Informationen über Theosophie in anderen Sprachen:     ENGLISH    ESPAÑOL    ITALIANO    NEDERLANDS    РУССКИЙ    SVENSKA  

Leuchtende Beispiele

Kürzlich las ich wieder einmal Victor Hugos Les Misérables/Die Elenden - die Benachteiligten der Gesellschaft. Es war deprimierend. Die Zustände in Frankreich waren einfach schrecklich; nicht nur wegen der Armut, sondern auch wegen der allgemein verbreiteten Niedertracht und Ungerechtigkeit, die einen Menschen von Geburt an bis zu seinem Tod verfolgen konnten. Selbst starke Naturen, die widerstandsfähig erschienen und die besten Absichten hatten, wurden oft vom Negativen dieser Umgebung überwältigt.

Wenn man diese Zeit der Unwissenheit, der Gefühllosigkeit und mangelnder Einsicht in die menschliche Natur mit unserer eigenen Zeit vergleicht, sieht man, daß wir tatsächlich Fortschritte gemacht haben. Gefühle echter Bruderschaft werden immer mehr in der gesamten Menschheit wahrgenommen. Es gibt keine isolierten Gruppen von besonders berufenen Denkern mehr, die vom Kontakt mit der großen Masse von Männern und Frauen abgeschirmt sind. Auf allen Gebieten findet ein gegenseitiges Geben und Nehmen statt. Erich Fromm, der amerikanische Psychologe, sagt, die einzige Chance des Menschen, ein Werkzeug für größere, konstruktivere Kräfte zu werden, sei eine immer bessere Einsicht in die Bedeutung der Bruderschaft; denn erst damit würde er allmählich begreifen, daß der Mitmensch und wir selbst eine Einheit bilden.

Bei der Lektüre eines solchen Buches, wie das von Victor Hugo, ist es, als halte man eine Rückschau in die kraftlose Atmosphäre der Vergangenheit; wenn man dann wieder in die Gegenwart zurückkehrt, und vielleicht sogar über die Zukunft nachdenkt, kommt man zu einer ganz neuen Lebenseinstellung, zu einer Einstellung, die unser Vertrauen zu den positiven Kräften in der Menschheit wachsen läßt. Diese Kräfte sind wirklich vorhanden.

Daran dachte ich vor einigen Tagen, als ich einem Wunschkonzert unseres nationalen Rundfunks lauschte. Zur Einführung erzählte der Programmleiter von einem Erlebnis, das er in der vergangenen Woche hatte. Wenige Tage vor der Sendung des vergangenen Samstags hatte er von dem Direktor eines Altenheims einen Anruf erhalten. Dieser erzählte ihm, daß ein 87-jähriger, bettlägeriger und kranker Mann, der ein regelmäßiger Zuhörer sei, in seiner Einsamkeit an den Musikabenden sehr viel Freude habe und nun den Wunsch geäußert hatte, man möge doch in dieser Woche ein bestimmtes Stück von Brahms spielen. Der Programmleiter erklärte dann dem Direktor, daß er die Sendung schon auf Band aufgenommen habe und aus diesem Grunde keine Änderung mehr durchführen könne, er würde aber bestimmt beim nächsten Mal den Brahmswunsch erfüllen.

Der Programmleiter dachte dann nicht mehr an die Angelegenheit. Einen Tag vor der geplanten Sendung jedoch - so erzählte er - habe er in sich eine Art intuitiven Befehl wahrgenommen, daß er dem alten Mann in dem Heim helfen müsse. Er änderte alles und überspielte die fertige Aufzeichnung mit dem gesamten Brahmsstück. Am nächsten Abend wurde es dann über den Äther zu den Hörern in ganz Schweden gesendet. Einer dieser Zuhörer war ganz besonders glücklich.

Wenige Tage später rief der Direktor des Altenheims wieder bei dem Programmleiter an. Dieses Mal, um ihm zu danken und ihm zu berichten, daß der alte Mann an jenem Samstagabend, als das Radiogerät neben ihm seine Lieblingsmusik spielte, mit einem weichen, unaussprechlich friedlichen Gesichtsausdruck verstorben sei. "Nie zuvor habe ich eine größere Dankbarkeit empfunden", sagte der Programmleiter, "daß ich jenem Impuls gefolgt bin und sofort gehandelt habe. In der nächsten Woche wäre es zu spät gewesen."

Als ich das hörte, empfand auch ich etwas von der tiefen Dankbarkeit, die dieser Mann empfunden hatte. Durch die spontane Reaktion auf seinen inneren Impuls hatte er sich und einem Fremden Friede, Befreiung und Harmonie geschenkt. Dies ist, wie mir scheint, ein starker und in der Tat wissenschaftlicher Beweis dafür, daß, wenn man der innersten Verantwortung anderen gegenüber nachkommt, man auf die tiefere kosmische Harmonie einwirkt. Vor dieser Wahrheit kann man sich nur verneigen. Wenn wir der Ethik des Herzens nachgehen, dann finden wir den Zugang zu der unaussprechlichen Harmonie in allem Lebendigen. Um aber daran teilzuhaben, müssen wir ein vollkommenes Vertrauen in unser Höheres Selbst besitzen. Dann ist es, als öffne man dem Sonnenlicht ein weites Tor, damit es immer wieder unsere geistigen Poren reinigen kann.

Zu allen Zeiten haben die wirklich großen Geister den Weg gezeigt, der in diese Richtung führt; die Menschheit hat jedoch "Brot und Spiele", den äußeren Schein, die Verpflichtung des (gesellschaftlichen) Ansehens und alles, was sich auf Äußerlichkeiten bezieht, mehr geschätzt.

Gibt es aber wirklich noch andere Werte für den Menschen außer dem Vertrauen in seine innere Göttlichkeit, und daß er mit ihr verwandt ist? Manche, die dem intuitiven Auftrag folgen, werden vielleicht feststellen, daß er sie nach außen hin in einen dramatischen Zustand der Armut und des Leidens führt; andere geraten durch ihn vielleicht auf einen anderen Weg, der zu äußerer und innerer Anerkennung führt. Wie das Schicksal des einzelnen auch sein mag, hinter der ganzen schicksalsbeladenen karmischen Rolle, die jeder von uns sich aufgeladen hat, steht ganz bestimmt eine höhere geistige Führung, deren Aufgabe es ist, dazu beizutragen, daß wir mehr und mehr verstehen, was wir wirklich sind. Das Leben ist großartig; in seinen Tiefen einzigartig schön und erhaben.

Ich denke noch an ein weiteres, ganz anderes Beispiel: An unseren geliebten, verstorbenen König. Sein Leben als Monarch war bestimmt nicht auf Rosen gebettet. Was aber machte er? Seine "erste Pflicht", die er in den Vordergrund stellte, bedeutete für ihn, daß jeder, der ihm begegnete, ein Mitmensch war. Er hat das wirklich Schwierige des tiefen Geheimnisses der Natur erfaßt, und durch diese höchste charakterliche Bescheidenheit hatte alles, was er tat, ein machtvolles und schöpferisches Geben und Nehmen zur Folge. Kinder und alte Leute aus allen Schichten der Bevölkerung waren ihm zugetan, nicht weil er der schwedische König war, sondern weil sie in ihm den Menschen erkannten. Bei seinen privaten und öffentlichen Verpflichtungen suchte er mit seinen Worten stets der alten Botschaft des Friedens und des Guten Willens Ausdruck zu geben. Ohne es selbst zu wissen, wurde er für alle ein Beispiel des Lichts und der Hoffnung.

Nein, die Zukunft ist nicht so dunkel. Innerhalb des Netzes der Arterien, das das Bewußtsein der Menschheit als Gesamtheit überzieht, fließen positive Ströme, die alle Nationen und Rassen, die Menschen der ganzen Welt, in einer geistigen Bruderschaft verbinden, die aus den Tiefen der erwachten Herzen entspringt.