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Erlebnisse in China

Flughafen in Peking, Anfang 1960 - wir waren gerade von Irkutsk, Sibirien, angekommen. Als wir das Flugzeug verlassen hatten, wurden wir von einem Dolmetscher empfangen, der uns als Führer begleiten sollte, und mußten zuerst die Zollformalitäten erledigen. Der Zollbeamte war eine Frau, die den Koffer von Hans völlig ignorierte, sich aber systematisch auf den meinen konzentrierte. Sie nahm jedes Kleidungsstück heraus und betrachtete es, als sei eine geheime Waffe darin verborgen. Ich wollte schon zornig werden, als ich plötzlich merkte, daß sie unter einem behördlichen Deckmantel alles nur aus reiner Neugierde so genau untersuchte, um herauszufinden, was eine aus dem Westen kommende Frau trägt.

Schließlich war mein Koffer leer, und ich wollte alles wieder einpacken, wurde jedoch freundlich, aber bestimmt daran gehindert. Die Frau packte schnell und gewandt meinen Koffer wieder ein, und zu meiner ewigen Schande sei gesagt, daß er weder vorher noch nachher je wieder so wunderschön gepackt worden war. Sie schloß den Koffer zu und gab mir mit einem feinen Lächeln den Schlüssel zurück. Wir beide wußten, was das alles zu bedeuten hatte! Mit einem Seufzer der Erleichterung und einem Dankeschön verließen wir den Flughafen und fuhren zu unserem Hotel.

Wenn unsere Ankunft in Peking eine Lektion dafür war, wie leicht Neugierde als Feindseligkeit ausgelegt werden kann, so bestätigte ein späteres Ereignis mir das noch viel mehr.

Unser Erscheinen in China versetzte die Kinder in außerordentliches Erstaunen. Viele, die aus den Dörfern oder Kommunen kamen, hatten noch nie einen Europäer gesehen. Ihre Reaktion war, entweder uns höflich anzustarren oder vor den fremden Erscheinungen mit den seltsamen Kleidern, mit der weißen Haut, den braunen Haaren und dem allerschlimmsten - den blauen Augen - schreiend wegzulaufen. Einige der Mutigeren kamen schließlich näher, berührten uns und waren überrascht, daß sich unsere Haut wie die ihre anfühlte und auch unser Haar genauso war, wie ihr eigenes. Wie kann man aber einem chinesischen Kind erklären, daß auch wir die Welt nur so sehen wie sie und nicht blau gefärbt?

Alle Kinder reagierten mehr oder weniger gleich, ausgenommen ein kleines Mädchen. Nicht weit von Schanghai hatten wir eine Kommune besucht. Sie war ziemlich neu, hatte kleine Apartments für Familien, sowie Schulen und ein Krankenhaus. Einen besonderen Platz nahm hier, wie in jeder chinesischen Kommune, das "Haus für die Verehrungswürdigen Älteren" ein. Das hatten wir bei unserem Besuch überall bemerkt: Die Sorge für die Alten war hier so ganz anders als bei uns. In vielen Kommunen war das einzige neue Gebäude das "Haus für die Verehrungswürdigen Alten". Vielleicht haben die jungen Chinesen im Laufe der Jahrhunderte gelernt, daß jeder von ihnen eines Tages alt sein kann und nicht mehr imstande sein wird, für die Familie oder die Gemeinschaft einen Beitrag zu leisten und ihr dennoch angehört. Vielleicht gestattet diese Vergegenwärtigung den alten Leuten dort, ihr Leben in Würde und Sicherheit zu Ende zu leben, was traurigerweise im Leben unserer älteren Mitbürger so oft fehlt.

Ich möchte jedoch auf das eine Kind zurückkommen, das ich nie vergessen werde. Auf unserem Rundgang durch die Kommune kamen wir an einem Kindergarten vorbei. Die Schule war für diesen Tag zu Ende, und wir hielten an, um die Kleinen zu beobachten. Es war eine frohe, glückliche Kinderschar, die sich durch die Türe drängte, um nach Hause zu gehen. Die meisten waren etwa fünf Jahre alt. Sie waren sehr farbenfroh gekleidet und hatten noch nicht teil an der Welt der Erwachsenen mit der blauen Hosenmode - es waren nur ganz gewöhnliche sorglose, gesunde Kinder voller Lebensfreude.

Die meisten blieben stehen und starrten uns an, außer einem kleinen Mädchen in einem buntkarierten Faltenrock. Es war aus dem Gebäude herausgekommen und geradewegs auf seine Mutter, die dort wartete, zugelaufen, als es uns plötzlich entdeckte. Mitten im Springen änderte es die Richtung, und immer noch springend kam es ohne die geringsten Bedenken auf Hans und mich zu. Es stoppte vor uns, betrachtete uns und legte, ohne ein Wort zu sagen, seine kleine weiche Hand in die meine und blieb an meiner Seite stehen. Die Mutter des kleinen Mädchens zögerte, unsicher, ob sie nun auch zu uns kommen sollte. Ich war etwas verlegen und wußte nicht, was ich tun sollte. Ich hatte selbst kleine Kinder und wollte meine Hand nicht sogleich aus den kleinen, umklammernden Fingern ziehen. Ich bat unseren Begleiter, der Mutter zu sagen, daß wenn sie einverstanden sei, ich das Kind solange wir in der Kommune wären, bei mir behalten würde. Der armen Frau blieb nicht viel weiter übrig, als zuzustimmen, denn ihre Tochter weigerte sich hartnäckig, meine Hand loszulassen.

Während wir die Kommune weiter besichtigten, ging das kleine Mädchen an meiner Seite, ab und zu springend, um mit uns Schritt zu halten. Wir besuchten eine Schule, und die Lehrer und Schüler begrüßten uns in der üblichen Weise durch Händeklatschen. Meine kleine Freundin gestattete mir gütigerweise, den Gruß auf chinesische Art zu erwidern, indem ich ebenfalls in die Hände klatschte. Ich konnte wenig für das kleine Mädchen tun, nur es hier und da ansehen und ihm zulächeln. Jedesmal, wenn seine Mutter rief oder der Führer mit mir sprach, hielt es mich fester bei der Hand und sein kleines, von glattem, schwarzem Haar eingerahmtes blumenähnliches Gesicht sah mich ängstlich an, als wollte es sagen: "Bitte behalte mich, schick mich nicht fort!"

Schließlich kam jedoch die Zeit, daß wir Abschied nehmen und zu unserem Wagen zurückkehren mußten. Ich bat unseren Begleiter um einige Minuten Geduld. Es ist schwierig, es in Worte zu fassen; doch ich hatte damals das starke Gefühl, daß dieses kleine chinesische Mädchen und ich uns schon irgendwo, irgendwann begegnet waren. Wir waren nicht zwei Fremde, die sich vor ein paar Stunden getroffen hatten. Glaubt man an Reinkarnation, so könnte man sagen, daß wir in einem früheren Leben in enger Verbindung standen und unsere Wege in diesem Leben sich nur kurz kreuzen sollten.

Ich hockte mich auf meine Fersen nieder, um mit dem Kind auf gleicher Höhe zu sein, hielt seine Hände in den meinen und sprach zu ihm in Englisch. Ich sagte ihm: "Höre, mein Liebling, ich muß Dich verlassen und zu meinen kleinen Mädchen jenseits des Ozeans zurückkehren, weit von hier entfernt. Wenn ich Dich mitnehme, wird Deine Mutti weinen, aber vielleicht werden wir uns eines Tages wieder treffen und Freunde sein."

Das Mädchen sah mich an, sein Gesicht war sehr ernst, seine Augen ließen mich nicht los, und ich war sicher, es hatte verstanden, was ich ihm sagte. Langsam glitt ein Lächeln über das liebliche Gesicht. Es nahm seine Hände aus den meinen und warf die kleinen Arme um meinen Hals, wobei es mich so fest hielt, wie es nur konnte. Bei diesem spontanen Ausdruck von Liebe kamen mir Tränen in die Augen; eine Sekunde lang hielt ich das Kind fest an mich gedrückt. ... Dann nahm es selbst seine Arme von meinem Hals und lief zu seiner Mutter. Es blickte nur einmal zurück, um mir mit einem frohen Lächeln auf Wiedersehen zuzuwinken.

Hans und auch unser Begleiter waren verdutzt durch dieses Ereignis und fragten: "Was hast Du getan, daß die Kleine so glücklich heimgeht?" Alles was ich sagen konnte war: "Ich weiß es wirklich nicht, wir haben uns nur gegenseitig verstanden, und es spielte keine Rolle, daß ich nicht Chinesisch sprach und sie kein Englisch versteht." Auch heute noch, nach vielen Jahren, denke ich oft an dieses kleine Mädchen und möchte gerne wissen, wie es jetzt mit dem Leben fertig wird.

Wir haben viele wunderbare und interessante Stunden in China verbracht. Wir sahen viele schöne Dinge, viele alte Schätze. Wir sahen auch viele Dinge, die für unsere anspruchsvollen westlichen Augen noch verbessert werden könnten. Doch es ist tatsächlich so, jedesmal wenn ich an China denke, steigt vor meinen Augen das Bild dieses kleinen Mädchens im kurzen Schottenrock auf, dessen schwarze Augen in meine blicken und eine ganze Reihe von Erinnerungen wecken. Es lehrte mich, daß wir in Liebe vereint sein, und damit jeden Abgrund, den die Umstände zwischen uns errichtet haben, überbrücken können.