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Gespräche am runden Tisch: Glauben und Vertrauen

Frage: Während seines letzten Jahres an der Harvard Universität wohnte mein Sohn mit einem chinesischen Studenten zusammen, und die beiden stellten sich in diesem Sommer alle möglichen Fragen - die meistens den Glauben betrafen. Was versteht man unter dem Glauben? Ist es eine blinde Anerkennung von Autorität? Ist es eine Art von Wissen, oder ein Empfinden gewisser Dinge? Ist der Glaube das Gegenteil von Furcht? Sie wären heute abend gerne hierher gekommen, aber im letzten Augenblick erhielten sie noch eine Einladung zur Teilnahme an einem Seminar über die "Probleme eines Christen an der Universität". Anscheinend ist die Religion für unsere jungen Leute ein aktuelles Thema. Könnten wir vielleicht einige Anwendungen des Wortes Glauben, besonders wie sie in den heiligen Schriften gefunden werden, zur Diskussion stellen?

Antwort: Das Wort Glauben hat so viele Bedeutungen, daß wir am besten damit beginnen, im Wörterbuch nachzuschauen. Im Webster finde ich unter Glauben sieben Definitionen: "Vertrauen auf Offenbarung", "Zustimmung des Gemüts zu der Behauptung eines anderen auf Grund ihrer offensichtlichen Wahrheit", "Vertrauen auf gegebene Verheißungen", usw., usw. Zwei Punkte behandeln besonders die theologische Anwendung: "Glaubwürdigkeit der historischen Wahrhaftigkeit der Erzählungen in der Heiligen Schrift und der übernatürliche Ursprung ihrer Lehren"; noch genauer, "ein System religiöser Glaubenssätze irgendeiner Art, wie der jüdische oder mohammedanische Glaube; und besonders das Glaubenssystem, das durch Christus gelehrt wurde; auch das Glaubensbekenntnis, oder der Glaube einer christlichen Gesellschaft oder Kirche."

 

Frage: Aber diese Definitionen sind äußerst begrenzt. Es scheint, als ob die Theologen das Wort Glaube nur auf den "Glauben an die Bibel", oder auf den "Glauben an Christus" beschränkten. Welche Möglichkeit liegt in einem freien Glauben, verglichen mit einer nur blinden Annahme? Hat nicht Paulus eine viel weitere Auffassung als sie hier skizziert ist?

Antwort: Ja, das stimmt. Es gibt einen eigenen Absatz, in dem er die Korinther ermahnt, ihren Glauben nicht auf die Weisheit der Menschen, sondern auf Gott zu setzen - "auf daß euer Glaube nicht beruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes-Kraft". - 1. Kor. 2.5. Ein so vernünftiger Rat - und wie tragisch ist es, daß wir ihm so wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Wann immer wir die Autorität eines anderen annehmen, ohne sie der Prüfung unseres eigenen inneren Mahners zu unterziehen, setzen wir unseren Glauben in die Weisheit der Menschen, anstatt in die Weisheit unseres eigenen inneren Gottes.

 

Frage: Aber können wir wirklich sicher sein, daß die "Weisheit unseres eigenen inneren Gottes", wie Sie es ausdrücken, uns wirklich dienlich ist? Lernen wir nicht oft von anderen Menschen, von der "Weisheit der Menschen", die mehr wissen als wir, und die fähig sein mögen, uns vieles zu lehren?

Antwort: Natürlich, und deshalb müssen wir unsere Gemüter für die Wahrheit empfänglich halten, welches auch immer ihre Quelle sein mag; doch wir wollen uns versichern, daß wir, unseren Glauben - unser absolutes Vertrauen, wie ich den Glauben definieren möchte - in die Dinge legen, von denen wir glauben, daß sie aus "der Kraft Gottes stammen", d.h. aus der höchsten Quelle, die wir kennen. Die Erkenntnis der Wahrheit ist kein statischer Zustand, es ist für jeden von uns eine wachsende Erfahrung, und das macht diese Frage über den Glauben zu einer so schönen Frage, die eines sorgfältigen Nachdenkens wohl wert ist.

In den Römerbriefen gibt es einen Abschnitt, in dem Paulus an die Römer appelliert, selbst zu entscheiden, was der "reine Wille Gottes" ist und sie auffordert, besonnen zu sein, da jedem Menschen sein Teil an Glauben zugeteilt sei.

"Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, daß ihr prüfen möget, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.

"Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben worden, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern so zu denken, daß er besonnen sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat."

- Römer 12, 2-3.

Und er erinnert sie daran, daß jeder verschiedene Gaben habe, Weissagung, Amt oder Lehre sollte jeder "nach dem Maß des Glaubens" ausüben. Das ganze 12. Kapitel ist als Abschluß zur Bergpredigt des Nachlesens wohl wert.

Doch gehen wir zu dem Wort Glauben zurück.

 

Frage: Es würde mich interessieren, wovon das Wort Glauben abgeleitet wird und ob uns vielleicht diese Ableitung helfen kann?

Antwort: Wie ich es verstehe, ist im Neuen Testament an den meisten Stellen für das griechische Wort pistis das Wort "Glaube" gesetzt. Jahrhunderte hindurch haben unsere Theologen die Übersetzung von pistis fast ganz auf "Glauben oder Überzeugung" eingeengt, gewöhnlich mit dem Hinweis auf "den Glauben", womit die besondere Form der "religiösen Glaubensansicht" gemeint ist. Was ist Ihr Glaube? fragen wir Christen, Mohammedaner, Hebräer, usw. Doch, wie wir gesehen haben, verwendet Paulus das Wort pistis oder Glaube ebenso in der weitest möglichen Fassung: Glauben, das eine gewisse Erkenntnis der "Macht Gottes" umfaßt, d.h. der endgültigen Richtigkeit und des Wohlwollens seitens des göttlichen Gesetzes. Jedem Menschen ist daher sein gerechtes "Maß an Glauben", an Vertrauen, an tiefer Überzeugung von der Nacht und Kraft der Göttlichkeit zugemessen, und ich denke, daß wir mit dieser Einstellung dem sehr nahe kommen, was Glauben wirklich ist.

 

Frage: Mir ist es unverständlich, daß es kein Wort zu geben scheint, das das ausdrückt, was wir mit Glauben meinen, denn das Wort Glauben scheint gerade das, was wir offensichtlich dabei empfinden, nicht zum Ausdruck bringen zu können. Oder spiele ich einfach mit Worten?

Antwort: Nein, ich glaube, Sie haben auf die große Schwierigkeit hingewiesen, die in dem Versuch der Definition einiger dieser Begriffe liegt. Dennoch ist es nützlich, unsere Gedanken auszutauschen, weil wir neue Ideen oft gerade dann erhalten, wenn wir sie am wenigsten erwarten.

Offen gestanden verwende ich das Wort Glauben nur noch selten dazu, um das, was ich unter Glauben verstehe, zu beschreiben. Ich ziehe das Wort Vertrauen vor, weil es genau das ausdrückt, was Glauben für mich wurde: ein erhabenes Vertrauen in das Gesetz. Meine Mutter, die eine ergebene Christin war, pflegte uns Kindern zu sagen: "Laß die Dinge gehen und überlasse es Gott" - das machte, als ich noch jung war, keinen großen Eindruck auf mich. Nachdem ich in späteren Jahren einige ziemlich harte Erfahrungen gemacht hatte, war das Maß meines Glaubens wohl voll und da wurde dieser kleine Satz von ihr in seiner ganzen Schönheit und Stärke lebendig. Geben Sie alle Bindungen auf, woran diese auch sein mögen und was und wo immer etwas getan werden sollte, und legen Sie Ihren Glauben, Ihr Vertrauen, Ihr ganzes Selbst in den Dienst des Göttlichen - und überlassen Sie es vollständig der Ihnen innewohnenden Göttlichkeit, Ihnen zu helfen, Ihr Leben zu lenken.

 

Frage: Das ist wundervoll, aber wie können wir das wirklich ausführen?

Antwort: Niemand von uns und sicher auch ich nicht, kann es vollkommen zustandebringen. Aber das Festhalten daran als einem praktischen Ideal, durch das man denkt und handelt, ist seine eigene Stärke und leitende Macht. Und erinnern Sie sich, daß Paulus sagt, es wird von uns nicht mehr verlangt, als unsere eigene "Glaubensform" zu haben - jeder von uns ist ein individueller Teil Gottes, daher hat jeder von uns die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit unserem Potential zu leben - jedem Menschen ist die "Manifestation des Geistes" verliehen worden, dem Einen "das Wort der Weisheit", dem Anderen das "Wort der Erkenntnis" und wieder einem Anderen der "Glaube in demselben Geiste". (1. Kor. 12, 7-9)

 

Frage: Es hat den Anschein, als setze der Glaube die Furcht voraus - Furcht, falsch zu handeln, Furcht vor den Folgen, Furcht vor der Zukunft - Furcht vor den Berückungen des Lebens und am meisten Furcht vor uns selbst. Wenn wir den entsprechenden Glauben hätten, könnten wir von dieser Furcht befreit werden?

Antwort: Den meisten von uns wird von Kindheit an gelehrt: "wenn Du das nicht tust, wird etwas geschehen." Diese Psychologie wird uns eingehämmert, so daß wir, während wir heranwachsen, oft gegen eine Menge Furcht zu kämpfen haben. Manche Menschen behelfen sich damit, daß sie alle ihre Ängste auf Gott abwälzen, und sie bringen es fertig, mit genügend blindem Glauben diesen Ängsten entgegenzuwirken. Aber so kann man der Furcht nicht entgegentreten, es ist einfach ein Übertragen auf irgend einen anderen. Würde die Furcht verschwinden, wenn wir Glauben hätten? Was man gewöhnlich unter Glauben versteht, ist unbestrittene Annahme der religiösen Autorität. Wie aber können wir die Furcht verbannen? Indem wir Glauben und nochmals Glauben haben? Wenn mehr blinder Glaube hinzugefügt wird, dann, sage ich Ihnen, wird nur die wirkliche Quelle der Furcht verstärkt. Nur die Erkenntnis löst die Furcht auf; Unwissenheit erzeugt Furcht; und wenn wir die Unwissenheit durch Erkenntnis ersetzen, werden wir automatisch die Ursachen der Furcht entfernen, denn, wenn wir wissen, um was es bei uns geht, haben wir nichts zu befürchten. Es gibt aber auch viele Bereiche der Erfahrung, von denen wir nichts wissen können, Nehmen wir z. B. die Todesfurcht. Sie ist universal, wenigstens in christlichen Ländern, wo die Furcht vor "Feuer und Schwefel" in die eigentliche Sphäre unseres Denkens hineingelegt wurde. Jahrhunderte hindurch sind wir so über die Idee der Furcht unterrichtet worden, daß das Motiv unserer Handlung öfter Furcht als etwas anderes war - Furcht, Böses zu tun, nicht etwa weil es schlecht ist, Böses zu tun, sondern aus Furcht vor den Auswirkungen. Die Furcht ist zu einem spirituellen und moralischen Diktator geworden.

Viele haben sich zwar schon von diesen einengenden und dogmatischen Überlieferungen befreit, wir sind aber der Psychologie der Furcht noch nicht entwachsen. Indem wir uns von der Furcht loslösten, lösten wir uns auch vom Glauben los, d. h. von dem blinden Glauben an die gewöhnlich angenommenen Vorschriften der Kirche mit der spirituellen Vorherrschaft des Buchstabens der Bibel und der "Macht Gottes", sich persönlich in unsere Angelegenheiten einzumischen.

 

Frage: Während und seit der letzten Kriege zeigen die Statistiken, daß unsere jungen Menschen ernstlich suchen, etwas zu finden, an das sie glauben können. Es hat keinen Sinn, ihnen die alten Gründe anzugeben, warum sie glauben sollten - denn viele von ihnen werden über das alte dogmatische Donnerwort von "Hölle und Verdammnis" bis in alle Ewigkeit einfach lachen. Dennoch mußte ich mich wundern, warum so viele den Kirchen anhängen, obgleich die dogmatischen Darstellungen in vielen Fällen so offensichtlich begrenzt sind?

Antwort: Die Statistiken geben nicht immer ein genaues Bild. Doch glaube ich mit Ihnen, daß in allen Ländern unsere jungen Leute danach trachten, ihren Glauben durch die großen spirituellen Prinzipien zu erneuern, die die Grundlagen sind, auf denen unser Glaube aufgebaut ist. Ob sie nun ihren Glauben durch die Kirche oder durch unabhängiges Forschen auffrischen, ist dabei nicht wichtig. Die inspirierende Aufforderung verlangt, daß sie mit Ernsthaftigkeit und Zielsicherheit suchen, die sie unvermeidlich an die Schwelle eines wahreren Glaubens bringen wird, als sie ihn je zuvor gehabt haben. Nach meiner Ansicht wird es sie dem Bollwerk des Vertrauens näher bringen, von dem wir sprechen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen kurzen Auszug aus einem kürzlich in Collier's Magazin erschienenen Leitartikel bringen:

"Wenn es stimmt, daß manche Menschen die Religion gesucht haben, um der Furcht zu entfliehen, oder um die Hilfe Gottes für ihre persönlichen Pläne zu erhalten, oder um sie einfach als Ausweg aus einem gefühlsmäßigen Wirrwar zu benützen, dann ist es ebenso wahr, daß sich eine weit größere Anzahl der Religion in der Absicht zugewendet hat, um den moralischen und spirituellen Umfang in ihrem Leben zu erweitern...

Welche Gründe es immer sein mögen - es gibt immer mehr Anzeichen dafür, daß wir uns aus Furcht und Dunkelheit in das Sonnenlicht unseres eigenen gesunden Verstandes erheben. Wir sind an einem Punkt der Besinnung angelangt, es ist keine Zeit der hysterischen Handlungen, sondern der ruhigen nochmaligen Prüfung der Grundsätze, durch die und für die wir leben. Das Tasten nach spiritueller Erfahrung in irgendeiner Form, das Studium unserer nationalen Überlieferungen, die Suche nach wirklicher Befriedigung, das alles sind Symbole für ein neues gesundes Wachstum. Wir lernen von neuem, daß wir unsere Leben nicht nur durch Minuten und Stunden messen, sondern durch das, was in ihnen geschieht... Wir sind... nicht nur an der Fülle äußerer Güter, sondern auch an unserem inneren Reichtum interessiert. In diesem ruhigen Suchen liegt mehr Stärke als in allen Waffen, die wir besitzen."

Diese Art des Denkens ist es, die die Menschheit vorwärts bewegt, die Suche nach einem Vertrauen, das uns in neue Dimensionen spirituellen Verständnisses bringen wird.

 

Frage: Wie steht es um die Kinder? Sie werden mit dem Vertrauen geboren, bis das Leben sie lehrt, mißtrauisch und vorsichtig zu werden. Dann müssen sie all das verlernen und "wieder wie kleine Kinder werden". Gibt es nicht irgendeinen Weg, auf dem wir helfen könnten, dem Glauben eines Kindes eine Brücke zu geben?

Antwort: Sie haben eine der größten Lebenstragödien aufgegriffen, eine Tragödie, der wir in jeder Generation begegnen. Die Fragen, die die Kinder mit vier oder fünf Jahren, manchmal sogar noch früher, stellen, schildern eine Art von Vertrauen, das nicht einfach eine blinde Annahme ist, sondern aus einem Glauben stammt, der innerer Erkenntnis nahe steht. Mit ihren frischen jungen Gemütern erinnern sie sich nicht bewußt, doch Wordsworth berührte den Saum der Wahrheit, als er von dem Kind sprach, das zur Erde zurückkehrt, daß es "Wolken der Glorie Gottes nachziehe, der seine Heimat ist". Mit anderen Worten, das Kind hat eine innere Reinheit des Glaubens, der auf dem natürlichen Vertrauen auf die "Macht Gottes" gegründet ist. Beim genauen Prüfen dieses Gedankens konnten wir wohl sagen, daß Glaube oder echtes Vertrauen in Wahrheit unser Anker ist. In der Tat gibt die siebente Definition des Glaubens durch Webster genau das wieder: "Glaubwürdigkeit oder Wahrheit". In demselben Maße wie unsere Auffassung der Wahrheit entwickelt ist, wird die Stärke unseres Glaubens und Vertrauens entwickelt.

 

Frage: Gibt es nicht in der Bhagavad-Gîtâ einen Satz, der es genau ausdrückt, wo Krishna zu Arjuna sagt: "Durchdringe mich mit Deinem Verstehen"?

Antwort: Das ist es - "durchdringe mich mit Deinem Verstehen" bedeutet gerade das: wenn wir es herausfinden und hinter die Erscheinung der Dinge dringen können, werden wir mit einem tieferen Glauben hervorkommen, weil wir ein ausgedehnteres und umfassenderes Verständnis der Wahrheit gefunden haben.

 

Frage: Mein Sohn empfindet das alles in der gleichen Weise. Er sagt, daß die orthodoxe Erklärung des Glaubens dem, was eine Person über diese großen moralischen Grundsätze empfindet, nicht wirklich Rechnung trägt. Er meint, daß, wenn Sie zu dem gelangen, was Sie Glauben nennen, Sie wirklich bei einer Wahrheit angelangt sind. So sagte er auch: ist nicht das Wort 'Wahrheit' tatsächlich dem Glauben näher, als das Wort 'Glaube'?

Antwort: Im Prinzip hat er recht. Das verbindet uns richtig mit dem, auf das alle großen spirituellen Denker der menschlichen Rasse hingewiesen haben, doch wie immer, bieten uns unsere Theologen bereitwillig Scheuklappen an, so daß wir nichts anderes sehen können, als das, was sie für uns zu sehen geplant haben. Wenn wir indessen den Mut haben, die Scheuklappen abzuweisen und bis auf den Grund jeder Situation, ob sie nun religiös, erzieherisch oder sozial ist, zu forschen, gehen wir daraus ganz bestimmt mit einer weit klareren Vision hervor.

 

Frage: Um Glauben zu haben, muß man natürlich glauben. Bis zu welchem Grad wäre also 'glauben' und der 'Glaube' gleichbedeutend?

Antwort: Ich würde sagen, daß glauben und ein blinder Glaube ganz gute Gefährten sind. Wir müssen dem Gebrauch des Wortes 'Glaube' mit Vorsicht begegnen, weil wir in den Dingen, in welchen wir einen Vorrat an Erfahrung haben, ein Wissen und Verständnis entwickelt haben, aus dem der Glaube geboren wurde. Aber es besteht eine feine Grenze zwischen dem aus Wissen und Erfahrung strammenden Glauben und dem Glauben, der die Substanz von unsichtbaren Dingen darstellt, und der wirklich unser aus dem Vertrauen geborene Anker ist. Lassen Sie es mich so sagen: Irgendwelche Erfahrungen bringen ein gewisses Maß von Erkenntnis, und wir leiten schließlich daraus den Glauben ab. Mit anderen Worten, der Glaube wird zum Endprodukt der Erfahrung. Wenn wir nun einer anderen Folge von Umständen begegnen, die uns vollständig ungewohnt sind, wir aber auf jeden Fall die Initiative ergreifen und ruhig in die Situation eindringen, mit einer Gewißheit, daß wir das haben, was "notwendig" ist, um dieser Situation zu begegnen, dann nenne ich das Vertrauen - Vertrauen, das aus uns selbst und aus der vollständigen Zuversicht auf die Stärke dieses inneren Führers, durch den wir leben, kommt.

 

Frage: Ich verlor Sie auf halbem Wege, aber ich habe etwas davon erfaßt und möchte gerne mehr darüber erfahren. Würden Sie das noch einmal erklären?

Antwort: Das ist ein schwieriger Punkt, doch ich will versuchen, ein konkreteres Beispiel zu geben. Ich werde einer Situation gegenübergestellt, über die ich sehr wenig weiß, aber ich habe den Willen, mich, ohne Rücksicht auf das Resultat, hindurchzuarbeiten. Durch meine Anstrengungen gewinne ich ein bestimmtes Wissen und Verständnis der Tatsachen und Umstände und zwar in einem solchen Grade, daß ich, wenn ich wieder in die gleiche oder eine ähnliche Situation käme, den Glauben haben würde, sie meistern zu können. So war der Glaube auf der Grundlage von allem, was geschah, um diese Erfahrung hervorzubringen, aufgebaut worden. Aber ich hatte den Glauben nicht vor Beendigung der Erfahrung und nicht bevor ich das Wissen über die Umstände, und wie ihnen zu begegnen sei, gewonnen hatte, weil ich eine solche Erfahrung nie zuvor gemacht hatte.

Nun komme ich zu einer Reihe von Umständen, die allem, dem ich vorher begegnet war, absolut fremd sind. Ich habe weder eine Erfahrungsgrundlage, noch irgendein konkretes Wissen über diese besondere Situation. Doch es bestehen gewisse grundlegende spirituelle Prinzipien, auf denen ich versuche, mein Leben zu festigen. Deshalb habe ich das Vertrauen, daß, wenn ich dieser Situation, die Karma vor mir ausgebreitet hat, mit absolutem und unerschütterlichem Vertrauen auf das Gesetz begegne, "mir gegeben wird, was ich zu sagen oder zu tun habe", genau wie es den Jüngern vor dem Richter gegeben wurde. Deshalb gehe ich mit Vertrauen hinein, nicht mit Glauben gestützt auf Erfahrung, sondern mit vollem Vertrauen und dennoch mit weit geöffneten Augen, und ich gehe mit einem noch festeren Vertrauen heraus.

In die erste Situation gehe ich mit einigem Wissen, vielleicht auch einigen Zweifeln, aber ich komme mit Glauben als dem Endprodukt dieser Erfahrung heraus. Bei der zweiten Reihe von Umständen gehe ich ohne Wissen und ohne Erfahrung hinein, doch mit einem absoluten Vertrauen auf das Gesetz - und ich komme nicht nur mit einem Zuwachs an Wissen und Erfahrung heraus, sondern was am bedeutsamsten ist - mit meinem erhaltenen und gestärkten Vertrauen.

 

Frage: Angenommen, Sie waren in der zweiten Situation nicht erfolgreich, was wäre dann Ihr Glaube?

Antwort: Wenn ich mit vollem Vertrauen hineingehe und doch keinen Erfolg habe in dem Sinn, wie weltliche Dinge als Erfolg betrachtet werden, so würde das nicht beweisen, daß mein Vertrauen schwach, sondern an irgendeinem Punkt falsch war, oder daß ich keine richtige Unterscheidung traf, um die Aufgabe dieses Mal erfolgreich zu erfüllen. Was immer das Resultat sein mag, ob Erfolg oder Mißerfolg - das braucht unser Vertrauen nicht zu schwächen. Und hier kommt ein anderer Grundgedanke hinzu: nicht an die Früchte der Handlung gebunden zu sein, sondern jede Handlung auf den Altar des Fortschritts zu legen. Das sind so einfache Vorschriften, doch sie zu befolgen erfordert den ganzen Einsatz der Persönlichkeit.

 

Frage: Aus dem, was Sie sagen, könnte ich schließen, daß, wenn man 100 % Glauben oder Vertrauen hätte - gleichgültig, welches Wort Sie vorziehen mögen - man eins wäre mit dem Erhabenen. Das bedeutet Einheit. Davon gehen Sie aus, und Ihrem ersten Beispiel entsprechend vermehren wir durch Erfahrung beständig unser Glaubensniveau. Einiges erkennen wir als bewußtes Wachstum, anderes nicht. Würde dann unser Glaube sowohl die Summe des selbstbewußten Entfaltens sein? Bedeutet das nicht in jedem Augenblick die Zusammenfassung unseres Glaubens? Könnte man also sagen, daß Glauben und Vertrauen das gleiche sei, nur das eine unbewußt und das andere bewußt?

Antwort: Wenn ich Ihre Analogie richtig verstehe, glaube ich, daß wir das gleiche mit verschiedenen Worten sagen. Vielleicht kann ich dieses tief verwurzelte Vertrauen, von dem ich spreche, mit einer Rose in Verbindung bringen. Braucht eine Rose irgendeinen Glauben, um aus dem Samen einer Rose zu einer Rose zu werden? Braucht ein Mensch irgendeinen Glauben, um aus dem winzigen mikroskopischen Samen ein menschliches Wesen zu werden? Natürlich ist es so - aus einem Vorrat früherer Erfahrungen ist der Glaube geboren, beides gewesen zu sein, eine Rose und ein menschliches Wesen. Aber es muß auch eine Offenbarung des Vertrauens vorhanden sein, damit der Same in neuen Feldern der Anstrengung Ausdruck finden kann - ein Vertrauen, aus dem Erhabenen geboren, einem Teil seiner Natur, der beim Menschen weit höher ist als unser normales menschliches Bewußtsein. Es ist ein Vertrauen, das dem Bereich des Gottesfunkens in uns entspringt, so daß das Vertrauen, das wir schließlich entwickeln, eine Zusammenarbeit mit der Natur und mit dem Leben hervorbringt, was den der Erfahrung entspringenden Glauben weit übersteigt.

 

Frage: Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, etwas über den dänischen Philosophen Kierkegaard zu lesen. Mir scheint, daß er mit dem Wort Glauben das meint, was Sie Vertrauen nennen. Ist es nicht so, daß das, was man in ein Wort hinein legt, ihm seine Bedeutung gibt?

Antwort: Gewiß, und es ist wichtig, daß wir versuchen, zwischen der gewöhnlichen Bezeichnung des Glaubens und dem durch die mystisch eingestellten Christen verfeinerten Gebrauch, wie bei Kierkegaard und anderen, zu unterscheiden. Ob wir es mit Glauben oder Vertrauen bezeichnen, ist unwichtig, so lange wir erkennen, daß unser Glaube oder Vertrauen ein Ausdruck der inneren Substanz der Dinge ist. Was sagte Paulus zu den Hebräern: "Der Glaube aber ist eine Verwirklichung, dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht." Und erinnern Sie sich des Verses, der fast unmittelbar darauf folgt? "Durch Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so daß das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist." - Hebräer 11, 1-3

Nun laßt uns etwas darüber nachdenken - es hängt mit der Samen-Idee eng zusammen. "Durch den Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind" - hier wird Glaube im weitest möglichen Sinn gebraucht, angrenzend an Vertrauen - durch Glauben, durch Vertrauen wurden die Welten durch das Wort Gottes, d. h. durch den göttlichen Gedanken, hervorgebracht. Es könnte nicht anders sein, da alles im Göttlichen wurzelt; und die "Dinge, die gesehen werden", d. h. das Sichtbare, wurden nicht aus äußeren Dingen, "die erscheinen", gemacht, sondern kamen nur zum Ausdruck, weil ihr Same im Göttlichen ruht. Es gibt nichts mechanistisches dabei. Es ist wiederum die "Manifestation des Geistes", wie uns Paulus erinnert, die jedem Menschen gegeben ist, um damit Fortschritte zu machen. In dem Maße, in dem wir unserem Bewußtsein erlauben, den inneren Vorrat des Vertrauens, das auch in der Göttlichkeit wurzelt, zum Ausdruck zu bringen, werden wir die innewohnende Qualität unseres Schicksals erfüllen.

 

Frage: Könnte man sagen, daß dieses Vertrauen ein Himmelshaken ist, an den man das Seil hängen kann, das uns aufwärts zieht? Nur vermute ich, daß es ein vorwärts schreitender und sich ständig entwickelnder Prozeß ist, andernfalls würde man aufhören zu wachsen, wenn man einmal diesen Himmelshaken erreicht hat.

Antwort: Für Wachstum, Aspiration und Vertrauen gibt es kein Ende. Lassen Sie uns für einen Augenblick den Glauben als den äußeren Pol dieses Himmelshakens nennen und Vertrauen den inneren Pol. Das Vertrauen, mit dem wir wirklich geboren sind, ist das Wesentlichste des ganzen evolutionären Prozesses. Innerhalb dieses Samens, sei es eine Rose oder ein menschliches Wesen, ist es dieses dem Samen innewohnende tief verborgene Vertrauen, das ihn später dazu antreibt, sich zu einer vollerblühten Rose, oder zu einem vollentwickelten Menschen zu gestalten. Nun, indem wir wachsen und uns entwickeln wird dieses Vertrauen, oder der innere Pol oder Kern unseres Wesens in den äußeren Pol des Ausdrucks versenkt - in diesen Glauben, der immer mehr dazu neigt, sich allein auf unsere Erfahrungen in dieser Welt zu gründen.

 

Frage: Solange man ein Kind ist, sind unsere Tore des Vertrauens weit geöffnet, aber dann beginnen sie sich zu schließen, und bald wird man so in das Bestreben, Wissen und Erfahrung zu erlangen, verwickelt, daß wir bald ganz verwirrt sind. Müssen wir nicht diese Tore des Vertrauens von neuem öffnen?

Antwort: Die Tore des Vertrauens müssen sich wieder öffnen, sich weit öffnen, wenn wir dem Leben und seinen Gelegenheiten mit irgend einer Art von Gleichgewicht und Weisheit begegnen. Die große Schwierigkeit besteht heute darin, daß wir viel von dem verlernen müssen, dessen Erlernung unsere Eltern, unsere Schule und unser eigener Eifer an die erste Stelle stellten, was uns aber später das Leben und viel Leid vergessen ließen. Doch dies ist ein unerschöpfliches Thema, und ich glaube, wir sollten besser unsere Diskussion zu einem Ende bringen.

 

Frage: Nur noch eine letzte Frage, bitte. Wie können wir das Vertrauen entwickeln? Wir alle wissen, daß es der Mangel an Vertrauen ist, der uns zurückhält, doch es scheint, daß wir zwischen Hoffen und Fürchten abwechseln - indem wir hoffen, daß alles richtig sein wird, oder fürchten, daß etwas geschehen wird. In unseren ruhigen Stunden fühlen wir den stärkenden Einfluß dieses hohen Vertrauens, das Sie erwähnten, aber wie können wir es zu einem andauernden Einfluß in unseren täglichen Handlungen machen?

Antwort: Sie haben den schwachen Punkt aufgegriffen: abwechseln zwischen Hoffen und Fürchten. Hoffnung bedeutet Schwäche des Vertrauens, und wenn wir fürchten, daß etwas Widriges geschehen wird, zeigen wir wieder nicht nur einen Mangel an Vertrauen, sondern wir helfen sogar zerstörerische Gedankenbilder zu schaffen. Es geht immer wieder zurück auf die einfache Vorschrift von Krishna: denke nicht an die Früchte deiner Handlungen; hänge nicht an den Resultaten. Wenn jede Handlung ausgeübt, jeder Gedanke gefaßt, jeder Impuls gefühlt wird, ohne "selbstidentifizierende Bindung" weder gefühlsmäßig noch mental an die Früchte dieses Gedankens oder dieser Handlung, dann werden wir eines Tages den modus operandi richtiger Tätigkeit und richtigen Denkens nicht nur sehen, sondern auch verstehen, und unser Vertrauen in die Richtigkeit des Gesetzes wird sich unermeßlich gestärkt haben.