wurde von Metropolit Erzbischof des syrisch-orthodoxen Klosters St. Markus in Alt-Jerusalem, Athanasius Yeshue Samuel, gekauft. Später wurden die restlichen Rollen und schließlich auch zwei Tongefäße, in welchen ursprünglich die Rollen aufbewahrt waren, durch den verstorbenen Professor E. L. Sukenik, Chefarchäologe der hebräischen Universität von Jerusalem erworben, dessen vorzeitiger Tod seine wertvollen und mutigen Beiträge hinsichtlich einer unparteiischen und gelehrten Auslegung dieser Manuskripte jäh beendete.

Nahezu ein Jahr nach der ursprünglichen Entdeckung durch die Beduinen schien trotz wiederholter Bemühungen des Metropoliten und des Professors Sukenik, kein verläßlicher Kontakt mit der Welt außerhalb Palästinas möglich zu sein. Der Streit zwischen den Arabern und Juden ging weiter, aber im Februar 1948 unternahm der Metropolit Samuel einen neuen Versuch, dieses Mal durch Aufnahme des Kontaktes mit der amerikanischen Schule für orientalische Forschung in Jerusalem. Dr. John C. Trever, der für den zu der damaligen Zeit amtierenden Direktor Dr. Millar Burrows, der vorübergehend im Irak abwesend war, dessen Amt ausübte, wurde bei der Besichtigung der Rollen sehr erregt und erkannte sofort die eine als das Buch Jesaias. Er erhielt die Erlaubnis einige Spalten zu kopieren und photographierte später mit seinem Kollegen, Dr. William H. Brownlee, etwa vierundzwanzig Spalten der Jesaiasrolle. Beide waren davon überzeugt, daß der Stil der hebräischen Schrift eine Zeit andeutete, die zumindest nahe, wenn nicht sogar noch vor dem Nash Papyrus lag (von dem er photographische Platten zum Vergleichen besaß). Da dieses Nash Papyrus, ein kleines Fragment, welches die zehn Gebote enthält, bereits durch Übereinstimmung der Gelehrten zwischen das 2. Jahrhundert v. Chr. und das 1. Jahrhundert n. Chr. gelegt worden war, sandte Trever Kopien dieser Jesaiasrolle mit einigen anderen Rollen zusammen, die er als Kommentar zum Buch Habakuk identifiziert hatte, an Professor W. F. Albright von der John Hopkins Universität, der Jahre für die intensive Erforschung des Nash Papyrus verwendet hatte und als der größte lebende Bibelarchäologe gilt. Zu Trevors und Brownlee's Freude gab Dr. Albright am 15. März durch Luftpost folgenden Bescheid:

"Meinen herzlichsten Glückwunsch zur größten Manuskript-Entdeckung der heutigen Zeit. Ich hege keinen Zweifel darüber, daß das Manuskript weit älter als der Nash Papyrus ist. ... Ich würde es in die Zeit rund 100 Jahre v. Chr. legen. ... Ein wirklich unglaublicher Fund! Und glücklicherweise kann es in der ganzen Welt nicht den leisesten Zweifel über die Echtheit des Manuskriptes geben."

Doch es gab tatsächlich Zweifel; und mit der Veröffentlichung der photographischen Faksimilis der Jesaiasrolle und der Habakuk Kommentare, Anfang 1950 durch die amerikanischen Lehranstalten für orientalische Forschung, erhob sich der Sturm einer entrüsteten Debatte in der Welt der Gelehrten, Theologen und Archäologen, (s. Die Schriftrollen vom Toten Meer des St. Markuskloster Bd. I. Ausgabe 1950; der zweite Band befaßt sich mit Faksimilereproduktionen des Handbuches der Disziplin.) Kirchliche und archäologische Journale waren voller Streitfragen, an denen sowohl Experten aus England und dem Kontinent, als auch von Amerika und selbstverständlich auch jene Gelehrten aus den Gebieten Jerusalems und dem Toten Meer teilnahmen. Außer den gelegentlichen Veröffentlichungen in den Zeitungen schwelte der Streit noch jahrelang in den exklusiven und abgeschlossenen Räumen der bibliophilen und archäologischen Zirkel - obgleich in Frankreich etwas populärer diskutiert wurde, weil Professor A. Dupont-Sommer von der Sorbonne, Paris, keine Bedenken trug, seine ziemlich harten, aufsehenerregenden Ansichten zu äußern. Wie ein Pariser Journalist es ausdrückte: "Aus der Welt der Gelehrten rollt der Donner in die allgemeine Öffentlichkeit." (Le Figaro littéraire, 24. Februar 1951)

Der Kampf um die Schriftrollen hatte begonnen. Es sei unfaßbar und daher unmöglich, sagten die Professoren G. R. Driver, von der Oxford Universität, England, und Solomon Zeitlin, vom Dropsie College, Amerika, daß die Rollen aus einer so frühen Zeitperiode wie dem 1. Jahrhundert v. Chr. stammen könnten. Wenn nicht mittelalterlicher Herkunft, so könnten sie bestimmt nicht früheren Datums als 200-500 Jahre n. Chr. sein. Der Kampf tobte, der Donner rollte und die Erklärung Professor Albright's, daß diese antiken Schriften "unsere dem Ursprung des Christentums entgegen unternommenen Schritte revolutionieren", aber auch gleichzeitig Öl in das Feuer gießen würde, welches Dupont-Sommer bereits durch seine Bemerkung entfacht hatte, wonach "alle Probleme in bezug auf das erste Christentum hinfort in ein neues Licht gerückt wären, was uns zwingen würde, sie vollständig neu zu betrachten." Es ist kaum verwunderlich, daß solche Erklärungen den theologischen Doktoren ernste Sorgen bereiteten. Handelte es sich doch hier um Männer, deren Fähigkeiten und Können allgemein anerkannt waren und deren Ruf als Autoritäten auf ihrem entsprechenden Gebiet bereits die Achtung ihrer Kollegen gewonnen hatte, die nun kühn behaupteten, daß unsere Ansichten über den ersten Anfang des Christentums "in einem ganz neuen Lichte zu betrachten seien."

Glücklicherweise war hier die Zeit ein Verbündeter der Wahrheit - und 1949 waren Pläne im Gange, das ganze Gelände sorgfältig auszugraben. Die Höhle, aus der die ursprünglichen Manuskripte von den Beduinen herausgenommen worden waren, fand man durch spätere Plünderer ausgeraubt vor, so daß kein zuverlässiger archäologischer Beweis zu erbringen war. Aber nicht lange vorher, hatte das Netzwerk von Hohlwegen und Höhlen im Wade Qumran Distrikt, der an das Tote Meer grenzt, an die tausend Manuskript-Fragmente, zusammen mit Hunderten von Tonkrugresten, freigegeben. Diese waren zusammen mit einem Stück Stoff, in welchem die Rollen eingewickelt waren, sowohl in England als auch in Amerika sorgfältigen Laboratoriumsprüfungen unterworfen worden, wonach man mit dem übereinstimmte, was die Wissenschaft der Paleographie, oder Altertumsforschung bereits gefolgert hatte, nämlich: daß die in den Schriftrollen benutzte hebräische Schrift weder früher als 300 Jahre v. Chr. noch später als 68 bis 70 Jahre n. Chr. sein konnte. (Denn das Unwahrscheinliche dieser Entscheidung wurde durch die Prüfung der Paleographie, den keramischen Hinweis und den Radiokohlenstofftest festgestellt, s. Kap. IV und V des umfassenden Werkes von Millar Burrow Die Schriftrollen vom Toten Meer.)

Viel war erreicht worden, doch wie Dr. Burrows es ausdrückt, muß noch viel getan werden.

"Das dazu nötige erschöpfende Studium erfordert viele Jahre und die Aufmerksamkeit vieler Gelehrter. Bevor endgültige Schlußfolgerungen gezogen werden können, müssen alle Texte aussortiert, entziffert und veröffentlicht werden. Vieles steht jedoch inzwischen fest. Der 'Streit über die Rollen', ihr Ursprungsdatum betreffend, ist beendet worden und die zuerst auf Grund der Paleographie vorgebrachten Ansichten behaupten noch das Feld, obgleich sogar in dieser oder jener Richtung manches berücksichtigt worden sein mag." - s. 344 engl. Ausg.

In der Zwischenzeit war ein zweiter Verbündeter hinzugekommen - die systematische Erforschung einer alten Ruine, die schon lange als Chirbet-Qumran bekannt war, kaum eine halbe Meile südlich der Höhle, wo die ersten Rollen gefunden wurden. Seitdem die Manuskripte ans Licht gekommen waren, hatte Dupont-Sommer aus Paris darauf bestanden, daß ein Zusammenhang nicht nur zwischen den Essenern und den Rollen, sondern ebenso auch mit dieser Ruine bestehen müßte. Professor Paul Kahle, Deutschland, unterstützte seine Ansicht. Der Eindruck verstärkte sich und nach einer vororientierenden Reise 1948, wurden durch die vereinten Kräfte G. Lankester Harding's, Direktor der Abteilung für Antiquitäten des Hashemite Gebietes am Jordan und Pater R. de Vaux, Direktor der französischen Dominikanerschule für Archäologie in Jerusalem, 1951 eine Reihe Forschungsexpeditionen unternommen. Die Frage Dupont-Sommer's: "Wo könnten die Schreiber sonst ihre Manuskripte geschrieben haben?" war bald beantwortet. Die nun völlig ausgegrabene Ruine von Chirbet Qumran offenbarte ein großes zweistöckiges Gebäude mit verschiedenen Räumen, einschließlich einer Taufkapelle und einem angrenzenden gewaltigen Friedhof. Burrows berichtet, daß sich abseits eines großen, mehr als 70 Fuß langen Saales, der "zweifellos zu Versammlungen und vielleicht als Abendmahlsraum verwendet wurde", im oberen Stockwerk

"... Teile einer aus Ziegelsteinen errichteten Tafel befanden, die nach Prüfung und sorgfältiger Zusammensetzung im Palästinamuseum, ungefähr 16 Fuß lang und ca. 20 Zoll hoch gewesen sein muß, mit weiteren Teilen zweier kleinerer Tafeln.

... Ferner wurde im selben Raum ein Bronzeschreibzeug und ein weiteres aus Ton gefunden, von denen eines noch etwas eingetrocknete Tinte enthielt. Ein weiteres Schreibzeug wurde in einem anderen Raum gefunden. Das alles berechtigt zu der Schlußfolgerung, daß es sich hier um das Schreibzimmer des Ordens handelt, in welchem die Schriftrollen geschrieben wurden."

- S. 66 engl. Ausg.

Mit dieser, durch greifbaren Beweis erhaltenen Ermutigung und den in dieser Ruine gemachten Funden neuer Manuskript-Fragmente und auch eines Tongefäßes, dem genauen Gegenstück eines jener von den Beduinen aus der Höhle entnommenen und einer Menge römischer Münzen - durch all das zusammen, wurde die Notwendigkeit einer systematischen Ausgrabung auf der judäischen Hochebene erkannt. Seitdem sind praktisch aus allen Höhlen, soweit sie erforscht worden sind, weitere Manuskript-Fragmente, Bronzemünzen, sowie auch Tonscherben zutage gekommen, ganz zu schweigen von den zwei kupfernen Rollen, welche möglicherweise ursprünglich als Verordnungen im Zentralgebäude von Chirbet Qumran angeschlagen waren.

Und nun zur zweiten Streitfrage wegen der Rollen. Wenn diese Manuskripte wirklich im ersten oder zweiten Jahrhundert v. Chr. geschrieben wurden und das Werk einer klösterlichen Bruderschaft - in den Rollen als die "Neu-Covenanter" bezeichnet - waren, so sollte ihr Inhalt sicher insofern von weitreichenderer Bedeutung sein, als er unsere Kenntnisse über den Hintergrund des Frühchristentums angeht. Entscheidende Fragen wurden gestellt und nicht nur von Sachverständigen der biblischen Forschung und der Archäologie, sondern auch aus dem Laienpublikum, das nun Wind von der hitzig hin und hergehenden Debatte bekommen hatte. Drohten diese antiken Schriften nun tatsächlich unsere vorgefaßten und gut eingedrungenen Ansichten umzuwerfen? Wenn ja, was besagten sie? Vermutungen rasten wie ein Lauffeuer, und wie es mit all diesen Dingen geht, wo Kontroversen vermutet werden, kommen eine Menge Halbwahrheiten in Umlauf. Gelehrte des Neuen Testamentes versuchten die Wirkung dieser Nachforschungen zu übersehen. Aber im Mai 1955 brach die Sache wie ein Waldbrand von weltweitem Ausmaß aus. Und weshalb erst im Mai 1955, so lange Zeit nach der ursprünglichen Entdeckung? Weil zuguterletzt ein unparteiischer, aber fähiger Autor und Literaturkritiker, Edmund Wilson, beschloß, die Tatsachen kennen zu lernen und der Öffentlichkeit seine Ermittlungen bekannt zu geben.

Mit Hilfe einer der populärsten Zeitschriften, The New Yorker, welche seine Reise nach Palästina unterstützt hatte, war Mr. Wilson imstande, nicht nur eine Expedition an das Tote Meer zu unternehmen, sondern auch mit den führenden Persönlichkeiten der archäologischen und geistlichen Kreise die vielen verblüffenden Probleme, welche die Rollen umgeben, zu diskutieren. Das Resultat war ein längerer Artikel in The New Yorker, in welchem Wilson die schlichte Geschichte dieser erstaunlichen Entdeckung berichtete, die die labyrinthischen Abenteuer der Rollen mitten in den Wirrnissen der arabisch-jüdischen Feindseligkeiten schilderte, und die vor allen Dingen die Verlegenheiten der Theologen und die Schwierigkeiten, die in der Gelehrtenwelt entstanden waren, klären half, "zuerst das Alter der Rollen vom Toten Meer zu erkennen und dann zu bestätigen". Edmund Wilson erschien es überhaupt nicht "überwältigend", dem "neuen Material", das diese Rollen augenscheinlich darstellen, gegenüber zu stehen. Doch es ist nie eine leichte Angelegenheit, alte Begriffe abzuwerfen und sich selbst gänzlich dem Segen der Wahrheit, ohne Rücksicht auf unsere althergebrachten Ansichten des Glaubens, hinzugeben. Dr. A. Powell Davis, ein wohlbekannter Geistlicher der Unitarier in Washington DC schreibt:

"Die neutestamentlichen Gelehrten mußten irgend etwas dazu sagen. Und einige von ihnen sagten, daß sie von Mr. Wilson nicht viel hielten. Er ist kein Gelehrter, er ist nur Reporter. Sie unterließen es aber zu erwähnen, daß er ein sehr guter Reporter ist, und daß er ganz korrekt weitergab, wozu die Experten, welche die Rollen bearbeitet hatten, gelangt waren. Natürlich ist die Folgerung unausbleiblich, daß die wirkliche Schwierigkeit, die die neutestamentlichen Gelehrten mit Mr. Wilson hatten, gerade in seiner unvermuteten Befähigung liegt. ... Mr. Wilson hat keine religiösen Vorurteile zu wahren, keine dogmatischen Vorbilder, die irgendwie gefunden werden müssen, um in den Rahmen der Geschichte zu passen."

- Die Bedeutung der Schriftrollen vom Toten Meer Taschenbuch S. 23 engl. Ausg.

Der Veröffentlichung Edmund Wilson's Artikel in Buchform, sind verschiedene vorzügliche Werke von Gelehrten, für Laien geschrieben, gefolgt. Nun, "wer mag, soll lesen", wie sich das Drama seit dem Frühjahr 1947 weiter entfaltet hat, zu mindest in seinen ersten kleinen Berichten, denn höchst wahrscheinlich muß die Geschichte des Auffindens dieser Manuskripte, als "das unvollendete Drama" betitelt werden.

Wir kommen nun zu einer Frage, die viel zu ungeheuerlich ist, als daß sie vollständig behandelt, geschweige denn verstanden werden kann: Welchen Inhalt haben diese Rollen? Der Gesichtskreis eines Zeitschriftenartikels schließt - abgesehen von einem flüchtigen Hinweis hier und da - alles andere, was für einen Laien bedeutungsvoll ist, aus. Das Gebiet ist so gewaltig, und die Fragen den hergebrachten Richtlinien gegenüber so "umwerfend", daß der Versuch einer alles umfassenden Auslegung der darin enthaltenen Kernfrage tollkühn und katastrophal sein würde. Wir können auf die bereits zugänglichen Werke hinweisen und es jedem überlassen, sie zu lesen, darüber nachzudenken und seine eigenen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.

Unter den Rollen, die ursprünglich von den Beduinen 1947 genommen wurden, befanden sich mindestens sechs verschiedene Manuskripte, die aus zweckdienlichen Überlegungen wie folgt bezeichnet worden sind:

1.) Die Jesaiasrolle, welche die älteste und umfangreichste ist.

2.) Die Kommentare zum Buch Habakuk.

3.) Das Handbuch der Disziplin oder das Buch des Ordens in zwei Teilen, da die Rolle auseinandergebrochen war.

4.) Die Lamech-Rolle in Aramäisch, aber diese war so stark eingetrocknet, daß sie, wie uns bekannt ist, bis jetzt noch nicht zum Photographieren entrollt werden konnte.

5.) Der Kampf der Söhne des Lichts und der Söhne der Finsternis.

6.) Das Buch der Hymnen oder Psalmen der Danksagung.

Beim Fortschreiten der Ausgrabungen werden immer mehr Manuskript-Fragmente gefunden, und obgleich einige Gelehrte davon überzeugt sind, daß von diesen bisher nichts die ersten Rollen überschattet hat, erinnert Burrows daran, daß die Beduinen 1952 an einer Stelle, nahe des Chirbet Qumran, wo die Hohlwege sich mit dem Wadi Qumran vereinigen, eine andere Höhle (jetzt als Höhle 4 Q bezeichnet), gefunden haben, die verschiedene Manuskript-Fragmente enthielt. Das Departement für Altertumsforschung verfügte sofort die Einstellung der unbefugten Arbeit der Beduinen und unternahm selbst, in Zusammenarbeit mit dem Palästinamuseum und der französischen Hochschule für Archäologie eine sorgfältige Untersuchung der gemeinsamen Funde:

"... eine große Menge Manuskriptmaterial, das nach dem Urteil der Ausgraber sogar interessanter als das 1947 entdeckte ist ... es steht bereits fest, daß allein mindestens sechs verschiedene Manuskript-Fragmente aus der Höhle 4 Q vorhanden sind. Vielleicht wird man mehr als hundert verschiedene biblische Manuskripte zählen, wenn man die Rollen und Bruchstücke aus allen Höhlen zusammennimmt."

- Burrows, S. 62-63 engl. Ausg.

Es wäre unmöglich, wollte man dem internationalen Team hervorragender Archäologen, Gelehrten und Theologen Gerechtigkeit widerfahren lassen, die nahezu seit einem Jahrzehnt mit der Handhabung und Entzifferung der Schriftrollen beschäftigt sind. Allein vom Standpunkt der Übersetzungen aus - von der Auslegung ganz zu schweigen - ist ihre Aufgabe erstaunlich, eine Arbeit, die in Anbetracht der starken Beschädigung einiger Rollen außerordentlich schwierig gemacht wurde, da viele Leder- bezw. Pergamentblätter so vertrocknet sind, daß es monatelange und sorgfältige Behandlung erfordert, um sie gebrauchsfähig zu machen.

Von den bereits entzifferten Teilen sind Teilübersetzungen in Englisch in den Werken von Dupont-Sommer, Millar Burrows und am vollständigsten bisher in dem kürzlich erschienenen Band Die Schriften vom Toten Meer in englischer Übersetzung, mit Einleitung und Bemerkungen von Theodor H. Gaster von der Columbia Universität und dem Dropsie College, und vor allen Dingen von der hebräischen Sektion der Bibliothek des Kongresses erhältlich.

Im vergangenen Jahr (1955) veröffentlichte die Oxford University Press den ersten Band einer geplanten Serie, betitelt: Discoveries in the Judaean Desert: Qumran Cave I. (Entdeckungen in der Judäischen Wüste: Qumran-Höhle I) Dieser bringt den Gelehrten nicht nur die anfänglichen Einführungstexte, die im Rockefeller Museum in Alt-Jerusalem entziffert worden sind, sondern auch in gleicher Weise eine sorgfältige Beschreibung der Tongefäße und Textilien, die in der ersten Höhle gefunden worden sind.

Wir haben bereits erwähnt, daß die nun offensichtliche Verbindung der Schriftstücke mit der Chirbet-Qumran-Ruine für uns ein ausgezeichneter Beitrag zum Verständnis dafür ist. In Übereinstimmung mit Dupont-Sommer, gibt das Handbuch der Disziplin "absolut zuverlässige Auskunft über die Organisation der jüdischen Sekte der Covenanter, ihre Riten, ihre Lehren und ihre mystischen und moralischen Prinzipien." Er behauptet ferner, daß wir durch diese Rollen "mit dem Innersten der Gesellschaft der Essener bekannt geworden und in das Geheimnis ihres Glaubens, in die Vertrautheit ihres gemeinschaftlichen Lebens eingedrungen sind." (Die jüdische Sekte von Qumran und die Essener. S. IX, engl. Ausg.)

Es besteht kaum ein Zweifel, daß der Vergleich nicht nur in weiterem Sinne, sondern auch in wichtigen Einzelheiten naheliegt, denn die Regeln des Ordens der Neu-Covenanter, wie sie im Handbuch der Disziplin enthalten sind, und die Atmosphäre ihres Lebens und ihrer Ideale mögen sehr wohl für die Essener geschrieben worden sein, wenn wir der Information, die uns Plinius der Ältere, Josephus und Philo von Alexandrien hinterlassen hat, Glauben schenken wollen. Nach diesem vorweggenommenen Versuch, die vor mehr als 2000 Jahren lebenden Autoren zu zitieren, kehren wir nun wieder in die Gegenwart zurück.

Die vielleicht hilfreichste Veröffentlichung dieses Jahres für den Laien, der mit der spärlichen historischen Grundlage der christlichen Theologie nicht vertraut ist, ist das einfach geschriebene, aber tief durchdachte Buch des schon erwähnten Powell Davies. Denn darin führt er in meisterhafter Form seine Absicht - "keine bestimmten Antworten zu den schwierigen Fragen, die durch die neue Entdeckung aufgeworfen wurden, zu geben, sondern (dem Leser) zu helfen, die wahre Bedeutung dieser Fragen zu erkennen" - aus. - S. 83 engl. Ausg.

Davis erinnert uns daran, daß der Theologe immer gewußt hat, daß "die alt hergebrachte Ansicht über den Ursprung des Christentums nicht so sehr durch die Geschichte, als vielmehr durch die Theologie aufrecht erhalten wird", (S. 84) daß das aber dem Laien nicht bekannt ist. Die große Schuld, die das Christentum, nicht allein dem judäischen Einfluß, sondern auch heidnischen Religionen während der früheren Jahrhunderte ihres Wachstums und auch dem persischen Mithrakult gegenüber hat, ist den Gelehrten gleichfalls bekannt gewesen, doch nur wenige Laien, die keine vergleichenden Religionsstudien betrieben haben, erkannten, daß die Einzigartigkeit des Christus trotz allem eine Mythe sein kann. Davis führt aus: "Man wird erkennen, was dem Gelehrten bekannt ist, dem Laien jedoch nicht, nämlich, daß das Christentum auch ohne Jesus und seine Jünger zu dem Ausmaß gekommen wäre."

Eine weitere Ausführung Dr. Davies':

"Den zweiten "Schriftrollen-Streit" werden daher die Theologen nicht gewinnen können. Er kann sogar ein ziemlich entscheidender Kampf in der gesamten Frage der Theologie der Geschichte gegenüber sein. Die Rollenangelegenheit ist durch ihre Greifbarkeit so schrecklich. Sie existieren. Kann die Theologie sie durch den Glauben verschwinden lassen? Die Folgerungen aus den Rollen sind ebenso ganz wesentlich. Kann die Theologie sie zu Schatten machen? Wir haben hier nicht nur die Manuskripte selbst, sondern auch die Höhlen, die Klosterruinen, die Taufkapelle, die Schreibstube existieren - und die Geschichte wird dabei lebendig. Durch die Gegenwart der Rollen als Tatsache, werden andere Tatsachen erkennbar. Die Rollen existieren nicht nur in ihrer Bedeutung an sich: Sie werden zu Wegweisern, Richtungsanzeigern auf der Karte der Geschichte. Die Sekte der Essener von Qumran ist durch ihre Rollen "tot und dennoch redend". Und was sie an neuen Antworten auf alte Fragen zu sagen haben, können Antworten sein, die zu einer Größe sich ausdehnen und einen neuen, natürlichen Bericht der christlichen Geschichte geben können."

- S. 95 engl. Ausg.

Wir sind Dr. Theodor Gaster wirklich sehr dankbar, der uns die Wiedergaben der hauptsächlichsten und verständlichsten, am besten erhaltenen Dokumente, die aus den Höhlen am Toten Meer geborgen wurden, mit dem sich darauf beziehenden Text (dem sogenannten Zadokite Dokument) zusammen, welches vor nahezu 50 Jahren in einer alten Synagoge in Kairo (jetzt als Damaskusdokument bekannt) entdeckt worden ist, geliefert hat. Da Professor Gaster nicht nur ein Hebräist von Weltruf, sondern auch gleichzeitig eine Autorität auf dem Gebiete der intertestamentarischen Periode ist, aus welcher die Rollen stammen, so ist er auch ganz besonders in der Lage, eine genaue Übersetzung, soweit er es seinen Kenntnissen entsprechend übersehen kann, zu geben.

Es ist besonders interessant, daß die Covenanter vom Toten Meer mit dem Buch der Disziplin und dem Buch der Hymnen Dr. Gaster an die Bruderschaft der Waldenser des frühen vierzehnten Jahrhunderts erinnern, denn in beiden Fällen, erklärt er, "haben wir eine Gruppe, die sich gegen die doktrinäre Degeneration und materialistische Käuflichkeit der bestehenden 'Kirche' auflehnt". (S. 11) Dr. Gaster betrachtet jedoch die Neu-Covenanter keinesfalls als Christen, denn sie "hielten sich an keine der fundamentalen theologischen Lehrsätze des christlichen Glaubens". (S. 19) Er hält sich überhaupt nicht an Dupont-Sommer's Theorie, daß der "Lehrer der Gerechtigkeit", auf den wiederholt in den Rollen Bezug genommen wird, den Gaster aber als einen generischen Begriff betrachtet, der mit "rechter Lehrer" übersetzt, einen einzigen historischen Lehrer - in der Art wie Jesus - bezeichnet, oder daß seine "Verfolgung" mit dem Märtyrertum des christlichen Messias vergleichbar ist.

Dr. Gaster schreibt:

"Selbst, wenn die Auslegung richtig wäre (was sehr zweifelhaft ist), wäre sie vom christlichen Glauben, wonach der gekreuzigte Meister der inkarnierte Gott war, der durch seine Leiden eine der Menschheit durch einen ehemaligen Fall in Ungnade anhaftende Sündhaftigkeit beseitigte, noch weit entfernt. Von dieser christlichen Lehre ist nicht ein Fünkchen oder eine Spur in den Schriftrollen vom Toten Meer enthalten."

- S. 19

Weiterhin sagt er uns, daß andere wesentliche Lehren ebenfalls vermißt werden. Sie enthalten z. B. keine Spur von der Idee der "Erbsünde". Und er erklärt genau, daß in dem Buch der Hymnen wiederholt die Idee bestätigt wird, daß bei der Geburt jedes Menschen, dieser mit der Gabe "der Erkenntnis und der Unterscheidung ausgestattet ist und jedwede Sündhaftigkeit, die er auf sich lädt, nur seine eigene Vernachlässigung dieser Gaben und seine individuelle Unterwerfung" dem üblen Impuls nachzugeben, ist. (Bella) Aus diesem Grunde bestätigen die Rollen gleichfalls, daß der Mensch die Kraft des eigenen Willens besitzt, das Rechte zu wählen. "Wenn er dereinst durch die Ausübung seiner von Gott verliehenen Kräfte das Licht sieht, ist er aus der Dunkelheit heraus."

In einem solchen System, sagt Dr. Gaster, ist kein Raum für den Begriff "der Erbsünde", gibt es offensichtlich "keinen Platz für ein stellvertretendes Sühneopfer. Die Menschen erleiden ihre individuelle Kreuzigung und Auferstehung; es gibt kein Golgatha". (S. 19) Und wenn es in Übereinstimmung mit Dr. Gaster keine Kommunion in den Rollen der Covenanter vom Toten Meer gibt, zu mindest was die Christen unter dem heiligen Abendmahl verstehen, "weil nicht die geringste Andeutung, daß das Brot und der Wein als sein Fleisch und Blut anzusehen sei, da ist, oder daß die Einnahme dieser Dinge irgendwelche Erlösungskraft hat", (S. 20) - könnte das nicht bedeuten, daß eine Kommunion universalerer Art, als die heutigen Christen sie kennen, von den Menschen von Qumran ausgeübt worden ist?

Wir haben Dr. Gaster deshalb ausführlicher zitiert, da das Fehlen der "theologischen Lehren" über die Erbsünde, das stellvertretende Sühneopfer, etc. in den Rollen vom Toten Meer hinsichtlich der Tatsache, daß unsere biblische Erbschaft mehr auf Theologie, als auf Geschichte beruht, von welterschütternder Bedeutung sein könnte.

Liegt es durch die weitergeführte Untersuchung nicht nahe, daß es aussieht, als ob sich die Waldenser Bruderschaft des 14. Jahrhunderts anscheinend in Ton und Atmosphäre - wie in diesen Rollen geschildert - der Bruderschaft der Neu-Covenanter anschließt? Einige Forscher deuten an, daß Jesus vielleicht selbst einige Zeit ein Essener war, denn die Ähnlichkeit, nicht allein dem Inhalt nach, sondern auch der wirklichen Wortbildung des Johannes-Evangeliums mit der Rolle über "den Kampf der Söhne des Lichts und der Söhne der Finsternis" ist so auffallend, daß es fast so aussieht, als ob die Johannes-Botschaft direkt aus dem Kloster von Qumran kam.

Wie kommt es, fragen wir, daß von allen heiligen Schriften der Welt, nur in der christlichen Theologie das erstickende Dogma der Erbsünde aufgestellt wird? Was geschah irgendwo zwischen dem ersten vorchristlichen Jahrhundert und dem Konzil zu Nicäa im Jahre 325 n. Chr., als Bischöfe und Kirchenälteste aus allen mittelländischen Ländern in feierlicher Konklave zusammenkamen, und leider die einst universale und lebendige Botschaft Christi, erfolgreich in starre Dogmen verhärtete?

So geht der zweite Kampf um die Rollen weiter - aber ob, wie gesagt, das unvollendete Drama jemals abgeschlossen sein wird, kann für Jahrhunderte nicht im voraus entschieden werden. Wichtiger ist, ob es zweifelhaft ist, daß die "dornigen Fragen" gelöst werden, ob die größere Perspektive erst dann in den Brennpunkt treten kann, nachdem Generationen Gelehrte sich von den klösterlichen Mauern glaubensmäßigen Vorurteils befreit und gewagt haben, diese Manuskripte im Lichte dieser "allgemeinen Tradition der Menschheit" zu betrachten, die das Erbteil nicht nur des mittleren Ostens, sondern auch Europas, Asiens, Afrikas und Amerikas sind.

 

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