Gespräche am runden Tisch: Zyklen der Erfahrung
- Sunrise 1/1957
Antwort: Wie und wann nahm die Idee von der Reinkarnation ihren Anfang? Ich kann Ihnen ebenso wenig sagen, wann die Reinkarnation ihren Anfang nahm, wie ich Ihnen sagen könnte, wann die Sonne, der Mond und die Sterne ihren richtigen und harmonischen Kreislauf begannen. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß das Prinzip der Ebbe und Flut einer der "ewigen Wege" der Natur zu sein scheint, denn das Gesetz des zyklischen Fortschreitens ist so alt wie die Welt; es war schon in Tätigkeit, als das Sonnensystem ins Dasein trat und war - noch weiter entrückt in Zeit und Raum - schon eine Gewohnheit, als unser Heimuniversum mit seinen zahllosen Milchstraßen und Sonnensystemen zu Beginn aus der Dunkelheit des Raumes hervorkam. Seine Ausdrucksformen auf unserer Erde sind mannigfaltig: Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Tätigkeit und Ruhe - alles verschiedene und individuelle Arten der Ebbe und Flut in der Bewegung der Gottheiten - Universen, die endlose Zeiten hindurch kommen und gehen. Alles in der Natur ist auf diese Weise diesem einen Gesetz der Erneuerung der Form, der Geburt und des Todes, des Todes und der Geburt unterworfen, um für den innewohnenden Geist neue Vehikel zu liefern. Reinkarnation in der Bedeutung der Wiederaufnahme eines leiblichen Körpers bezieht sich auf die Wiedergeburt der Seele hier auf Erden - eine besondere Anwendungsform des allgemeinen Gesetzes der Erneuerung oder Wiederverkörperung.
Frage: Aber diese Idee der Reinkarnation ist so neu. Ich denke natürlich noch an meine Studienzeit zurück, in der wir in unseren Vorlesungen über Literatur die Dichter studierten, aber wenn Shelley, Wordsworth und Tennyson, und auch Goethe und Lessing von anderen Welten sprachen, von denen sie gekommen seien und davon, daß sie wüßten "vorher schon einmal hier gewesen zu sein", dann hielt ich das für dichterische Phantasie. Ich liebte die Schönheit ihrer Schöpfungen, aber es kam mir nie in den Sinn, daß sie das wirklich buchstäblich meinen könnten. Nun, da ich älter werde, bin ich nicht mehr so sicher. War dieser Glaube schon in anderen Zeitaltern bekannt?
Antwort: Er War es tatsächlich. Wenn wir sowohl die Schriften als auch die mündlichen Überlieferungen des Orients, Kleinasiens, Griechenlands und Persiens sorgfältig studieren, finden wir klare Hinweise auf einen Glauben - sei er in dieser oder in jener Form - an eine Wiedergeburt. Denn wenn wir richtig mit ihr bekannt werden, so sagt die heilige Überlieferung, daß Sie und ich als menschliche Wesen in der Essenz wahrhaft Götter sind, potentielle Gottheiten, die sich in unaufhörlicher Tätigkeit befinden und danach streben, ihren Weg zu finden. In diesem Streben kehrten wir als menschliche Wesen, ob bewußt oder unbewußt, zahllose Zeitalter hindurch, auf diese Erde zurück und verließen sie wieder, denn es ist die grundlegende Gewohnheit der Natur, sich in Spiralform zu entwickeln - der Aktion folgt die Reaktion, der Ursache die Wirkung. Deshalb war die Idee der Wiedergeburt immer mit dem Begriff der Gerechtigkeit verbunden: Was ein Mensch sät, muß er später ernten, wenn der Kreis des Zyklus von Ursache und Wirkung zu ihm zurückkehrt, ob dies nun in diesem Leben oder in einem zukünftigen Dasein der Fall ist. Ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß es hinsichtlich der Reinkarnation vielerlei falsche Ideen gibt.
Frage: Ja, ich machte kürzlich diese Erfahrung, als bei einer Klubversammlung während der Kaffeestunde eine Dame auf mich zukam und mich unvermittelt fragte, was ich über die seltsame sich im Umlauf befindliche Idee denke, daß wir wieder auf Erden zurückkämen. Nun, ich selbst glaubte immer schon an die Idee der Reinkarnation, hatte es aber niemals anderen gegenüber zum Ausdruck gebracht, weil ich fürchtete ausgelacht zu werden. Deshalb sagte ich nicht viel, sondern ließ sie sprechen und das erste, was sie sagte, war: "Nun, mir gefällt es eben ganz und gar nicht, denn ich halte es für schrecklich, zu denken, daß ich als ein Esel oder eine Kuh oder irgendein anderes Tier zurückkommen könnte." Ich sagte ihr natürlich, daß das Unsinn sei, und daß wir, nur als ein menschliches Wesen zurückkommen würden, aber ich konnte keine Argumente zu meiner Unterstützung vorbringen. Was würden Sie sagen?
Antwort: Sie haben recht, es ist dem Vorwärtsdrängen der Natur ganz und gar entgegengesetzt, daß die menschliche Seele in ein Vehikel zurückgehen soll, das niedriger ist als das menschliche. Das ist nicht Reinkarnation oder Wiederverkörperung wie die Heiligen Schriften jedes Landes und aller Zeitalter sie gelehrt haben, sondern es ist ein entarteter Glaube, der gänzlich falsch, und den Tatsachen völlig entgegengesetzt ist. Unglücklicherweise führen einige der dogmatischen östlichen Glaubensbekenntnisse, wenn falsch verstanden, zu der Annahme, daß man, wenn man ein übles Leben lebt, als ein Schwein oder ein Tiger, ein Leopard oder eine Schlange zurückkehren kann. Doch das kommt davon, weil deren Auslegungen in gewisser Hinsicht genau so dogmatisch kristallisiert sind wie die unsrigen im Westen. Die ursprüngliche Lehre der Hindus und der Buddhisten lehrt nicht die Wanderung der Seele in Tierkörper; - weit gefehlt! Aber man wird in ihren Texten Hinweise auf die Transmigration gewisser niedriger Lebensatome in die Körper niedriger Reiche für eine Zeitlang finden. Doch das ist eine ganz andere Sache und hat durchaus nichts mit der reinkarnierenden Seele zu tun.
Frage: Sie denken also, daß keine Möglichkeit besteht, daß man in einen Tierkörper zurückkehrt, auch nicht durch einen Irrtum?
Antwort: Es gibt ganz und gar keine Möglichkeit, denn die wahre und ursprüngliche Lehre über die Wiedergeburt oder Reinkarnation betonte diesen einen Punkt: "Einmal ein Mensch, immer ein Mensch!" Es sei denn, Sie werden etwas Höheres. Denken Sie einen Augenblick lang an die ungeheure Ungerechtigkeit für die menschliche Seele, wenn sie durch ein Kunststück schwarzer Magie gezwungen würde, im Körper eines Tieres zu inkarnieren, ohne die Möglichkeit, die göttlich-menschlichen Eigenschaften zum Ausdruck bringen zu können. Versuchen Sie nur einmal, sich vorzustellen, Sie müßten mit Ihrem Grad an Selbstbewußtsein und Intelligenz einen herrlichen Sonnenuntergang mit den Augen Ihres Schoßhundes betrachten! Welche Marter und Qual des Eingesperrtseins würde diese Erfahrung auslösen. Nein! Wenn wir uns einmal mit Hilfe unseres göttlichen Funkens die Möglichkeit erworben haben, uns als Mensch zum Ausdruck zu bringen, werden wir nicht rückwärts gehen, sondern beständig aufwärts und vorwärts schreiten. Es sei denn - und das ist die einzige Ausnahme - die Seele zerreißt das Verbindungsglied mit dem Vater im Innern indem sie während einer langen Reihe von Leben absichtlich schlechte Handlungen vollbringt. Sie wird dann durch ihren selbstbestimmten Rückschritt wirklich eine "verlorene" Seele, die ihr Recht verloren hat, an dem vorwärts führenden Strom der Evolution teilzunehmen. Glücklicherweise ereignet sich ein solcher "Bruch" des göttlichen Kontaktes tatsächlich selten, aber wenn er stattfindet, dann werden die individuellen Lebensatome, die vorher durch die verlorene Seele beherrscht wurden, nur in niedrigeren Formen als die menschliche, in Tier- und selbst in Pflanzenvehikeln eine Möglichkeit finden, weil sie mit untermenschlichen Neigungen derart durchtränkt sind. Doch das ist nicht die Bestimmung der höher strebenden menschlichen Seele, die, mit ihrem Vater im Innern verbunden, in jeder neuen Wiedergeburt als ein menschliches Wesen auf Erden eine Ausweitung des Verstehens und des Bewusstseins sucht.
Frage: Das ist ein wunderbares Bild. Es eröffnet "magische Guckfenster", die ich mir niemals träumen ließ. Aber warum hat man uns das nicht in der Schule und in der Kirche gelehrt?
Antwort: Das ist eine lange Geschichte und ich möchte nicht versuchen, den Grund anzugeben, warum die ersten Kirchenväter bei der Bearbeitung der Texte der Christlichen Schriften gewisse, damals im Umlauf befindliche Lehren entfernten, welche nicht nur den Begriff von der Wiedergeburt berührten, sondern auch andere Dinge hinsichtlich der Beziehung der Seele zum ganzen Sonnensystem behandelten, Ideen, die eine viel umfassendere und universalere Philosophie vermittelt hätten als sie jetzt in diesem Glaubensbekenntnis enthalten ist. Es verbleibt die Tatsache, daß gerade die Lehre über das Bedürfnis der Seele für wiederholte Erfahrungen auf Erden in einem der ersten Kirchenkonzile öffentlich mit dem Bannfluch belegt wurde. Mit anderen Worten, sie wurde formell aus dem von der christlichen Kirche geforderten Glauben gestrichen - ein Ereignis, das eine der Stufen der Kristallisation und daher des Verfalls des wahren Christentums bezeichnet. Mit anderen Worten: nachdem die Botschaft des Meisters Jesus für die damaligen Völker nicht mehr ein lebendiges und wachsendes Forschen nach Wahrheit darstellte, sondern sich zu einem wohlumrissenen und organisierten Glauben verdichtet hatte, wurde für den Menschen eher das Glaubensbekenntnis der Kirche als sein innerer Gott zu seinem Mahner. Doch selbst so wie die Bibel heute ist, kann man darin Hinweise auf die Idee der Wiedergeburt finden. Man muß danach suchen, weil sie mehr andeutungsweise als direkt angegeben sind. Trotzdem deuten sie auf die allgemeine Annahme des Glaubens an die Wiedergeburt in irgendeiner Form durch die Völker Kleinasiens hin.
Frage: Wir sind alle vollkommen vertraut mit der Behauptung des Apostels Paulus "Gott läßt sich nicht spotten" und, daß, was immer wir säen, wir eines Tages ernten werden - doch wie können wir die schrecklichen Ungerechtigkeiten des Lebens mit einem alliebenden Gott in Einklang bringen?
Antwort: Das ist es gerade, wir können es nicht in Einklang bringen, wenn wir die Erfahrung der Seele auf eine kurze Spanne von etwa 70 Jahren beschränken - denn wie wäre es da für uns möglich, die Wirkungen unseres Säens zu ernten? Nein, die Idee der Wiedergeburt ist im wesentlichen eine Idee der Hoffnung, denn sie gibt uns das sichere Gefühl der Gerechtigkeit - im Verlaufe der Zeit.
Frage: Könnten Sie uns irgendwelche Hinweise auf die Wiedergeburt in der Bibel angeben?
Antwort: Der erste, der mir einfällt, ist im Matthäus, wo Jesus seine Jünger fragte: "Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn sei?" Und sie erwiderten: "Etliche sagen, du seiest Johannes der Täufer; die anderen, du seiest Elias, etliche du seiest Jeremias oder der Propheten einer." Nun, warum würde Jesus eine Frage wie diese an seine Jünger gerichtet haben, wenn die Idee der Wiedergeburt nicht allgemein verbreitet gewesen wäre? Er fragte nicht, ob die Leute glaubten, daß er schon früher gelebt haben könnte oder nicht, sondern nahm das für selbstverständlich an. Er fragte nur, wer sie dächten, daß er gewesen sein mag.
Frage: Daran habe ich nie zuvor gedacht, aber haben Sie einen klareren Hinweis?
Antwort: Nun, wie steht es mit der Geschichte des blinden Mannes, wie sie in dem Johannes Evangelium berichtet wird? Wir alle kennen sie, wo Jesus an einem blindgeborenen Manne vorüberging und ihn seine Jünger fragten: "Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind geboren ist?" Erinnern Sie sich der Antwort von Jesus? - "Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, aber die Werke Gottes sollten an ihm offenbar werden." Beachten Sie, daß Jesus sich nicht die Mühe nahm, des langen und breiten zu erklären, ob der Mann schon vorher gelebt hatte oder nicht - die von den Jüngern gestellte Frage setzte das als gegeben voraus. Das Wichtige ist hier, daß Jesus den ganzen Begriff der Aktion und Reaktion, der Ursache und Wirkung, von einer bloß "Aug um Auge und Zahn um Zahn" Atmosphäre auf eine umfassendere und mitleidsvollere Ebene erhebt, daß Karma - oder das Reifen früherer Saat - nicht notwendigerweise eine vergeltende Erfahrung, sondern immer eine Gelegenheit der Seele zum Wachstum ist. Auf diese Weise zeigte er, daß die Blindheit nicht Strafe ist, sondern ein Weg der Erfahrung, auf dem die "Werke Gottes (des inneren Gottes oder des Vaters im Innern) geoffenbart werden können", wobei das Gesetz oder das Auswirken des dem blinden Menschen anhaftenden Schicksals erfüllt werden kann.
Frage: Ich möchte gerne eine Frage stellen, die mich immer gequält hat. Wenn wir sterben, verlieren wir dann unsere Persönlichkeit? Wie werde ich mich zum Beispiel selbst erkennen, wenn ich zurückkomme, und ich eine neue Persönlichkeit habe?
Antwort: Sie hatten keine Schwierigkeit, sich diesmal zu erkennen, oder doch? Nein, Sie nehmen sich selbst wie Sie in all Ihrer Stärke und Ihren Schwächen sind. Diese sind Ihnen so vertraut wie die Luft, die Sie atmen, und zwar aus dem Grunde, weil sie die Zeitalter hindurch mit Ihnen selbst gewachsen sind. Die Persönlichkeit ist nicht das Wirkliche an Ihnen, sondern nur eine Maske, die Sie tragen und diese Maske hat, während Sie Ihre schwierigen Rollen in dem langen Drama der Erfahrungen seit dem Garten Eden gespielt haben, tausend und abertausendmal gewechselt. Wenn wir daher sterben, verlieren wir alles, was zu dieser besonderen Maske, die wir eben getragen haben, in Beziehung steht. Mit anderen Worten, wir verlieren unser physisches Gehirn und unseren physischen Körper, die wir als Marie Braun oder als Hans Schmidt benützt haben. Das Reinkarnierende Element jedoch, das Marie Braun und Hans Schmidt in einer bestimmten Lebenszeit benützen, wird wieder und wieder zurückkehren. Es nimmt jedesmal eine neue Persönlichkeit an, ein neues Gehirn, einen neuen physischen Körper, die durch Karma tauglich gemacht wurden, mit deren Hilfe wir wachsen und die Lektionen des neuen Lebens lernen können. Warum, vermuten Sie, daß der Meister Jesus sagte: "Ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes". Er sagte nicht, eines toten, sondern eines lebendigen Gottes, der in und durch unsere Persönlichkeiten wirkt und unser Herz und Gemüt beseelt.
Frage: Was ist es dann eigentlich, was reinkarniert? Ist es der göttliche Funke oder der lebendige Gott, der reinkarniert?
Antwort: Nein der göttliche Funke selbst reinkarniert nicht, so wenig wie die Sonne selbst herabkommen und ihre pflichtgemäße Laufbahn verlassen könnte. Trotzdem, genau wie die Wärme und das Licht der Sonne alle Schichten der Atmosphäre zwischen der Sonne und der Erde durchdringen, so ist es auch mit dem Menschen: Der Funke der Gottheit bleibt, alles überragend, in seinem eigenen göttlichen Bereich, aber sein Licht oder seine vitale Essenz durchdringt unsere gesamte Natur und sammelt seine Kräfte wie durch einen Brennpunkt durch die spirituelle Seele, damit er den höchsten mentalen und wahrhaft menschlichen Teil, unser Höheres Selbst, erleuchten kann. Es ist deshalb jenes immerwährende unsterbliche Element in uns, welches von Leben zu Leben dauernd bei jeder Geburt auf Erden in einer neuen Persönlichkeit reinkarniert. Aber das Göttliche per se muß Mittler oder 'Umformer' haben, um seine höhere Macht herabzuleiten und deshalb reinkarniert es nicht unmittelbar selbst. Dessenungeachtet könnte das reinkarnierende Element getrennt von seinem göttlichen Ursprung, unserem Vater im Innern, so wenig existieren oder wirksam sein, wie ein Sonnenstrahl von seinem Ursprung getrennt existieren oder wirksam sein kann, der ihm Geburt gab und aus dem er hervorströmt, um nicht nur der Erde und all ihren lebenden Geschöpfen, sondern dem ganzen Bereich des Sonnensystems Leben und Nahrung zu geben.
Frage: Für die meisten von uns scheint der Gedanke, dem Vater im Innern nahe zu kommen, ungeheuer fern zu liegen. Wenn wir ernten, was wir säen, und ich für mich fühle, daß das wahr ist, dann müssen wir daraus schließen, daß wir eine sehr lange Zeit geerntet und gesät haben. Das erscheint mir wie eine Bürde, die zu tragen beinahe zu schwer ist. Mir will die Idee nicht eingehen, daß wir Tausende von Zeitaltern uns allein vorwärts kämpfen mußten und dabei zahllose Fehler machten, indem wir Felder um Felder voll Unkraut säten, ohne die Kraft und das Wissen, die uns hätten führen können.
Antwort: Aber wir sind ja nicht allein gewesen und wir sind auch jetzt nicht allein. Als der göttliche Funke uns aus dem Garten Eden führte und im wesentlichen sagte: Du bist nun einen langen Weg bis hierher gegangen und kannst dir jetzt das Recht erwerben, dein Schicksal selbst zu bestimmen - hat uns diese Göttlichkeit nie verlassen. Sie zog sich tief in unsere Seele zurück und verbleibt heute als unser Schutzengel dort. Sie sagt uns jeden Tag, wenn wir nur darauf hören wollen: Du bist mein verlorener Sohn. Gehe deinen Weg; durchkämpfe den Schmerz, das Leid und die Freude, die du dir selbst bereitest. Aber von jetzt ab mußt du die Zyklen der Erfahrung auf Grund deines eigenen freien Willens durchwandern. Wenn du dann deinen Weg zu mir zurückfindest, wirst du stark und reich geworden sein - in der Tat, du wirst ein Gott sein wie ich.
Dieser göttliche Funke hat uns nie verlassen und wird es niemals tun; denn seine wahre Natur ist es, seinen Einfluß auszustrahlen, bis wir nicht nur seine Gegenwart erkennen, sondern uns auch entschließen, in Zukunft mit ihm zu arbeiten und wie er zu werden.
Nein, wir sind weder je allein gewesen, noch tragen wir die ganze Bürde unserer früheren Irrtümer in einer Lebenszeit. Haben wir in unseren tausenden von Leben nicht auch schon schöne Blumen in den Garten der Seele gesät und nicht nur Unkraut? Wir brauchen nie das Gefühl zu haben, daß wir den Druck von uns selbst nicht ertragen können: "Gott paßt die Bürde den Schultern an". Das bedeutet jedoch nicht, daß die göttliche Intelligenz jeden von uns mit dem Maßstab mißt und uns für heute, morgen und den nächsten Tag genau so und so viel aufbürdet und nicht mehr. Das braucht er nicht zu tun, weil in jedem von uns Sein individueller Vertreter, ein Funke jener allumfassenden göttlichen Intelligenz vorhanden, der unser eigenes Höheres Unsterbliches Selbst ist, das wir letzten Endes vollkommen kennen lernen werden.
So ist es in aller Wahrheit unser Vater, der als unser Schutzengel und Beschützer wirkt und nur jenen Teil von Karma aus der Last vergangener Erfahrung freigibt, den wir unserer augenblicklichen Stärke entsprechend und in unserer Unreife heute, morgen und am nächsten Tag zu tragen fähig sind.
Wir können aus der Erkenntnis Mut schöpfen, daß, wenn unsere Sorgen größer zu sein scheinen als wir es ertragen können, in uns jene Führerschaft vorhanden ist, die uns die Stärke und die Weisheit gibt, um der Schwierigkeit zu begegnen. Die einfache Tatsache, daß wir heute hier auf Erden leben, ist ein Beweis, ein bedeutender Beweis dafür, daß wir die Fühlung mit unserem inneren Gott nicht verloren haben - sonst würden wir nicht als lernende, strebende menschliche Seelen hier sein, die manchmal tief im Tal der Schmerzen wandern, aber zu anderen Zeiten überschäumen in einer göttlichen Hoffnung und vorwärts gedrängt werden von einer leuchtenden Vision.
Es ist sehr spät und wir müssen für diesen Abend schließen. Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen!