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Gegenseitige Beeinflussung

Einem weisen Menschen steht die ganze Welt offen,

Denn das Heimatland einer guten Seele ist die ganze Erde.

- Demokrit

 

 

 

In Zeiten heftiger äußerer Unruhe, wo die Werte sich verschieben und die Perspektive sich verengt, scheitern viele Bollwerke der Zivilisation - moralische, kulturelle und wirtschaftliche - unter dem Götzen Veränderung. Solche Krisen des Umbruchs hat es schon immer gegeben, und dennoch blieb während der langen Evolution des Menschen der menschliche Geist unbesiegt: neue Bollwerke werden errichtet, neue Kulturen erblühen und die erhabenen spirituellen Prinzipien, die dem menschlichen Wesen vor Äonen eingeprägt wurden, kommen wieder einmal zu Ehren.

Gegenwärtig erleben wir gerade solch einen turbulenten Zyklus und verhalten uns ohne Zweifel ziemlich genauso wie die Menschen in der Vergangenheit. Manche bemühen sich mit allen Mitteln, dem Ansturm des unerwünschten Fortschritts auszuweichen. Da sie keine innere Lebensphilosophie besitzen, die einem Angriff standhält, wenden sie den Ursachen der Schwierigkeiten den Rücken zu und geben die Schuld allem und jedem, - dem Schicksal, politischen Ideologien, persönlichen oder religiösen Feinden - nur nicht sich selbst. Das bewirkt, daß sie sich elender denn je fühlen. Sie hegen Zweifel und Mißtrauen anderen gegenüber und schließlich auch gegen sich selbst und sind überzeugt, daß die Menschheit verloren ist, daß die internationalen, nationalen und individuellen Probleme größer sind als die menschliche Fähigkeit, sie zu lösen.

Die große Mehrheit der Menschen besitzt aber gesunden Menschenverstand und bildet "das Salz der Erde." Sie versuchen, trotz einer oftmals abgedroschenen Theologie, auf ihre eigene Kraft vertrauend, den Anstand im Leben zu bewahren und sich ziemlich erfolgreich "durchzuwursteln", wie man so anschaulich sagt.

Andere - die Geschichte hat verschiedene bemerkenswerte Beispiele darüber zu verzeichnen - wenden sich nach innen; werden nachdenklich, stellen sich selbst Fragen und machen sich Gedanken über Sinn und Zweck. Sie sind nicht daran interessiert, drastische Reformen zu erzielen (weder bei sich selbst noch in der Welt), sondern versuchen vielmehr, sich in den stillen Bereichen ihres Bewußtseins besser nach dem wahren Leitstern ihres Wesens zu orientieren.

"Jedes Leben enthält irgendein Bekenntnis und übt unvermeidlich einen stillen Einfluß aus", schrieb der schweizerische Philosoph und Dichter Amiel. Während nur sehr wenige Menschen in der Lage sind, außergewöhnlich viel für das Allgemeinwohl wirken zu können, haben wir alle die Möglichkeit und die Verantwortung, dies auf der inneren Ebene des Charakters zu tun - der einzigen Ebene, die von Bedeutung ist. Eine mühevolle und nie endende Aufgabe - und dennoch, gibt es einen besseren Zweck, "die Kräfte der Seele anzuwenden"?

Jedem Menschen, selbst wenn er auch nur vorübergehend Anteil am Leiden der Menschheit nimmt, ist klar, daß, wenn wir helfen wollen die Welt in Ordnung zu bringen, wir vor allem in unserem eigenen Haus Ordnung schaffen müssen. "Nächstenliebe beginnt zu Hause" - lassen wir deshalb unseren Nachbarn ihr eigenes natürliches Schicksal und beginnen wir bei uns selbst, indem wir uns bemühen, mit dem Strom der täglichen Anforderungen so weise und harmonisch wie möglich fertig zu werden. Und das nicht nur um unserer Selbstachtung und unserer Gemütsruhe wegen, sondern auch um des Guten willen, das für andere daraus erwachsen kann, selbst wenn das Gute nur darin besteht, uns in den Fortschritt der anderen nicht einzumischen.

Jede Wahrheit hat mehr als nur eine Facette. Jeder einzelne Mensch muß sein eigenes Heer aus der Finsternis bekämpfen und seine eigene innere Zitadelle der moralischen Stärke und Hoffnung aufbauen. Dessenungeachtet bilden wir aber alle einen wesentlichen Bestandteil der weitergehenden kosmischen Entwicklung, und so wie die große Masse der menschlichen Seelen fortschreitet, wird auch jeder einzelne von uns fortschreiten - es sei denn wir ziehen es vor, zu jenen ganz wenigen zu gehören, die bewußt durch übles Verhalten viele Lebenszeiten hindurch vorsätzlich die Verbindung mit ihrer göttlichen Quelle zerstören.

So gern wir auch manchmal unsere Zelte abbrechen und uns auf eine entfernte ruhige Insel davonstehlen möchten: es gibt kein Entrinnen. Unsere gegenseitige wirtschaftliche, gesellschaftliche und auch spirituelle Abhängigkeit ist eine nicht zu umgehende Tatsache. "Mit dieser Tatsache leben wir, in ihr bewegen wir uns und haben damit unser Dasein" - ein Ausspruch, der so leicht hingesagt wird, daß uns seine Bedeutung entgeht. Doch als Paulus zu den Athenern sprach, die auf dem Marshügel versammelt waren, um ihn sprechen zu hören, erinnerte er sie daran, daß sie der "Sproß" des einen Unbekannten Gottes seien, der "alle Völker aus einem Blut gemacht hat, damit sie ihre Wohnstätte auf dem gesamten Antlitz der Erde hätten." Er wiederholte somit nur, was die Erleuchteten aller Zeiten und damit auch die griechischen Dichter vor ihm gelehrt hatten. Teilte nicht Krishna etwa dreitausend Jahre vor Jesus die gleiche wunderbare Wahrheit schon Arjuna mit, daß nämlich das Höchste - Brahman - in allen Dingen, die geboren werden und sterben, "gleichermaßen unzerstörbar" ist? "Wie eine einzige Sonne die ganze Welt erhellt, so erleuchtet der eine Geist jeden Körper."

Glücklicherweise sind wir nicht mehr so engstirnig, uns einzubilden, wir könnten tatsächlich abgesondert für uns allein leben. Ganz im Gegenteil. Die Worte Demokrits, obgleich schon vor 2400 Jahren ausgesprochen und viele Jahrhunderte gänzlich unbeachtet gelassen, finden heute bei immer mehr Menschen überzeugten Widerhall. Die ganze Erde, in der Tat der ganze Kosmos, öffnet sich weit vor unserem staunenden Blick. Wenn wir entdecken, daß wir physisch, an Substanz und Lebenskraft, eine Einheit sind, wobei ständig atomare Teilchen von und zu der Sonne fließen, wieviel mächtiger muß dann erst der Einfluß des Austausches im Kreislauf des Bewußtseins sein.

Daraus ergibt sich für den Menschen vor allem eines: ob wir uns dessen bewußt sind oder nicht, es gibt in unserem Leben keinen Augenblick, in dem wir nicht unsere Mitmenschen zum Guten oder Bösen beeinflussen. Unsere Verantwortung ist groß. Jedesmal, wenn wir etwas Negatives in unserem Charakter nicht überwinden können, untergraben wir in zahllosen anderen die Entschlossenheit, eine ähnliche Schwäche bei sich zu meistern. Andererseits hat natürlich jede mitleidsvolle Handlung, jedes gütige Urteil, jede Festigkeit des Willens eine entsprechende Macht, in Myriaden menschlichen Herzen die gleiche Eigenschaft anzuregen, die vielleicht gerade diese fast unmerkliche Ermutigung brauchen, um ihre persönlichen Entschlüsse zu festigen.

Wenn wir nicht so stark mit der datenmäßigen Erfassung der materiellen Erscheinungen der Naturgeheimnisse beschäftigt wären, - sind wir denn so sehr viel mehr erleuchtet als unsere Vorfahren im Mittelalter, die endlos darüber diskutierten, wieviele Engel auf einem Stecknadelkopf stehen könnten? - hätten wir wahrscheinlich nicht das Vertrauen in die göttliche Grundlage unseres Lebens verloren; wir würden mit innerer Sicherheit, die durch äußere Stürme nicht beeinflußt werden könnte, wissen, daß die Eigenschaften unserer inneren Natur, genau wie die Atome der physischen Konstitution, die auf Grund der Tatsache, daß alle Dinge von göttlicher Energie belebt sind, die gleichen Eigenschaften wie die Himmelskörper haben, von gleicher Essenz sind wie die spirituellen Energien, die die Sterne auf ihrer Bahn halten.

Das Universum ist unsere Heimat. Wie und was wir in diesem winzigen Bruchstück Sternenstaub, das wir ich nennen, denken und fühlen, hat infolgedessen eine ebenso unumgängliche und stille Wirkung auf die Ökologie des Kosmos, wie das rhythmische Pulsieren der Sonnen und Quasare in den Tiefen der Unendlichkeit. Das erinnert an die Zeilen von Francis Thompson:

Alle Dinge, nah, fern oder verborgen,

sind durch eine ewige Macht miteinander verbunden,

so daß du keine Blume berühren kannst,

ohne einen Stern zu beeinflussen.

Es würde uns gut tun, uns dann und wann von uns selbst zu lösen und das Wunder und die Schönheit dieser Idee ungehindert in unser Wesen einströmen zu lassen. Selbst die gewöhnlichsten Ereignisse unseres Lebens würden wir dann in besserem Licht sehen. Vielleicht könnten wir öfter lachen, uns weniger ernst nehmen, weil wir erkennen, daß unsere menschlichen Kämpfe und Aspirationen, unsere Bürden und Freuden keine abgesonderten Erscheinungen, sondern ein wesentlicher Teil desselben freudigen, schöpferischen Dranges sind, der das Göttliche dazu bewegt, sich selbst ins Dasein zu singen: einmal als Universum, ein andermal als Mensch.

Wenn wir uns so sehen könnten, als kleinere aber sehr reale Partner im kosmischen Abenteuer, würde alles, was uns selbst, unsere Umstände, unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen betrifft, sich harmonisch gestalten. Wir würden jeden Tag mit Einsicht und Hoffnung empfangen und so leicht und natürlich fortschreiten, wie die Sonne aufgeht. Wie ganz anders könnte diese Welt aussehen!