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Karma hat viele Gesichter

Das Sanskritwort Karma1 ist heute im westlichen Denken kein unbekannter Begriff. Es steht nahezu in allen Wörterbüchern, und die meisten Menschen haben wenigstens eine vage Vorstellung von der Bedeutung des Wortes, auch wenn sie vielleicht nicht erkennen können, daß der gesamte Aufbau der Natur von diesem Grundgesetz abhängt. Was würde der Kosmos ohne Ursache und Wirkung sein? Es würde dann effektiv keinen Kosmos, sondern nur Chaos geben. In Gedanken kann man sich Bilder von himmlischen Körpern machen, die wild im Raum umherschwirren, zusammenstoßen und dann in Bruchstücke zersplittert werden. In Wahrheit würde es, wenn die Naturgesetze nicht bestünden, überhaupt keine Teilchen irgendeiner Materie, keine Atome, Moleküle oder Systeme irgendwelcher Art geben, die größere Körper bilden, denn es gäbe dann kein stabiles inneres Gerüst, das sie halten könnte.

Wir können uns daher vorstellen, wie ungeheuer wichtig die Tätigkeit von Karma in dem mit menschlichen Sinnen wahrnehmbaren Universum ist. Zufall muß ausgeschlossen werden, weil das Universum, wenn es auch nur in einer Phase auf Ordnung beruht, ganz dem Ordnungsprinzip untergeordnet sein muß. Früher oder später würde sonst das eine das andere zerstören. Da es bewiesen ist, daß in vielen Aspekten der Natur Gesetze tätig sind, ist es nur eine logische Folgerung anzunehmen, daß überall ein Gesetz herrscht. Wir bezeichnen fälschlicherweise die Erscheinungsformen, für die wir zur Zeit keine ausreichende Erklärung haben bzw. nicht haben können, als "Zufälle", um eine aussagefähige Analyse zu haben. Wenn der Hammer auf den Amboß schlägt, könnten wir, falls wir alle Faktoren kennen würden, die hierbei in Tätigkeit treten, die Anzahl der sich ergebenden Funken voraussagen und ihre Flugbahn bestimmen. In vielen Fällen greifen Wissenschaftler (und auch Versicherungsunternehmen) zu Statistiken, um eine durchschnittliche Voraussage des Mittelwertes zu errechnen. Das bedeutet jedoch nicht, daß in der Teilchen-Physik oder in den sogenannten zufälligen Ereignissen oder in der Lebenserwartung blinder Zufall wütet.

Wenn man von Karma spricht, bezieht man sich gewöhnlich auf seine metaphysischen Aspekte. Wir nehmen an, daß das Gesetz auf allen Ebenen wirkt, auf der physischen, emotionellen, psychischen, intellektuellen und spirituellen Ebene. Der biblische Ausdruck: "Was ein Mensch sät, das wird er auch ernten" scheint sich auf alle Bereiche zu beziehen. Somit hat Karma viele Gesichter, die nicht voneinander getrennt werden können. Die gleiche Handlung kann zum Beispiel aufgrund verschiedener Motive durchgeführt werden, wodurch die Ergebnisse völlig verschieden sein würden. Wer kann also beurteilen, wie einige Ereignisse im Leben zustande kommen? Wer könnte also einem anderen sagen, daß er einen Heller oder einen Batzen bezahlen muß? Die Wirkungen von Karma scheinen daher mehr qualitativ als quantitativ zu sein, und der beste Richter, der beurteilen kann, was auf einen Menschen zukommt, ist die betreffende Person selbst, nicht irgendein Zuschauer, der die inneren Motive nicht kennt.

Es heißt, jeder besitze aus früheren Leben sehr viel angehäuftes Karma, das auf die richtige Zeit wartet, um sich auswirken zu können. Das erscheint logisch, denn am Ende dieses Lebens werden unsere Konten bestenfalls nur teilweise ausgeglichen sein. Wir sind mit zahllosen Menschen verbunden; einige (vielleicht auch viele) sind möglicherweise zur Zeit nicht inkarniert, so daß unsere karmischen Beziehungen zu diesen warten müssen. Hierin liegt auch der Trugschluß anzunehmen, eine Vergebung der Sünden sei anzustreben bzw., was häufiger angenommen wird, eine Vergebung der Sünden könne "erlangt" werden, was jahrhundertelang im Glauben vieler westlicher Kirchen verankert war. Viel wurde getan, um die Missetaten zu bekennen und Absolution zu erhalten oder einen persönlichen Erlöser zu akzeptieren, damit wir von allen Übeltaten freigesprochen werden und unser Karma auf seine Schultern abwälzen können. Diese Einstellung täuscht viele aufrichtige Menschen, wenn sie, wie das so oft geschieht, buchstäblich aufgefaßt wird. Ganz gewiß hat die Anerkennung des inneren Christos als eine lebendige Kraft in unserem Leben die Macht, uns zu verändern, ob das aber zwischen Ursache und Wirkung möglich ist, bleibt zweifelhaft. Jede echte "Bekehrung" kann uns jedoch derart verändern, daß wenn vergangenes Karma auf uns zukommt, dieses zweifellos besser bewältigt werden kann - weil wir dann eine völlig andere Person sind! Es wird oft so viel von Vergebung gesprochen, aber was ist mit denen, die wir vielleicht verletzt haben? Was wird für sie getan?

Der Drang, anderen zu vergeben, entsteht zweifellos aus dem Einfluß der höheren Natur. Welchen Verletzungen oder Böswilligkeiten wir auch ausgesetzt sein mögen, es war schon immer eine gute Regel, dem Missetäter zu vergeben. Ein weiterer, damit eng verbundener Gedanke ist, nicht Wiedervergeltung zu üben. Sich zu rächen, verlängert und verschlimmert nur eine schwierige Situation und geht hauptsächlich vom persönlichen Ego aus, das seine Vorrechte geschmälert sieht, und beruht nicht auf dem wahren Selbst. Doch auch dann ist es kaum glaubhaft, daß das Karma der Handlungen durch die Vergebung einer Person aufgelöst wird. Vergangenes Karma wird sich mit Sicherheit auswirken. Doch nehmen wir einmal an, der Geschädigte weigert sich, Wiedervergeltung zu üben und umgibt stattdessen alle Menschen mit Liebe, einschließlich derjenigen, die "gegen ihn gesündigt haben", dann wird, obgleich die Auswirkung Karmas die Früchte vergangener Geschehnisse hervorbringt, der Teufelskreis der Wiedervergeltung unterbrochen sein. Den Betroffenen wird dann eine Gelegenheit gegeben, die Geschehnisse dieser Erfahrungen völlig umzuwandeln. Zu beachten ist außerdem, daß, wenn wir unserem vergangenen Karma gegenübertreten, neues Karma gesät wird. Ist die Vergebung aufrichtig, dann kann dieses neue Karma sich tatsächlich als sehr segensreich erweisen.

Die Verflechtung von Karma in uns und außerhalb von uns ist unendlich kompliziert. Wir sind eng mit dem Familienkarma verbunden; wir sind für verschiedene Zwecke gruppenmäßig beteiligt; wir sind Mitglieder von Gemeinschaften, Staaten, und Bürger von Nationen. Verbindungen, die Länder eingehen, wirken sich für alle aus, und wir werden von der Flut hinweggeschwemmt. Als Mitglieder dieser ungeheuren (wenn auch oft uneinigen) Bruderschaft der Menschen, haben wir zweifellos tiefe karmische Bindungen. Die Verflechtungen und Überschneidungen dieser ursächlichen Zusammenhänge verbinden uns in vielfacher Art, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart und in die Zukunft hinein.

Deshalb sind unsere Beziehungen zu anderen eine wichtige Phase der karmischen Wirkung. Ein weiterer Aspekt liegt in der Redewendung: "Du bist dein Karma", was bedeutet, daß unser Charakter mit all seinen positiven, negativen und neutralen Eigenschaften nichts anderes sein kann, als das, was wir ihm durch unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen eingeprägt haben. Es liegt auf der Hand, daß wir unseren Charakter (und die Persönlichkeit) allmählich in dem Maße verändern, in dem wir unsere Motive auf das empfindliche Gewebe unserer eigenen Naturen einprägen. Es kann jemand seine wahren Wünsche und Gedanken verbergen, und dennoch haben sie einen dauerhaften Einfluß auf ihn; und manchmal können wir in derselben Lebensspanne beobachten, wie jemand seine Eigenschaften verbessert oder wie eine früher großartige Persönlichkeit langsam zerbricht. Während des großen Abenteuers im Leben, das wir Tod nennen, webt das wahre Selbst den Charakter für die nächste Verkörperung. Der "neue Mensch" reflektiert dann genau das innere Leben der individuellen Persönlichkeit. In diesem Sinne ist jeder Mensch sein Karma und erzeugt sein eigenes Schicksal. Dieser Gedanke führt zu einem wichtigen Punkt, der in dem aus alten Zeiten stammenden Gebot folgendermaßen zusammengefaßt ist: "Von denjenigen, die sich der Zusammenhänge nicht bewußt sind, wird wenig gefordert, aber von denen, die sie kennen, wird sehr viel erwartet." Jeder einzelne, der in seinem Herzen an das unfehlbare Gesetz des ethischen Kausalprinzips oder Karma in der Natur glaubt, ist nicht länger mehr ein Mensch ohne Ziel. Er kann es sich nicht leisten, sein Leben zu vertrödeln oder der Pflicht auszuweichen, die er seinen Mitmenschen schuldet, was das gleiche ist, als wenn man sagen würde, der Pflicht auszuweichen, die er seiner besseren Natur schuldet. Was er von jetzt an auch immer unternimmt, unternimmt er bewußt. Vielleicht besitzt er noch nicht sehr viel Weisheit, aber er wird sich seiner moralischen Verantwortungen immer mehr bewußt. Obgleich er von dieser größeren Perspektive aus gesehen nur ein Anfänger ist, hat er nun bewußt einen Pfad betreten, auf dem es kein Zurück mehr gibt. Wenn er wirklich umkehren würde - was er natürlich kann -, wäre das eine bewußte Wahl und keine blinde Reaktion auf Impulse oder Versuchungen. Ein Freund in Nigeria hat das vor Jahren folgendermaßen ausgedrückt: Er hat sich der "Schar der zu Prüfenden" angeschlossen.

Oft betrachten wir Karma als etwas Herzloses und Kaltes, das uns immer Unglück bringt und uns wie ein rächender Engel verfolgt. Doch wie könnten wir es uns sonst vorstellen? Durch den Verlauf von Ursache und Wirkung sind wir imstande zu erkennen, wie unsere Saaten wirklich sind. Unser angenehmes Karma nehmen wir oft als selbstverständlich hin, beklagen uns aber über das unangenehme. Fügen wir unserem Körper Schaden zu und fangen an, darunter zu leiden, so gibt es keinen unter uns, der leugnen könnte, daß die Natur uns Warnungen gibt, für die wir dankbar sein sollten. Haben wir also zu flott, zu gut und unbedacht gelebt, sind wir nur bequeme Wege gegangen, haben wir keine Rücksicht auf andere genommen und erkennen nun plötzlich, wie unsere Welt auseinanderbricht, dann haben wir kein Recht zu behaupten, daß uns Unrecht geschieht. Gegen frühere Ursachen können wir sehr wenig tun, und wenn wir über die Zukunft nachgrübeln, so ist damit nicht wenig Egoismus verbunden. Das immer gegenwärtige, das ewig reine und unbefleckte Jetzt ist beständig bei uns. Hier, in dieser Arena sollten wir arbeiten und das Beste tun mit dem, was wir haben. Karma wird sich der Ergebnisse annehmen.

Fußnoten

1. Von der Wurzel des Verbums kri: tun oder handeln, daher Handlung, die eine Gegenwirkung auslöst. Eine einfache Definition von Karma ist somit Handlung und Gegenwirkung oder Ursache und Wirkung. [back]