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Schritte zur rechten Zeit

Wir sind gefangen im unerbittlichen Lauf der Zeit. Die Minuten verstreichen, ohne daß sie zurückgerufen werden können. Sekunden werden zu Stunden, Tage erstrecken sich zu Jahren, und wir fühlen, daß wir irgendwie nie einen Augenblick wirklich gelebt haben, denn er ist vorbei, ehe wir ihn erfassen können. Und doch ist die ständig sich entfaltende Gegenwart alles, was wir haben, so flüchtig sie auch sein mag, und der einzige Mensch, der wir je sein können, sind wir selbst. Zeit und Bewußtsein, diese gehen Hand in Hand. Keines von beiden kann still oder allein stehen und gemeinsam betrachtet enthalten sie das Geheimnis des Daseins.

Wenn wir über das sogenannte Auf und Ab im Leben, das wir alle durchmachen, und über die Freude und den Schmerz als Begleitumstände nachdenken, könnten wir uns fragen, wie gründlich wir unter der Oberfläche nach einem Sinn schauen. Äußere Verhältnisse mögen schwierig oder angenehm sein, aber, wenn wir unsere darauf bezüglichen Reaktionen bewußter prüfen würden, könnten sie uns eine Menge lehren! Wir sind zu sehr geneigt, vor einer psychologischen Bedrängnis davonzulaufen, oder anderen die Schuld zu geben, statt zu versuchen, die Dinge zu betrachten, wie sie wirklich sind. Wenn uns jedoch Glück widerfährt, nehmen wir es unbedenklich hin. Die Natur schreibt ununterbrochen an einem Buch für uns, das uns den Spiegel vorhält, in dem wir uns sehen können - Stärke und Schwäche zeigt er in gleicher Weise.

Wenn wir glauben, die Ursachen der Spannungen liegen in äußeren Umständen, ist unsere Ansicht sehr oberflächlich. Von außen an uns herantretende Schwierigkeiten sind oftmals überaus realistisch, das ist wahr. Sie bedürfen einer beständigen Aufmerksamkeit, sonst nehmen sie so sehr zu, bis sie uns überwältigen können, aber es ist in Wirklichkeit unsere Einstellung, die sie mit bedrückenden Schattierungen versieht. Es gibt ein altes Sprichwort, das sagt: "Die Befugnis, die ein anderer Mensch besitzt, mich zu belästigen, gebe ich ihm." Dasselbe bewahrheitet sich auf der ganzen Linie, von der kleinsten Verärgerung bis zur größten Katastrophe. Selbst in sehr extremen Fällen, wenn alles gegen uns eingestellt zu sein scheint, wenn wir bestürzt sind und nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen, oder wenn wir vom Gefühl der Hoffnungslosigkeit und des Mißerfolges überwältigt werden, dann haben wir der äußeren Lage diese Bedeutungen gegeben. Sie sind in uns, nicht außerhalb.

Solche Intervalle sind natürlich schmerzhaft, aber wenn wir uns nicht anders einstellen, wird uns die Bedeutung des ganzen Geschehens entgehen, und wir fallen in die gleichen Gewohnheiten des früher vorherrschenden Denkens und Verhaltens zurück, welches in Wirklichkeit unsere gegenwärtige mißliche Lage verursachte. Dies ist der Schlüssel; denn durch das subtile Schaffen von Ursache und Wirkung werden unsere trägen, in Gewohnheiten lebenden Selbste zu größerer Anstrengung im Sinne unserer innersten Bedürfnisse und Sehnsüchte veranlaßt. Es ist eine Gelegenheit, verborgene Kraftreserven und Verständnis zu wecken und zur Entfaltung zu bringen, indem wir die positiven Werte ergreifen, die inmitten unserer Prüfung sichtbar werden.

Günstige Gelegenheiten liegen wie verborgene Juwelen im Dunkel innerer Arbeit. Sie können sich vom einfachen Spannen der Geduldmuskeln bis zur vollkommenen Umgruppierung des gesamten Bewußtseins erstrecken. Nicht eine von ihnen ist unbedeutend; denn wichtige Resultate hängen oft von unbedeutend erscheinenden Entscheidungen ab. Jeder geheime Gedanke oder jede Schwäche, der wir nachgegeben haben, hat Einfluß auf unseren Charakter und somit auf unser Schicksal.

Andererseits: Jede Bemühung um Selbstkontrolle, jeder edle oder altruistische Impuls ändert grundlegend unsere innere Beschaffenheit und am Ende auch die äußeren Umstände. Eine schwierige Zeit kann daher verschieden gedeutet werden: als das aufgespeicherte Ergebnis eines fehlerhaften Gedankenlebens; als die Antwort der Natur auf unser Verlangen, mehr zu sein und mehr zu wissen - oder als etwas von beiden.

Unser Wohlbefinden hängt nicht davon ab, daß wir dem Leid ausweichen, auch nicht von freudigen Erlebnissen, wir können es auch nicht durch vermehrte Genußsucht erlangen. Wir alle wissen, was sich ereignen würde, wenn wir unsere Kinder vor allem Unangenehmen beschützen und sie in allen ihren Launen verhätscheln würden. Doch ist dies nicht gerade das, was wir Erwachsenen mit unserem eigenen Leben gewöhnlich tun? Wie jagen wir nach Geld, Komfort und Behaglichkeit. Manchmal opfern wir sogar unseren guten Namen dafür und vergessen dabei, was wir uns damit antun! Es ist dann die Natur, die eingreift, uns einen oder zwei harte Stöße gibt, und wir schreien entrüstet auf. Vielleicht besteht das Problem auch darin, daß wir uns zu sehr daran gewöhnt haben, unserer egoistischen Anlage entsprechend zu leben. Irgend etwas, das unserem Egoismus schmeichelt oder ihn beschwichtigt, halten wir für 'gut', und was immer ihm entgegensteht, betrachten wir als 'schlecht'. Jedoch vom Standpunkt unserer höheren Möglichkeiten aus gesehen ist das Gegenteil oft richtig.

Das Leben ist der Große Initiator, und es bringt uns genau das, was wir auf unserer Reise vom Dunkel zum Licht nötig haben. Wir alle beginnen diese Reise, ob uns dies bewußt ist oder nicht, sobald wir den Beschluß gefaßt haben, unserem Können entsprechend das Beste zu tun und die Besten zu sein. Während unsere Wünsche uns vorwärts drängen, fühlen wir den Druck gegen jene Anlagen in uns, die der Reife und der Erweiterung bedürfen. Das ist alles vollkommen natürlich. Wahre Glückseligkeit kann nur dann entstehen, wenn wir in unserem Leben das Beste in uns zu verwirklichen suchen und, insoweit wir persönlich betroffen sind, die Späne fallen lassen, wohin sie wollen. Es ist ein seltsamer Widerspruch, daß wir uns selbst vergessen müssen, um unser Selbst zu finden.

Nichtsdestoweniger kann Freude in jedem sich neu entfaltenden Augenblick vorhanden sein; denn er hat vordem nie bestanden, und wir können etwas Großes aus ihm machen, ohne Rücksicht darauf, wie getrübt die Vergangenheit mit ihren Fehlern und Schwächen sein mag. Die bedeutenden Lebenskämpfe werden in der Stille eines jeden Augenblicks und in jeder bescheidenen Pflichterfüllung, so wie sie an uns herantritt, gewonnen oder verloren. Daher ist es ratsam, niemals mit Bedauern die Zeit zu verlieren. Es ist zwecklos, sich um Dinge zu sorgen, über die wir keine Kontrolle haben, statt dessen müssen wir uns auf jene Umstände konzentrieren, über die wir tatsächlich Gewalt besitzen. Auf sie können wir unseren schöpferischen Willen richten und uns selbst zu höheren Ebenen des Verständnisses und der Leistung erheben.

In dem immerwährenden Strom von Zeit und Bewußtsein gibt es viele Anfänge und Enden. Alle verheißen Gutes für Mensch und Natur. Der Schein trügt. Obwohl die Blätter gefallen sind und Finsternis unsere Tage umhüllt, hat die Sonne ihren Sieg schon errungen.