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3 – Karma

Ein Menschenleben ist voller Ungerechtigkeiten: Unterschiede in den materiellen Voraussetzungen, in den Möglichkeiten und Fähigkeiten und ebenso natürliche oder von Menschen gemachte Katastrophen bringen für hunderte Menschen Leiden ohne irgendeine erkennbare Ursache auf der Seite der Opfer. Gibt es in einer solchen Welt Gerechtigkeit? Können die hinter diesen Ereignissen stehenden Ursachen gefunden werden?

Gewiss leben wir nicht in einem willkürlichen Universum. Physische Ursache und Wirkung bilden die Grundlage sowohl der wissenschaftlichen Erkenntnis als auch der tagtäglichen Entscheidungen. Aber oft verfehlen wir zu erkennen, dass die physische Welt nur die Wirkung oder die äußerste Hülle eines Kosmos ist, der beinahe gänzlich aus Bewusstseins- und Substanzstufen zusammengesetzt ist, die von unseren Sinnen nicht leicht wahrgenommen werden können. Er besteht aus den Körpern von lebenden Organismen, die ein grenzenloses Netz von miteinander verbundenen Leben bilden, die miteinander agieren und aufeinander reagieren.

Diese universale Aktion und Reaktion oder Ursache und Wirkung wird Karma genannt, ein Sanskritwort mit der Bedeutung „Tätigkeit“. Obwohl einige religiöse Überlieferungen es als den persönlichen Willen eines göttlichen Wesens darstellen, ist Karma allgemein gültig und unpersönlich, eine der Natur innenwohnende Eigenschaft. Jede Handlung, jeder Gedanken oder jedes Gefühl ist eine Energie, die sich auf das Universum auswirkt. Das Universum reagiert selbstverständlich, und früher oder später fällt die Kraft wieder auf ihre Quelle zurück. Aktivitäten, die mit den natürlichen Mustern in Harmonie sind, erhalten und stärken jene Harmonie, was dann auf den Erzeuger wieder reflektiert wird; Aktivitäten, die mit den Naturmustern in Konflikt stehen, schaffen Disharmonie, die auch auf den Initiator zurückgeworfen wird. Wenn wir das als Strafe oder Belohnung bezeichnen, projizieren wir damit nur unsere eigenen Gefühle auf den natürlichen Prozess, durch welchen das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, nachdem Individuen durch die Anwendung ihres Willens Ursachen erzeugten.

Da wir den direkten Grund unseres Charakters, der Umstände, Beziehungen, der Freuden und Leiden, nicht erkennen, sind wir geneigt, diese als Zufall, Glück, Schicksal oder als den Willen Gottes zu erklären. Die Ungleichheiten im menschlichen Leben sind jedoch von den betroffenen Menschen verursacht – als Einzelperson oder Gruppe. Das geschieht unbemerkt, besonders wenn wir uns als bei der Geburt gänzlich neu geschaffen betrachten, anstatt als Ausdruck eines spirituellen Bewusstseinszentrums mit einer vorherigen Geschichte, die so alt ist wie das Universum selbst.

Wesen, die das menschliche Stadium erreicht haben, haben auf der Erde bereits viele Leben als Menschen verbracht. Sie haben aus sich selbst heraus und als Reaktion auf die Umstände besondere Eigenschaften entwickelt und haben gewisse Fähigkeiten und Mängel verstärkt. Ferner hat jedes Individuum im Kontakt mit anderen Ursachen in Bewegung gesetzt, die ihn zu bestimmten Menschengruppen hinziehen, um die Wirkungen zu erfahren. Jeder Mensch wird mit vielen Neigungen und Beziehungen geboren, die in einer neuen Reihe von Umständen auf eine Gelegenheit warten, sich zum Ausdruck zu bringen und modifiziert zu werden. Wenn wir die vielen Ursachen betrachten, die wir in nur einer Lebenszeit in Bewegung gesetzt haben, brauchen wir uns nicht über die Vielfalt der Umstände auf der Welt zu wundern.

Warum erinnern wir uns nicht an die Ursachen?

Der Grund, warum wir uns vieler von uns in Bewegung gesetzter Ursachen nicht bewusst sind, liegt in unserer komplex zusammengesetzten Struktur. Während des Lebens identifizieren wir uns beinahe gänzlich mit unserer Persönlichkeit und unserem Körper, aber diese Persönlichkeit oder dieses alltägliche psychologische Selbst überlebt den Tod genauso wenig unversehrt wie der Körper. Wenn sich die spirituellen Aspekte aus unserem psychologischen „Körper“ zurückziehen, zerstreuen sich die ihn zusammenhaltenden Kräfte und er zerfällt in psychologische „Atome“, die genauso durch die Natur zirkulieren wie die physischen Atome unseres Körpers nach dem Tod. Wenn die Zeit der Wiedergeburt kommt, sammelt sich das meiste dieser mental-emotionalen Substanz erneut, um die neue Persönlichkeit zu bilden, und die neu zusammengesetzten Elemente haben keine Erinnerung an die Persönlichkeit, bei deren Aufbau sie vorher mitgeholfen haben. Weil diese Atome nichtsdestoweniger eine Prägung der Qualitäten und Neigungen in sich tragen, die ihnen in der letzten Verkörperung eingeprägt wurden, ist die „neue“ Persönlichkeit die direkte Folge und die reihenmäßige Fortsetzung der vorherigen. Wir werden von diesem Karma, das wir nicht gänzlich verstehen oder an das wir uns nicht ganz erinnern, berührt, weil es buchstäblich ein Teil von uns ist, von uns gestaltet wurde.

Dennoch sind wir mehr als psycho-mentale Wesen. Unsere spirituellen Aspekte sind beständig und bewahren die Aufzeichnungen unserer Vergangenheit. Würden wir unser Bewusstsein auf diese Ebenen konzentrieren, könnten wir unsere vergangenen Leben kennen – obwohl das eine sehr ernüchternde Erfahrung sein könnte. Wenn unser tägliches Bewusstsein universaler wird, wächst es allmählich hin zu seiner spirituellen Abstammung – bis die Zeit kommt, wenn wir den Tod und die Wiederverkörperung bewusst durchlaufen und fähig sind, die Ursachen zu verstehen, die unser Leben formen.

Ist Karma Fatalismus?

Wenn alles eine Ursache hat und nichts zufällig geschieht, folgern manche Menschen, dass wir von der Vergangenheit in einem vorherbestimmten und unentrinnbaren Schicksal gefangen sind. Eine solche Anschauung übersieht die Idee, dass wir Wesen sind, die nicht nur aus Materie oder Denken bestehen, sondern in unserem Innern grundlegend mit der kosmischen Göttlichkeit identisch sind. Jedes Wesen in der Natur hat einen freien Willen, obwohl seine Freiheit durch sein Evolutionsniveau und seine Beziehungen mit anderen Wesenheiten begrenzt ist. Diese Begrenzungen bedeuten jedoch nicht, dass wir unseren freien Willen nicht zum Ausdruck bringen können.

Unsere Gewohnheiten des Denkens, Fühlens und Handelns sind machtvolle Kräfte, und es ist einfach, auf dem Weg des geringsten Widerstandes dahinzugleiten. Aber wenn unser Verlangen und unsere Hingabe stark genug sind, können wir uns verändern. Obwohl wir unausweichlich mit den Folgen unserer Handlungen umgehen müssen, müssen wir nicht davon kontrolliert werden. Aus unseren Reaktionen, Motiven und Haltungen entstehen ständig neue karmische Wirkungen, so dass wir in jedem Moment eine neue selbst erschaffene Wesenheit darstellen. Die Persönlichkeit, welche die Auswirkungen vergangenen Karmas empfängt, kann sehr verschieden sein von derjenigen, welche das Karma ursprünglich erschuf – genauso wie sich der reife Mensch gewöhnlich von dem unterscheidet, der er als Jugendlicher war, obwohl er das gleiche Individuum ist und mit den Folgen seiner Entscheidungen als Jugendlicher umgehen muss. Seine gegenwärtige Perspektive kann es ihm sogar möglich machen, den unglücklichen Wirkungen aus seiner Vergangenheit kreativ zu begegnen und etwas potenziell Negatives in eine Gelegenheit zum Lernen und Wachsen zu verwandeln.

Indem wir Ursachen mit einer harmonischeren Qualität erschaffen, können wir viele der früher von uns geschaffenen unharmonischen Wirkungen lindern und vielleicht positive Aspekte finden, während wir Samen einer neuen Art für die Zukunft pflanzen. Somit erlaubt uns Karma, unser Schicksal zu wählen und zu formen, es schenkt uns die Gelegenheit, unser Leben zu leiten, indem wir uns selbst beherrschen und bestimmen, wie sich die Umstände auf uns selbst auswirken.

Karma und Mitleid

Manchmal wird Karma falsch interpretiert als die Rationalisierung der Herzlosigkeit und als die Bewahrung des momentanen Stands von Leid und Ungerechtigkeit – sowohl individuell als auch sozial. Solche Argumentationen ignorieren die Tatsache, dass schwierige Situationen zu erleben nicht nur das persönliche Karma mit einschließt, sondern gleichzeitig anderen die Möglichkeit gibt, zu helfen. Wenn wir anderen gegenüber unnahbar sind, schaffen wir in uns ein Karma, das uns selbst begrenzt. Als Teile einer organischen Einheit, in der Essenz mit jedem und allem eins, ist es unsere Verantwortung, die anderen nach unseren besten Fähigkeiten zu unterstützen. Mitleid und mitmenschliches Gefühl für alle ist der wichtigste Weg zu Wachstum und die Ausdrucksform dessen, was wahrhaftige und edle Menschlichkeit ist.

Der Schlüssel, die Gegenwart zu verstehen, liegt im Erkennen, dass alles eine Ursache und eine Wirkung hat, denn das Universum und alles in ihm wurde durch vergangene Aktivitäten gestaltet. Wir alle haben uns selbst durch zahllose Leben genau zu dem gemacht, was wir gegenwärtig sind, und durch unsere gegenwärtigen Gedanken, Handlungen und Wünsche gestalten wir unser künftiges Selbst. Unsere Reaktionen auf die Menschen um uns bilden Muster von Ursachen, die in künftigen Beziehungen mit jenen Menschen ausgearbeitet werden müssen. Und genauso wie wir das große Lagerhaus unseres vergangenen Karmas sind, so ist jede Wesenheit der Natur ihr eigenes Karma. Als Menschen sind wir Teil größerer Wesenheiten – wie die Erde und das Sonnensystem –, die ebenfalls Karma erschaffen, das die Menschheit genauso beeinflusst wie unsere Handlungen die kleineren Leben berühren, die unseren Körper zusammensetzen.

Zwischen allem bestehen Wechselwirkungen und Reaktionen, denn das Universum ist eine vollständige Einheit, ein allein stehender lebender Organismus, nicht eine Ansammlung von oberflächlich verwandten Teilen, wie es manchmal den Anschein hat. Jeder Teil berührt das Ganze in jedem Augenblick und wird von ihm berührt, und diese Wechselbeziehungen lassen das Universum funktionieren wie es funktioniert. Unser Leben hat einen Einfluss auf alles in und um uns herum; was wir denken, machen und fühlen möchten, ist in seinen Wirkungen nicht auf uns oder jene begrenzt, die wir kennen. Wenn wir über unsere engen selbstzentrierten Aspekte hinausschauen und in Übereinstimmung mit den weit reichenden Interessen von Myriaden uns umgebender Wesen leben können, werden wir zu einem positiven Einfluss von planetarischer Reichweite werden und Karma schaffen, das zu einer gegenwärtigen und künftigen Segnung wird.

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Fürchte dich nicht, denn jede erneute Anstrengung macht alle früheren Fehler zu Lektionen, alle Sünden zu Erfahrungen. Im Lichte der erneuten Anstrengung verändert sich das Karma deiner gesamten Vergangenheit; es ist nicht länger bedrohlich. Aus dem Blickwinkel der Seele betrachtet steigt es von der Ebene der Bestrafung zur Ebene der Unterweisung auf.