Gespräche am runden Tisch: Inneres und äußeres Karma - I.
- Sunrise 4/1958
Frage:Wie denken Sie über die gegenwärtigen Zustände in der Welt? Die Zivilisation scheint sich in vieler Hinsicht rückwärts zu bewegen und wahrlich immer tiefer abzusinken, während Lüge und Intrigen immer mehr zu werden scheinen. Glauben Sie nicht, daß der Ausblick äußerst entmutigend ist?
Antwort: In Zeiten großer Krisen besteht immer die Gefahr, daß die Zivilisation Rückschritte macht und deswegen ist ja auch die Verantwortlichkeit jedes einzelnen so groß. Aber darin kann ich ganz und gar nicht mit Ihnen übereinstimmen, daß die gegenwärtige Weltlage eine entmutigende ist. In der Tat sind die Hindernisse und Schwierigkeiten, die sich anfangs in dieser Ära einstellten und die sich in jeder Ära einstellen, meiner Ansicht nach der äußere Beweis für die Bewegung oder Zirkulation einer positiven inneren Kraft, deren Alchemie nicht nur unter einzelnen in dieser oder jener Nation, sondern überall auf dem ganzen Globus mächtig wirksam ist. Es ist wahr, daß außerordentliche Ereignisse die Spannungen in der Welt beständig vermehren, aber deswegen und nicht trotzdem fühle ich, daß für die Zivilisation als Ganzes eine gewaltige Gelegenheit besteht, einen großen Schritt vorwärts zu tun.
Viele fortschrittlich gesinnte Leute erkennen dies und arbeiten mit Intelligenz und Energie auf dieses Ziel hin. Wenn Sensationsjäger und Reporter ernsthaft von der Notwendigkeit "diplomatischer Seelenforschung" in den Beziehungen der Länder untereinander sprechen, wenn sie ferner die "großen moralischen Prinzipien der Gesellschaft" als die Grundlage einer erleuchteten Regierung betonen, können wir Mut fassen und ich wiederhole, daß meiner Meinung nach nicht die geringste Ursache für Entmutigung besteht. Es mag für uns schwierig, wenn nicht unmöglich sein, hinter den Malstrom politischer Krisen zu schauen, aber wenn wir unseren kleinen Teil für den Aufbau der Zivilisation in vernünftiger Weise beitragen, ist das gerade die Verantwortlichkeit, die wir zu erfüllen versuchen sollten.
Frage: Aber wo beginnen wir? Es ist so schwierig, einen Überblick zu bekommen und weder die Religion noch die Wissenschaft kann die Antwort geben. Ich kann jedenfalls nichts finden, das mein tiefes Verlangen nach einem neuen Halt für mein Leben befriedigt. Ich nehme nicht an, daß ich damit allein dastehe und möchte gern wissen, was nach Ihren Beobachtungen und Erfahrungen in Amerika und in anderen Ländern - abgesehen von wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen - das vordringlichste Bedürfnis ist?
Antwort: Sie sind in Ihrem Suchen nach einem umfassenden Überblick ganz gewiss nicht allein. Vielleicht kann ich folgendes sagen: Ich habe mit Menschen aller Schichten gesprochen, und es zeigte sich vor allem eines - das Fehlen einer praktischen Philosophie, in der sie eine innere Bindung haben können und das entsprechende Bedürfnis zur Bestätigung ihres intuitiven Dranges, daß es eine umfassendere und festere Grundlage der Wahrheit gibt, als die religiösen Schulen oder die wissenschaftlichen Akademien gelehrt haben.
Es hat sich in steigendem Maße gezeigt, daß die Völker der Erde etwas suchen. Sie wünschen vernünftigere Antworten auf ihre Probleme; Probleme, die sich nicht mehr nur auf die Familie und das Geschäft beschränken, sondern enger mit den universalen Nöten aller Völker verknüpft sind. Wir sind national und auch auf andere Weise so stark mit einander verbunden, daß wir gezwungen sind zu begreifen, daß unsere ganze Gesellschaft sozial und spirituell wirklich "eine Einzige und Unteilbare" ist; und daß die gegenseitigen Beziehungen von Nation zu Nation, von Rasse zu Rasse jetzt jeden einzelnen Menschen angehen.
Deshalb sage ich, daß Ihr eigener Drang, Ihrer Schau eine neue Richtung zu geben, Ihren Ausblick von einer örtlichen zu einer Weltperspektive zu erheben, nur ein Echo jenes großen Erwachens ist, das die Menschheit als ein Ganzes erlebt und das verlangt, daß wir alle Probleme im Lichte des Weltkarmas betrachten und die anerkannten Glaubensrichtungen - seien sie nun religiöser, wissenschaftlicher oder philosophischer Art, mit Hilfe des inneren Prüfsteines, der im Herzen jedes einzelnen von uns wohnt, kritisch prüfen.
Frage: "Im Lichte des Weltkarmas" - das ist ein höchst verwirrender Ausdruck. Meinen Sie, daß hinter all diesen beunruhigenden Ereignissen ein Plan existiert; und wenn dem so ist, daß es letzten Endes eine Gerechtigkeit gibt?
Antwort: Können wir sagen, daß es hinter all diesen äußeren Streitigkeiten und Unruhen eine Gerechtigkeit gibt, wenn sie unter dem Gesichtspunkt des Weltkarmas betrachtet werden? In meiner Philosophie gibt es nur eine Antwort - ein klares "Ja". Denn alles, was sich ereignet, ist die Wirkung einer in der Vergangenheit irgendwo, irgendwann, irgendwie in Bewegung gesetzten Ursache. Mit anderen Worten, alles ist Karma - um diesen sehr nützlichen Ausdruck aus dem Orient zu benützen - denn es umfaßt den ganzen Vorgang von Aktionen und Reaktionen, welcher die gerechten und natürlichen Wirkungen früher ins Leben gerufener Ursachen hervorruft.
Frage: Ehe Sie fortfahren, möchte ich noch fragen: Verstehen Sie unter Karma, was Paulus in seiner Feststellung meinte, daß Gott sich nicht spotten läßt, oder daß wir, was immer wir säen auch ernten müssen?
Antwort: So ist es. Auf die Aktion folgt die Reaktion, auf die Saat das Reifen, auf die Ursache die Wirkung. Wie wir es auch nennen mögen, es wirkt in jeder Sphäre der Erfahrung und der Tätigkeit vom kleinsten atomaren Einflußbereich bis zur entferntesten Milchstraße im entlegensten Teile des Raumes.
Aber wenn wir sagen, daß alles Karma, alles die Folge von früher in Bewegung gesetzten Ursachen ist, müssen wir bei unserer Betrachtung des menschlichen Karmas weit in die Vergangenheit zurückgehen, in der Tat Millionen Jahre, bis zu der frühen Periode, in welcher der Mensch das erstemal von der Frucht der Erkenntnis aß und von da an zu lernen begann, das Rechte vom Unrechten zu unterscheiden. Offensichtlich waren wir seit dieser weit zurückliegenden Zeit für unsere eigenen Gedanken und Taten voll verantwortlich und zwar nicht nur für das, was wir dachten und taten, sondern auch für unseren Anteil an Verantwortlichkeit in Bezug auf die Wirkungen, die unser Denken und Handeln die ganzen Zeitalter hindurch auf andere gehabt haben!
Wir können daher sagen, daß Sie und ich und jede einzelne der Milliarden Seelen, die während dieser tausend und aber tausend von Jahrhunderten auf dieser Erde lebten und starben, zahllose Anziehungen und Abstoßungen entwickelt und zahllose Ursachen in Bewegung gesetzt haben müssen - Ursachen, die zu irgendeiner Zeit, an irgendeinem Ort und unter den richtigen Bedingungen unweigerlich als Wirkungen zum Ausdruck kommen müssen.
Frage: Wenn Sie annehmen, daß die Wirkungen dessen, was Sie gesät haben, reifen, dann müssen Sie also an den Fortbestand der Seele von einem Leben zum anderen glauben? Ist das so? Aber ist das nicht ein ziemlich erschreckendes Bild von Reifen und Säen, wenn keine Gelegenheit besteht, von all dem loszukommen?
Antwort: Niemand muß irgend etwas glauben, von dem er nicht innerlich überzeugt ist. Nichtsdestoweniger wird das, was wir glauben oder nicht glauben mögen, die Naturgesetze nicht ändern; und wenn es ein universales Gesetz gibt, ist es das von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung. Aber es ist keineswegs ein erbarmungsloser Kreis von Reifen und Säen, ohne Gelegenheit, aus dem Eichhörnchenkäfig unserer eigenen Unwissenheit herauszukommen. Ganz und gar nicht. Das Leben und alles bewegt sich in Spiralform und niemals in einem geschlossenen Ring oder Kreis. Hier begehen wir unseren größten Irrtum, wenn wir das erstemal auf die Idee der Wiedergeburt und von Karma stoßen. Anfangs denken viele, daß Karma entweder gut oder schlecht sei. In Wirklichkeit aber ist es weder das eine, noch das andere - es ist nur unsere Reaktion gegenüber den Umständen des Lebens, die uns entweder angenehme oder unangenehme Erfahrungen bringen.
Wenn wir annehmen, daß alles durch das universale Gesetz regiert wird und daß der Kosmos auf Gerechtigkeit gegründet ist, dann kann sich nichts durch "Zufall" ereignen. Alles muß ein Ausdruck der Tätigkeit des Gesetzes des Ausgleichs, des Gesetzes von Anziehung und Abstoßung, von Aktion und Reaktion sein. Wenn wir das bis zu seiner logischen Konsequenz verfolgen, dann muß offenbar jeder einzelne von uns, der heute auf Erden lebt, seit diesem frühen Punkt in der Geschichte des Menschen, an dem er das erstemal den Unterschied zwischen Recht und Unrecht in selbstbewußter Weise erkannte, viele hunderte von Lebenserfahrungen durchgemacht haben. Sicherlich muß es eine "ununterbrochene Folge" von Reaktionen geben, sonst würden wir einem verrückten Universum ohne Sinn oder Verstand gegenüberstehen; und welch besseren Weg könnte es für die permanente Seele in uns geben, als Erfahrung um Erfahrung hier auf Erden zu sammeln und so die Gelegenheit zu Wachstum und Entwicklung zu haben und aus den Wirkungen ihrer früheren Handlungen Nutzen zu ziehen?
Wenn wir die Schönheit und Verheißung dieses weiten Ausblicks erfassen, dann ist es nicht schwierig, den erhabenen Schwung des Schicksals zu fühlen, der die Zivilisation auf ihrem Entwicklungspfade vorwärtstreibt. Es wird natürlich Zeiten großen Leides geben, denn irgendwo, an irgendeinem Ort, haben wir das Gleichgewicht durch falsches Denken und falsches Handeln gestört; denn wir können begreifen, welche unermessliche Summe an Karma jede Seele, von Nationen und Rassen gar nicht zu sprechen, seit langer Zeit erzeugt hat. Diese kann bestimmt nicht in einer Zeitspanne von 70 Jahren vollständig erfahren werden. Es besteht ein unvermeidlicher karmischer Rückstand, der mit der Zeit erschöpft werden muß. Aber wir wollen Karma weder als gut noch als schlecht bezeichnen. Offen gesagt gefällt mir das ganz und gar nicht, denn die Naturgesetze sind weder gut noch schlecht, weder heiß noch kalt - sie sind unpersönlich und arbeiten immer auf die Wiedererrichtung der Harmonie hin, deren Gleichgewicht durch falsches Denken und Handeln gestört, wurde.
Frage: Darf ich hier eine Frage einschieben? Die Idee von Karma ist mir nicht neu, auch die Idee der Rückkehr zur Erde nicht. Aber ich möchte gerne wissen, ob es nicht mehr als eine Art Karma gibt?
Antwort: Es gibt verschiedene Arten - es gibt ein Weltenkarma, ein internationales Karma, ein Karma der einzelnen Rassen, ein nationales Karma, ein geographisches Karma, ein örtliches Karma, ein Familienkarma und auch ein individuelles Karma. Das ist nur sachlich gesprochen, aber all das wirkt in höchst wunderbar verwickelter Weise zusammen. Wir können von unserer kurzsichtigen Perspektive aus nur einen Schimmer davon erhaschen. Außerdem gibt es...
Frage: Aber daran habe ich nicht gedacht, obgleich ich einsehen kann, wie wichtig diese Richtung des Denkens ist. Ich weiß nicht, wie ich meinen Gedanken klar ausdrücken soll. Ich fühle, daß etwas daran ist und bin von seiner Richtigkeit überzeugt, aber ich kann ihn anscheinend nicht ausdrücken.
Antwort: Lassen Sie sich Zeit, und wenn Sie ausdrücken können, was Sie im Sinne haben, dann denke ich, werden wir darüber diskutieren können. Dann werden Sie vielleicht in der Lage sein, Ihre Frage in die richtige Form zu bringen.
Frage: Ich möchte folgendes zum Ausdruck bringen: Wenn sich manchmal gewisse sehr schwierige Dinge ereignen, sieht das anfangs wie ein großes Unglück aus, aber wenn wir uns durch sie hindurch gearbeitet haben, finden wir oft, daß gerade die Erfahrung des Verlustes und des Leides ein ganz neues Feld der Gelegenheit eröffnete, das wir auf keine andere Weise hätten betreten können, oder wir bekommen einen viel klareren Ausblick. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht und möchte gerne wissen, ob es nicht eine Art Karma gibt, die eben unseren gewöhnlichen Alltagsmenschen betrifft und daneben vielleicht noch eine andere Art Karma, die etwas Innerem angehört, von dem es beinahe scheint, daß es uns in Schwierigkeiten bringt. Nun, ... ich kann es nicht besser ausdrücken. Verstehen Sie mich?
Antwort: Ich verstehe Sie gut, und Sie haben einen tiefen Gedanken berührt, den Sie weit klarer zum Ausdruck brachten als Sie vielleicht denken. Es gibt tatsächlich viel mehr Arten von Karma als nur den physischen Aspekt, der zeigt, daß das Feuer brennt und daß wir naß werden, wenn wir in den Regen hinausgehen. Das sind augenscheinliche Manifestationen, denen wir jeden Tag unseres Lebens begegnen. Wenn aber Karma ein universales Gesetz ist, dann muß es universal wirken - d.h. sowohl auf der göttlichen, spirituellen, mentalen, emotionalen, als auf der physischen Ebene. Das bedeutet, daß wir ein göttliches Karma, ein spirituelles Karma, ein mentales und ein emotionales Karma, wie auch ein physisches Karma haben. Nur ein Adept kann das Wirken all dieser Richtungen von Karma verfolgen und keiner von uns kann ein solches Wissen für sich in Anspruch nehmen. Genauso wie wir aber sowohl vom höheren Selbst des Menschen als auch von seiner gewöhnlichen Persönlichkeit sprechen, so können wir auch sagen, daß es ein inneres Karma gibt, das seinem höheren Selbst, seinem Schutzengel angehört und dessen Quelle in der inneren Göttlichkeit liegt, und ein äußeres Karma, das der gewöhnlichen Alltagspersönlichkeit des Menschen angehört.
Sie sagen, daß es zuweilen scheint, als ob uns im Innern irgend etwas in Schwierigkeiten bringen würde. In einer Hinsicht ereignet sich folgendes: Das innere Karma, das Karma, das unserem wirklichen Selbst, unserem höheren Selbst entspringt, macht sich zuweilen bemerkbar und wir haben fast das Gefühl, als ob wir in einer gewissen Weise "geführt" würden, vielleicht sogar auf einem schwierigen Umweg, doch das äußere Karma, das unserer Persönlichkeit angehört, scheint gerade gegenteilig zu sein. So besteht ein Widerstreit zwischen dem tiefen inneren Gefühl, das uns sagt, daß ein bestimmter Weg gegangen werden sollte, und den Impulsen der äußeren Natur, die uns anscheinend zwingen, gerade das Gegenteil zu tun. Gibt es einen Weg, diesen Konflikt auszugleichen, so zu leben, daß das innere und das äußere Karma harmonisch wirken können? Ist das Ihre Frage?
Frage: Ja, genau das ist es, nur war ich nicht fähig, es so klar durchzudenken.
Antwort: Es ist wahr, daß oft ein Widerstreit besteht und das führt manchmal zu einem ernsten Fehlurteil, wenn man nicht versteht, was vor sich geht. Wenn wir aber verstehen, daß "ich und der Vater eins sind", wie der Meister Jesus sagte, dann begreifen wir, daß die innere Göttlichkeit, die durch unser höheres Selbst, unseren Schutzengel wirkt, nur ein Ziel hat: das Erheben des Niederen durch das Höhere, das Hervorbringen von Licht aus der Dunkelheit und die Entwicklung des Geringeren zum Größeren.
Wir müssen unsere Blicke höher richten, sie vom Niederen abwenden und dorthin lenken, wo sie rechtmäßig hingehören. Wenn wir das einmal tun, werden wir finden, daß unser Vater, unser Schutzengel, oder wie immer wir es bezeichnen mögen, seine Impulse auf natürliche Weise und ohne Zwang in unser menschliches Selbst herabsenden wird. Wenn unser Wunsch dahin geht, so zu leben, daß das Höhere in all unserem Denken und Handeln vorherrscht, dann wird es keine übertriebene Anspannung oder keinen Widerstreit geben. Doch wenn unsere Konzentration weitgehend auf das Befolgen der Impulse des gewöhnlichen, unentwickelten, niederen menschlichen Bewußtseins gerichtet war, während wir diese inspirierenden Einflüsse von oben fühlen und intuitiv erkennen, daß ein bestimmter Weg der richtige ist, dann werden wir uns tatsächlich äußerst gestört fühlen, denn es besteht dann ein wirklicher Konflikt zwischen dem inneren und dem äußeren Karma, ein Widerstreit, der nicht aufhören wird, bis wir uns endgültig entschließen, "lieber dem Guten als dem Angenehmen" zu folgen, wie es die Katha-Upanishad ausdrückt.
Ich wiederhole: Wir wollen uns das Karma, das der Persönlichkeit angehört, nicht als "gut" oder "schlecht" vorstellen, ebensowenig wie auch das Karma, das dem Schutzengel entströmt, weder gut noch schlecht ist. Wir wollen uns in unserem Denken von diesen Klassifikationen befreien und ein für allemal feststellen, daß alles Karma eine Gelegenheit ist. Wenn wir viele, viele Leben gelebt haben, dann ist es offensichtlich für ein Individuum unmöglich, geboren zu werden und die volle Bürde seiner Vergangenheit in einem einzigen Leben zu tragen. 'Gott paßt unsere Bürde den Schultern an' ist ein Gesetz, das universal wirkt, denn die Natur ist in jeder Hinsicht gerecht und deshalb wahrlich barmherzig.
Es gibt tatsächlich ein inneres und ein äußeres Karma, aber das innere Karma, das der inneren Göttlichkeit entspringt und durch unser höheres Selbst wirkt, mischt sich niemals vorsätzlich in das äußere Karma ein, sondern beeinflußt unauffällig die ganze Konstitution mit seinem göttlichen Einfluß. Wenn das gewöhnliche menschliche Selbst in seiner Aspiration den Einfluß dieser göttlichen Gebote fühlt, dann würde es gut tun, jenes innere Karma zu beachten und dem äußeren Karma soweit wie möglich zu gestatten, mit dem inneren übereinzustimmen. Wenn wir uns von dem inneren Karma abwenden und versuchen, unsere Persönlichkeit von der höheren Ausstrahlung zu isolieren, finden wir das äußere Karma in Konflikt mit dem inneren.
Diese Gedanken sind schwer auszudrücken, aber die Idee selbst ist einfach. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, Ihre Frage vollständig zu beantworten.
Frage: Es ist sehr aufschlußreich gewesen, aber ich möchte jetzt mehr darüber nachdenken. Was Sie gesagt haben, erinnert mich an die Stelle in den Römerbriefen, wo Paulus von dem spricht, was wir tun sollten aber nicht tun, und was wir nicht tun sollten und dennoch tun. Auf dem Papier scheint es leicht, aber befinden sich die meisten von uns nicht in einem beständigen Schwanken zwischen dem, von dem wir wissen, daß wir es nicht tun sollten und dem Nichttun dessen, von dem wir wissen, daß wir es tun sollten?
Antwort: Das Leben ist nicht immer eine einfache, klar ausgerichtete Linie der Pflicht. Manchmal kann uns unser tägliches Karma irgendwelchen echten Problemen gegenüberstellen, über die wir entscheiden müssen, und die uns - zumindest vom Standpunkt des unmittelbar daran Beteiligten aus gesehen - schwierig erscheinen. Wenn wir aber außerhalb stehen und sie von einem umfassenderen Gesichtspunkt aus betrachten können, so ist es sicher, daß uns unser höheres Selbst in Zeiten wahrer Not niemals im Stiche lassen wird, wie schrecklich das äußere Karma auch erscheinen mag. Das innere Karma, das mit dem äußeren in Widerstreit zu liegen scheint, tut das in Wirklichkeit niemals. Wenn dies so zu sein scheint, so können wir das sogar als ein Zeichen des Fortschritts betrachten, als einen karmischen Wegweiser, daß das persönliche Selbst seine Blicke erheben und die Dinge von einem höheren, vorteilhafteren Gesichtspunkt betrachten muß.
Wir sollten für den gütigen Impuls oder die richtige Führung in neue Verhältnisse dankbar sein. Deshalb haben wir auch so oft betont, wie wichtig es ist, zu versuchen, die tägliche Schrift in unserem Leben zu lesen, denn unser höheres Selbst versucht uns in Verbindung mit den natürlichen Begebenheiten unserer individuellen Beziehungen auf jene Wege der Erfahrung zu führen, auf welchen die Seele an Stärke und Verstehen wachsen kann. Der Vater in uns weiß, welche Qualitäten spirituellen Fortschritts wir bereits entwickelt haben. Er weiß auch, wo wir noch an uns arbeiten müssen und wenn es möglich ist, wird er uns tatsächlich Wegweiser, Führer auf dem Wege geben, die nicht nur unsere schwachen Stellen stärken, sondern uns erlauben werden, uns gerade mit den Erfahrungen des Leides und der Entbehrung bekannt zu machen, die uns für die Zukunft vorbereiten werden.
Frage: Wir können also wählen, ob wir lieber dem inneren oder dem äußeren Karma folgen?
Antwort: Wir wollen nicht versuchen, unser Leben zu mechanisieren, sondern trachten, natürlich zu leben, unseren Motiven gegenüber immer aufgeschlossen zu sein, dann wird es für uns nicht schwer sein zu erkennen, was "eher das Gute als das Angenehme" ist, was mehr die innere Führung, als bloße äußere Wünsche darstellt. Es ist wahr, so wie Arjuna in der Geschichte der Bhagavad-Gîtâ, befinden wir uns jeden Tag auf einem Schlachtfeld. Das Schlachtfeld ist unsere Erfahrung und Umgebung, in der wir täglich wählen müssen, ob wir uns mit den Kräften von oben oder mit den Kräften von unten verbinden wollen.
Da wir uns heute in bestimmte Verhältnisse gestellt sehen und morgen vielleicht in andere, müssen wir vor allem festhalten, daß alles Karma eine Gelegenheit ist. Ich wiederhole das immer und immer wieder, weil es der grundlegende Schlüssel ist, um mit dem Leben ohne Verzweiflung fertig zu werden, ganz gleich welcher Art die Verhältnisse oder die Umstände sein mögen. Die sogenannten angenehmen Situationen stellen an sich eine größere Anforderung an uns als die schwierigen, nämlich die Forderung, sie weise zu behandeln und sie als eine Vergütung für Gutes in der Vergangenheit zu erkennen, ohne sich von den Nöten anderer gänzlich abzuschließen, und sie einfach als eine Gelegenheit zu betrachten, als unsere innere Fähigkeit, einen Teil unserer Segnungen mit allen zu teilen. Ich spreche hier von spirituellen Werten - nicht von Gulden und Mark, Pfunden oder Dollars. Wir müssen lernen, allen Verhältnissen, welche sich aus unserem Karma ergeben, dem inneren und äußeren, weise gegenüber zu treten und sie ohne einen Gedanken an uns selbst weise zu handhaben.
Die unangenehmen Verhältnisse stellen an sich eine große Gelegenheit dar, denn, wie es eine der früheren Fragen klar machte, erweisen sich oft die schwierigsten Erfahrungen, die anfangs als bitterstes Gift erscheinen, am Ende als die "Wasser des Lebens". Das kommt daher, weil unser Schutzengel, der unsere wachsende Empfänglichkeit für seine Gebote wahrnimmt, uns stärker zu beeinflussen beginnt und uns auf diese Weise in Perioden der Prüfung "drängen" kann. Doch dadurch bietet uns das innere Karma die Gelegenheit, aus diesen schwierigen Situationen diejenigen Qualitäten unserer Natur kennen und lesen zu lernen, die der Entwicklung und der Stärkung bedürfen.
Wir haben alle die Erfahrung gemacht, daß, wenn wir den Entbehrungen und Unannehmlichkeiten richtig begegnen, uns diese nicht mehr überwältigen, aus dem einfachen Grunde, weil unsere mutige Haltung dem inneren und dem äußeren Karma augenblicklich erlaubt, harmonisch zusammen zu arbeiten.
Alles ist Karma, inneres und äußeres, höheres und niederes, spirituelles und physisches Karma, und der Meister des inneren Karmas ist die innere Göttlichkeit, die im Herzen unseres Seins wohnt. Der Meister des äußeren Karmas ist Ihre und meine menschliche Persönlichkeit. Alles ist daher Bewußtsein und unsere ganze Aufgabe, das Niedere durch das Höhere zu erheben, besteht in der selbstbewußten Umwandlung des rohen Grundstoffes unseres gewöhnlichen Bewußtseins in ein höheres, in das Gold der inneren Göttlichkeit. In dem Maße, in dem wir für die Impulse unseres inneren Selbstes immer aufgeschlossener werden, wird es uns klar werden, welche Schritte wir unternehmen sollten, um dem inneren Karma in unserem Leben mehr Einfluß zu gewähren. Dann wird der Widerstreit zwischen dem, 'was wir nicht tun, aber tun sollten' und dem, 'was wir nicht tun sollten, aber dennoch tun', nach und nach aufgelöst werden und wir werden fähig sein, die Wegweiser zu verstehen, die uns die täglichen Umstände bieten.
Die Fäden Karmas sind fein gesponnen und kein einziger Faden geht in dem größeren Muster unserer Evolution verloren. Deshalb kann es letzten Endes nichts anderes geben als Gerechtigkeit, die wiederum nichts anderes ist, als die Herstellung des Gleichgewichtes in Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung, Säen und Reifen. Warum haben wohl alle großen Religionen und Philosophien diese eine Lehre betont: Den Ausgleich der Waagschalen des Schicksals? Benützten nicht die alten Griechen die Waagschalen als das Symbol universaler Gerechtigkeit, der Ordnung und des Gleichgewichts - ein Symbol, das wir im Westen getreu übernommen haben? Haben nicht auch die Ägypter diese Wahrheit in ihrer dramatischen Szene des letzten Gerichtes betont, wie sie in ihren Papyri und Tempeln dargestellt wird: Das "Abwiegen des Herzens gegen die Feder der Wahrheit"?
Alles in der Natur wirkt auf Harmonie hin, auf das Wachstum vom Geringeren zum Größeren. Warum sollten wir den Menschen als eine Ausnahme betrachten? Wenn den physischen Bereichen Gerechtigkeit innewohnt, warum sollte sie dann nicht auch in den moralischen und spirituellen Erfahrungsbereichen sein? Und ferner, warum sollte sie nicht auch international und national, rassisch und individuell sein?