Gespräche am runden Tisch: Gut und Böse, das Atom und die Sünde
- Sunrise 3/1958
Antwort: Meinen Sie damit, wie weit es Ihnen gestattet ist, von dem abzuweichen, was Sie als richtig erkennen?
Frage: Ich vermute, darauf kommt es hinaus. Bis zu welchem Grade kann ich abweichen, oder bin ich durch den Willen Gottes vollkommen gebunden, wenn wir auch, wie Sie sagten, nur durch unseren eigenen göttlichen Teil gebunden sind?
Antwort: Letzten Endes steht jedes Geschöpf im Raum vom winzigsten Atom bis zum fernsten Stern, unter dem Einfluß des göttlichen Willens, denn alle unterstehen dem Drang der göttlichen Energien, die durch das Universum fließen und es durchdringen. Aber wir werden nicht als Sklaven oder Puppen irgendeines allmächtigen persönlichen Gottes, sondern als freiwillig Handelnde vorwärtsgedrängt, wie wenig wir uns auch unserer eigenen göttlichen Macht bewußt sind. Doch während jeder von uns sein einzigartiges Schicksal hat, das eben unser Schicksal und nicht das von irgend jemand anders ist, unsere eigene Stellung, wie Sie es ausdrücken - dieses abgegrenzte Schicksal ist dennoch keine Insel, die von allen anderen Inseln getrennt und verschieden ist, sondern ein wesentlicher Teil eines großen Kontinents von Erfahrung und Wachstum, der die ganze Menschheit umfaßt.
Frage: Das gefällt mir, weil ich schon immer das Gefühl hatte, daß wir zu einem bestimmten Zweck hier sind und daß nichts nur ein Ende hat. Ich will sagen: Alles beginnt und endet wie eine Linie und deshalb muß alles einen Anfang und ein Ende haben und mein kleiner Abschnitt Zeit wird, obgleich er im Vergleiche zum Ganzen nur wie eine Sekunde ist, meine Verantwortlichkeit und nicht die Verantwortlichkeit Gottes darstellen. Aber wie weit werde ich den "geraden und schmalen Weg" verlassen dürfen, wie weit kann ich abweichen?
Antwort: Das kann ich nicht für Sie beantworten. Niemand könnte es. Der einzige, der dies beantworten kann, sind Sie selbst. Wir alle machen immer und immer wieder Fehler, aber das ist nicht der entscheidende Faktor. Nur das Motiv unseres Lebens zählt - der Inhalt der Aspiration, die unser ganzes Denken und Handeln beherrscht. Wir spielen jedoch in dem Augenblick mit dem Feuer, in dem wir versuchen, herauszufinden, wie weit wir Unrecht tun können und dabei ungestraft davon kommen.
Frage: So habe ich das nicht gemeint. Ich wollte folgendes sagen: Gestern waren einige von uns in Los Angeles bei einem Ballspiel und wir mußten dann eine ganze Weile auf den Omnibus warten, der uns nach Hause brachte. Wie Sie wissen, ist Skid Row nicht weit von der Bus-Endstation entfernt. Dort sehen Sie alle möglichen Menschen, Männer und Frauen, und Sie können nicht umhin, sich zu wundern, wie diese so weit sinken konnten. Dann denken Sie "Gott sei Dank, daß ich nicht bin wie diese." Ich hatte immer das Gefühl, daß es niemandem erlaubt sein würde - selbst mit seinem freien Willen - soweit vom Wege abzuweichen, denn ich stellte mir vor, daß es irgend etwas gäbe, das vorherbestimmt: soweit kannst du gehen und nicht weiter. Aber offensichtlich gab es dort nichts, das diese Leute davon abhielt, in die Irre zu gehen, oder doch? Hier liegt für mich die Schwierigkeit, die Trennungslinie zwischen Fatalismus auf der einen und freiem Willen auf der anderen Seite zu bestimmen. Deshalb lautet meine Frage wieder: Wie weit kann man gehen, ohne daß irgendwelche "Bremsen" in Tätigkeit treten?
Antwort: Natürlich kann jeder vollkommen vom Wege abweichen, wenn er das mehr als alles andere wünscht. Glücklicherweise gibt es auf dem Wege gewöhnlich eine Menge Hindernisse, die meist in uns selbst liegen. Es hat nicht nur jeder sein Gewissen, das lebendig ist, wenn er einmal beginnt, es zu beachten, sondern auch unser Schutzengel, der uns öfter beschützt, als wir glauben, ist immer gegenwärtig. Wie weit können Sie gehen, ohne daß diese Bremsen Halt gebieten? Genau so weit wie Ihr Gewissen Ihnen zu gehen erlauben wird. Jeder von uns bemerkt es, wenn wir dieser warnenden Stimme entgegen handeln, die uns nie sagen wird, was wir tun sollen, die aber immer bereit ist, uns einen "Nadelstich" zu versetzen, selbst wenn wir nur daran denken, etwas zu tun, das nur uns allein nützt und eine Abweichung vom richtigen Kurs ist.
Frage: Halten Sie dann das Gewissen für ein Instrument des Willens Gottes?
Antwort: In einem gewissen Sinne könnte man sagen, daß das Gewissen das Instrument oder Werkzeug des inneren Gottes ist, denn wenn die Stimme des Gewissens durch lange Zeitalter hindurch dauernde Prüfungen und Irrtümer geboren wurde, muß sie eng mit den unermüdlichen Anstrengungen des göttlichen Teiles in uns verbunden sein, um uns mit seinem göttlichen Willen vereinen zu können. Mehr noch, wir sind unserem Schutzengel so nahe wie unserer eigenen Haut, aber diese Verbundenheit ist von zweifacher Art. Bevor wir diesen Schutz nicht verdienen, werden wir ihn nicht erhalten. "Gott läßt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten." Das Reifen von Kummer und Schmerz, von Entbehrung und Einsamkeit jedoch ist das sicherste Hindernis dafür, daß wir zu weit absinken. Wenn sich aber jemand dazu entschließt, die Stiche des Gewissens herauszufordern, muß er den schweren und oft rücksichtslosen Weg kennenlernen.
Sie haben Recht, wir wollen andere nicht zu schnell verdammen. Was aber die Hilfe auf dem Wege oder andere nicht leicht sichtbare Faktoren betrifft, so könnte jeder von uns auf Skid Row scheitern, denn es gibt keine Mittel gegen eines Menschen absichtliche Preisgabe seiner göttlichen Eigenschaft des freien Willens, außer jene, die er selbst anwenden muß. Die meisten Menschen haben - ganz gleichgültig, welche Lebenserfahrungen sie machen - tief in ihrem Inneren verwurzelt unberührte Quellen der Stärke und des Edelmutes, die durch frühere Erfahrungen gesät wurden; und wenn der Wille einmal angefeuert wird, aufwärts zu streben, dann gibt es keine Höhen mehr, die so groß sind, daß sie nicht auch der niedrigste Mensch erreichen kann, wenn er nur will.
Frage: Bei manchen dieser Leute sieht es wirklich so aus, als ob die Waagschalen zu ihren Ungunsten angeordnet worden wären, als ob Gott für sie wirklich den Weg zum Bösen vorausbestimmt hätte, noch ehe sie geboren wurden. Glauben Sie das nicht auch?
Antwort: Das glaube ich ganz gewiß nicht. Es mag vielleicht vom eng begrenzten Gesichtspunkt einer Lebenserfahrung aus gesehen so aussehen. Aber vergessen Sie nicht die Kontinuität des Bewußtseins, das Geburt und Tod umspannt. Ich verstehe, wie schwer es für uns ist, da wir geschult worden sind, in einer kurzen Lebenszeit auf Erden zu denken, diese Idee der immer und immer wieder erfolgenden Wiedergeburt der Seele willkommen zu heißen. Ich verlange auch nicht, daß Sie diese Idee annehmen, sondern nur, daß Sie sie gut überlegen, bevor Sie sie verwerfen und daß Sie nicht vergessen, daß den ersten Christen die Lehre von der Reinkarnation wohl bekannt war.
Das Muster des Wachstums ist weder ein Treffer noch eine Niete, sondern die unvermeidliche Wirkung des von Anfang an vorhandenen Dranges, der in dem göttlichen Samen unseres Universums eingeschlossen ist und deshalb auch im Samen der Gottheit, die sich im Herzen eines jeden Geschöpfes in diesem Universum befindet. Deshalb könnten die Waagschalen unmöglich gegen den Menschen ausschlagen; im Gegenteil, wenn er überhaupt gewogen werden würde, dann wäre es nur zu seinem Vorteil, denn der Druck des Entwicklungsstromes drängt immer nach vorwärts, wobei die ganze menschliche Lebenswoge langsam aber sicher in dem Strom vorwärts getragen wird.
Frage: Würden Sie dann sagen, daß die Menschen in Wirklichkeit gar nicht aufwärts oder abwärts, sondern vorwärts gehen; und würden Sie, anstatt zu sagen, ein Mensch geht abwärts, sagen, daß er eben nur nicht ganz so weit gegangen ist?
Antwort: Ja und nein. Wir müssen unsere Worte hier ziemlich sorgfältig wählen. Es gibt nichts Statisches in der Natur - wir gehen entweder vorwärts oder rückwärts. Nichts bleibt stehen - und hier liegt die Aufforderung für uns. In den Reichen unterhalb des Menschen führt der Drang immer nach aufwärts dem Menschenreich zu und das Wachstum ist dort unvermeidlich und ohne selbstbewußte Führung. Im Menschenreich aber müssen wir entscheiden, welchen Weg des Wachstums wir gehen wollen - denn es ist möglich, den Weg nach abwärts, den Weg nach unten zu gehen, es ist aber ebenso möglich, empor zu wachsen und in der Qualität unseres Bewußtseins große Schritte nach aufwärts zu tun. Alles in allem ist der Kern unseres Problems das Bewußtsein und das, was wir damit machen. Wir haben heute einen gewissen Bewußtseinshorizont, der all das darstellt, was wir sind. Dieser Horizont ist für uns in diesem Augenblick ein "Ring überschreite mich nicht", über den wir nicht hinaus können. Aber unser Vater im Innern stößt und schiebt uns die ganze Zeit, wie wenig wir uns auch seiner Absichten bewußt sein mögen, um diesen Bewußtseinshorizont zu erweitern und den "Ring überschreite mich nicht" zu überschreiten, einem entfernteren Ziele des Verstehens und der Weisheit entgegen. Natürlich machen wir in dem Prozeß des Wachstums Fehler. Aber mit der Zeit lernen wir, was richtig und was falsch ist und wenn der Strom unserer Aspiration dem Lichte zufließt, so ist das alles, was notwendig ist. Entweder gehen wir mit der menschlichen Lebenswoge vorwärts auf unser bestimmtes Ziel zu, oder - wenn wir das vorziehen - können wir vorsätzlich abwärts gehen und selbstbewußt die Verbindung mit unserem Vater abbrechen. Doch das geschieht so selten, daß wir es in bezug auf die Menschheit im allgemeinen außer acht lassen können.
Nein, es ist für uns nicht möglich, genau auf derselben Bewußtseinsebene stehen zu bleiben, weil wir uns jeden Augenblick des Tages bewegen und - wie wir hoffen - einem immer größeren und größeren Felde der Vision und der Erfahrung entgegen bewegen und mit jedem neuen Schritt einen neuen "Ring überschreite mich nicht" finden. Wenn im Augenblick des Todes der Höhepunkt im Leben eines Menschen kommt, wird ihn die vereinigte Zusammenfassung seiner inneren Gedanken während dieser Lebenszeit entweder zu einem stärkeren oder zu einem schwächeren Charakter gemacht haben.
Frage: Ich möchte Sie bitten, uns zu erklären, wo hier der Teufel in Ihr Schema paßt. Das ist keine hypothetische Frage, sondern für mich augenblicklich eine sehr reale. Wie Sie wissen, war mein Vater lange Jahre Geistlicher und wie ich immer glaubte, auch ziemlich tolerant. Er ist ein hervorragender Mensch. Aber in letzter Zeit, seitdem die Entwicklung in der Kernspaltung solch rasche Fortschritte gemacht hat, mit den Wasserstoffbomben, todbringenden Fernraketen und all den anderen Atomeinrichtungen, ist er ganz durcheinander gekommen. Er ist überzeugt, daß das alles des Teufels Werk ist und er läßt sich von seiner Meinung nicht abbringen. Wie denken Sie über das Atom?
Antwort: Ich kann Ihr Problem gut verstehen, denn es berührt den Kern des innersten Glaubens eines Menschen. Wo paßt hier der Teufel hinein - wenn es überhaupt einen Teufel gibt? Und wie betrachte ich das Atom? Vor allem möchte ich sagen, daß ich den Schrecken, den Ihr Vater über den Mißbrauch der Geheimnisse der Natur für zerstörende Zwecke hat, in hohem Grade teile. Das würde nicht so erschreckend sein, wenn die Wirkung dieser Atomwaffen auf das Schlachtfeld begrenzt werden könnte. Aber ihr tödlicher Einfluß wird sich weit und breit über das Antlitz des Globus verbreiten und die Kernstrahlung kann vielleicht selbst auf die "dritte und vierte Generation" Nebenwirkungen haben, wie die Wissenschaftler selbst zu erkennen beginnen. Für einen Geistlichen, der sich den Prinzipien der Bergpredigt widmete, muß alles, was uns anscheinend direkt zur Verderbnis führt, als "das Werk des Teufels" erscheinen. Doch ich für meinen Teil kann die Geburt und das Wachstum und die gegenwärtige schnelle Entwicklung der Kernphysik kaum als das Werk eines Teufels oder eines seiner Heere der Dunkelheit betrachten. Die Benützung von Macht für das Böse ist immer etwas Teuflisches und Bösartiges - aber sie ist nicht das Werk eines Satans oder eines Teufels.
Frage: Mein Vater würde sagen, das ist das Gleiche. Würden Sie Ihre letzte Feststellung erklären?
Antwort: Es besteht hier ein großer Unterschied, der geringfügig erscheinen mag, aber er rührt an den Kern des theologischen Problems von Gut und Böse - nämlich gut als das Wirken Gottes und böse als das Werk des Teufels. Für mich gibt es keinen Teufel, der vorsätzlich Menschen auf die Wege des Bösen führt, noch gibt es einen außenstehenden Gott, der die Menschen vorsätzlich auf die Wege der Gerechtigkeit führt. Gut und Böse sind jedoch die ewigen Wege der Natur genau so wie wir Hitze und Kälte, Tag und Nacht und alle anderen zweipoligen Erscheinungen immer um uns sehen. Aber sie sind relative Zustände von Wesen und nicht selbständige Wesenheiten. Wir sehen daher, daß Gut und Böse in den menschlichen Beziehungen relative Zustände oder Zustände des Bewußtseins sind. Wir können sagen, Gut stellt das dar, was in Harmonie mit dem aufwärts gerichteten Weg des Fortschritts ist, Böse ist, was zum Rückschritt, zur Verzerrung und Zerstörung des natürlichen Gleichgewichtes neigt. Was für die Ureinwohner der Kontinente Australien und Afrika gut erscheint, kann für uns schrecklich böse sein und vielleicht auch umgekehrt.
Frage: Nun, wenn wir uns nicht beeilen und die wissenschaftlichen Entdeckungen aufhalten, werden wir alle ausgelöscht werden. Und wenn Sie sagen, daß es keinen Teufel gibt, glauben Sie dann, daß Gott dem Menschen erlaubt, das Geheimnis des Atoms zu entdecken?
Antwort: Ich glaube nicht, daß Gott mit der Entdeckung des Atoms irgend etwas zu tun hat. Ebenso glaube ich nicht, daß uns Gott daran hindern wird, es auszuwerten. Ich glaube jedoch, daß der Mensch selbst den zerstörenden Gebrauch aufhalten wird. Auch glaube ich so fest an das Gesetz von Ursache und Wirkung, daß für mich alle Entdeckungen der Kernspaltung ein Teil der grösseren Gelegenheiten sind, die wir als eine Rasse verdient haben. Das mag seltsam erscheinen, aber des Menschen eigener Schutzengel ist sein Beschützer und wenn Sie betrachten, was das Atomzeitalter bereits im Hinblick auf die Wiedererweckung spiritueller Werte getan hat, dann, glaube ich, brauchen wir nicht zu befürchten, daß eine plötzliche Vernichtung erfolgen wird.
Frage: Sie glauben also, daß der Mensch nicht so weit gehen wird, und daß er nicht freiwillig Rassenselbstmord begeht? Sie sagten vorher, daß, wenn der Mensch wirklich in die Irre zu gehen wünscht und dem niederen Pfad lange genug folgt, er schließlich nach abwärts gehen und vielleicht sogar die Verbindung mit seinem höheren Teil abbrechen wird. Warum sollte sich nicht dasselbe mit der Menschheit ereignen, die nun eben im ganzen einige Billionen Wesen umfaßt?
Antwort: Das könnte sehr leicht der Fall sein, wenn in genügend menschlichen Wesen der Wunsch stark genug wäre, dem Pfade der Zerstörung und des Bösen zu folgen. Aber ich bin heute so sicher, so sicher ich überhaupt sein kann, daß die Waagschalen schwer auf die Seite des Rechts neigen. Warum sage ich dies? Nehmen wir den Querschnitt einer Stadt, einer Gemeinde, einer Nation, oder einer Gruppe von Nationen. Sie werden hervorragende Beispiele der besten und edelsten menschlichen Eigenschaften finden, aber auch solche der allerschlechtesten. Doch Seite an Seite mit ihnen wird die große Masse der Männer und Frauen stehen, die niemand je mit Namen kennt, die aber buchstäblich "das Salz der Erde" sind. Und warum? Weil sie in ihrer einfachen Weise Beispiele für die Eigenschaften des Mutes und der Pflichttreue sind - wie bescheiden und anscheinend unwichtig diese Pflichten auch sein mögen - und für ein natürliches Verstehen ihrer Nachbarn. Alles das wird in den Waagschalen des Schicksals so sicher und so genau gewogen, wie die glänzenderen Tugenden und hervorstechenderen Charaktereigenschaften, die hervorragendere Menschen zeigen.
Daß die Waagschalen auch mit dem Gewicht der Trägheit, der Selbstsucht und der Habgier schwer belastet sind, darüber besteht wenig Zweifel. Doch im Hinblick auf die Zukunft bin ich überzeugt, daß die Geschichte auf dieses Zeitalter als auf eines der gefahrvollsten zurückblicken wird, ja aber auch als auf eines der für den spirituellen wie materiellen Fortschritt bemerkenswertestes. Durch die Entdeckung der Kernspaltung wurde nämlich ein intensives und direktes Erforschen wesentlicher spiritueller Werte hervorgerufen, welche an sich zusammen mit dem Vorherrschen einer allgemeinen Gefahr ein feines, aber greifbares Bewußtsein unserer Einheit als Menschen entstehen läßt.
Frage: Ich gehe damit mit Ihnen einig und nehme an, daß dies die meisten jungen Leute tun. Mein Vater aber betrachtet die Sache noch von einem anderen Gesichtspunkt aus. Wie er sagt, ist dieses Atomzeitalter nicht nur das Werk des Teufels, sondern er ist davon überzeugt, daß es stärker als irgend etwas anderes beweist, daß wir alle "in Sünde geboren" sind. Was mich betrifft, so hasse ich diese Idee. Vielleicht deswegen, weil ich zu viel davon gehört habe, als ich eine theologische Schule besuchte, wo ich eine so beschränkte Art von Christentum kennenlernte, wie Sie sich überhaupt nicht vorstellen können. Der grundlegende Gedanke war dort, daß wir alle in Sünde geboren sind und dagegen nicht viel machen können, außer zu versuchen, das Leben so gut als möglich zu führen und zu hoffen, daß uns Gott seiner göttlichen Gnade teilhaftig werden läßt. Vielleicht werde ich verdammt, weil ich das sage, aber ich glaube, daß dies eines der am weitesten hergeholten und sogar schädlichsten Dinge ist. Verstehen Sie bitte, daß mein Vater ein wunderbarer Mensch ist, aber ich kann eben einige dieser Ideen nicht ausstehen. Sie scheinen mir eine solche Heuchelei zu sein und ich wäre dankbar, wenn Sie etwas mehr über diesen Begriff "in Sünde geboren" sagen würden.
Antwort: Wir wollen den einzelnen, der aufrichtig glaubt, daß der Mensch in Sünde geboren ist, nicht kritisieren, aber ich würde so wenig damit übereinstimmen wie Sie. Auch sollten wir diejenigen, die daran glauben, nicht verdammen, sondern nach Möglichkeit zu erkennen versuchen, was diesem alten theologischen Dogma zugrundeliegt, denn ein Dogma ist es ganz gewiß. Jedes Dogma, ganz gleich, wie weit hergeholtes auch ist, hat irgendeine reale Grundlage.
Kann ich einen Augenblick Ihre Bibel haben? Wir wollen die ersten drei Kapitel der Genesis vornehmen und sehen, wie grausam und unbefriedigend sie ist, wenn sie wörtlich genommen wird und wie schön sie wird, wenn man sie als eine Allegorie der Geburt des Menschen versteht. Nach der Erschaffung der Himmel und der Erde im ersten Kapitel kam für Gott oder die Elohim - im Hebräischen wörtlich "Götter" - die Zeit, den Menschen zu erschaffen. So wurde im zweiten Kapitel aus dem Staub der Erde Adam geformt. Die Elohim bliesen ihm den Atem des Lebens ein und der Mensch wurde eine lebendige Seele. Dann wurde in Eden ein Garten angelegt, in dessen Mitte der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse stand. Adam war natürlich dort und, nachdem alle Tiere erschaffen worden waren, sah Gott der Herr, daß Adam keinen Gefährten hatte. Er versetzte ihn in einen tiefen Schlaf, nahm ihm eine 'Rippe' heraus und schuf daraus die Frau. So haben wir jetzt Adam und Eva im Garten Eden, die nackt waren, ohne sich zu schämen, und die davor gewarnt wurden, vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Nun das dritte Kapitel: Hier erscheint eine Schlange und überredet sie, von dem verbotenen Baume zu essen, denn "sie werden sicherlich nicht sterben", sondern "wie die Götter werden, die Gut und Böse kennen". Eva hört darauf und sieht, daß es nicht nur gut ist, davon zu essen und etwas Hübsches zum Anschauen, sondern daß es ein Baum ist, der einen "weise macht". Und so entschied sie sich, die Frucht zu versuchen und teilte sie dann mit Adam. Wir lesen ferner von dem schrecklichen Fluch, den Gott Eva dafür auferlegte, daß sie Adam verführte und daß das ganze Leben aus Kummer, Arbeit und Kampf bestehen wird. Hören wir nun den Schluß des dritten Kapitels in bezug auf den Baum des Lebens: "Und Gott der Herr sagte: Der Mensch ist wie einer von uns geworden und weiß, was Gut und Böse ist, nun aber, damit er seine Hand nicht ausstrecke, um auch von dem Baum des Lebens zu brechen, davon zu essen und ewig zu leben...." So vertrieben die Elohim Adam und Eva aus dem Garten und stellten Cherubim und ein flammendes Schwert an den Eingang, um den Baum des Lebens vor den Menschen zu schützen.
Das war in Kürze die hebräische Art, die Genesis unseres evolutionären Wachstums von einem Zustand mangelnden Selbstbewußtseins, der der Unschuld und der Unverantwortlichkeit der Tiere ähnlich war, zu einer selbstbewußten Erkenntnis unserer Menschlichkeit darzulegen. Ursprünglich androgyn, d.h. die Potentialität des Männlichen und Weiblichen enthaltend, verfiel Adam in einen "tiefen Schlaf", währenddem die Elohim eine seiner Rippen entfernten - es ist bemerkenswert, daß im Hebräischen das Wort dafür "Seite" ist - wodurch eine natürliche Teilung der Geschlechter stattfand und die kindliche Menschheit als vollgeschlechtliche Männer und Frauen erwachte. Mit dem Kosten von der verbotenen Frucht kam die Erkenntnis ihrer "Nacktheit" oder Verantwortlichkeit und der Wunsch, "Feigenblätter zu Schürzen zu flechten" um etwas hinsichtlich ihrer neugewonnenen Erkenntnis zu tun.
Aus diesem Grunde war die Schlange ursprünglich in fast jedem Lande nicht ein Symbol der List oder der Täuschung, sondern vielmehr ein Symbol der Weisheit und ein Bringer von Licht und Erkenntnis. Wenn wir die Schlange der Genesis in der Rolle eines Lichtbringers betrachten - was Luzifer bedeutet - können wir sehen, wie erstaunlich verschieden unsere Vorstellung vom Ursprung des Menschen sein wird.
Frage: Ich stimme dem, was Sie eben sagten, zu. Tatsächlich habe ich bis jetzt nicht viel gefunden, womit ich nicht übereinstimme. Wenn Sie jedoch mit einigen Leuten, mit denen ich zur Schule ging, sprechen würden, würden Sie tatsächlich in ein Wespennest stechen. Aber nach allem, was Sie gesagt haben und was doch so natürlich erscheint, wie kamen wir denn auf diese Idee, "in Sünde geboren" zu sein?
Antwort: Das ist eine der verderblichen Wirkungen, die aus der allzu wörtlichen Auslegung des angeblichen Gotteswortes herrührt, und die daher kommt, daß wir aus dem, was wir von einer Wahrheit verstehen, ein Dogma machen, wobei unser "Verstehen" auch jeder Grundlage entbehren kann. Sie sehen, als Adam und Eva aus dem Garten Eden, aus dem Paradies vertrieben wurden, "fielen" sie buchstäblich aus ihrem früheren Zustand des Friedens und der glückseligen Unbewußtheit in einen Zustand des Kampfes, des Aufruhrs und der Verwirrung bei der Wahl zwischen Gut und Böse. Von da an wurde der Mensch "in Materie" geboren, aber nicht "in Sünde". Er ist "verflucht", sich abzumühen und zu leiden, aber mit dem Schmerz und Kampf jeder Geburt kommt immer die Schönheit und der Triumph der Schöpfung. Das ist das von dem gefallenen Engel zurückgelassene Erbe, der die Form einer Schlange annahm und jenes herrliche Stück weißer Magie vollbrachte, indem er das latente Gemüt zu dynamischer Tätigkeit entfachte und uns auf diese Weise unsere bewußte Verbindung mit dem Atem der Gottheit gab, als die Elohim in diesen Lehmklumpen ihren Atem einhauchten und aus dem Menschen "eine lebendige Seele" machten.
Frage: Wenn Sie es so betrachten, ist die Bibel wirklich ein wunderbares Buch. Aber ist es nicht schwierig, sich durch einen solchen Haufen von falschen Auslegungen durchzuarbeiten?
Antwort: Das ist wahr. Es gibt nichts Falsches in den reinen Lehren des Meisters Jesus, aber es ist viel Falsches in den Auslegungen, die manche unserer Theologen der ursprünglichen Botschaft hinzugefügt haben, und von denen wir bis jetzt noch nicht ganz losgekommen sind. Aber eines der ermutigendsten Zeichen ist heute die Erweiterung des Horizonts, die durch unsere verstärkte Berührung mit den spirituellen Glaubensanschauungen anderer Völker auf der ganzen Erde stattfindet.
Frage: Verzeihen Sie, aber ich habe eine Frage, die ich hier gerne einwerfen möchte, wenn ich darf. Sie bezieht sich wieder auf den Willen Gottes. Welche ist die beste Methode, herauszufinden, was der Wille Gottes in bezug auf jeden von uns ist?
Antwort: Das ist eine schöne und gute Frage, mit der wir schließen wollen. Die erhabenste Regel der Lebensführung ist vielleicht in dem Ausruf des Meisters in Gethsemane zu finden: "Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe." Laß nicht den Willen des persönlichen Menschen die Oberhand gewinnen, sondern, oh mein Vater, wirke durch mich und setze Deinen göttlichen Willen in Tätigkeit. Wenn wir uns dem Willen unseres Vaters anpassen können, ganz gleich, wie oft wir dabei versagen oder wie sehr wir von unserem inneren Ideal abweichen, werden wir finden, daß wir letzten Endes nicht den Willen des irrenden menschlichen Selbstes, sondern wahrlich Gottes Willen ausführen werden, denn es wird der Wille unserer eigenen inneren Göttlichkeit sein. "Es ist der Vater, der diese Dinge tut, nicht ich" - unser innerer Vater ist Gottes Wille in Tätigkeit durch unsere eigene individuelle Seele, der einzige Wille Gottes, der tatsächlich irgendeine Grundlage haben kann, soweit wir in Betracht kommen. Gottes Wille ist für Sie nicht derselbe wie für mich oder für irgend jemand anders. Es ist die Göttlichkeit in jedem von uns, unser eigener Teil der göttlichen Essenz, unser eigener individueller Vater, der uns allein den Willen klarmachen kann, dem wir individuell folgen müssen.
Sie fragen, wie wir uns am besten unserem göttlichen Willen anpassen? Nicht mein Wille, sondern der Wille des Vaters geschehe. Soweit wir fähig sind, unsere Gebete und unsere Aspirationen auf den Vater abzustimmen und uns an seine Vorschriften halten, werden wir in Hülle und Fülle Führung erhalten. Aber ich wiederhole: niemand kann für einen anderen voraussagen, was der Wille des Vaters ist. Jeder einzelne trägt die Verantwortung, dies für sich selbst zu bestimmen. Seine Gebote werden auch nicht in so und so vielen Worten gegeben, die wir hören können, aber sie sind trotzdem da.
So können Sie sehen, daß der Mensch sein eigener Mahner und Führer ist und er keine Furcht zu haben braucht, denn wenn er auch aus dem Staub der Erde gebildet ist, fließt der Atem der Elohim durch ihn und als "eine lebendige Seele" kann er tatsächlich "die Engel richten".